Meine geniale Freundin

Buchseite und Rezensionen zu 'Meine geniale Freundin' von Elena Ferrante
3.5
3.5 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Meine geniale Freundin"

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein und sind doch unzertrennlich, Lila und Elena, schon als junge Mädchen beste Freundinnen. Und sie werden es ihr ganzes Leben lang bleiben, über sechs Jahrzehnte hinweg, bis die eine spurlos verschwindet und die andere auf alles Gemeinsame zurückblickt, um hinter das Rätsel dieses Verschwindens zu kommen.
Im Neapel der fünfziger Jahre wachsen sie auf, in einem armen, überbordenden, volkstümlichen Viertel, derbes Fluchen auf den Straßen, Familien, die sich seit Generationen befehden, das Silvesterfeuerwerk artet in eine Schießerei aus. Hier gehen sie in die Schule, die unangepasste, draufgängerische Schustertochter Lila und die schüchterne, beflissene Elena, Tochter eines Pförtners, beide darum wetteifernd, besser zu sein als die andere. Bis Lilas Vater seine noch junge Tochter zwingt, dauerhaft in der Schusterei mitzuarbeiten, und Elena mit dem bohrenden Verdacht zurückbleibt, eine Gelegenheit zu nutzen, die eigentlich ihrer Freundin zugestanden hätte.
Ihre Wege trennen sich, die eine geht fort und studiert und wird Schriftstellerin, die andere wird Neapel nie verlassen, und trotzdem bleiben Elena und Lila sich nahe, sie begleiten einander durch erste Liebesaffären, Ehen, die Erfahrung von Mutterschaft, durch Jahre der Arbeit und Episoden politischer Bewusstwerdung, zwei eigensinnige, unnachgiebige Frauen, die sich nicht zuletzt gegen die Zumutungen einer brutalen, von Männern beherrschten Welt behaupten müssen.
Sie bleiben einander nahe, aber es ist stets eine zwiespältige Nähe: aus Befremden und Zuneigung, aus Rivalität und Innigkeit, aus Missgunst und etwas, das größer und stiller ist als Lieben. Liegt hier das Geheimnis von Lilas Verschwinden?

Elena Ferrante hat ein literarisches Meisterwerk von unermesslicher Strahlkraft geschrieben, ein von hinreißenden Figuren bevölkertes Sittengemälde und ein zupackend aufrichtiges Epos – über die rettende und zerstörerische, die weltverändernde Kraft einer Freundschaft, die ein ganzes langes Leben währt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:422
EAN:9783518425534

Rezensionen zu "Meine geniale Freundin"

  1. 5
    10. Mär 2017 

    Der Beginn einer langen Freundschaft

    Elena, Mitte 60, erhält einen überraschenden Anruf vom Sohn ihrer besten Freundin Lila: Diese ist verschwunden. Und mit ihr alles, was in irgendeiner Form ein Beweis für ihre Existenz sein könnte. Elena ist davon weit weniger überrascht als Lilas Sohn und nimmt dieses Ereignis zum Anlass, die Geschichte ihrer Freundschaft schriftlich festzuhalten.
    Sie beginnt Mitte der 50er Jahre im Rione, einem armen Viertel von Neapel. Vermögend ist dort niemand (und wenn, dann bestimmt nicht auf legalem Weg), Gewalt bestimmt den Alltag. Man verdient nicht viel, trinkt dafür umso mehr und Streitigkeiten werden mit den Fäusten ausgetragen und vererben sich von den Eltern auf die Kinder. Hier begegnen sich die freche Lila und die schüchterne Elena und sind bald unzertrennlich. Sie wetteifern darum, wer die Beste in der Schule ist, was Lila überaus leicht fällt. Doch während Elenas fleißiges Lernen mit dem Besuch einer weiterführenden Schule belohnt wird, muss Lila in der Schusterei ihres Vaters mithelfen.
    Es ist eine grausame und archaische Zeit, in der die beiden Mädchen aufwachsen. Doch Lila verfügt über eine derart große Intelligenz, Wissbegier und ein immenses Selbstbewusstsein, dass sich selbst die Jungen vor ihr fürchten und manche Erwachsene eingeschüchtert sind. Elena, ebenfalls intelligent, findet in Lila ein Vorbild, dass ihr die Kraft gibt, sich anzustrengen um in der Schule voranzukommen - ein Weg, der Lila verwehrt bleibt. Während Elena eine Klasse nach der anderen besucht und sogar auf das Gymnasium kommt, wird es für Lila immer schwieriger je älter sie wird, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
    Das Buch ist weit mehr als 'nur' die Geschichte einer Kinder- und Jugendfreundschaft. Die unter einem Pseudonym schreibende Autorin lässt ein Neapel auferstehen, das ich beim Lesen stets deutlich vor Augen hatte: die Armut, den Dreck, die heruntergekommenen Häuser und mittendrin die Menschen, die sich so gut wie möglich durchschlagen. Es ist ein Sittengemälde des Neapels der Fünfziger Jahre, das so eindrucksvoll und überzeugend geschrieben ist, dass ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die folgenden Bände lesen werde, die in Italien bereits vor mehreren Jahren erschienen sind. Vielleicht ist es nicht ganz einfach zu lesen (jede Menge 'Personal' mit italienischen Namen - aber es gibt ein Personenverzeichnis) und nicht immer eine chronologische Erzählweise, aber die Mühe lohnt sich. Mir sind alle Figuren sehr ans Herz gewachsen und ich freue mich schon auf den Folgeband!

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  1. 2
    05. Feb 2017 

    Ein Verriss

    Ich habe eine Nacht über das gelesene Buch geschlafen, und ich muss sagen, so wenig Positives die Autorin in ihrem Buch gebracht hat, so wenig Positives kann ich über das Buch selbst schreiben.
    Denn leider kann ich mich zu dem Buch nicht der allgemeinen Beliebtheit anschließen. Ich werde hier kaum Lobeshymnen aussprechen können. Ich bin etwas von dem Buch enttäuscht, andererseits ahnte ich schon im Vorfeld, welche Themen auf mich zukommen werden. Meine Befürchtungen bestätigten sich recht schnell. Die Figuren habe ich so ziemlich bald durchschaut, auch die Ereignisse waren für mich vorhersehbar, es gab für mich keinerlei Überraschungseffekte. Ich hatte außerdem so ziemlich schnell hinter die Fassade der Icherzählerin blicken können. Mir wurde schnell klar, wie sie selbst gestrickt ist, wie ihre Denkweise und ihr Umgang mit ihrer angeblichen genialen Freundin ist, deren Ton ich unterschwellig als abfällig und den Buchtitel als zynisch empfunden habe.

    Kann eine Welt dermaßen schlecht sein? Wieso gibt es nicht eine Figur, die mir annähernd sympathisch war?
    Kann das realistisch sein, dass alle Menschen in dem Roman gar nicht fähig sind, ihre Probleme sachlich zu lösen?

    Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

    Zotat:
    "Sie könnten unterschiedlicher kaum sein und sind doch unzertrennlich, Lila und Elena, schon als junge Mädchen beste Freundinnen. Und sie werden es ihr ganzes Leben lang bleiben, über sechs Jahrzehnte hinweg, bis die eine spurlos verschwindet und die andere auf alles Gemeinsame zurückblickt, um hinter das Rätsel dieses Verschwindens zu kommen. Im Neapel der fünfziger Jahre wachsen sie auf, in einem armen, überbordenden, volkstümlichen Viertel, derbes Fluchen auf den Straßen, Familien, die sich seit Generationen befehden, das Silvesterfeuerwerk artet in eine Schießerei aus. Hier gehen sie in die Schule, die unangepasste, draufgängerische Schustertochter Lila und die schüchterne, beflissene Elena, Tochter eines Pförtners, beide darum wetteifernd, besser zu sein als die andere. Bis Lilas Vater seine noch junge Tochter zwingt, dauerhaft in der Schusterei mitzuarbeiten, und Elena mit dem bohrenden Verdacht zurückbleibt, eine Gelegenheit zu nutzen, die eigentlich ihrer Freundin zugestanden hätte. Ihre Wege trennen sich, die eine geht fort und studiert und wird Schriftstellerin, die andere wird Neapel nie verlassen, und trotzdem bleiben Elena und Lila sich nahe, sie begleiten einander durch erste Liebesaffären, Ehen, die Erfahrung von Mutterschaft, durch Jahre der Arbeit und Episoden politischer Bewusstwerdung, zwei eigensinnige, unnachgiebige Frauen, die sich nicht zuletzt gegen die Zumutungen einer brutalen, von Männern beherrschten Welt behaupten müssen. Sie bleiben einander nahe, aber es ist stets eine zwiespältige Nähe: aus Befremden und Zuneigung, aus Rivalität und Innigkeit, aus Missgunst und etwas, das größer und stiller ist als Lieben. Liegt hier das Geheimnis von Lilas Verschwinden?"

    Das Buch ist dermaßen düster, hat einen kafkaesken Touch, Licht scheint es in diesem Milieu, in dem die beiden Mädchen Elena und Lila aufwachsen, nicht zu geben. Selbst die Freundschaft der beiden Mädchen wirkt recht kühl und lieblos auf mich. Für mich ist das keine echte Freundschaft.

    Wie kann ein Land nur bestehen, das gefüllt ist von so viel roher Gewalt? Die Figuren wirken auf mich wie Höhlenmenschen. Völlig undiszipliniert und triebhaft in ihrem Auftreten. Wie kann ein Kind in so einer geistigen Armut und emotionaler Lieblosigkeit überhaupt groß werden? Ich habe in meiner akademischen, psychologischen und pädagogischen Ausbildung gelernt, dass ein Kind, das ausschließlich nur mit negativen Erfahrungen aufwächst, gar keine Überlebungschance hätte. Doch sowohl Elena als auch Lila haben ihre Kindheit überstanden, und auch die NeapolitnerInnen scheinen nicht dem Untergang geweiht zu sein. Irgendwas muss doch auch gut gewesen sein. Nur was? Aus meiner Sicht hält Elena einen recht selektiven, gefilterten Blick auf Land und Leute.

    Aus meiner Sicht sind diese Darstellungen alle arg übertrieben. Nun bekommen die LeserInnen wieder das Bild vorgesetzt, das sie eh schon von den ItalienerInnen glauben zu wissen. Laut, explossiv, ungebildet, traditionell, kriminell …

    Arm zu sein ist keine Schande, und nicht jeder mittellose Mensch wird durch seine Armut per se ein schlechterer Mensch.

    Doch selbst die Gebildeten in dem Buch treten recht rigide und anstandslos auf.
    Das Einzige, das mir an dem Buch wirklich gefallen hat, das ist das Cover.

    Ich habe mit meiner Bücherfreundin Tina gelesen und wir haben recht heftig diskutiert. Ich habe einen ganz anderen Background als Tina, daher die unterschiedlichen Wahrnehmungen. Ich kenne die vielen Vorurteile, die vielen Stereotypen, den Rassismus, den viele Deutschen bewusst oder unbewusst ItalienerInnen gegenüber hegen, weshalb sie die ItalienrInnen immer wieder als Exoten beschreiben. Dabei sind das Menschen wie alle anderen auch. Ich kenne aber auch die Vorurteile und den Rassismus, den die ItalienerInnen gegenüber ihren Landsleuten hegen …

    Ich weiß nicht, ob ich es tatsächlich schaffen werde, alle vier Bände von Ferrante zu lesen. Tina und ich haben jetzt erstmal beschlossen, uns den zweiten Band noch vorzunehmen, aber ich glaube nicht, dass sich an dem Erzählstil etwas verändern wird. Neugierig bin ich schon, und hoffe auf eine differenziertere Wahrnehmung der Erzählerin.

    Mein Fazit?

    Aus meiner Sicht wird viel zu viel Wirbel um Ferrantes Bücher gemacht. Auf www.perlentaucher.de fand ich eine Buchbesprechung, die mir aus der Seele gesprochen hat. Hierzu der Link einer Buchreporterin aus der Frankfurter Allgemeine, abgelegt auf perlentaucher, bitte runterscrollen.

    Ich zitiere:

    "Wo zwei Mädchen im Grundschulalter die Puppe der jeweils anderen in ein schwarzes Kellerloch werfen, geht es nicht zimperlich zu. Von Beginn an spielen Unfälle aller Art eine Rolle. Menschen werden verletzt, gehen mit Messern aufeinander los oder tragen die Zeichen des Krieges noch mit sich herum. Ein Vater wirft seine Tochter aus dem Fenster. Die Jungs der Straßenbande bewerfen die Mädchen mit Steinen, und die wehren sich. Und wo das der Fall ist, kann es um literarische Verzauberung glücklicherweise nicht gehen. Die Welt, von der erzählt wird, ist dafür zu hart und zu sehr von Gewalt durchdrungen."

    Außerdem ging es mir ähnlich wie dieser Rezensentin.
    Ferrante mit Dickens, Proust … zu vergleichen, finde ich arg übertrieben. In Dickens Bücher gibt es neben den dunklen Gestalten auch positive, Figuren mit guten Charakteren, die man bei Ferrante erst mit der Lupe suchen muss. Die Welt in Dickens Bücher erlebte ich wesentlich authentischer und vor allem differenzierter ...

    Und wie bei der Rezensentin ließ auch bei mir die Konzentration recht schnell nach, wo ich doch anfangs recht neugierig war. Tina und ich haben uns total auf das Buch gefreut, so viel Furore wurde um diese Lektüre gemacht, sodass wir uns wie von einem Virus angesteckt fühlten. Ich bin nun enttäuscht, dass mir das Buch nichts Neues bieten konnte. Ich will nicht behaupten, dass die Szenen alle unglaubwürdig sind, nein, das sind sie nicht, sie sind nur recht einseitig und undifferenziert dargestellt.

    Haben wir LeserInnen nun etwas Neues in dem Buch zu Italien und seinen Leuten erfahren?

    Italien wird niemals diesen schlechten Ruf verlieren, denn dafür sorgen schon diese Art von Büchern. Und darunter leiden in dem Land viele unschuldige Menschen, wenn Vorurteile, Rassismus … dadurch weiter forciert werden.

    Ich musste aber an Michael Degen denken, der das Buch über den Nationalsozialismus geschrieben hat Nicht alle waren Mörder. Und so schließe ich mich Degen an und sage, liebe Leserinnen und liebe Leser, nicht alle in Neapel sind bei der Mafia, nicht alle gehen mit dem Messer aufeinander los, nicht alle Männer vergreifen sich an jungen Mädchen …

    Wegen dieser mangelnden Undifferenziertheit in verschiedener Hinsicht bekommt das Buch von mir nur fünf von zehn Punkten.

    Falls jemand meinen italienischen Namen mit dem Buch und Neapel in Verbindung bringt, so kann ich nur sagen, dass meine Sichtweise nicht nationalitätenverbunden ist. Zum einen bin ich selbst Deutsche, habe nie in Italien gelebt, und zum anderen ist das generell meine politische Sichtweise, auf Rassismus, Klischees und Stereotypen aufmerksam zu machen. Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich mich für jedes andere Land auch stark machen würde.

    Ein Nachtrag, 05.02.17:

    Ich habe mir gestern Abend nochmals die Klappentexte von den übrigen drei Bänden durchgelesen. Im vierten und letzten Band steht:

    "Lila, die ihren Schicksalsort nie verlassen hat, ist eine erfolgreiche Unternehmerin geworden, aber dieser Erfolg kommt sie teuer zu stehen. Denn sie gerät zusehends in die grausame, chauvinistische Welt des verbrecherischen Neapels, eine Welt, die sie Zeit ihres Lebens verabscheut und bekämpft hat. "

    So, nochmals eine Nacht drüber geschlafen, habe ich mich nun entschlossen, die Bücher von Ferrante nicht weiter zu verfolgen, da die Verallgemeinerungen selbst im letzten Band unverändert geblieben sind.

    Ich lese lieber meinen Proust weiter und all die anderen interessanten Bücher, die auf meinem SuB warten.

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  1. Freundinnen oder Konkurrentinnen?

    Inhalt
    Dem Roman vorangestellt sind die handelnden Figuren, geordnet nach Familien und deren Mitgliedern. Sie alle leben in Neapel der 50er Jahre, im Viertel Rione, das von Armut geprägt ist. Diese Übersicht ist wirklich sehr hilfreich, da man eine Weile braucht, bis man alle Figuren und ihre Beziehung zueinander kennt.

    Im Mittelpunkt stehen die beiden Mädchen Raffallea Cerullo, von allen Lina gerufen - außer von Elena Greco - Lenù - ihrer beste Freundin, die sie Lila nennt und die diese Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt.

    Zu Beginn erfahren wir, dass Lila, inzwischen über sechzig Jahre alt, spurlos verschwunden ist und zwar restlos - alle Fotos, Kleider, Bilder sind weg.

    "Seit mindestens drei Jahrzehnten erzählt sie mir, dass sie spurlos verschwinden möchte (...): Sie wollte sich in Luft auflösen, wollte, dass sich jede ihrer Zellen verflüchtigte, nichts von ihr sollte mehr zu finden sein." (S.19)

    So beschließt Lenù, die Geschichte Lilas und ihrer gemeinsamen Freundschaft "aufzuschreiben, in allen Einzelheiten, mit allem, was mir in Erinnerung geblieben ist." (S.22)

    Die beiden Mädchen sind sehr unterschiedlich, während Elena, Tochter eines Portiers, sehr zurückhaltend und schüchtern ist, scheint Lila, Tochter eines Schusters, eine Draufgängerin zu sein, die vor nichts und niemandem Angst hat.

    Ihre Freundschaft beginnt, als sie sich gemeinsam zum vermeintlichen Schrecken des Viertels, dem Unhold Don Achille wagen, um ihre Puppen wieder zu bekommen, die er angeblich genommen haben soll. Dabei hat Lila Lenùs Puppe Tina einfach in ein Kellerloch geworfen - die Mädchen gehen wahrlich nicht zimperlich miteinander um. Wie sollten sie auch, in einer Umgebung, die von Armut und Gewalt geprägt ist.

    "Ich sehne mich nicht nach unserer Kindheit zurück, sie war voller Gewalt. Es passierte alles Mögliche, zu Hause und draußen, Tag für Tag, doch ich kann mich nicht erinnern, jemals gedacht zu haben, dass unser Leben besonders schlimm sei. Das Leben war eben so, und damit basta, wir waren gezwungen, es anderen schwerzumachen, bevor sie es uns schwermachten. Gewiss, mir wären die freundlichen Umgangsformen, die unsere Lehrerin und der Pfarrer predigten, auch lieber gewesen, doch ich merkte, dass sie für den Rione, für unser Viertel, nicht geeignet waren, auch für die Mädchen nicht. Die Frauen bekämpften sich untereinander noch heftiger als die Männer (...) (S.39)

    Elena, die Lilas Bewunderung erlangen will, lässt sich auf einige Mutproben ein, eben auch jener, zum Unhold zu gehen. Ihre Freundschaft ist von Konkurrenz geprägt, unumwunden gibt Elena zu, dass sie Lila, die sehr gut in der Grundschule ist und alle Wettbewerbe gewinnt, übertrumpfen will - schließlich fügt sie sich in Lilas Überlegenheit.

    "Wahrscheinlich war das meine Art, mit Neid und Hass umzugehen und beides zu unterdrücken. Oder vielleicht verschleierte ich auf diese Weise mein Gefühl der Unterlegenheit, die Faszination der ich unterworfen war. Auf jeden Fall übte ich ich darin, Lilas Überlegenheit auf allen Gebieten bereitwillig zu akzeptieren, und auch ihre Schikanen." (S.50)

    Lila wirkt zu Beginn des Romans schwer zugänglich, sie ist intelligent, aber wild. Lässt sich nichts sagen und wehrt sich gegen alle, die ihr zu nahe treten. Beschützt wird sie von ihrem älteren Bruder Rino, der sie gegenüber den rivalisierenden Jungs verteidigt - später wird er auf ihre Ehre Acht geben wollen.

    Nach der Grundschule empfiehlt die Lehrerin Elena, eine weiterführende Schule zu besuchen, die nötigen Kenntnisse in Latein will sie ihr gegen Geld (!) vermitteln. Nach vielen Diskussionen willigen die Eltern ein. Auch Lila soll auf Wunsch der Maestra gehen, darf jedoch von Seiten ihrer Eltern nicht.
    Als Lenù der Lehrerin während einer Nachhilfestunde eine Kurzgeschichte von Lila zeigt, erwidert diese:

    "Weißt du, was die Plebs ist, Greco? (...) Die Plebs, der Pöbel, ist etwas sehr Schlimmes. (...) "Und wenn einer Pöbel bleiben will, dann verdienen er, seine Kinder und seine Kindeskinder es nicht besser. Vergiss Cerullo und denk lieber an dich." (S.84)

    Man mag ihre Enttäuschung, dass ihre begabteste Schülerin ihre Schulzeit beendet, zur ihrer Entschuldigung anführen, doch aus den Worten der Lehrerin spricht Verachtung für die Menschen im Rione und ihrer Art zu leben. Sie ist nicht bereit Lila weiter zu unterstützen oder sich für sie einzusetzen, so bleibt Lila sozial benachteiligt.

    Die Konkurrenz zwischen den beiden Mädchen wächst und Elena äußert ungeschönt ihre wenig freundschaftlichen Gedanken:

    "Sooft ich konnte, signalisierte ich ihr vorsichtig, dass ich zur Mittelschule gehen würde und sie nicht. Nicht mehr die Zweite zu sein, sie zu überholen, erschien mir erstmals wie ein Erfolg. Sie muss es bemerkt haben, denn sie wurde noch kratzbürstiger, aber nicht zu mir, sondern zu ihrer Familie." (S.96)

    Diese Rivalität begleitet die Mädchen bis zum Ende des ersten Bandes, ist es zunächst Lila, die Elena verschiedenen Mutproben unterzieht, so vergleicht Elena im weiteren Verlauf der Handlung alles, was ihr widerfährt, mit dem Leben Lilas.
    Ist diese Konkurrenz zu Beginn nachvollziehbar, so hat sie mich mit zunehmendem Alter der Mädchen befremdet - noch ist es keine liebevolle, herzliche Beziehung zwischen den beiden.
    Es gibt zwar immer wieder Szenen, in denen die gegenseitige Zuneigung durchschimmert, aber die tauchen in meinen Augen zu selten auf und sind geprägt vom Wunsch Elenas Lilas Ansprüchen zu genügen:

    "Mein Herz hüpfte vor Freude. Welche Bitte lag in diesem wunderbaren Satz. Sagte sie mir gerade, dass sie nur mit mir sprechen wolle, weil ich nicht alles für bare Münze nah, was ihr über die Lippen kam, sondern ich ihr etwas entgegenzusetzen hatte? Sagte sie mir gerade, dass nur ich den Dingen folgen konnte, die ihr durch den Kopf gingen?" (S.127)

    Nachdem Elena auf der Mittelschule weiter lernt, wird Lila gezwungen in der Schusterei ihres Vaters zu schuften, verwirklicht sich aber im Entwerfen innovativer Schuhe. Lilas Drang sich in einer patriarchalischen Gesellschaft zu behaupten ist bewundernswert, auch wenn sie einiges dafür einstecken muss. Zudem lernt sie parallel dazu heimlich Latein und Griechisch, um Elena zu überflügeln, sie anzuspornen, ihr intellektuell gleichwertig entgegentreten zu können, ihr zu zeigen, dass sie auch in der Lage dazu ist.

    Ihr kritisches Denken zeigt sich auch darin, dass sie beginnt Fragen nach dem "früher" zu stellen, wer hat welche Rolle im Krieg gespielt, wer war Faschist und ist es noch, wer Kommunist. Sie findet heraus, dass der Großvater der Solara-Brüder, die das Viertel "beherrschen" Camorra-Mitglied war, eine Verbindung, die später für ihr Leben noch eine wichtige Rolle spielen wird.

    Währenddessen besucht Elena das humanistische Gymnasium, verliebt sich und verbringt einige unbeschwerte Tage in Ischia - eine der wenigen Szenen im Roman, die fast durchweg in fröhlicher Stimmung verlaufen - bis auch diese Episode ein unschönes Ende findet.

    Lila findet scheinbar einen Weg aus ihrer Armut heraus, sie ändert ihren gesellschaftlichen Stand und machte eine vermeintlich gute Partie. Die weiteren Bände werden zeigen müssen, ob ihre Entscheidung richtig gewesen ist - der letzte Absatz des Romans und Vorausdeutungen der Ich-Erzählerin lassen allerdings anderes vermuten.

    Bereits in der Silvesternacht zum Jahre 1959 lange vor ihrem Verschwinden, deutet die Ich-Erzählerin an, dass "Lila ihre erste Episode der Auflösung" erlebte. (S.105)
    Wie wird diese Auflösung aussehen? Und wird es der Ich-Erzählerin gelingen, aus dieser Welt der Armut und Gewalt auszubrechen?

    Bewertung
    Dem Roman vorangestellt ist ein Zitat aus Goethes Faust, aus dem Prolog, in dem der Herr die Funktion Mephistos, der als Schalk und Antreiber der Menschen wirken muss, erklärt. Im Roman scheinen die Mädchen sich zunächst gegenseitig anzutreiben, die Konkurrenz führt sie immer wieder zu neuen Hochleistungen, doch im Verlauf der Handlung kristallisiert sich heraus, dass es Lila ist, die Lenù, die Ich-Erzählerin, "reizt", sie anstachelt:

    "Du bist meine geniale Freundin, du musst die Beste von allen werden, von den Jungen und von den Mädchen." (S.398)

    Es scheint, dass Elena stellvertretend für Lila der Ausbruch aus ihrer gemeinsamen, brutalen und von Armut gezeichneten Welt gelingen muss. Eine der wenigen Szenen, in der Herzlichkeit zwischen den ungleichen Freundinnen zu spüren ist. Lenù wirkt gegenüber Lila oft kühl, geprägt von ihrem Unterlegenheitsgefühl - es ist schon eine seltsame Freundschaft zwischen den beiden Frauen, die sich in einer von Männern dominierten Welt behaupten müssen, einer düstere, gewaltsame Welt, in der kaum zwischenmenschliche Wärme zu finden ist.
    In unserem Telefongespräch stellten Mira und ich einhellig fest, dass es kaum Sympathieträger im Roman gibt, mit Lila empfindet man Mitleid, Lenù schildert die Geschichte zwar in allen Einzelheiten und schonungslos, aber ob sie sich als echte Freundin erweist, wird sich zeigen müssen.
    Alle weiteren Personen zeigen auf die ein oder andere Weise irgendwann ihre "dunkle" Seite.

    In einem Brief an Elena schreibt Lila, "sie spüre rings um sich her alles Schlechte des Rione. Dunkel fügte sie hinzu, Gut und Böse seien miteinander verquickt und verstärkten sich gegenseitig." (S.288)

    Das ist auch das, was mich an dem Roman irritiert, dass es keinen positiven Gegenpol zur Brutalität und Lieblosigkeit gibt. Man mag entgegenhalten, das sei die Realität, aber die ist auf Dauer - gerade weil sie so detailliert dargestellt wird - schwer zu ertragen. In der Mitte des Romans hatte ich mehrmals den Impuls, das Buch beiseite zu legen, da die Situation für Lila immer düsterer und hoffnungsloser wird.
    Glücklicherweise scheint sich ihr Schicksal zum Guten zu wenden und so bin ich auch beim zweiten Teil dabei geblieben und muss sagen, dass es der Autorin am Ende gelungen ist, neugierig auf den weiteren Verlauf der Handlung zu machen, so dass Mira und ich uns vorgenommen, den zweiten Band im nächsten Monat zu lesen - um zu sehen, ob aus dieser düsteren Welt eine hellere wird, ob eine andere Sichtweise eingenommen wird, und um zu erfahren, wie es mit den beiden Freundinnen weitergeht...

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  1. Meine allerbeste Freundin Lila

    Elena Greco bekommt von Rino dem Sohn von Raffaella Cerullo (genannt Lila) einen Anruf. Lila ist verschwunden, aber warum wunderte das Elena nicht, Lila wollte doch schon immer eines Tages verschwinden.
    Wir blenden zurück in die 50 er Jahre: Italien Rione bei Neapel, der Krieg ist ein paar Jahre zu Ende, in vielen Familien herrscht immer noch Armut. In dieser Zeit freunden sich Lila die Tochter des Schusters und Elena die Tochter des Pförtners miteinander an. Elena ist fasziniert von Lila, den Lila ist hübsch, intelligent und alle lieben sie. Aber besonders ist Elena von Lila fasziniert, ist sie doch die Klassenbeste, was Elena sofort motiviert ebenfalls besser als sie zu werden. Doch dann verlässt Lila die Schule und soll bei ihrem Vater in der Werkstatt mitarbeiten. Elena die durch die Motivation eine gute Schülerin wurde, macht die Mittelschule und später das Gymnasium. Und nun ist es Lila die besser sein will als Elena, dazu besorgt sie sich Bücher in der Bibliothek und hilft aber somit Elenas Lerneifer weiter anzuspornen. Und der Kontakt der beiden reißt nie auseinander, selbst als Elena ein paar Wochen sich auf Ischia erholt. Aber Lila ist immer einen Schritt weiter wie Elena und so sind auch viele Jungs aus Rione hinter ihr her, weil sie so hübsch ist. Mit 16 heiratet dann Lila ihren Verlobten Stefano und Elena muss nun ebenfalls versuchen einen Mann zu finden.

    Meine Meinung:
    Erkennbar ist nicht ob diese Saga auf einem realen Hintergrund basiert. Elena Ferrante hat mit diesem Buch den Start einer Familiensaga in vier Teilen begonnen. Kein Wunder benötigt die Autorin vier Bücher, wenn man in einem Band gerade mal nur 20 Jahr abdeckt. Auf über 400 Seiten erzählt sie uns die Freundschaft der beiden, ihre Familiengeschichten aber auch das Leben in Rione. Der Schreibstil ist sehr gut und flüssig, kann einen aber im Lauf des Buches schon mal ermüden. Zwar passieren mal so die einen oder anderen Unfälle, Schlägereien, fast einen Missbrauch, aber im großen ganzen war mir das zu wenig. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht warum um diese Saga so einen Medienrummel gemacht wird. Natürlich ist die Geschichte nett zu lesen, allerdings weiß ich nicht ob ich den zweiten Band lesen werde. Literarisches Meisterwerk ist es meiner Meinung nach nicht, aber ein guter Roman und wer auf solche Familiengeschichten steht, für den mag es das richtige sein. Das Cover ist recht einfach gehalten, passt aber zum Buch, von daher 3 von 5 Sterne.

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  1. Das Leben zweier Freundinnen

    Elena Ferrante - Meine geniale Freundin

    Lila Cerullo, die Tochter des Schusters, lebt gemeinsam mit ihrer Freundin Elena Greco, der Tochter des Pförtners, in Neapel. Die beiden sind sehr unterschiedlich und im Grunde genommen liegen sie permanent im Wettstreit.
    Das Leben in dem neapolitanischen Viertel in dem die Freundinnen Leben ist sehr derb. Geld ist Mangelware, alle Familien leben am Existenzminimum. Eine Zeit in der Bildung bei Mädchen zumeist auf eine Grundschulausbildung beschränkt blieb.
    Lila ist sehr schlau, sie eignet sich vieles auf anderen Wegen an, hat hohe Ziele, und ist sehr durchsetzungsfähig. Elena ist die hübschere der beiden und fühlt sich magisch zu Lila hingezogen, sieht zu ihr auf. Lila genießt nur eine kurze Schulzeit, obwohl die Lehrerin empfiehlt sie weiter zu beschulen, wegen ihrer hervorragenden Leistungen. Elena hat da mehr Glück, ihr fällt die Schule schwerer, aber ihre Eltern geben nach kurzem sträuben nach.
    Die Mädchen kommen in die Pubertät und entwickeln sich weiter, jede auf ihre Art , aber ihre Freundschaft bleibt.
    Auch als Erwachsene bleibt das Auf und Ab erhalten. Die beiden erleben noch so manches Ereignis mehr oder weniger gemeinsam.

    Die Autorin beschreibt das Leben dieser zwei Frauen sehr nuancenreich. Sie macht immer wieder deutlich, wie unterschiedlich die beiden sind, sich aber irgendwie trotzdem ergänzen wie es besser nicht sein könnte. Man bekommt nebenher einen Einblick in die damaligen Lebensumstände in Neapel. Es ist ein einfühlsam erzähltes
    Sittengemälde aus Neapel.

    Dieses Buch ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe, die in Italien schon vor einigen Jahren erschienen ist und überaus erfolgreich ist. Bin gespannt, ob dieser Erfolg sich auch hier in Deutschland einstellen wird. Werde den Nachfolger bestimmt lesen, da mir die Geschichte und der Schreibstil der Autorin sehr gefallen haben.

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  1. Eine besondere Freundschaft

    Raffaela, oder Lila wie Elena ihre Freundin aus frühen Kindertagen sie nennt, ist spurlos verschwunden. Wie ausgelöscht scheint ihr Leben. Elena macht sich noch nicht viele Gedanken, sie kennt Lila und ihre spontanen Entscheidungen und weiß um ihre Eigenwilligkeit. Sie hält die Sorge von Lilas nichtsnutzigem Sohn eher überzogen. Aber Lila hat wohl alle Spuren ihres Lebens getilgt, keine Kleidung, keine Briefe, keine Erinnerungsstücke sind zurückgeblieben. Aber Lila war immer anders !
    In Gedanken geht Elena zurück ins Neapel der 50iger Jahre und lässt den Beginn der Freundschaft zwischen den beiden Mädchen Revue passieren. Lila war ein starkes, mutiges Mädchen, ja sie war sogar manchmal richtig grausam, Elena unterwirft sich willig den diversen Mutproben und Lila wird ihre wichtigste Bezugsperson. Sie ist klug, sie hat sich allein lesen und schreiben beigebracht, sie ist intelligent, aber das ist in den Augen des Vaters nicht unbedingt ein Vorteil. Im Arme-Leute-Viertel, in dem die zwei Mädchen aufwachsen, geht es laut und derb zu. Auch Gewaltausbrüche sind an der Tagesordnung, der Vater als Patriarch steht über Allen. Väter können die Zukunft und das Schicksal ihrer Kinder bestimmen, weit ins Erwachsenenalter hinein. Elena weiß, dass Bildung ein Weg aus diesem Kreislauf sein könnte, Lila wählt den Weg der Heirat mit einem aufstrebenden, wohlhabenden Mann, beide wollen durch ihre Entscheidungen den Verhältnissen entkommen. Ob es beiden gelingt?
    Das Buch erinnerte mich an die großartigen Schwarz-Weiß-Filme des italienischen Neorealismus. Das neapolitanische Viertel wird sehr authentisch und kraftvoll dargestellt, die Familien, die eng zusammenwohnen, die Konflikte, die Beziehungen, das hat mir sehr gut in der Darstellung gefallen. Fast meine ich die Lautstärke im Ohr zu haben, so lebendig ist die Darstellung. In diesem Zusammenhang fand ich auch das Personenregister am Anfang des Buches sehr hilfreich.
    Die Sprache ist bildreich, durch die Ich-Erzählerin ist der Leser unmittelbar ins Geschehen eingebunden. Die Erinnerungen Elenas sind lebendig und doch hinterfragt sie sich immer wieder. Fast habe ich das Gefühl, dass sich Elena nicht sicher ist, ob Lila sie wirklich mochte. Zu prägend waren die Erfahrungen von Zurückweisungen und Verletzungen. In diesem Buch lerne ich Lila ja nur aus der Sichtweise von Elena kennen und die Erinnerungen sind durch ein langes Leben verwaschen.
    Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen, es ist eine Entdeckung, denn es wurde in Italien bereits 1991 veröffentlicht. Ich bin wirklich eingetaucht in diese beiden Frauenleben. Ich bin gespannt, ob mich diese Faszination noch durch drei weitere Bände trägt.

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