Mein Name ist Monster: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Mein Name ist Monster: Roman' von Katie Hale
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Mein Name ist Monster: Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
Verlag:
EAN:9783103974690

Rezensionen zu "Mein Name ist Monster: Roman"

  1. Das Leben nach dem Überleben

    Diese Geschichte durchweht der kalte Hauch einer unvermeidlichen Endzeit – der Schatten des Untergangs ist endlich (und wohlverdient?) über die Menschheit gefallen.

    Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben, nichts davon muss in diesem Roman mehr als nur angedeutet werden. Denn wir, die modernen Menschen, wir, die Leser, wissen doch eigentlich um unsere kollektiven Sünden, können sie höchstens stur und wider besseren Wissens verdrängen. Aber im Grunde ist dieser Roman meines Erachtens ohnehin weniger ein Mahnmal unseres Versagens als eine Parabel auf die grundlegende Einsamkeit des Menschen – und seine Fähigkeit, zu beharren und zu überleben.

    Eine Frau namens Monster: in spröden, zerbrechlichen Worten lässt Katie Hale eine Protagonistin zu Wort kommen, die schon vor dem Untergang nie wirklich dazu gehörte.

    Nicht umsonst nannte ihr Vater sie bereits in ihrer frühesten Kindheit liebevoll “Monster” – denn sie kniff, trat und biss andere Kinder und Lehrer wie ein kleines Untier bis aufs Blut, quasi immer mit gesträubtem Fell und gezückten Krallen. Und nicht umsonst übernahm sie diesen Namen stolz für sich und gab ihn auch als Erwachsene noch ganz selbstverständlich als ihren Vornamen an.

    Sie spürt, dass sie anders ist, und verteidigt ihre Andersartigkeit ohne Kompromisse. Für sie ist “Monster” keine Beleidung, sondern eine Anerkennung und Bestätigung ihrer inneren Stärke.

    Monster überlebt das Ende der Welt im Herzen des Eises.

    Buchstäblich, das heißt im Saatguttresor im arktischen Longyearbyen, der 120 Meter in eine alte Kohlegrube hinein reicht. Lebensfeindlicher kann eine Umgebung kaum sein, im Inneren herrschen minus 18 Grad Celsius – man hört beim Lesen quasi das trockene Knacken und Knistern des uralten Gletschers.

    Während sie wartet, verzehrt Monster sich nicht etwa nach ihrer Familie, sondern reflektiert höchstens nüchtern, dass sie Mutter und Vater vor deren elenden Tod ganz bewusst nicht mehr besucht hat, um eine Verbreitung der Seuche zu vermeiden – lange vor Corona geschrieben, erhält dieses Buch durch Corona ein tieferes Gewicht. Beim Lesen kam ich nicht umhin, mich zufragen: was wäre, wenn meine Eltern…?

    Der Untergang, sollte man meinen, trifft Monster weniger als er einen emotional bedürftigeren Menschen träfe. Und tatsächlich kann sie zunächst recht gut umgehen mit der Stille und Leere der neuen Welt, scheinbar ohne die menschliche Interaktion zu vermissen. Sie zieht stoisch und entschlossen durch die verlassenen Städte, immer aufs reine Überleben fixiert, bis sie einen Ort findet, den sie als den ihren beanspruchen will und wo sie fortan Gemüse anbaut und Hühner züchtet – eine Art spartanisches Glück, jedoch ohne menschliche Wärme.

    Alles ändert sich, als sie ein kleines Mädchen findet, das zunächst mehr wildes Tier als Menschenkind ist.

    Die Kleine flieht nicht vor einem Rudel verwilderter Hunde, sondern behauptet sich knurrend und fauchend, entreißt ihnen ein Stück rohes Fleisch und schlägt ihre Zähne in die blutende Beute. Die menschliche Sprache beherrscht sie offensichtlich nicht. Man kommt nicht umhin, eine gewisse Seelenverwandschaft zu vermuten…

    Ohne das selber wirklich emotional zu durchleuchten, nimmt Monster sie auf und reicht den eigenen Namen an sie weiter, quasi als Schutzzauber. Ab hier ist mit “Monster” also das Kind gemeint, was das Lesen erst etwas verwirrend macht. Die Frau, die sich bisher Monster nannte, sucht nach einem neuen Namen, der möglichst wenig bedrohlich klingen und dem Kind damit Vertrauen einflößen soll – und sie entscheidet sich für “Mutter”.

    Die Beziehung zwischen Monster und Mutter entwickelt schnell eine große Komplexität. Es entsteht eine seltsame Mutter-Tochter-Dynamik, die durchaus auch sehr ungesunde Aspekte aufweist, weil beide Beteiligten keine Blaupause dafür haben – und Mutter auch keine natürliche Neigung zu Fürsorglichkeit oder Emotionalität. Sie bauen sich eine kleine Familie auf, als würden sie ein Gebäude ohne jegliches statische Wissen errichten.

    Hier lässt sich eine Unmenge hinein interpretieren:

    Was schief laufen kann in einer Mutter-Tochter-Beziehung. Was gut und richtig sein kann. Wieso es keine Anleitung gibt und inwieweit gute Absichten fatale Fehler ausbügeln können – oder auch nicht.

    Das Buch ist ungemein stark, solange es den Fokus auf Monster und Mutter und ihre Gefühle, Bedürfnisse und Erwartungen legt. Dann wächst die Erzählung über die reine Handlung hinaus und gewinnt einen Klang des universell Wahrhaftigen. Man vergisst quasi, dass draußen die Welt untergegangen ist. Eine Rolle spielen nur noch eine Mutter und eine Tochter, die sich gegenseitig stützen, aber auch verletzen.

    Der zweite Teil des Buches wird aus Sicht der neuen Monster erzählt, und man spürt schnell, dass sie Mutter zwar liebt, sich jedoch dagegen wehrt, zu deren Abbild gemacht zu werden. Aber sie trägt ihren Namen zurecht: wie die alte Monster besitzt auch sie eine kompromisslose Entschlossenheit und Stärke.

    Doch in meinen Augen wäre am Schluss vieles besser offen geblieben. Zur Beantwortung einer grundlegenden Problematik verlässt die Geschichte das Reich der Parabeln und begibt sich zögerlich zurück ins Gefilde der Postapokalypse.

    Da die Geschichte jedoch wesentlich stärker von den Charakteren als von einer klassischen Handlung von A bis Z angetrieben wird, hätte das Buch gut ohne die Antwort funktionieren können. Tatsächlich schmälert diese die Wirkung eher, als ihr mehr Gewicht zu verleihen.

    Nicht alles erschien mir glaubwürdig, und auch der Umgang beider Protagonistinnen mit der Entwicklung der Dinge kam mir seltsam ‘flach’ vor. Der Bogen kann sich letztendlich nicht ganz schließen, das Ende läuft nicht kohärent mit Anfang und Mittelteil.

    Aber abgesehen vom Schluss fand ich das Buch durchaus gelungen.

    Das liegt zum einen an der wunderbaren Sprache, die der nüchternen Art der ersten Monster (später ‘Mutter’) eine ganz eigene Poesie verleiht und im zweiten Teil des Buches der jungen Monster eine eigenständige Persönlichkeit.

    Es liegt auch daran, dass die Geschichte sehr originell und einfallsreich ist und sich deutlich abhebt von den üblichen Erwartungen an einen Endzeitroman. Keine Zombies, keine plündernden Horden, dafür eine ganz neue Sicht auf die Natur des Menschen. Zugegeben, die Spannung ist eher eine unterschwellige, das Tempo ist über lange Strecken behäbig, aber langweilig wurde es mir dabei nie.

    Letztendlich liegt es an den einzigartigen Protagonistinnen. Beide sind sperrig, beide wären auch ohne die Apokalypse Außenseiterinnen gewesen, beide begehen gravierende Fehler und benehmen sich ab und zu sehr unsympathisch. Aber Katie Hale gelingt das Kunststück, dem unvollkommenen Leser diese unvollkommenen Charaktere dennoch nahezubringen.

    Fazit:

    Monster heißt seit ihrer Kindheit so, weil sie sich nicht anpasst. Weil sie nicht einsteckt sondern austeilt. Andere Menschen sind ihr fremd, deren Verhalten ist ihr unbegreiflich. Als sie als einziger Mensch die Apokalypse überlebt, hält sie sich daher für perfekt geeignet, die neue Einsamkeit auszuhalten. Doch dann muss sie feststellen, dass sie doch nicht die Einzige ist, und findet sich in der unerwarteten Lage wieder, ein verwildertes Kind aufziehen zu müssen.

    Das Buch ist am stärksten, wenn es sich auf die ungewöhnliche Mutter-Tochter-Dynamik konzentriert. Dann wird es zu einer bestechenden Parabel auf die menschliche Natur, bei der man die Apokalypse höchstens als Hintergrundrauschen wahrnimmt. Auch die Sprache ist gelungen und erweckt die Charaktere zum Leben.

    Gegen Ende nimmt die Geschichte eine Wendung, ab der ich sie nicht mehr glaubwürdig fand – aber wenn ich das Ende ausblende, würde ich den Roman im Ganzen weiterempfehlen.

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