Mattanza
Jedes Jahr führt die Route der Thunfischschwärme an der kleinen, weit abgelegenen süditalienischen Insel Katria vorbei. Traditionell leben die Bewohner der Insel vom Thunfischfang. Die „Mattanza“ - das Abschlachten des Schwarms findet nach einer seit Generationen festgelegten Methode statt, angeleitet vom Raìs, der sein umfangreiches Wissen über das Meer, den Wind, die Thunfische sowie die vorgeschriebenen Abläufe immer an einen männlichen Nachkommen weitergibt.
Doch als wiederholt kein Junge geboren wird, beschließt der amtierende Raìs seine Enkelin Nora auszubilden. Nora lernt diese Bürde zu tragen, erfährt alles Notwendige, um das Erbe ihres Großvaters anzutreten und erwirbt sich das Vertrauen der Fischer. Doch die Welt verändert sich. Touristen interessieren sich plötzlich für die Tradition der Mattanza, Flüchtlinge stranden bzw. werden tot an die Insel gespült und die Überfischung der Meere wirkt sich massiv auf den Thunfischbestand aus.
Die Dorfgemeinschaft kämpft zunehmend ums Überleben, versucht, mit den neuen Situationen zurecht zu kommen.
Die sizilianische Autorin Germana Fabiano hat mit „Mattanza“ einen schnörkellosen, bewegenden und nachdenklich stimmenden Roman über Tradition und Wandel geschrieben.
Die Abläufe einer Mattanza werden detailliert beschrieben - der Fang nach traditionellen Regeln gleicht einer festgelegten Choreographie, bei der es auf den richtigen Augenblick ankommt. Das Abschlachten eines ganzen Schwarms bedeutet harte körperliche Arbeit, ist eine blutige Angelegenheit, die die Existenz der Dorfgemeinschaft sichert.
Doch auch scheinbar unabänderliche Traditionen sind, wie der Roman zeigt, dem Wandel unterworfen, müssen sich neuen Gegebenheiten anpassen. „Mattanza“ zeigt, dass die Folgen von hochindustrialisierten Wirtschaftssystemen, Klimawandel und Globalisierung auch in abgelegenen Teilen der Welt massiv spürbar sind und die dort lebenden Menschen zwingt, ihr Leben zu verändern.
Sehr lebendig schildert die Autorin auch die Beziehungen der Dorfbewohner untereinander, ihre Abhängigkeiten von den auf dem Festland lebenden Obrigkeiten und ihren Gemeinschaftssinn.
Besonders gut gefallen hat mir, dass die Autorin eine thematisch ungewöhnliche, fesselnde Geschichte erzählt, die tiefe Einblicke gewährt, nichts beschönigt und die sich verändernde Welt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Dabei überlässt sie es ihren Leser*innen, Bewertungen vorzunehmen.
Für mich ist „Mattanza“, das von Barbara Neeb und Katharina Schmidt ins Deutsche übersetzt wurde, ein Lesehighlight im Jahr 2023.
Der Roman beschreibt die Entwicklung der Mattanza, der Thunfischjagd, während ca. 50 Jahren, von 1960 bis 2012 auf der fiktiven Insel Katria bei Sizilien, anhand der spannenden Lebensgeschichte einer Frau, Eleonore, des letzten Rais. Dabei geht es im Verlauf des Romans nicht mehr nur um die Tonnara, die von jahrhundertealten Ritualen geprägt ist, sondern um mehr – nämlich um eine totale Veränderung des Lebens auf dieser Insel.
Katria lebt vom Thunfischfang. Einmal im Jahr geht der Zug der Thunfische an der Insel vorbei und die großen Fische werden von den Fischern in unterirdischen Netzsystemen gefangen, nach traditionellen Ritualen geschlachtet und schließlich in Konservenfabriken auf der Insel verarbeitet. Bezahlt werden sie vom Besitzer der Fabrik, der Familie Filangeri, die zwar eine feudale Villa auf der Insel besitzt aber woanders wohnt. Vom Thunfisch leben alle Menschen auf dieser Insel, Tourismus gibt es nur wenig.
Der Einstieg erzeugt beim Leser sofort Interesse und Spannung. Eine Katastrophe ist geschehen. Die letzte Möglichkeit eines Nachfolgers für den Rais - den Anführer der Tonnatori – ist verpasst. Seine einzige Tochter hat wieder ein Mädchen geboren, Eleonora Greco, später Nora genannt. Es steht geschrieben, dass der nächste Rais vom Blut der Lombardo sein muss, andernfalls wird es Unglück und Katastrophen für die Insel bringen. Der Rais entscheidet, dass Eleonora seine Nachfolgerin wird, denn nirgends steht, dass es kein Mädchen sein darf, so fordert er die Tochter auf: Bring sie zu mir, sobald das Mädchen keine Mutter mehr braucht.
Schon im ersten Kapitel lernt der Leser viele Inselbewohner kennen, die ihn über die lange Zeit begleiten werden. Auch ihre Dialoge lassen vor uns die Welt der Insel lebendig werden, zeigen uns die Gemeinschaft und den Zusammenhalt der Menschen auf der Insel.
In elf Kapiteln, bezeichnet durch Jahreszahlen, erlebt der Leser die Ereignisse und Entwicklungen auf Katria, begegnet den Menschen dort und erfährt von ihren Schicksalen. Wir erleben mit, wie Nora, vom alten Rais gut vorbereitet in ihre Aufgabe hineinwächst und sich durch ihre Souveränität bei der Erfüllung des schweren Erbes die Anerkennung der Tonnatori erwirbt. Nicht an ihr liegt es also, dass die Thunfischjagd immer mehr an Bedeutung für die Inselbewohner verliert.
Von den ersten Befürchtungen, als man erfährt, dass die Filangeri die Anlagen verkaufen wollen, bis zu dem Stand der Dinge im Jahr 2012 passiert sehr viel in dem Roman, von dem ich nichts vorweg nehmen möchte. Mit allen - und nicht immer zulässigen - Mitteln kämpfen die Inselbewohner um ihre Existenz. Doch im Mittelmeer geschehen Veränderungen, die von ihnen - und auch den Filangeris - nicht beeinflusst werden können. Große Fangschiffe nehmen den größten Teil der Fischschwärme auf, bevor sie die gewohnten Wege ziehen, andere Probleme, die nicht in ihrem Vorstellungsbereich möglich waren, verändern das Leben auf der Insel total.
Die Welt der Inselbewohner, durch jahrhundertealte Traditionen geprägt, existiert am Ende des Romans so nicht mehr. Der Leser ist gefangen von dieser Erzählung von der ersten bis zur letzten Seite und kann es am Ende kaum glauben, dass soviel in nur 183 Seiten erzählt werden kann. Eine spannende Geschichte, viele Informationen über den Thunfischfang und das Leben auf einer südlichen Mittelmeerinsel, menschliche Beziehungen und vieles mehr. Das alles in einer bildhaften Sprache, die viele Stilmittel einsetzt und das Lesen zu einem Erlebnis macht. Sehr lesenswert!
Eleonora kommt als Erbin für den Rais, den Anführer des traditionellen Thunfischfangs auf der Insel Katria, zur Welt. Es ist eine Jahrhunderte alte Männerdomäne, so wundert es nicht, dass die Welt dieser kleinen Insel Kopf steht. Gott muss einen Fehler gemacht haben! Doch die Inselbewohner stellen sich dieser Tatsache. Eleonora auch. Sie wächst fern von ihrer Familie beim Großvater auf, der sie an die Thunfischjagd heranführt. Diese wird ihr Leben bestimmen, mit Höhen und Tiefen.
Ganz gefühlvoll und leise wird die Beziehung der Inselbewohner zu Eleonora gezeichnet, ebenso wie Eleonoras Beziehung zum Großvater und zu ihrem gewichtigen Erbe. Das Leben auf der Insel entfaltet sich unaufgeregt aber sehr facettenreich. Die Stimmung erinnert an einen schönen aber auch melodramatischen italienischen Film in Schwarz-Weiß. Es braucht eine Weile, in diese Welt hineinzugleiten, aber dann ist man mitten drin und verschlingt die Geschichte bis zum Schluss. Die Handlung entfaltet sich von 1960 bis 2012 und spannt einen weiten Bogen – die moderne Welt hält Einzug auf Katria; wie in einem Zeitraffer fiebert man mit der Entwicklung und ihren Folgen mit.
Ein ganz wunderbares Stück Literatur ist der Autorin gelungen. Der Stil ist unverwechselbar und entfaltet einen faszinierenden Sog in die persönliche Geschichte Eleonoras aber auch in die ethischen Komplikationen unserer modernen Welt. Es lässt sich nicht vermeiden, spätestens am Ende des Buches, über die Auswirkungen so mancher moderner Entwicklung zu grübeln.
Für mich war das ein ausgesprochen faszinierendes Leseerlebnis, ähnlich wie in einem Boot auf dem aufgewühlten Meer zu fahren. Gute Handlung, überzeugende Entwicklung der Personen, feinfühlige Zeichnung von Tradition und Moderne mit allen dazugehörigen Reibungen, Bezug auf reale Gegebenheiten und eine ergreifende vielschichtige Aussage – eine tolle Mischung, ein wunderbares Buch!
Eleonora kommt als Erbin für den Rais, den Anführer des traditionellen Thunfischfangs auf der Insel Katria, zur Welt. Es ist eine Jahrhunderte alte Männerdomäne, so wundert es nicht, dass die Welt dieser kleinen Insel Kopf steht. Gott muss einen Fehler gemacht haben! Doch die Inselbewohner stellen sich dieser Tatsache. Eleonora auch. Sie wächst fern von ihrer Familie beim Großvater auf, der sie an die Thunfischjagd heranführt. Diese wird ihr Leben bestimmen, mit Höhen und Tiefen.
Ganz gefühlvoll und leise wird die Beziehung der Inselbewohner zu Eleonora gezeichnet, ebenso wie Eleonoras Beziehung zum Großvater und zu ihrem gewichtigen Erbe. Das Leben auf der Insel entfaltet sich unaufgeregt aber sehr facettenreich. Die Stimmung erinnert an einen schönen aber auch melodramatischen italienischen Film in Schwarz-Weiß. Es braucht eine Weile, in diese Welt hineinzugleiten, aber dann ist man mitten drin und verschlingt die Geschichte bis zum Schluss. Die Handlung entfaltet sich von 1960 bis 2012 und spannt einen weiten Bogen – die moderne Welt hält Einzug auf Katria; wie in einem Zeitraffer fiebert man mit der Entwicklung und ihren Folgen mit.
Ein ganz wunderbares Stück Literatur ist der Autorin gelungen. Der Stil ist unverwechselbar und entfaltet einen faszinierenden Sog in die persönliche Geschichte Eleonoras aber auch in die ethischen Komplikationen unserer modernen Welt. Es lässt sich nicht vermeiden, spätestens am Ende des Buches, über die Auswirkungen so mancher moderner Entwicklung zu grübeln.
Für mich war das ein ausgesprochen faszinierendes Leseerlebnis, ähnlich wie in einem Boot auf dem aufgewühlten Meer zu fahren. Gute Handlung, überzeugende Entwicklung der Personen, feinfühlige Zeichnung von Tradition und Moderne mit allen dazugehörigen Reibungen, Bezug auf reale Gegebenheiten und eine ergreifende vielschichtige Aussage – eine tolle Mischung, ein wunderbares Buch!
Atmosphärisch geschrieben - wow
Das Buch handelt von dem Zwiespalt zwischen Tradition und Fortschritt. Von einer Insel und ihren Bewohnern. Die Bewohner fühlen sich schon jahrhundertelang dem Thunfischfang verpflichtet , der ihr Leben bestimmt. Es kommt zu ungewöhnlichen Maßnahmen - die Menschen versuchen, an ihren Traditionen festzuhalten. Aber die Zeiten ändern sich einfach. Mattanza eine uralte Tradition des Thunfischfanges wird erstmals in die Hände einer Frau gelegt. Die Bewohner der Insel stehen sich aber auch anderen Problemen gegenüber, wie zum Beispiel Flüchtlingen.
Erzählt ist das Buch im Stil einer Parabel mit sehr viel Atmosphäre - sehr bildhaft und wunderschön zu lesen.
Das Ende hin ist sehr schnell, also es entwickelt sich alles Schlag auf Schlag, aber ich glaube, dass war auch beabsichtigt, weil die Welt sich immer schneller wandelt.
Ein sehr ungewöhnliches Buch, welches mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird, es hat Eindruck hinterlassen.