Maschinen wie ich

Buchseite und Rezensionen zu 'Maschinen wie ich' von Ian McEwan
4.8
4.8 von 5 (14 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Maschinen wie ich"

Charlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich, gerade als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:368
Verlag: Diogenes
EAN:9783257070682

Rezensionen zu "Maschinen wie ich"

  1. 5
    31. Jul 2019 

    Roboter sind die besseren Menschen

    Mit "Maschinen wie ich" hat sich Ian McEwan eines Themas angenommen, das momentan in der Literatur eine starke Präsenz hat - und nicht nur dort: Künstliche Intelligenz.
    Aber McEwan begegnet dem Thema in einer Art, die wenig mit Science Fiction, Dystopien, Roboter-Romantik zu tun hat. Denn bei McEwan wird gemenschelt, wovon sich auch die Maschinen mit ihren künstlichen Intelligenzen nicht ausnehmen lassen.
    Man stelle sich folgendes Szenario vor. Der Paketdienst liefert das lang ersehnte Paket an Charlie, einem Londoner Mit-Dreißiger und Protagonist des Romans. Inhalt dieses Paketes ist ein jungfräulicher und nackiger Roboter in Menschengestalt, quasi ein Wunderwerk der Forschung und Technik: Adam , einer der "ersten wirklich funktionsfähigen künstlichen Menschen mit überzeugender Intelligenz und glaubhaftem Äußeren". Charlies Adam ist nicht nur nagelneu, er sieht auch noch gut aus. Adams Schöpfer haben sich richtig Mühe bei der Konstruktion des Androiden gegeben, zumindest was das Äußerliche angeht. Denn die inneren Werte müssen vom neuen Besitzer noch konfiguriert werden, genauso wie die Charaktereigenschaften, des innovativen Produktes. Jeder Adam also nach der Façon des neuen Besitzers.
    So legt sich Charlie also ins Zeug, um aus Adam einen Vorzeige-Roboter zu machen. Dabei erhält er Unterstützung von seiner Nachbarin Miranda, die nebenbei noch eine gute Freundin ist, wenn nicht noch mehr. Und man wundert sich nicht, dass die Ansichten über die Eigenschaften einer fleischgewordenen Maschine bei Mann und Frau unterschiedlich aussehen. Adam wird also das dritte Rad am Wagen dieser Zweierkonstellation aus Charlie und Miranda. So menschlich sich Adam auch präsentiert, darf man nicht außer Acht lassen, dass er nicht nur als anregende und innovative Gesellschaft angeschafft worden ist, sondern auch diverse andere Pflichten innerhalb der Gemeinschaft von Charlie und Miranda übernimmt. Inwieweit sich Adams Einsatz auszahlen wird, bleibt bis zum Ende des Romans spannend.

    Der Roman spielt in London, im Jahre 1982. Dabei nimmt Ian McEwan es mit der Chronologie der Zeitgeschichte nicht so genau. Neben der Falkland-Krise zwischen England und Argentinien tauchen in der Handlung auf einmal Handy und Internet auf, die man eigentlich erst mindestens 10 Jahre später auf dem Schirm hatte. Genauso lässt er mal eben Alan Turing, ein Pionier der frühen Computerentwicklung und Informatik, der sich zu Lebzeiten eingehend mit künstlicher Intelligenz beschäftigt hat, am Geschehen teilnehmen. Nur dass Turing bereits 28 Jahre zuvor gestorben ist. Fällt dieser Kunstgriff nun unter schriftstellerische Freiheit? Egal. Lassen wir McEwan den Spaß. Ich empfand diese Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als sehr originell. McEwan definiert den Begriff der Science Fiction für sich neu. Warum nicht.

    Bei McEwan finde ich es immer wieder phänomenal, mit welcher Leichtigkeit er Stimmungen kreieren kann. Auch in "Maschinen wie ich"werden sämtliche Stimmungen angesprochen, die man sich vorstellen kann. Zu Beginn schwingt beim Lesen ein leichter Grusel und mulmiges Gefühl mit. Die Szene, in der Adams Akku das erste Mal geladen wird, um ihn in Betrieb nehmen zu können, würde einem Horrorfilm alle Ehre machen. Da sitzt ein äußerlich Mensch gewordener Roboter regungslos in Charlies Küche. Charlie belauert jeder Veränderung dieses Objektes. Das hat etwas von Auferstehung von den Toten (The Walking Dead lässt grüßen).
    Später nimmt Adam immer mehr menschliche Züge an. Er ist vom Hersteller so programmiert, dass er permanent lernt, insbesondere aus seinen Interaktionen und den Informationen, die er aus seinem Umfeld mitnimmt. Dieses Lernen bezieht sich nicht nur auf das Verarbeiten von Fakten, sondern Adams Gefühlsleben und Moral entwickelt sich weiter. Ja, es ist kaum zu glauben, aber bei McEwan hat auch ein Roboter Gefühle.
    Es kommt zu slapstickhaften Szenarien. Insbesondere Charlie fällt es schwer, die Grenze zwischen Maschine und Mensch zu ziehen. Da kommt auch schon mal Eifersucht ins Spiel, wenn Charlie plötzlich mit Adam als Mann konkurrieren muss.
    Die Weiterentwicklung von Adam zum Individuum mit eigenen Moralvorstellungen ist nicht aufzuhalten. Dies birgt Konfliktpotenzial zwischen Charlie, Miranda und Adam. Denn scheinbar ist Adam der bessere Mensch in dieser Gemeinschaft. Gerade zum Ende zieht die Spannung an. Denn dem Konflikt zwischen einem Roboter mit einem Gewissen und seinen Besitzern, die eine weitaus großzügigere Auslegung von Moral haben als er, ist nicht mehr mit guten Worten beizukommen.

    Die Charaktere
    Charlie ist ein Mittdreißiger, der bisher mit seinem Leben nichts Gescheites anzufangen wusste. Er legt eine naive Gleichgültigkeit an den Tag, wenn es um sein Leben und seine Zukunft geht. Sein Leben wirkt ziellos. Er lebt vor sich hin, will Spaß haben (wozu die Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leistet), kommt irgendwie klar. Verantwortung ist nichts für ihn. Er räumt den Traum der Selbstverwirklichung. Nur, wer er ist, und was es zu verwirklichen gilt, ist ihm noch nicht klar.
    In dem Moment, wo sich Miranda und er näher kommen, fängt Charlie an umzudenken. Was die Liebe nicht alles ausmachen kann!
    Als eingefleischter Nerd legt er sich Adam als neues technisches Spielzeug zu (eine Erbschaft bewirkt, dass er über die notwenigen finanzielle Mittel verfügt). Doch Charlie hat Schwierigkeiten, die Grenze zwischen Mensch und Maschine zu ziehen. Je "menschlicher" Adam wird, umso schwieriger ist es für Charlie, ihn als das zu betrachten, was er ist: eine Maschine.

    Und auch ich hatte Schwierigkeiten, Adam auf Dauer als Maschine zu betrachten. Zugegeben, gerade am Anfang, als Adam noch völlig unbefleckt auf das Leben losgelassen wird und seiner Umgebung mit einer herzerfrischenden Naivität begegnet, fällt dies noch leicht. Doch je mehr Adam lernt, ein Mensch zu sein, verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Aufgrund seiner unumstößlichen Moralvorstellungen mutiert Adam zu einem immer besseren Menschen. Und als Leser lernt man, dass auch Maschinen Gefühle haben.

    Fazit:
    Das Thema KI ist irgendwie und überall präsent. Aber dennoch habe ich mich bisher mit diesem Thema nur oberflächlich auseinandergesetzt. Daher bin ich begeistert, dass ich hier viele Denkansätze gefunden habe, die bei mir zwar unterschwellig vorhanden waren, aber erst durch diesen Roman herausgekitzelt wurden. Ian McEwan ist wieder zur Höchstform aufgelaufen, in dem er ein Thema, dass in unserer Gesellschaft immer mehr Raum einnehmen wird, auf eine unnachahmlich spritzige und charmante Weise präsentiert hat. Es ist ihm dabei gelungen, niemals die Ernsthaftigkeit in der Betrachtung dieses Themas außer Acht zu lassen. Ian McEwan hat es einfach drauf und bleibt damit auf der Liste meiner Lieblingsschriftsteller ganz weit vorne.

    © Renie

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  1. Träumen Androiden?

    Träumen Androiden? Und wenn ja, zählen sie dann bei Schlaflosigkeit elektrische Schafe? Diese Frage stellte MItte der 1970er Jahre erstmal der US-Science-Fiction-Autor Philip K. Dick, dessen Roman Blade Runner in der Verfilmung von Ridley Scott zum Kultwerk avancierte. Dick und Scott erzählen die Geschichte von Androiden mit außergewöhnlichen physischen, wie geistigen Fähigkeiten, deren Lebensdauer aus Sicherheitsgründen aber begrenzt wurde. Als die Maschinenmenschen Gefühle und Bewusstsein entwickeln, gehen sie sprichwörtlich über Leichen, um der eigenen Zerstörung zu entrinnen. Blade Runner kam 1982 in die Kinos, die Handlung spielte im Jahr 2019.

    Damit wären wir bei Ian McEwan und seinem neuesten Roman „Maschinen wie ich“. Der bekennende Blade-Runner-Fan McEwan hat die Jahreszahlen umgedreht. 2019 erschien sein Roman, die Handlung spielt 1982. Anfang der 1980er Jahre war die IT-Branche allerdings noch meilenweit von künstlicher Intelligenz entfernt. Aber dieses Problem löst der Autor bravourös. Wenn Geschichte immer nur eine von vielen möglichen Geschichten ist, und der Weg dorthin über viele zufällige Weggabelungen führt, dann genügt eine winzige Änderung auf dem Weg, um zu einer völlig anderen Geschichte zu kommen.

    In McEwans Roman verlieren die Briten den Falklandkrieg und verlassen die EU. Margaret Thatcher wird abgewählt. John F. Kennedy und John Lennon werden nicht erschossen. Um 1982 künstliche Intelligenz zu haben und Haushaltsroboter wie Adam, genügt es, wenn ein Genie wie der Mathematiker Turing nicht zu früh Selbstmord begeht. Dann kann er noch die Erfindungen machen, die uns 30 Jahre früher ins digitale Zeitalter katapultieren. Aber ist das besser?

    Auf den ersten Blick schon. Der Roboter Adam nimmt seinem Besitzer Charlie viel lästige Arbeit im Haushalt ab. Er ist ein überaus gescheiter Gesprächspartner und aufgrund seiner nahezu unendlichen analytischen Fähigkeiten ein begnadeter Börsenspekulant. Das macht die verkrachte Existenz Charlie schnell zu einem wohlhabenden Mann. Aber ähnlich wie in Blade Runner entwickelt der Maschinenmensch Gefühle, er hat moralische Prinzipien. Und damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Adam zerbricht schließlich an seiner Unfähigkeit, die inkonsequenten Handlungen und Lügen seiner menschlichen Mitbewohner zu verstehen.

    Aber was wollte McEwan damit sagen? Das das Leben ohne Inkonsequenzen, ohne die täglichen kleinen oder größeren Schwindeleien unerträglich wäre? Vielleicht auch, dass die kleinen Macken uns alle aus-, und letztlich auch erst liebenswert machen. Und dass Gegenwart, vor allem eine friedliche Gegenwart, eine sehr zerbrechliche und beschützenswerte Sache ist, aber nie selbstverständlich.

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  1. Sind Roboter zu gut für diese Welt?

    “Die Phantasie, so viel schneller als jede Historie, als jeder technologische Fortschritt, hatte diese Zukunft bereits in Büchern durchgespielt.”
    (Zitat)

    McEwan greift zu einem interessanten Schachzug:
    Er verlegt die Handlung seines Romans nicht etwa in die Zukunft, sondern in das Jahr 1982 einer alternativen Geschichte, die fast die unsere ist – nur verlaufen bestimmte Schlüsselelemente anders. Das Attentat auf Kennedy misslingt. England verliert den Falkland-Krieg. Alan Turing, der geniale Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker, bringt sich nicht um.

    Letzteres führt dazu, dass Computer und künstliche Intelligenzen sich wesentlich früher wesentlich weitreichender entwickeln als in unserer Realität. Und so ergibt es Sinn, dass schon im Jahr 1982 die ersten Roboter ausgeliefert werden, die so lebensecht sind, dass man sie nicht mehr vom Menschen unterscheiden kann, wenn man nicht weiß, dass man einer Maschine gegenüber steht.

    Womit sie passenderweise die Forderung des sogenannten Turing-Tests erfüllen, der folgendes besagt: einer künstlichen Intelligenz, die ein Fragesteller in einer intensiven Befragung nicht vom Menschen unterscheiden kann, muss ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt werden.

    Aber warum wählt McEwan eine alternative Historie als Hintergrund seiner Geschichte?

    Zum Teil liegt es sicher an seiner Bewunderung für Alan Turing und seinem Wunsch, Turing wäre nicht von den bigotten Gesetzen seiner Zeit in den Selbstmord getrieben worden. Turing war homosexuell, was damals strafbar war, und wurde gezwungen, sich mit Hormongaben chemisch kastrieren zu lassen, was zu einer schweren Depression führte.

    In einem Interview für den Calgary Herald sprach McEwan über seine Vorstellungen, was in einer anderen Gesellschaft aus Turing hätte werden können, und über sein tiefes Bedauern bezüglich Turings tragischen Schicksals.

    “Es [ das Buch ] ist fast so, als würde ich ihm einen Brief in die Vergangenheit schicken, in dem ich sage: wie ich mir wünsche, du hättest überlebt. Wie ich mir wünsche, du hättest an einem Ort gelebt, der dir erlaubt hätte, offen schwul zu sein und stolz darauf und nützlich für andere.”
    (Ian McEwan, Zitat von mir ins Deutsche übersetzt)

    Was aus diesem Gedanken entstanden ist, ist ein Buch, das sich Genregrenzen entzieht. Das Thema – Roboter und Künstliche Intelligenz – klingt nach klassischer Science-Fiction, doch es liest sich auch wie ein gesellschaftskritisches Kammerspiel, manchmal gar wie eine Humoreske.

    Drei Charaktere stehen im Mittelpunkt:

    Charlie ist eine verkrachte Existenz, kann sich zu nichts so richtig aufraffen – nicht wirklich. Er ist ein Mann der einfachen Lösungen, der Schleichwege und Ausreden. Dass er sich einen Adam anschafft, ist anfangs wenig mehr als der Wunsch nach dem neusten, coolsten Spielzeug. Schnell kommt ihm jedoch der Gedanke, die Fürsorge für Adam mit seiner Nachbarin Miranda zu teilen, indem er es ihr überlässt, bestimmte Parameter einzustellen, die Adams Charakter formen sollen.

    Charlie und Miranda werden so quasi zu Adams Eltern.

    Charlie, der heimlich in Miranda verliebt ist, verspricht sich davon, sie dauerhaft in sein Leben einbinden zu können. An Adam ist jedoch nichts Kindliches, so dass dieses Konstrukt auf Dauer nicht funktionieren kann – dass auch Adam sich in Miranda verliebt, schürt diesen Konflikt beträchtlich. Charlie schwankt schon bald zwischen väterlicher Zuneigung und bitterer Eifersucht.

    Außerdem wird immer deutlicher, dass Miranda ein Geheimnis hat – das Adam kennt, nicht aber Charlie, was den Androiden in Gewissensbisse stürzt… Sie bleibt bis zum Schluss auf gewisse Weise ein Rätsel, quasi eine Projektionsfläche für Charlies Wünsche und Adams Gefühle.

    Denn ja, Adam hat Gefühle und moralische Prinzipien und Wünsche und Ängste.

    Manches, wie die Verantwortbarkeit von Notlügen, geht indes über seinen Horizont, da moralische Regeln für ihn absolut und nicht diskutabel sind. Er schreibt Haiku und liebt Shakespeare, ganz im Gegensatz zu Charlie, der mit Literatur wenig anfangen kann – zu Adams ungläubigem Unverständnis.

    “Shakespeare, dein kulturelles Erbe! Wie hältst du es nur aus, ohne einige seiner Zeilen durch die Welt zu gehen?”
    (Zitat)

    Die Geschichte verläuft nicht so, wie man erwarten könnte, denn der Autor verzichtet auf das bekannte Grundmodell ‘Mensch erschafft Maschine, Maschine lehnt sich auf und versucht, die Menschheit zu zerstören’. Was man als Leser stattdessen bekommt, ist eine Vielzahl an interessanten ethischen Fragen, anhand derer Charlie und Miranda ihre eigene Menschlichkeit kritisch beleuchten müssen.

    Für mich war die wichtigste davon: kann der Mensch es verantworten, künstliches Leben zu erschaffen, mit eigenständigen Gedanken und Gefühlen, ohne ihm auch Grundrechte zuzugestehen?

    Ab welcher Schwelle wird aus einem hochtechnologischen Werkzeug (oder Spielzeug) ein Sklave?

    Am Schluss des Buches stellt der Autor Mensch und Maschine vor ein hochdramatisches moralisches Dilemma, das auch bei Lesern zu gemischten Meinungen führen wird.

    FAZIT

    Lebemann Charlie steckt ein kleines Vermögen in die Anschaffung des Androiden Adam und erlaubt seiner Nachbarin Miranda, in die er heimlich verliebt ist, an dessen Programmierung mitzuwirken. Adam ist jedoch überzeugender als erwartet, und vor allem scheint er schon bald echte Gefühle zu entwickeln – für Miranda.

    Ich fand das Buch scharfsinnig, vielschichtig und hochinteressant, gerade weil es den Leser aus seiner Komfortzone holt. Adam, die Maschine, und Charlie und Miranda, die Menschen, zeigen in ihrer Interaktion deutlich die Schwächen und auch die Scheinheiligkeit des Homo Sapiens. Letztendlich sind es die Maschinen, die an der menschgemachten Schlechtigkeit der Welt verzweifeln.

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  1. Wenn ein Roboter das Liebesglück bedroht

    London im Jahr 1982: Der Falkland-Krieg ist für Großbritannien verloren, doch dank der Forschung von Alan Turing gibt es inzwischen Internet, Handys und selbstfahrende Autos. Auch bei der Entwicklung von Robotern ist man in der alternativen Vergangenheit schon weit fortgeschritten: Künstliche Menschen, die täuschend echt anmuten, sind käuflich zu erwerben. Charlie Friend, ein 32-jähriger Lebenskünstler, wagt die teure Investition und kauft Adam, einen der ersten Androiden, die auf den Markt kommen. Bald aber merkt Charlie, dass Adam für ihn ein Rivale dargestellt, denn er kommt ihm bei der 22-jährigen Studentin Miranda in die Quere, in die er verliebt ist…

    „Maschinen wie ich“ von Ian McEwan ist ein vielschichtiger Roman über das Thema Künstliche Intelligenz.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus zehn recht langen Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Charlie – in chronologischer Reihenfolge, aber mit einigen Rückblenden. Dieser Aufbau wirkt gut durchdacht.

    Der Schreibstil ist recht nüchtern, schnörkellos und wenig emotional, aber anschaulich und sprachlich sehr gelungen. Der Einstieg in die Lektüre erfordert Aufmerksamkeit vom Leser, um sich in der alternativen Vergangenheit zurechtzufinden. Dennoch lässt sich die Geschichte ohne Probleme nachverfolgen.

    Einen wirklichen Sympathieträger gibt es für mich in diesem Roman nicht. Mit den beiden Protagonisten, Charlie und Miranda, kann ich mich nicht identifizieren. Allerdings wirken sie durchaus authentisch. Adam wird ebenfalls recht ambivalent dargestellt, da er zwar über viele positive Eigenschaften und Fähigkeiten verfügt, aber auch eine unheimliche, dunkle Seite zu haben scheint.

    Die mehr als 400 Seiten bleiben kurzweilig, denn der Autor hat eine Fülle an Aspekten in den Roman gepackt. Bisweilen wirkt die Handlung ein wenig konstruiert und übertrieben, was mich aber nicht gestört hat.

    Die große Stärke des Romans ist einerseits, dass er ein brisantes und aktuelles Thema in den Mittelpunkt rückt. Die literarische Bearbeitung des Themas Künstliche Intelligenz (KI) gibt die Möglichkeit, sich mit den Chancen und Risiken moderner Technologien auseinanderzusetzen und Szenarien aufzuzeigen, wie unsere Zukunft in Teilen aussehen könnte. Dabei werden wichtige Fragen aufgeworfen wie: Worin werden sich ein Mensch und eine hochentwickelte Maschine künftig unterscheiden? Kann eine KI ein Bewusstsein oder sogar Gefühle haben? Wie muss eine Maschine beschaffen sein, um dem Menschen nicht zu schaden? Wie lassen sich diese Roboter kontrollieren? Andererseits ist es ein weiteres Plus des Romans, moralische und ethische Konflikte und Grenzfälle zu behandeln. Dies verleiht der Geschichte zusätzlich an Tiefe. Beide Aspekte sorgen dafür, dass der Roman immer wieder zum Nachdenken anregt und interessante Impulse liefert. Trotzdem wird die Geschichte nicht zu düster und schwerfällig, denn auch humorvolle Passagen fehlen nicht.

    Das vom Verlag gewohnt reduzierte Cover passt inhaltlich ganz gut, was die drei Hauptpersonen angeht, stellt aber leider keinen Bezug zur Künstlichen Intelligenz her. Erfreulicherweise hat man sich beim deutschen Titel jedoch eng an der Originalausgabe („Machines like me“) orientiert.

    Mein Fazit:
    Mit „Maschinen wie ich“ ist Ian McEwan ein komplexer und lesenswerter Roman gelungen, der nachdenklich macht und noch eine Weile nachhallen wird.

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  1. 4
    26. Jun 2019 

    Künstliche Intelligenz - Bedrohung oder Chance?

    London, 1982: Großbritannien hat gerade den Falkland-Krieg verloren, und dank der Forschung von Alan Turing gibt es Anfang der achtziger Jahre schon Internet, Handys und selbstfahrende Autos - und die ersten täuschend echten künstlichen Menschen. Charlie, ein sympathischer Lebenskünstler Anfang dreißig, ist seit seiner Kindheit von künstlicher Intelligenz fasziniert, Turing ist sein Idol. Auch wenn es ihn ein kleines Vermögen kostet, kauft er sich sofort einen der ersten Androiden, die auf den Markt kommen. Charlie wünscht sich einen Freund, einen Helfer, einen interessanten Gesprächspartner. Er erhält viel mehr als das: einen Rivalen um die Liebe der schönen Miranda und eine moralische Herausforderung, die ihn bis zum Äußersten reizt.

    Charlie hätte eigentlich lieber eine 'Eve' gehabt, aber die waren schon ausverkauft. Doch auch der 'Adam' verspricht eine gehörige Veränderung in seinem Leben, das bislang von wenig konstanten Berufs- und Liebeserfahrungen geprägt ist. Mit seinen gerade einmal dreißig Jahren hat Charlie seinen Weg noch nicht so recht gefunden, ist aber heimlich in seine Nachbarin Miranda verliebt. Charlie erhofft sich, dass sich die Beziehung zu Miranda positiv entwickelt, wenn er sie in das Abenteuer 'Adam' mit einbezieht. Gemeinsam programmieren sie daher die letzten gewünschten Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen des Androiden, bevor dieser tatsächlich an den Start geht.

    Zu Beginn ahnt Charlie nur, welch ein Potential in Adam steckt, doch nach und nach zeigt sich das Spektrum, bei dem der Androide brilliert. Nachts wird er an das Stromnetz angeschlossen, das gleichzeitig den Zugang zum Internet ermöglicht - und in einem schlafähnlichen Zustand versorgt sich Adam so nicht nur mit der notwendigen Energie, sondern auch mit immer mehr Informationen. Sein neuronales Netz verzweigt und verknüpft sich zunehmend, und bald schon hat er auch sein Verhalten so angepasst, dass er von einem Menschen kaum noch zu unterscheiden ist. Als sich Adam dann auch noch in Miranda verliebt, sieht Charlie größere Probleme auf sich zukommen.

    Natürlich beschränkt Ian McEwan das Geschehen nicht allein auf die Triangularität der Liebesbeziehungen. Dies ist nur ein kleiner Aspekt der Themen, die hier einfließen. Er präsentiert die Möglichkeiten, die eine gut entwickelte künstliche Intelligenz bietet - aber eben auch die damit verbundenen Schwierigkeiten, womöglich gar Gefahren. Denn deutlich wird rasch: Adam ist Charlie hinsichtlich Intelligenz und Kraft bald schon weit überlegen.

    Ein besonderes Dilemma bietet bei der Erzählung die Emotionalität. Während Charlie und Miranda in ihrem Handeln und ihren Entscheidungen oftmals (menschlich eben) von ihren Emotionen und einer gewissen Moralvorstellung beeinflusst werden, orientiert sich Adam rein rational. Richtig ist richtig und falsch ist falsch, und dazwischen gibt es nichts. Mögliche Konsequenzen erkennt der Androide zwar, aber diese beeinflussen - wie auch immer sie ausfallen - seine Entscheidungen nicht. Das Zusammenleben der drei gerät durch diese Unterschiedlichkeit doch einige Male in gehörige Schieflage.

    McEwan gelingt es, dass der Leser Charlie in seinen Empfindungen Adam gegenüber sehr empathisch folgt. Anfangs gleichermaßen fasziniert wie befremdet, schleicht sich allmählich das Gefühl einer möglichen Bedrohung ein. Wenn die künstliche Intelligenz wie bei Adam so rasant an Wissen und Können hinzugewinnt und bald schon alle menschlichen Möglichkeiten übersteigt - wird der Mensch dann nicht überflüssig? Und dann kommt ein Moment des Staunens und des Innehaltens - gefolgt von einem Gefühl von Wehmut und Nachdenklichkeit. Die Erzählung entwickelte sich jedenfalls eindeutig anders als ich es vorher erwartet hatte - grandios.

    Der Autor hat hier eine dystopische Science Fiction in die Vergangenheit katapultiert, nämlich ins Jahr 1982. Dadurch kommt dem Leser vieles bekannt vor, durch die veränderte historische Entwicklung, die McEwan hier aber präsentiert, gleichzeitig auch wieder nicht. Alan Turing beispielsweise, der seinerzeit einen großen Teil der theoretischen Grundlagen für die moderne Informations- und Computertechnologie schuf, dann aber aufgrund einer chemischen Kastrierung wegen seiner Homosexualität in Depressionen verfiel und sich 1954 schließlich umbrachte, wird von McEwan als wichtigster Entwickler der künstlichen Intelligenz ins Jahr 1982 transportiert und gesteht ihm immer wieder einmal einen Auftritt zu.

    "Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen besteht die einzige Möglichkeit, dem Leiden ein Ende zu setzen, in der kompletten Auslöschung der Menschheit." (S. 95 f.)

    Neben dem spannenden Experiment KI beschäftigt sich der Autor - zuweilen doch recht essayhaft - mit moralisch-philosophischen Fragestellungen, die sich bei der Beschäftigung mit dem Thema KI fast zwangsläufig aufdrängen. Was macht einen Menschen zum Menschen, wo ist die Grenze Mensch-Maschine anzusiedeln beim Thema KI, ist der Mensch irgendwann einmal überflüssig und wird durch seine eigene Erfindung abgeschafft, was ist richtig und was ist falsch, kann man Lügen lernen, kann ein künstlicher Mensch Emotionen empfinden u.v.m.? Spannende Fragen, mit denen der Autor auch für den Leser reichlich Denkanstöße bereithält.

    Gleichzeitig lässt McEwan durch die Verlegung der Erzählung in die Vergangenheit auch viele gesellschaftskritische Elemente einfließen. Die Thatcher-Regierung, der Falkland-Krieg, die mögliche Abspaltung Großbritanniens von Europa - viele auch aktuell kritische Bezüge, die das ganze für mich zuweilen ein wenig überladen wirken ließen, McEwan aber offensichtlich ein großes Anliegen waren. Manche Passagen in dem Roman waren mir persönlich auch zu technik-/wissenschaftslastig, da ich mich mit der Materie KI ansonsten nicht beschäftige.

    Alles in allem ein beeindruckender Roman mit viel Stoff zum Nachdenken. Hier schlägt man nicht das Buch zu und gut ist - hier hallt etwas nach. Viele Fragen werden aufgeworfen - moralisch, ethisch, gesellschaftlich -, auf die es keine wirklichen Antworten gibt. Und das macht unruhig...

    McEwan hat mit diesem Roman einmal mehr sein großes Können gezeigt!

    © Parden

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  1. Sind Maschinen die besseren Menschen?

    Sind Maschinen die besseren Menschen?

    Ian McEwan befasst sich in seinem Roman " Maschinen wie ich" mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz. Ein zur Zeit viel diskutiertes Terrain, allerdings fühlte ich mich hier nicht wie in einem Science Fiction Roman, sondern die Handlung wurde in eine veränderte Vergangenheit gelegt, ein sehr interessantes Setting entstand auf diese Weise.

    Charlie konnte sich durch Glück und Erbschaften immer große Anstrengungen durchs Leben schmuggeln. Von regelmäßiger Arbeit hält er nicht viel, wohl aber von seiner jungen Nachbarin Miranda.
    Charlie investiert seine restlichen Gelder in einen der wenigen Androiden, um ihn mit Miranda gemeinsam zu programmieren, ihm ihre Werte und Vorstellungen zu geben erscheint ihm das einzig richtige auf dem Weg zu dieser Beziehung.
    Adam, die Künstliche Intelligenz, sieht sehr lebensecht aus, und verschafft den beiden einige tolle Momente. Sie sind zu Beginn fasziniert von den Funktionen, von der Ähnlichkeit mit echten Menschen.
    Doch nach und nach stellt sich heraus, dass ein Adam doch nicht alles kann. Viele menschliche Eigenschaften wie das lügen lassen sich anscheinend nicht programmieren. Das Bewusstsein der künstlichen Intelligenz scheint trotzdem ausbaufähig zu sein. So entwickelt er eine Liebe zu Miranda, die er mit Gedichten krönt. Das bringt Charlie in eine unangenehme Situation, zumal Adam brisante Details aus Mirandas Leben kennt, die er nicht kennt. Als im weiteren. Erkauf klar wird, um was es sich handelt, beginnt eine Spirale die unschön endet.

    Der Roman zeigt, dass die Vorstellung das Maschinen in unser Leben treten könnten, durchaus beängstigend ist. Sie handeln rational, scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste. Auf der anderen Seite schaffen wir Menschen uns durch Missverständnisse viele Probleme, die bei Droiden so gar nicht entstehen können.
    Des weiteren hatte ich beim lesen oft tatsächlich das Gefühl, dass Adam ein echtes Bewusstsein entwickelt hat, wenn auch nicht unbedingt mit dem eines Menschen vergleichbar, jedoch ist eine Eigenständigkeit im Denken erkennbar. Diese Tatsache stimmte mich teilweise traurig, denn eine Chance auf ein eigens Leben hatte er nicht. Und wenn man den Gedanken weiterspinnt, driftet man schnell ins Dunkel ab. Denn ein unkontrollierbarer Wille bedeutet nicht nur, dass eine KI Gutes tut, sie könnte auch zerstören.
    Dieser Roman stimmte nachdenklich, ist aber sehr spannend und zukunftsorientiert. Für mich ein echtes Highlight.

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  1. Mensch oder Maschine? Oder Menschmaschine?

    „Vor uns saß das ultimative Spielzeug, der wahrgewordene Traum vieler Jahrhunderte, der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel.“ (S. 13)

    Ian McEwan – ein Autor, den ich schon lange mit Interesse verfolgt, aber bisher nichts gelesen hatte. Auch wenn bereits drei Bücher auf dem häuslichen BuB (Berg ungelesener Bücher) lagen, von denen ich eins (Am Strand) mittlerweile befreit und für großartig befunden habe.

    Nun habe ich mit seinem neuesten Opus „Maschinen wie ich“ innerhalb von 5 Wochen das zweite Buch von Ian McEwan gelesen und dieses wird (hier sei das Fazit bereits genannt) ein definitives hochrangiges Highlight auf des Königs Best of 2019-Liste werden.

    Heuer befasst sich Ian McEwan mit Künstlicher Intelligenz und der Frage „Haben Maschinen ein Bewusstsein? Können sie echte „Gefühle“ entwickeln?“

    Dafür hat er seine Handlung in eine alternative Vergangenheit (1982) verlegt. Über den Sinn und Zweck des Ganzen kann man streiten – für mich ist es im Nachhinein betrachtet eine durchaus kritische Beschäftigung mit dem Thema „Fake News“ und „Alternative Fakten“. In jedem Fall lässt er England den Falkland-Krieg verlieren, die Beatles veröffentlichen ein erfolgloses neues Album und sein Held Charlie spricht mit Alan Turing (Mathematiker und Informatiker, gestorben 1954). Die beschriebenen (politischen) Szenerien sowie einige technikrelevante Ingredienzen dieses Romans könnte man 1:1 auf heute (2019) übertragen.

    Sie alle sind aber (bzw. zwar) nur winzige Glieder in der Kette, die die Rahmenhandlung festhalten – dennoch kommt man als Leser nicht umhin, sich mit der „Was wäre wenn…“-Frage zu beschäftigen.

    In der Rahmenhandlung wird ein menschenähnlicher Roboter namens Adam (das weibliche Pendant heißt – richtig: Eve *g*) für seinen „Besitzer“ Charlie und seine Freundin Miranda zu einem – nun, ich nenne es jetzt mal so - Spielball der Gefühle inklusive tragikomischen Verwicklungen, im Laufe dessen die Leser*innen immer wieder über ethische Fragen stolpern und für sich beantworten müssen. In mancherlei Hinsicht kein leichtes Unterfangen, wenn man nicht in die ethisch-moralische Falle tappen will…

    Warum Adam Fluch und Segen zugleich ist für Charlie und Miranda, ob Adam wirklich Gefühle hat oder nicht – nun, das sollten alle Leser*innen, die an hochklassig intelligenter Literatur Interesse haben, bitte selbst herausfinden.

    Ich zücke ohne schlechtes Gewissen 5* für diesen großartigen Roman!

    „Wenn wir unser eigenes Innerstes nicht begreifen, wie sollten wir da ihres gestalten und erwarten, dass sie mit uns glücklich werden?“ (S. 395)

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  1. Maschine oder - besserer - Mensch?

    Charlie ist ein junger Mann, der sich im Leben noch nie sonderlich beweisen musste. Er hat das Familienerbe mit mehr oder weniger sinnlosen Investments durchgebracht und verdient seinen Lebensunterhalt mit privaten Börsenspekulationen. Den letzten Rest seines Erbes investiert er in einen neu entwickelten, in limitierter Auflage produzierten Androiden, Adam.
    Ungefähr zum Zeitpunkt der Lieferung Adams beginnt auch die Lebesbeziehung zwischen Charlie und der im selben Haus wohnenden Miranda. Von Beginn an ist Adam ihr gemeinsames Projekt, jeder bestimmt bei Inbetriebnahme jeweils zur Hälfte die Charaktereigenschaften des Androiden.
    Adam erwacht zum "Leben" (?) und Konflikte sind im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert, denn der Roboter glaubt (?), sich ebenfalls in Miranda verliebt zu haben.

    Dies ist wieder einmal ein eindrucksvoller, großartig durchdachter Roman des Autors.

    Obgleich in der Vergangenheit, einer fortschrittlicheren Variante der 80er Jahre, spielend, wirft der Roman grundlegende aktuelle Fragen auf: wie weit ist künstliche Intelligenz beherrschbar? Wozu führt die unbegrenzte Lernfähigkeit einer künstlichen Intelligenz? Was passiert, wenn die KI dem Menschen ebenbürtig oder überlegen wird?
    Immer wieder bekommt der Leser den Eindruck, dass die Maschinen in diesem Roman den Menschen emotional und ethisch weit voraus sind.

    Adam und die anderen Androiden drohen daran zu scheitern, dass die ihnen einprogrammierten Ethikgrundsätze mit der Lebenswelt , mit welcher sie konfrontiert werden, nicht kompatibel sind. Ihren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, die auf dem Bild einer perfekten Gesellschaft basieren, kann die Realität nicht gerecht werden.
    Dies hat tragische Konsequenzen.

    Adam behauptet, sich in Miranda verliebt zu haben. Da er "nur" eine Maschine ist, dürfte dies nicht möglich sein, ist also alles nur eine unvorhergesehene Folge der Verknüpfung seiner Programmierung mit der ihm zugesprochenen Charakterauswahl? Wenn aber ein Wesen, egal ob Mensch, Tier oder Maschine, derlei Emotionen durchlebt, gleich ob künstlich hervorgerufen, hormonell bedingt oder aus den Tiefen seiner Seele hervorgeholt, dann fühlt es doch und der Unterschied zwischen Mensch und Maschine ist nur noch konstruktionsbedingt.
    Hieraus resultiert nun die Frage, ob der Mensch ab einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt noch das Recht hat, über die erschaffene "Maschine" nach Belieben zu verfügen, oder ob es sich hier um eine moderne Form der Sklaverei handelt.

    Der Verantwortung für dieses neuartige Leben wird in dem Roman keiner gerecht, diese Überforderung führt am Ende dazu, dass niemand unbeschadet aus der Situation hervorgeht.

    Immer wieder spielt der Autor mit der Frage, wer in diesem Roman die Maschine und wer der Mensch ist. Das ist durchweg spannend, emotional und hier und da auch sehr komisch. Sprachlich ist der Roman - wie bisher jedes Buch, das ich von dem Autor gelesen habe - ein Fest.

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  1. Wer hat Angst vor Künstlicher Intelligenz?

    Künstliche Intelligenz, Deep/Maschine Learning, Industrie 4.0, Robotik. Die Entwicklungen in der Informatik sind faszinierend und werden unser Leben bzw. die Vorgänge in der Arbeitswelt immer mehr prägen. So alt wie der Begriff Roboter ist auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen intelligenten Maschinen und Menschen. Werden uns Roboter eines Tages beherrschen? Werden sie ein Bewusstsein ihrer Selbst entwickeln?

    Ian McEwan hat zu diesen Themen einen intelligenten Roman geschrieben: "Maschinen wie ich - und Menschen wie ihr".
    In diesem Roman befinden wir uns im Jahr 1982 - allerdings nicht im historischen 1982. McEwan erfindet eine alternative Vergangenheit. In dieser Vergangenheit wurde z.B. der Falklandkrieg verloren, Kennedy wurde nicht ermordet und vor allem starb das bekannte Computergenie Alan Turing nicht bereits in den 50er Jahren, sondern lebte und forschte weiter. Dadurch sind die 80er Jahre bei Ian McEwan technisch viel fortschritlicher als die "wahren" 80er Jahre. So sind bereits humanoide Roboter entwickelt, die man käuflich erwerben kann.

    Charlie, ein 32-jähriger Londoner führt uns Leser nun hinein in den Alltag dieser Zeit. Er hat sich für viel Geld einen dieser fortschrittlichen Roboter gekauft. Es ist spannend zu lesen, wie Charlie den Roboter zunächst aufläd und dann individuell programmiert, bis Adam - so heißen diese Robotertypen - langsam zum Leben erwacht. Adam wird Teil der Lebenswelt von Charlie, zu der auch seine Nachbarin Miranda gehört, mit der Charlie ein Liebesverhältins hat.

    Mit jeder Begebenheit, die uns Charlie schildert, kommen wir Leser an die Grenzen unseres gewohnten Denkens. Wenn Adam für Charlie an der Börse spekuliert und dabei viel Geld verdient, wem gehört dann das Geld? Eigentlich Charlie, denn er ist ja der Eigentümer des Roboters. Adam scheint da allerdings anderer Meinung zu sein. Wenn Adam sagt, er liebe Miranda und wenn er für sie sogar Gedichte schreibt., hat er dann wirkliche Gefühle wie wir sie kennen? Hat er ein Bewusstsein? Intelligente Maschinen zwingen uns Menschen dazu, dass wir über unsere Moralvorstellungen und unser eigenes Bewusstsein nachdenken.

    Bald wird offensichtliche, dass Adam seinen eigenen Kopf hat. Es beginnt damit, dass er sich weigert, sich abschalten zu lassen. Immer mehr hat man beim Lesen das Gefühl, dass von einer Person und nicht von einer Maschine die Rede ist. Adam scheint in vieler Hinsicht Charlie überlegen zu sein und auch entsprechend zu handeln. Aber aus menschlicher Sicht gerät er doch an seine Grenzen. Adam kann nur rigide nach seinen einprogrammierten Regeln handeln. Notügen, Ambivalenzen kann er nicht verstehen. Gerade dadurch verursacht er aber viel Unglück bei "seinen" Menschen.
    Um aber kein zu ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl aufkommen zu lassen sei noch verraten, dass zumindest in McEwans Welt weiter geforscht wird, um die Roboter weniger rigide in ihren Entscheidungen , also noch menschenähnlicher zu machen. Wie sich das auf die Zukunft auswirkt bleibt offen. Allerdings hat Adam hierzu seine eigene Meinung, die nichts Gutes für uns Menschen verheißt.

    Ian McEwan lässt seinen Ich-Erzähler Charlie (also nicht Adam wie der Titel nahelegt) in einem flüssigen, eloquenten und gebildeten Stil von dem spannenden Alltag mit Adam und Miranda erzählen. So entsteht ein Gefühl der Vertrautheit mit dieser eigentlich fremden Science- Fiction -Welt. Der Roman führt uns Leser geschickt in moralische Dilemmata, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Er bringt uns Leser auf unterhaltsame und spannende Art dazu, über künstliche Intelligenz, Roboterethik, und die Frage, was uns Menschen eigentlich ausmacht, nachzudenken.
    Unbedingt empfehlenswert!

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  1. 4
    09. Jun 2019 

    Sind humanoid gesteuerte Maschinen wirklich Menschen?

    Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

    Leider hat mich dieses Buch von McEwan, der eigentlich zu meinen Lieblingsautor*innen zählt, nicht überzeugen können. Deshalb werde ich mich hierzu kurzhalten.

    Das Buch ist an sich nicht schlecht geschrieben, nur die Episoden mit dem Roboter Adam hat mich nicht überzeugen können.

    Die Handlung
    Der Protagonist Charlie Friend, 32 Jahre alt, schafft sich einen humanoiden Roboter der Marke Adam an. Adam ist nicht irgendeine Maschine, denn er besitzt verglichen zu anderen künstlichen Geräten ein Bewusstsein. Adam ist männlich und es gibt dazu einen weiblichen Part namens Eva. Die Käufer dieser menschenähnlichen Maschine können sich aussuchen, ob sie einen Adam oder eine Eva haben möchten. Adam ist in der Lage, sich selbst Energie zuzuführen, in dem er sich mit einem Kabel an die Strombox anschließen kann, wenn sein Akku verbraucht ist. Adam kann aber noch mehr. Er kann Haiku schreiben. Er kann philosophieren und sonst intellektuelle Gespräche führen. Er ist mit einem Silikonchip ausgestattet. Die Maschine kann von seinem Besitzer durch die Festlegung verschiedener Präferenzen so eingestellt werden, dass daraus eine Persönlichkeit entsteht, so, wie der Besitzer sie haben möchte. Die Wissenschaft ist allerdings noch lange nicht fertig. Sie versucht weiterhin, das menschliche Gehirn zu imitieren. Da das menschliche Gehirn nach wie vor Rätsel aufgibt, ist die Imitation nicht einfach nachzubauen... Adam kostete Charlie 86 000 Pfund. Entwickelt wurde diese menschenähnliche Maschine von Alan Turing, größtes Genie des digitalen Zeitalters. Charlie selbst hat ein Buch über die künstliche Intelligenz geschrieben. Durch verschiedene gelesene belletristische Lektüren wie z. B. von Leo Tolstoi und George Orwell begann Charlie, sich für imaginäre Menschen zu interessieren.

    Charlie verliebt sich in die junge Studentin Miranda, die zehn Jahre jünger als er selbst ist. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden tatsächlich ein Paar und Charlie erfährt durch Adam, dass Miranda es nicht ernst mit der Beziehung meint und ihn dadurch verraten und betrügen würde. Wie kommt diese Maschine dazu, solche Prognosen zu stellen, fragt sich Charlie?
    Aber Adam kann noch mehr. Er kann sich verlieben, er kann Sex haben, denn er hat Gefühle …

    Ein paar Zeilen zu Mirandas Leben. Sie trägt ein tiefes Geheimnis mit sich herum, das sie später Charlie offenbart. Es geht um Peter Corringhe, ein junger Mann, der im Knast sitzt, und der kurz vor der Entlassung steht. Miranda hat es geschafft, ihm ein Sexualverbrechen anzulasten, das er nicht an ihr verübt hat und sie nun Angst hat, er könnte sich nach seiner Entlassung rächen und Miranda töten. Diese Lüge hat etwas mit ihrer besten Freundin Mariam zu tun, ein Mädchen aus pakistanischer Familie …

    Des Weiteren gibt es noch den kleinen Mark, der aus einer sozialschwachen Familie stammt. Mark ist vier Jahre alt, als Charlie ihn auf dem Spielplatz kennenlernt und beobachtet, wie er von der Mutter schlecht angepackt wird. Charlie mischt sich ein, zeigt Zivilcourage, ergreift das Wort für das Kind, bis plötzlich der Vater auftaucht, und Charlie fragt, ob er den Kleinen geschenkt bekommen haben möchte? Die Frage ist kein Witz, sie ist ernst gemeint ...

    Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

    Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
    Vorsicht Spoiler
    Ich habe nicht verstanden, weshalb Charlie Adam mit einem Hammer zerstört hat. Er hätte es einfacher haben können. Er hätte Adam einfach das Stromkabel wegnehmen können, sodass er nicht mehr aufladbar wäre.

    Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
    Die Fürsorge, die man dem kleinen Mark hat entgegenbringen können.

    Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
    Miranda.

    Welche Figur war mir antipathisch?
    Marks Eltern.

    Meine Identifikationsfigur
    Keine

    Cover und Buchtitel
    Fand ich sehr ansprechend, da man den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht sehen kann und dies sehr nachdenklich stimmt.

    Zum Schreibkonzept
    Auf den 404 Seiten ist das Buch in neun Kapiteln gegliedert. Der Schreibstil ist flüssig geschrieben und in der Ichperspektive der Hauptfigur Charlie erzählt. Am Ende gibt es noch eine Danksagung, aus der man entnehmen kann, dass Alan Turing, geboren 1912, eine reale britische Figur ist. Lt. Wikipedia war Turing von Beruf Mathematiker, Kryptonanalytiker, Informatiker und Computerspezialist. Turing starb 1954.

    Meine Meinung
    Mich stimmt das Buch schon sehr, sehr kritisch. Aber meine Fragen hat sich auch der Autor gestellt. Was machen wir mit unserer Zeit, wenn Maschinen alles menschliche Tun übernehmen? Was machen wir mit unserer an Fülle gewonnen Freizeit? Können wir überhaupt noch existieren, wenn Maschinen uns ersetzen? Wer finanziert sie? Wer kann sie sich leisten, wenn durch ihren Einsatz Arbeitsplätze abgebaut werden? Ohne Arbeit lassen sich dann auch keine kostenpflichtigen Freizeitvergnügungen nachgehen, es sei denn, man besitzt Vermögen. Um Charlies Vermögen kümmert sich Adam, der an die Börse geht. Ich stelle mir vor, dass alle Roboter erfolgreich an die Börse gehen, der reinste Kollaps ...

    Auf die Forderung, humanoiden Robotern Menschlichkeit zuzusprechen, weil sie Bewusstheit und Gefühle hätten und weil sie von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden wären, kann ich mir gar nicht vorstellen. Diese Forderung kann ich absolut nicht verstehen. Wir schaffen es nicht einmal, Tieren eine Persönlichkeit zuzusprechen, obwohl mittlerweile naturwissenschaftlich bewiesen ist, dass auch Tiere Gefühle haben, dass auch Tiere intelligente Wesen sind, und wollen wir tatsächlich diese computergesteuerten Monster zu Persönlichkeiten machen?
    Alan Turing, der Vater dieser Roboter, geht noch weiter, er hofft sogar, dass man Menschen, die im Besitz dieser Maschinen sind, und ihren Roboter aus den verschiedensten Gründen zerstören, man ihnen sogar eine Straftat anlasten müsse. Eine Zerstörung wäre mit einem Mord gleichgesetzt.

    Mein Fazit
    Für mich liest sich das Buch wie eine Dystopie, auch wenn es darin nicht ganz so heftig zugeht. Mir ist die Ernsthaftigkeit dieser Thematik bewusst, aber ich hoffe, diese Zeiten nicht erleben zu müssen, wenn Maschinen uns Menschen regieren. Keine Ehrenkriege mehr? Keine Religionskriege mehr? Ich spinne mal den Gedanken weiter fort. Ich kann mir vorstellen, dass es aber Kriege zwischen den Menschen und den Maschinen geben wird. Der Mensch als Gott und Schöpfer? Am Ende schafft er sich selber ab.

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  1. 1982: Ein ungewöhnliches Gedankenexperiment mit Tiefgang

    Eine alternative Welt: Es ist 1982 und die Menschheit hat bereits Computer, das Internet und lebensechte Androiden entwickelt. Dank intelligenter Software hat Argentinien außerdem den Falklandkrieg gewonnen, die Junta ist obenauf und England erschüttert. Margareth Thatcher hat mit Tränen in den Augen ihren Rücktritt angeboten.

    In diesem Setting verliebt sich Charlie in seine Nachbarin Miranda. Charlie hat sich zudem gerade einen der ersten lebensechten Androiden, einen Adam, gekauft. Charlie ist neugierig, was ihm dieses neue technische Spielzeug zu bieten hat. Doch zunächst muss Adam aufgeladen, Updates heruntergeladen und das Persönlichkeitsprofil angelegt werden. Da ist es für Charlie schon eine Enttäuschung, dass Adam ihn kurz nach seinem „Erwachen“ als erstes vor Miranda warnt und behauptet, sie wäre eine Lügnerin. Charlie ist verwirrt und schaltet Adam erst einmal aus. Seine Zweifel ignorierend bittet er Miranda dann doch, 50% der Persönlichkeitseinstellungen von Adam zu übernehmen, damit Adam ihr gemeinsames Projekt wird. Dann entscheidet er sich, Adam wieder einzuschalten und wegen seiner Behauptung zu befragen. Adams Aussagen bleiben allerdings vage.

    Es entwickelt sich eine Art Dreiecksbeziehung. Adam „verliebt“ sich in Miranda. Charles ist eifersüchtig. Bei einer Auseindersetzung bricht Adam Charles den Arm. Außerdem entwickelt Adam eine Möglichkeit zu verhindern, dass er ohne seine Einwilligung ausgeschaltet wird. Adam mischt sich zudem zunehmend in das Leben von Charles und Miranda ein. Er trifft unabgesprochen Entscheidungen, die objektiv betrachtet logisch und vernünftig sind, subjektiv aber einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Mit diesen Entscheidungen verändert er das Leben von Charles und Miranda. Ob zum Besseren, muss jeder Leser selbst entscheiden.

    Der Titel des Romans suggeriert, dass er aus der Sicht Adams geschrieben ist. Der Ich-Erzähler ist allerdings Charles. McEwan wirft damit schon ganz am Anfang die Frage auf, wer ist hier Mensch und wer Maschine, und spielt mit ihr im gesamten Roman. Die Frage ist zudem der Aufhänger für eine Reihe weiterer Fragen, die in dem Roman gekonnt aufgeworfen und diskutiert werden. Was unterscheidet den Menschen von einer intelligenten Maschine? Was ist Bewusstsein? Haben intelligente Maschinen ein Bewusstsein und Gefühle? Ab wann können intelligente Maschinen Rechte beanspruchen?

    Die philophischen Fragen sind nach meinem Geschmack geschmeidig in den Roman gewebt. Die Rahmenhandlung ist zudem spannend, sodass sich das Buch flüssig lesen ließ. Besonders gefallen hat mit das Gedankenspiel einer alternativen Vergangenheit/Zukunft, die in mir eine Assoziation an 1984 von George Orwell hervorrief. Daher gibt es von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung und fünf Sterne.

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  1. 5
    05. Jun 2019 

    Maschine und Mensch

    Künstliche Intelligenz – immer mehr umgibt uns davon, nimmt uns vieles ab und/oder eher weg? Das ist eine große Frage, die in Ian McEwans neuem Roman den Weg in die Belletristik gefunden hat. Der britische Autor hat sich wieder einmal ein großes Zeitthema herausgegriffen und daraus einen Roman gemacht: „Maschinen wie ich“, erschienen im Diogenes Verlag.
    Adam, einer von einer Gruppe von gerade auf den Markt gekommenen humanoiden Robotern, ist Charlie Friends große Anschaffung. Der Roboter zieht bei Adam in seine eher heruntergekommene Wohnung im Norden Londons mit ein. Und so beginnt ein Zusammenleben, das sich komplett neu finden und entwickeln muss. Aber die Entwicklung einer Beziehung ist nicht allein eine anspruchsvolle Situation in dem Beziehungsgeflecht Mensch-Maschine, sondern auch im Geflecht Mensch-Mensch läuft das auf komplizierten Bahnen. Das zeigt uns die zeitgleich stattfindende Beziehungsanbahnung Charlies mit seiner Nachbarin Miranda. Und insgesamt ist in McEwans Roman zu beobachten: Er führt die Maschine Adam nicht als kompletten Außenseiter in das Geschehen ein, sondern verknüpft sie mit dem „rein menschlichen“ Geschehen um ihn herum. Adam ist Teil des Geschehens, manchmal als Ausgangspunkt eines Konflikts, manchmal auch als Konflikt- und Problemlöser. Er ist mittendrin dabei und versucht, das Geschehen um ihn herum in seine programmierte Lebenserfahrung und -weisheit einzufügen, um es auf dieser Basis verstehen zu können. Nicht immer ganz leicht.
    Ein besonderer Kunstgriffs McEwans ist bei der Geschichte die gewählte Zeitkonstruktion. Er entführt uns in „Maschinen wie ich“ in unsere Vergangenheit, wie wir sie noch nie gesehen haben. Denn es ist zwar unsere eigene Vergangenheit, aber in einer ausgedachten Form, in der an vielen Stellen die Weichen des Geschehens literarisch anders gestellt wurden als es historisch tatsächlich der Fall war. So begegnen wir Adam, Charlie und Miranda in einer ausgedachten Vergangenheit, in der Großbritannien den Falkland-Krieg verliert, der britische Mathematiker Alan Turing hat nicht nach chemischer Kastration als Behandlung gegen seine Homosexualität Selbstmord begangen und konnte so die Computerwissenschaft und die künstliche Intelligenz schneller entwickeln als in unserer wirklichen Vergangenheit, das Attentat auf JF Kennedy ist fehlgeschlagen, dafür aber hat der Bombenanschlag auf das Grand Hotel in Brighton „geklappt“, die Beatles haben sich Anfang der 80er Jahre wiedervereinigt und eine wenig erfolgreiche Platte herausgebracht. So spielt McEwan mit der Geschichte und zeigt uns, dass so vieles Historische eben doch irgendwie zufällig und nicht alternativlos war und ist. Das heißt eben auch: Wir haben Vieles selbst in der Hand! Und werden so auch unser Verhältnis zur Künstlichen Intelligenz in unserem Leben selbst zu verantworten haben.
    Das Zusammenleben von Mensch und Maschine geht im Roman durch verschiedene aufeinanderfolgende Stadien, die ich so wahrgenommen habe:
    1. Die Maschine als reiner Dienstleister (Adam putzt und spült)
    2. Die Maschine als überlegene Intelligenz (Adam verdient das Geld mit Online-Börsengeschäften)
    3. Die Maschine als moralische Instanz (Adam leitet Charlie und Miranda in der Aufarbeitung einer Lüge und eines Verbrechens der Vergangenheit)
    Fazit:
    Ich hatte beim Lesen von McEwans neuem Roman großen Spaß an der aus meiner Sicht meisterlich konstruierten und angelegten Geschichte und an den daraus gewonnenen Erkenntnissen. McEwan lässt das Experiment der Adam-Maschinen zwar scheitern (sie löschen sich größtenteils selbst aus, wenn sie an der mehrdimensionalen Regellosigkeit des menschlichen Lebens und Handelns verzweifeln und ihr gelerntes eindimensionales Regelwerk dadurch ausgehebelt wird), zeigt uns aber sehr eindringlich, was möglich ist und weist auf unsere moralisch-historische Verantwortung hin. Mal wieder ein großer Roman eines großen Autoren, dem ich gern 5 Sterne gebe.

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  1. 4
    31. Mai 2019 

    Turing

    Er hat einen, er hätte lieber eine Eve gehabt, aber wenigstens hat er einen Adam ergattert. Fast sein ganzes Geld ist dabei draufgegangen. Charlie Friend beginnt mit der Aufladung und Programmierung seines Maschinenmenschen Adam. Seine Nachbarin Miranda bezieht er mit ein, insgeheim möchte er eine intensivere Beziehung zu ihr. Charlies Konzept geht auf, Miranda und er kommen sich näher. Doch Adam, eigentlich eine Maschine, entwickelt bald eigenwillige Züge. Sollte er etwa ein Auge auf Mrianda geworfen haben? Können künstliche Wesen das überhaupt? Bald schon scheint Adam Charlie auszustechen und Charlie nimmt ihm das Versprechen ab, dass seine Freundschaft zu Miranda platonisch bleiben muss.

    In einem etwas anderen England Anfang der 1980er Jahre. Der bekannte Wissenschaftler Alan Turing ist nicht früh gestorben, Computer und Internet sind viel früher entwickelt worden und Maschinen haben die Arbeit vieler Menschen übernommen. Die Eltern des Anfangdreißigers Charlie sind bereits verstorben, das Erbe durchgebracht, der letzte Rest für den Erwerb des Adams aufgewendet. Miranda, Anfang Zwanzig, sorgt sich um ihren kranken Vater und scheint in manchen Momenten sehr in sich zurückgezogen. Zu ihnen kommt einer der ersten 25 Adams und Eves. Das Zusammenleben mit der Maschine entwickelt sich anders als erwartet, denn Adam entpuppt sich schnell, er ist kein reiner Befehlsempfänger. Er saugt Informationen auf und hat ganz eigene Moralvorstellungen.

    Mal wieder auf seine ganz eigene Art wirft der Autor einen Blick auf die Welt. Nur ist es diesmal eine Welt, die wir nur so ungefähr kennen. Irgendwie sind es die 1980er, irgendwie auch nicht. Schon das gibt der Lektüre einen besonderen Reiz, jedem Wiedererkennungseffekt wohnt auch etwas Fremdes inne. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz wie es sie heute - man möchte sagen zum Glück - noch nicht gibt. Mehr als einmal schaudert es einen bei dem Gedanken, wie so eine fast menschliche Maschine agiert. Sind Menschen nicht bald überflüssig. Adam ist derjenige, der den Durchblick zu haben scheint, der körperlich kräftig ist und moralisch eine Instanz bildet. Charlie und Miranda wirken dagegen manchmal etwas unzulänglich in ihren Entscheidungen, sprunghaft in ihren Gedanken und Emotionen. Wer mag bei dieser Aussicht auf die Zukunft nicht verzweifeln. Doch Ian McEwan wählt einen anderen Weg, der der Menschheit eine Hoffnung gibt, die auch ertragen werden muss.

    Mit diesem ausgesprochen intelligenten Werk macht der Autor seinen geneigten Lesern die große Freude, ein hochaktuelles Thema aufzuarbeiten und mit seinen Schlüssen zu überzeugen.

    4,5 Sterne

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  1. Kann Bewusstsein aus dem Wesen der Materie entstehen ?

    McEwan beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit der Künstlichen Intelligenz und entwirft ein Szenario, in dem Roboter - Androiden - käuflich zu erwerben sind. Charlie, ein Lebenskünstler und Anfang 30, entscheidet sich das Geld, das er von seiner Mutter geerbt hat, in solch einen "Adam" zu investieren - die Eves waren schon ausverkauft ;)

    Die Geschichte spielt im Jahr 1982, allerdings in einer Welt, die sich anders entwickelt hat, als wir sie aus der Vergangenheit kennen.

    "Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein." (92)

    Mit dieser Idee "spielt" McEwan, indem er den genialen Mathematiker und Vorreiter der modernen Informationstechnologie Alan Turing weiterleben lässt. Dank dessen bahnbrechenden Erfindungen gibt es im Jahr 1982 schon soziale Medien, selbstfahrende Autos und auch Androiden.

    "Praktischer gedacht wollten wir eine verbesserte, modernere Version unserer selbst schaffen und die Freuden des Erfindens genießen, das Hochgefühl wahrer Meisterschaft." (9)

    Nebenbei haben sich die Beatles wiedergefunden und Großbritannien hat den Falkland-Krieg verloren, was zu innenpolitischer Destabilisierung führt.

    Im Vordergrund stehen jedoch die Beziehungen zwischen Charlie, aus dessen Ich-Perspektive erzählt wird, Adam und Miranda, Charlies Nachbarin, in die er sich verliebt und die seine Lebenspartnerin wird.
    Nachdem Charlie Adam abgeholt hat, muss er zunächst aufgeladen und konfiguriert werden, d.h. Charlie muss "[s]einen Gefährten selbst formen." (17) Er bezieht Miranda mit ein und stellt sich vor, Adam sei ihr gemeinsames Projekt.

    "Ich würde ihn mit Miranda teilen - wie ich ein Haus mit ihr hätte teilen können. Er würde uns beide in sich enthalten." (38)

    Das Experiment misslingt insofern, da Charlie der Erste ist, "der von einem Androiden gehörnt wurde." (118) Miranda "betrügt" ihn mit einer Maschine, die sich anschließend in sie verliebt.

    Ist Adam überhaupt noch eine Maschine? In der Diskussion zwischen Miranda und Charlie - Adam haben beide vorsorglich abgeschaltet - gibt er zu Bedenken:

    "wenn er aussieht, sich anhört und benimmt wie ein Mensch, dann ist er für mich auch einer." (132)

    Die Grenzen verschwimmen auch für die Leser*innen, da Adam behauptet, er habe sich in Miranda verliebt und spätestens, wenn er beginnt für sie Haikus zu schreiben, drängt sich die Frage auf, ob Adam ein Selbst, ein Bewusstsein hat und ob es möglich ist, dass maschinelles Lernen Androiden dazu befähigt, wie ein Mensch zu fühlen.

    Doch der Roman beschränkt sich nicht auf philosophische und moralische Fragen zur Künstlichen Intelligenz, sondern erzählt auch eine Geschichte. Da Adam unbegrenzt (!) Zugang zu Informationen hat, erfährt Charlie, dass Miranda in ein Gerichtsverfahren verwickelt gewesen ist, Adam will ihm jedoch nichts Näheres verraten.

    Eine weitere Figur, die im Roman eine Rolle spielt, ist der kleine Mark. Ein vierjähriger Junge aus einer sozial schwachen Familie, den Charlie auf dem Spielplatz vor den Schlägen seiner Mutter beschützt und dessen Vater Charlie auffordert, Mark einfach mitzunehmen. Eines Tages steht der Kleine tatsächlich vor der Tür. Was soll Charlie nun tun?

    Die verschiedenen Handlungsfäden weben sich zu einem Ganzen zusammen, so dass ich die Kritik, das Literarische komme zu kurz, nicht nachvollziehen kann. Die Geschichte trägt und aufgrund der vielen existentiellen, moralischen und philosophischen Fragen hallt dieser Roman noch lange nach.

    Einige davon schwirren immer noch in meinem Kopf herum:

    Die Androiden basieren auf einer Software, die "das Beste in uns heraufbeschwor" (122), aus dem Durchspielen moralischer Dilemmeta lernen sie und verhalten sich gut - moralisch besser als wir Menschen. Damit sind sie für das Leben unter Menschen schlecht gerüstet.

    "Wenn wir unser eigenes Innerstes nicht begreifen, wie sollten wir da ihres gestalten und erwaten, das sie mit uns glücklich werden?" (395)
    Darf Charlie Adam wie einen Sklaven behandeln, weil er ihn gekauft hat? Wenn er so etwas wie ein Selbst entwickelt, ist er dann noch eine Maschine?

    "Liebe war ohne ein Selbst nicht möglich, genausowenig Denken. (...) Was Adam und seinesgleichen ans subjektivem Leben besaßen, konnte unsereins nicht verifizieren." (223)
    Im offenen System leben agieren die Androiden nicht mehr nach der Trial-and-Error-Methode, sondern sie können Probleme im Vorhinein lösen (ehrlich gesagt, habe ich das mit dem P - NP-Problems nicht verstanden ;) ), ähneln in ihrer Intelligenz uns Menschen, sind aber dem kindlichen Spiel unterlegen, da Kinder intuitiv und kreativ die Welt erkunden. Könnte man einen Computer so programmieren, dass er die Welt wie ein Kind erfasst?

    Während wir Menschen uns an Leid gewöhnt haben - trotz drohender Klimakatastrophe, Armut, Hunger und Krieg sind wir in der Lage persönliches Glück zu empfinden - können sich die Androiden, die darauf programmiert sind, sich moralisch richtig und gut zu verhalten, nicht damit abfinden. "Aber in all ihren tollen Programmcodes gibt es nichts, was Adam und Eve auf Auschwitz vorbereiten könnte." (243) Sind die Androiden die bessern Menschen und lösen uns irgendwann ab? Adams Meinung wird eindeutig in seinem selbst verfassten Haiku deutlich:
    "Die Blätter fallen
    Nächsten Mai sprießen wir neu
    Doch du fielest schon." (370)

    Für mich bisher der beste Roman in diesem Jahr!

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