Marlow

Buchseite und Rezensionen zu 'Marlow' von Volker Kutscher
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Marlow"

Berlin, Spätsommer 1935. In der Familie Rath geht jeder seiner Wege. Pflegesohn Fritz marschiert mit der HJ zum Nürnberger Reichsparteitag, Charly schlägt sich als Anwaltsgehilfin und Privatdetektivin durch, während sich Gereon Rath, mittlerweile zum Oberkommissar befördert, mit den Todesfällen befassen muss, die sonst niemand haben will. Ein tödlicher Verkehrsunfall weckt seinen Jagdinstinkt, obwohl seine Vorgesetzten ihm den Fall entziehen und ihn in eine andere Abteilung versetzen.

Format:Taschenbuch
Seiten:528
EAN:9783492316811

Rezensionen zu "Marlow"

  1. Ein beeindruckender Roman

    Es ist erschreckend, wie schnell sich Deutschland, Berlin und die Menschen verändern. Das pulsierende Leben im Berlin der Zwanziger Jahre ist verschwunden und man hat das Gefühl, sich in einer grauen, bedrohlichen Wolke zu befinden. Das bemerkt auch Charly, als sie feststellt, dass alles piefiger wird. Ihr hat man die Zukunft genommen und sie muss sich als Anwaltsgehilfin und Privatdetektivin durchschlagen. Frauen gehören halt an den Herd und haben Kinder zu gebären. Sie hadert mit allem und besonders damit, dass ihr Pflegesohn Fritze sich bei der HJ engagiert. Das nimmt sie ihm übel und lässt ihn das spüren, vor allem als der sich aufmacht zum Reichsparteitag nach Nürnberg.
    Gereon Rath versucht sich mit den politischen Verhältnissen zu arrangieren und, auch wenn sie ihm nicht gefallen. Er ist inzwischen befördert worden, aber auch nicht zufrieden, da ihn Gennat nach dem letzten Fall ziemlich kaltgestellt hat. Nur noch unspektakuläre Fälle bekommt er zugeteilt. Als er zu einem merkwürdigen Verkehrsunfall gerufen wird, entdeckt er etwas, an dem er sich die Finger verbrennen könnte. Obwohl er dies Problem auf Rath-Art beseitigt, lässt ihm der Fall keine Ruhe, denn es gibt zu viel, das ihm seltsam vorkommt. Ein Besuch von Wilhelm Böhm bei den Raths bringt dann eine Sache in Gang, die viele aufschreckt und gefährlich wird. Auch Charlys Vergangenheit, die Volker Kutscher in „Moabit beschrieben hat und die Charly so beharrlich weggeschoben hat, spielt nun eine Rolle. Doch wie hängt die Vergangenheit mit dem jetzigen Fall zusammen? Auch als er zum LKA versetzt wird, lässt Gereon die Geschichte keine Ruhe.
    Gereon ist froh, dass er schon ein Jahr lang nichts mehr von Marlow gehört hat, auch wenn ihm und seiner Familie die Geldspritzen fehlen. Doch diese Freude wird nicht anhalten, denn Marlow ist wieder in Berlin und wird auch Gereons Weg kreuzen. Johann Marlow ist wie ein Chamäleon. Er kann sich dem Umfeld gut anpassen, wenn es ihm und seinen Geschäften dient. Seine illegalen Geschäfte hat er abgestoßen und nutzt nun die Notlage anderer aus. Damit seine Aktivitäten nicht gestört werden, geht er auch über Leichen.
    Zwischendurch erfahren wir in einem weiteren Handlungsstrang etwas aus der Vergangenheit der Familie Larsen, die im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin das Gut Altendorf besessen hat. Aus Tsingtau brachte der Vater eine Chinesin mit aufs Gut, die dann dort mit ihrem kleinen Sohn lebte.
    Mir sind Rath und Familie ans Herz gewachsen, auch wenn ich Gereon manchmal schütteln möchte bei seinen sehr speziellen Aktionen. Aber er ist ein guter Kriminalist, der seine Fälle klären möchte, auch wenn seine Wege dorthin nicht immer ganz astrein sind. Ihn verbindet so viel mit Wilhelm Böhm, schade, dass sich die beiden nicht grün sind. Böhm imponiert mir, mit dem was er tut.
    Gereon und Charly haben über die Zeit hin immer wieder Geheimnisse voreinander, was ihrer Ehe nicht unbedingt guttut. Wenn sie dann gezwungen werden, miteinander zu reden und offen zu sein, bahnt sich gleich wieder eine neue Geheimnistuerei an. Ganz besonders tut es mir für Fritze leid, der schon so viel hinter sich hat und nun in einem Alter ist, wo er Halt und Sicherheit braucht. Das finde er zwar teilweise bei der HJ, nicht aber im emotionalen Bereich.
    Wie immer ist es Volker Kutscher ausgezeichnet gelungen, durch die vielen authentischen Details den Leser in die damalige Zeit zu versetzen. Wir erleben eine Zeit, in der man seine Meinung nicht äußern darf, Denunziantentum gang und gäbe ist, Recht und Gesetz keine große Bedeutung mehr haben und die Presse ihren Aufgaben als vierte Gewalt nicht mehr wahrnimmt.
    Ich fand es ganz erschreckend, dass sogar ein Gereon Rath beim Reichsparteitag in Nürnberg mitgerissen wurde, obwohl ihm selbst danach übel war. Wie können Menschen behaupten, sie hätten nicht gewusst, was vor sich geht, wenn dort das Gedankengut des Regimes ganz offen verkündet wurde?
    Ein großartiger, gut recherchierter Kriminalroman, den ich nur empfehlen kann.

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  1. 4
    20. Nov 2019 

    Die Schlinge

    Es geht nicht weiter im Morddezernat. Deshalb hat sich Oberkommissar Gereon Rath beim LKA beworben. Seinen letzen Fall will er unbedingt noch abschließen. Obwohl es sich auf den ersten Blick um einen Unfall handelte, gibt es einige Ungereimtheiten. Ein Taxi ist frontal und wohl in voller Absicht gegen eine Wand gefahren. Beide Insassen sind tot. Es erweist sich, dass der Taxifahrer sich anders verhalten hat als man es von ihm gewöhnt war. Und den anderen Fahrgast vermag man zunächst nicht zu identifizieren, doch bei diesem findet Rath etwas, das er lieber nicht gesehen hätte.

    Im Jahr 1935 ermittelt Gereon Rath wieder. Im Morddezernat kommt er sich vor wie auf einem Abstellgleis. Ihm werden nur die Fälle zugeteilt, die die anderen nicht wollen. Seine Frau Charlie durfte ihr Jurastudium nicht fortsetzen, deshalb arbeitet sie als Anwaltsgehilfin in ihrer alten Kanzlei und zusätzlich als Privatdetektivin für den ehemaligen Polizisten Wilhelm Böhm. Der Pflegesohn der beiden ist gerade auf dem großen Marsch zum Parteitag. Immer mehr ist zu merken, dass sich das Leben verändert in Deutschland. Keiner scheint mehr sicher zu sein vor Bespitzelung und Verfolgung. Nicht einmal vor Kollegen wird da halt gemacht. Da muss man mit allem rechnen, besonders wenn man wie Gereon Rath nicht von einer Sache ablassen kann, wenn man erstmal die Spur aufgenommen hat.

    Hat sich Rath diesmal zu weit vorgewagt? Es ist schon beklemmend, dass auch er nicht davor gefeit ist, von der Straße gepflückt zu werden, um befragt zu werden. Immer größer wird die Bedrängnis, die Erkenntnis, dass vorbei ist mit der Freiheit, mit unabhängigem Leben und einer Art der Berufsausübung, nach der man sich selbst noch im Spiegel anschauen kann. Der Überwachungsstaat durchdringt die Gesellschaft, die Düsternis wird immer vorherrschender. Perfide Mordmethoden harren ihrer Entdeckung. Nicht einmal mehr Gereon Rath schafft es, seine Augen vor den Ereignissen zu verschließen. Mit großer Anspannung und wachsender Bestürzung liest man von den Ereignissen, froh, in friedlicheren und freiheitlicheren Zeiten zu leben, in denen die Hoffnung besteht, dass Recht und Gesetz wenigstens einigermaßen funktionieren.

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