Mameleben: oder das gestohlene Glück

Buchseite und Rezensionen zu 'Mameleben: oder das gestohlene Glück' von Michel Bergmann
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5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Mameleben: oder das gestohlene Glück"

Großartig und nervtötend, liebevoll und erdrückend, aufopfernd, aber auch übergriffig – Michel Bergmann liebt seine Mutter Charlotte und hält sie manchmal nicht aus. Er erzählt in diesem Buch, in dem er nichts und niemanden schont, die Geschichte dieser eigenwilligen, starken Frau: ihre Vertreibung aus Deutschland, der Verlust fast der gesamten Familie, das Glück, ihren künftigen Ehemann wiederzufinden, und dennoch ein Schicksal, bei dem sie allzu oft ganz auf sich allein gestellt ist.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072259

Rezensionen zu "Mameleben: oder das gestohlene Glück"

  1. Ein Denkmal für diese Mutter!

    „Mameleben“ ist für mich ein absolutes Lesehighlight des Jahres 2023, ein besonderes Buch voller Humor und Wärme, durchsetzt mit Ernsthaftigkeit und Trauer. In seinem Text erinnert sich Michel Bergmann an seine Mutter Lotte, eine ganz besondere Frau, die antisemitische Anfeindungen und Lagerhaft überstand, sich im Nachkriegsdeutschland allein als Geschäftsfrau durchsetzen musste und schließlich in Frankreich eine neue Heimat fand.

    Michel Bergmann zeichnet seine Mutter als eine Diva vom alten Schlag: sie ist unerbittlich, unnachgiebig, schlagfertig, unversöhnlich in ihren Ansichten, launisch, herrisch und mitunter auch herablassend. Ihren Sohn erzieht sie fast rücksichtslos mit einiger verbaler Härte. Sie hat Ansprüche und wenn diese nicht erfüllt werden, dann reagiert sie enttäuscht. Lottes Charakter führt dazu, dass „Mameleben“ ein Feuerwerk der Situationskomik ist. Alle Szenen, in denen Lotte ihre Bonmots und pointierten Repliken zum Besten gibt, sind perfekt auf den Punkt geschrieben – es ist ein wahres Vergnügen, diese Frau in Aktion zu erleben, wenn auch manchmal etwas schwarzhumorig. Lotte ist überaus redegewandt, ihre Sprache wird durch jiddische und französische Ausdrücke, die alle im Glossar erläutert werden, ergänzt, was ihr zusätzliche Persönlichkeit und Glaubhaftigkeit verleiht.

    Natürlich schwingt in Bergmanns Anekdoten Kritik an der Mutter mit. Die Passagen sind gerade auch deshalb so amüsant, weil sie völlig authentisch wirken und einem das Verhalten von Lotte auch immer mal wieder die Sprache verschlägt. Dennoch ist „Mameleben“ keine Abrechnung mit einer dominanten und kühlen Mutter, die die eigenen Bedürfnisse zentral setzt – im Gegenteil. „Mameleben“ ist eine im Kern sehr liebevolle Hommage eines Sohnes an seine energische Mama, die auch erst durch die Distanz der vergangenen Zeit ermöglicht wird. So werden die kurzweiligen und lustigen Anekdoten auch immer wieder durch ernsthaftere Betrachtungen, gerade wenn es auf das Ende des Romans zugeht, ergänzt, die das harte Los der Mutter unterstreichen und um Verständnis dafür werben, warum ein Mensch zu dem wird, was er ist.

    „Mameleben“ ist eine ausdrückliche Leseempfehlung, ein umwerfendes Denkmal für eine unvergessliche Frau. Charmant, flüssig und klug geschrieben, mit hohem Unterhaltungswert, ohne jemals oberflächlich zu werden, dazu ein Blick auf das Leben in Europa im 20. Jahrhundert. Ich habe mich köstlich amüsiert, wurde mit melancholischem Unterton zum Nachdenken angeregt und werde Lotte immer in meinen Gedanken behalten. Was für eine Frau! Was für ein Buch!

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  1. 5
    30. Mär 2023 

    Eine jüdische Mutter: ‚die alte Nörglerin‘

    Der Umgang mit ‚Opfern‘ ist eine Herausforderung! Sie manipulieren und drangsalieren ihr Umfeld und über Mitmenschen fällt ihnen als erstes nur Negatives ein! Fühlen sie sich jedoch angegriffen, verfallen sie blitzartig in die Rolle eines ‚Opfers‘.

    Ja, ich weiß, von was ich schreibe! Meine Schwiegermutter war auch eines - die Beschreibung des Charakters von Michel Bergmanns Mame könnte auch die Beschreibung der Mutter meines Mannes sein! (Die Tatsache, dass sie an einem Karfreitag geboren war, nahm sie als Begründung dafür, dass ihr damit Leid in die Wiege gelegt worden wäre.) Eines habe ich dabei gelernt: ‚Man kann Menschen nicht ändern, man kann nur am Umgang mit ihnen arbeiten.‘

    Aber zurück zu ‚Mameleben‘: Charlotte Meinstein, *1916 in Zirndorf, musste wegen der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein anderes Leben führen, als sie es sich vorgestellt hatte: angefangen bei ihrer deshalb abgebrochenen schulischen Laufbahn, der Flucht nach Paris, der dramatischen Geburt ihres Sohnes Anfang 1941 in der Schweiz, bei der sie- trotz Fliegeralarm – als Jüdin nicht in den Luftschutzbunker gelassen wurde, beerdigte sie außerdem zwei Ehemänner, erlebte ekelhaftes ‚Ghosting‘ und hatte auch mit Krankheiten zu kämpfen. Das prägt! Aus ihr wurde eine alte, frustrierte Frau, die ihren Sohn für ihr unglückliches Leben verantwortlich machte.

    Aber nachdem es nicht nur das Böse, sondern auch das Gute bei jedem Menschen gibt, fand ich auch Positives bei Charlotte: ihre Reaktion auf das Auftauchen von Dagmar, der Tochter ihres 1. Mannes fand ich grandios und war tief beeindruckt! Auch als Geschäftsfrau bekam sie meinen größten Respekt! Einfach toll, wie sie das Geschäft ihres verstorbenen Mannes wieder ‚in die Spur bekommt‘. ‚Sie hat sich erschaffen und mitten ins Leben gesetzt. Von vielen bewundert, von manchen gefürchtet, von einigen obsessiv begehrt, aber stets sich selbst genug.‘

    Gut gelungen fand ich den versöhnlichen Abschluss, bei dem der Autor seinen Frieden mit seiner Mutter macht: er sieht sich selbst im Alter, registriert manche Ähnlichkeiten, aber auch das Glück - im Gegensatz zu seiner Mutter - die passende Partnerin gefunden zu haben. Nachhallen werden bei mir auch so Sätze wie ‚Bis heute werden die Auswirkungen dieser schweren, lebensbedrohlichen Jahre der Schoa unterschätzt. Wir alle wären andere. Und unsere Kinder ebenfalls. Davon bin ich zutiefst überzeugt.‘

    Fünf Sterne gebe ich voller Begeisterung und möchte dieses Buch am liebsten allen ans Herz drücken!

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  1. 5
    09. Mär 2023 

    Was ist Mutterliebe?

    „Mameleben“ ist ein Buch, das mich immer wieder sprachlos machte. Schon im 1. Kapitel setzt sich Bergmann mit Aussagen seiner Mutter auseinander, mit denen er von Kindheit an konfrontiert wurde: „Da überlebt man, und das ist der Dank!“

    So etwas sagt eine Mutter zu ihrem Kind? Ja, so etwas sagte Charlotte Bergmann, und der Autor beginnt sein Buch verständlicherweise mit den religiösen Geboten zur Elternliebe, mit denen er sich zeit seines Lebens auseinandersetzen musste.

    Michel Bergmann schreibt keine Biografie im üblichen Sinn, sondern im Zentrum steht seine sehr persönliche Reflexion über das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter. Charlotte Bergmann hat Schlimmes durchstehen müssen. Sie wuchs in einem großbürgerlichen jüdischen Haus bei Nürnberg aus und floh kurz vor dem Abitur nach Paris. Ihre Mutter und ihr Vater, Träger des Eisernen Kreuzes, wurden in Auschwitz ermordet. Sie selber wurde durch die Vichy-Regierung in Gurs interniert, und sie entkam der drohenden Deportation durch die Flucht in die Schweiz, wo sie wiederum als illegal eingereiste Ausländerin interniert wurde.
    An dieser Stelle spart Bergmann nicht mit deutlichen Hinweisen auf die empörende und menschenverachtende Rolle, die die Schweiz gegenüber den Flüchtlingen aus Hitler-Deutschland einnahm. In der Schweiz trifft sie auf einen Bekannten aus Paris, der ihr Ehemann und Vater des Autors werden wird. Bei Kriegsende reist das Ehepaar zurück nach Deutschland, um das Textilgeschäft der Familie aufzubauen, während das neugeborene Kind über ein Jahr in einem Kinderheim zurückgelassen wird.

    Ist das Mutterliebe? fragt sich der Autor.

    Er zeichnet seine Mutter als erfolgreiche Geschäftsfrau, begehrte Gesellschafterin, umschwärmt, verehrt, eine schöne und extravagante Frau – und auf der anderen Seite eine übergriffige Mutter, die ihr einziges Kind nicht schonte und die ihren Sohn nicht so nehmen konnte, wie er war. Statt dessen hatte sie große Erwartungen an ihn, was seinen Beruf und seinen sozialen Stand anging, wohingegen sein Gemütsleben ihr völlig gleichgültig war. Sie straft ihn lebenslang dafür ab, dass er einen anderen Weg ging als den, den er ihrer Meinung nach zu gehen hatte: sie kritisiert, sie mäkelt, nichts kann er ihr recht machen, sie überschüttet ihn mit Vorwürfen, macht ihn für ihre eigenen Kümmernisse verantwortlich, mindert seine Leistung, er erfährt keinerlei Wertschätzung – und hinter all dem steht für den Autor immer die Frage: Ist das Mutterliebe?

    Am Ende des Buches kann er diese Frage für sich beantworten. Da wird nämlich deutlich, wieso der Autor, viele Jahre nach dem Tod seiner Mutter, dieses Buch schreibt. Er vermeidet den Begriff der transgenerationalen Traumatisierung, aber er erkennt die bewusstseinsverändernden Auswirkungen der Shoa, die auch ihn betreffen. So sieht er, dass er wie seine Mutter jede Selbstreflexion vermeidet. Inzwischen hat er es gelernt – und so kann er seine Mutter von einem anderen Standpunkt aus ansehen.

    Und jetzt kann er sich auch die Frage beantworten, ob seine Mutter ihn geliebt habe: ja, aber eben auf ihre recht reduzierte und egozentrierte Weise.

    An diesem Punkt erhellt sich die Bedeutung des Untertitels: „Das gestohlene Glück“. Es ist das Glück seiner Mutter, dass ihr durch die Zeitläufte gestohlen wurde und es ist das Glück des Sohnes, das ihm durch die empfundene Lieblosigkeit seiner Mutter gestohlen wurde.

    Ein sehr bitteres Buch – und zugleich durch das hohe Maß an Reflexion ein sehr versöhnliches Buch: der Autor kann sich seiner Mutter in Lieber erinnern.

    Sehr lesenswert.

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  1. Die Geschichte einer Mutter

    Klappentext:

    „Großartig und nervtötend, liebevoll und erdrückend, aufopfernd, aber auch übergriffig – Michel Bergmann liebt seine Mutter Charlotte und hält sie manchmal nicht aus. Er erzählt in diesem Buch, in dem er nichts und niemanden schont, die Geschichte dieser eigenwilligen, starken Frau: ihre Vertreibung aus Deutschland, der Verlust fast der gesamten Familie, das Glück, ihren künftigen Ehemann wiederzufinden, und dennoch ein Schicksal, bei dem sie allzu oft ganz auf sich allein gestellt ist.“

    Michel Bergmann erzählt in seinem Buch „Mameleben“ die Geschichte seiner Mutter. Diese Geschichte ist jetzt keine vollwertige Biografie, sie ist vielmehr eine Erzählung über seine Mutter. Bergmanns Mame (die jüdische Bezeichnung für „Mutter“) hat ein mehr als bewegendes Leben hinter sich. Vom Krieg gezeichnet, von den Nazis verfolgt, ohne Heimat, ohne Heim muss sie sich durchkämpfen und dabei immer auf ihr Leben achten ohne dabei in die Fänge des braunen Sumpfes zu geraten. Bergmann brilliert in diesem Buch mit einem schonungslosen ehrlichen Ausdruck und mit Worten die auch uns Leser treffen. Sie treffen uns tief in unseren Herzen, denn Bergmann schildert wie oft Mame nervt, wie sie einem auf den Pinsel geht aber auch wie liebevoll und rührend sie sich um ihren Sohn kümmert und bemüht. Ein jeder von uns wird das nachvollziehen können wenn das Verhältnis zur eigenen Mutter ein gutes ist: ja, Mamas können auch gern mal nerven. Sie tun dies aber nicht mit Absicht sondern mit einem ganz bestimmten Gefühl - dem immer umsorgten Mutterherz. Bergmann zeigt hier auf, dass auch nervige Mütter einen Grund dafür haben dies zu tun und das man sie schwer davon losbekommt. Jede Mutter ist ein kleines Wunderwerk für sich und somit könnte man das Buch als Hommage an die Mütter erlesen aber hier ist es auch ganz explizit eine Art Liebeserklärung an Bergmanns Mame. Sie kämpfen für uns wie Löwinnen, sie beschützen uns, sie helfen uns, sie sind für uns da - unsere Mütter! Diese Geschichte hier berührt ungemein und geht wahrlich tief unter die Haut. Durch den wunderbaren Schreibstil fliegt man nur so durch‘s Buch. Fazit: eine lesenswerte Geschichte die tief berührt! 5 Sterne!

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