Märchen aus Malula

Buchseite und Rezensionen zu 'Märchen aus Malula' von Rafik Schami
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Märchen aus Malula"

Märchen aus Malula

Autor:
Format:Kindle Edition
Seiten:202
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Märchen aus Malula"

  1. 5
    29. Dez 2015 

    Ein wundervoller Zufall...

    Neu und auf ganz eigene Weise erweckt Rafik Schami in diesem Band die schönsten überlieferten Geschichten aus seinem Heimatdorf Malula in den Bergen Syriens zu neuem Leben. Erzählt wird von einem schwangeren Mann, dessen Tochter bei den Gazellen aufwuchs, vom Großvater, der vierhundert Jahre lang sein Gewehr trug, vom Sultan und seinem neunmalklugen Wesir und vielen anderen mehr.

    Rafik Schamis Märchen, Fabeln und fantastische Geschichten, sind die Fortsetzung von 'tausendundeinernacht' in unsere Zeit. (Jens Brüning, SFB)

    "Meine Großmutter mütterlicherseits wäre mit sicherheit eine Heilige, hätte der Vatikan den Himmel nicht den Europäern vorbehalten."

    Mit diesem Satz beginnt Rafik Schami sein Vorwort zu diesem Buch, und gleich hat er mich wieder gepackt mit seiner leisen Ironie, die dann und wann gerne aufblitzt bei Werken dieses Autors. Doch dann beschreibt Schami weiter, wie es überhaupt dazu kam, dass dieses Buch geschrieben werden konnte - und wie sich herausstellt: es war alles einem wundervollen Zufall zu verdanken.

    1984 hielt der Autor in Nürnberg eine Lesung und traf dabei auf einen Mann, der neugierig auf Schamis Heimatdorf Malula zu sein schien. Bei einem Gespräch stellte sich heraus, dass dieser Mann in seiner Doktorarbeit die Sprache des syrischen Dorfes neu untersuchen wollte - dieses 3000 Jahre alten Örtchens, wo Muslime und Christen aramäisch sprechen, die Sprache Jesu also. Dieser Mann ließ Rafik Schami eine Kopie seiner Doktorarbeit zukommen, und im Anhang machte der Autor schließlich eine Entdeckung: Meherer Literaturangaben wiesen auf Bücher und Zeitschriften hin, die die Märchen die Geschichte und die Sprache Malulas behandelten. Bei weiteren Recherchen stieß Schami schließlich tatsächlich auf einen Märchenband - in Aramäisch und Deutsch waren dort Geschichten aus Malula festgehalten. Hundertsechzehn Jahre nach dem Tag, an dem zwei Orientalisten die ersten Geschichten aus Malula erzählt bekommen hatten, entdeckte Schami sie in der Bundesrepublik. Und so hatte diese Märchensammlung schon eine geradezu märchenhafte Entstehungsgeschichte...

    Natürlich hat Rafik Schami nicht alle neuaramäischen Märchen seines Heimatdorfes verwendet, derer er habhaft werden konnte, sondern hat eine Auswahl getroffen. Die Geschichten, die ihn selbst faszinieren konnten, gibt der Autor hier auf seine ganz eigene, unnachahmliche Art wieder. Er schreibt selbst, dass er die Märchen Malulas so wiedergibt, wie er sich vorstellte, dass sie einst fabuliert wurden - oder wie er wünschte, dass sie so erzählt worden wären. Ein einziges der hier versammelten Märchen stammt komplett aus der Feder Rafik Schamis.

    "Lass es dir von einem Derwisch sagen, mein Junge. Nur Gott ist allwissend, doch ich habe in einem alten Buch gelesen: Unter den Häusern Syriens sind aramäische Grundmauern, und jedesmal, wenn ein Aramäer stirbt, löst sich ein Stein davon in Luft auf. Die Mauer wird mit jedem verlorenen Stein schwächer. Hingegen befestigt jeder aramäische Nuegeborene sie mit einem neuen Stein."

    Eine eigenartige und vom Autor vermutlich unbeabsichtige Verbindung zum aktuellen Weltgeschehen besitzen diese Märchen. Haben doch vor kurzem radikale Islamisten bewiesen, dass es mit der in den Geschichten noch vielgerühmten Uneinnehmbarkeit Malulas nicht mehr weit her ist. Und auch bezüglich der Flüchtlingssituation der Syrer finden sich hier fast schon prophetisch anmutende Parallelen:

    "Nachdem die Aramäer ihren Durst und Hunger etwas gestillt hatten, sprach die Fee. 'Ich hole euch hier heraus und führe euch an einen sicheren Ort, doch ihr müsst mir euer Wort geben, dass ihr, so hoch auch der Preis dafür sein möge, Flüchtenden euer Haus und Herz öffnet. Und so wie ich eure Rufe nicht überhörte, so dürft ihr eure Ohren ihren Hilferufen nicht verschließen.'"

    Rafik Schami ist ein Meister der Fabulierkunst, wie mich bereits andere Bücher des Autors gelehrt haben. Und so ist es ein Vergnügen, in diese Märchenwelt in der Tradition von 'Tausendundeiner Nacht' einzutauchen. Schami entführt hier den Leser in seine alte Heimat in Syrien und lässt ihn eintauchen in die Geschichten seiner Ahnen. Lehrreich und komisch, voller Bosheit und List, reich an orientalischen Weisheiten und der Lust am Fabulieren. Oftmals hält sich der Autor an die typischen Elemente der Märchenerzählung, manchesmal aber vermag er auch zu überraschen:

    "Na, Sie wollen noch wissen, ob der König Samira heiratete, ja? Man hat es den beiden zwar empfohlen, doch auf ein solch abgenutztes Ende der Geschichte hatten sie keine Lust und haben darauf verzichtet."

    Eine bezaubernde Sammlung alter Märchen präsentiert Rafik Schami hier und entführt mit großer Fabulierkunst in fremde Welten und Zeiten. Eine unbedingte Empfehlung von mir...

    © Parden

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