Männer sterben bei uns nicht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Männer sterben bei uns nicht: Roman' von Annika Reich
3.85
3.9 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Männer sterben bei uns nicht: Roman"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
Verlag: Hanser Berlin
EAN:9783446275874

Rezensionen zu "Männer sterben bei uns nicht: Roman"

  1. 4
    23. Feb 2023 

    Transgenerationales Trauma

    Im Buch geht es um Luise, die die Erbin des Anwesens ihrer Familie ist. Ihre Großmutter hat sie als diese auserkoren und ihr beigebracht, was es bedeutet, eine mächtige Frau zu sein. Nach dem Tod ihrer Großmutter fühlt Luise sich jedoch losgelöst und unsicher, weil der überwältigende Einfluss jener Frau fehlt. Und nun begleiten wir sie bei der Beerdigung und einer Reise in ihre Vergangenheit, um zu erforschen, wie es passiert ist, dass alle Frauen der Familie ihr eigenes Päckchen an Elend zu tragen haben.

    Das Buch ist vollgepackt mit schwierigen Familienverhältnissen. Vor allem die Gegenwart zeichnet sich dadurch aus, dass wir die Folgen der Vergangenheit sehen, welche Luise als Erwachsene nun nicht mehr so romantisiert. Man merkt den weitreichenden und fragwürdigen Einfluss, den ihre Großmutter auf die Frauen hat. Generell wird generationsübergreifendes Trauma behandelt und wie Sexismus von Frauen weitergegeben wird. Die verschiedenen Zeitachsen dabei zu sehen, fand ich wirklich spannend.
    Das Buch hatte meiner Meinung nach das Problem, dass es wichtige und interessante Themen behandelt hat und man die Tiefe sehen konnte, und dann wurde aber doch bloß von der Oberfläche abgeschöpft. So wurde zum Beispiel angedeutet, dass die Familie während der Nazizeit keine weiße Weste gehabt haben konnte, da sie auch währenddessen ihren Reichtum behalten konnte, aber dann wurde es nicht weiter aufgegriffen
    Insgesamt hat mir das Buch jedoch gefallen und ich muss sagen, dass es einige Sätze gab, die mich in ihrer Formulierung fast umgehauen haben und die ich noch ein zweites Mal lesen musste.

    Mir hat das Buch gut gefallen, aber ich hätte mir tatsächlich noch etwas mehr Tiefe gewünscht.

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  1. Einfach großartig!

    !ein Lesehighlight 2022!

    Klappentext:

    „In einem prachtvollen Anwesen am See leben sie zusammen, die Frauen einer Familie, denen die Männer nach und nach abhandengekommen sind. Wie zahlreich die dunklen Flecken ihrer Geschichte sind, weiß nur eine von ihnen, die enigmatische Großmutter, die immer den Schein zu wahren wusste. Als Leni sich weigert, genau das zu tun, wird sie still und heimlich verstoßen. Zurück bleibt ihre Schwester, die nun allein gegen eine verhängnisvolle Tradition ankämpfen muss.“

    Autorin Annika Reich hat mich mit ihrem Roman „Männer sterben bei uns nicht“ wahrlich bestens unterhalten. Der Titel allein ist mächtig. Warum sterben denn hier keine Männer? Weil es sie erst gar nicht gibt! Sie wurden regelrecht aus der Familie verbannt…

    Einerseits ist Reichs Sprache und ihr Ausdruck äußerst angenehm zu lesen und es fällt leicht ihr somit bis zum Schluss zu folgen und auch der rote Faden ist schnell erkennbar: Männer sind in der Familie mehr als ein Dorn im Auge. Aber warum ist das so? Zorn kommt nie von ungefähr! Was war geschehen das es soweit kommen musste? Autorin Annika Reich stellt uns in ihrer Geschichte sehr gekonnt die Hauptprotagonistinnen, die Damen, vor. Großmutter (die im gesamten Buch namenlos bleibt - besser ging es wirklich nicht - das war von der Autorin bravourös gezeichnet!) ist die Patriarchin und wacht über allem und die Betonungen liegt dabei genau auf dem letzten Wort. Egal ob Töchter oder Enkelinnen die wir hier kennen lernen, der Schatten der Patriarchin schwebt überall mit. Sie wahrt ihren aruf, ihren Schein, und schützt sich somit wie mit einer Ritterrüstung. Schlussendlich gibt es für ihre Töchter, Ingrid und Marianna, und eben den Enkelinnen, Olga, Luuise und Leni, aber nur zwei Möglichkeiten dem Folge zu leisten: entweder man hält der eigenen Mutter/ Großmutter die Treue bezüglich der Männer u.a. oder aber man wehrt sich dagegen und bringt eben die Großmutter damit auf. Da aber weder Marianna oder Ingrid und auch die Enkelinnen nicht aus Luft und Liebe entstanden sind, ist ja selbstredend schnell klar, Männer gab es wohl in deren Leben aber sie kamen und gingen auch wieder und somit war es bislang nie notwendig einen davon zu Grabe zu tragen. Einerseits schwebt hier ein gewisser schwarzer Humor mit, andererseits klingt es alles unheimlich verbittert und klagevoll und als Leser wird man neugierig und liest eben lustvoll weiter und weiter um genau diese Fragen für sich zu klären. Als die Großmutter stirbt, fällt viel auseinander aber fällt es denn wirklich? Wie geht es weiter als sie nun nicht mehr das wachende Auge über der Damenwelt ist? Wie reagieren die Frauen selbst darauf? Und warum ist das alles so gekommen wie es gekommen ist? Viele Fragen kommen auf und viele Antworten werden gekonnt gegeben und dennoch hat man auch als Leser genügend Freiraum für eigene Gedanken. Großmutters verbittertes Leben hat sich aber nicht nur auf die Männer hin beschränkt. Sie war biestig und toxisch. Wenn sie nicht ihr Gift verspritzen konnte, war sie wohl nicht glücklich, aber nochmal: man kommt nicht als giftiges Kind auf die Welt! Alles hat seinen Ursprung und diesen erlesen wir hier äußerst stimmig in dieser Geschichte. Das „Erbe“ der Großmutter ist ebenfalls so eine Sache und schlussendlich liegt es an den Frauen allein damit umzugehen oder es gar fortzuführen. Ja, der Roman hat eine gewisse trübe, manchmal gar morbide Stimmung aber genau das machte die Geschichte auch aus! Es war trübe aber dennoch äußerst klug kombiniert mit positiven Anekdoten, mit gewissem Witz und der nötigen Prise Verständnis vielleicht die man aufbringen musste um Großmutters Art ein wenig zu verstehen und eben auch das Handeln der Kinder.

    Fazit: großartige Unterhaltung und für mich definitiv ein Lesehighlight 2023! 5 Sterne!

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  1. Verliert sich leider...

    Luises Großmutter ist gestorben. Die alte Dame war die Patriarchin der Familie. Aus ihrer Ahnenreihe stammt das immense Vermögen, von dem die Familie lebt und von dem nicht ganz klar ist, ob ihm der Schmutz des Krieges anhaftet. Dazu gehört „das Anwesen“: Ein wunderschön am See gelegenes Grundstück mit fünf Häusern, von denen vier von den Frauen der Familie bewohnt werden. Männer sucht man in diesem Kontext vergebens, sie bilden höchstens Schatten und Hintergrund: „Meine Großmutter ertrug Männer im realen Leben nicht, aber sie stellte nie in Frage, dass Männer die angenehmeren Zeitgenossen waren.“ (S. 92)

    Die Großmutter legt viel Wert auf ihren Status, auf anständiges Benehmen, korrektes Erscheinen und Etikette. Sie unterteilt die Welt in Gut und Böse, wer ihren Standards nicht entspricht, wird ausgemustert oder fällt in Ungnade. Dieses Schicksal haben fast alle Familienfrauen erlitten. Sie dürfen zwar auf dem Anwesen leben, müssen sich ansonsten aber dem Willen der Patriarchin beugen und ihren bissigen Spott ertragen. Einzige Ausnahme bildet von Klein auf Luise. Sie ist Großmutters Augenstern und wurde als ihre legitime Nachfolgerin auserkoren. Dazu gehört auch die komplette Erbschaft des Vermögens. Dass das bei den anderen Familienmitgliedern nicht auf Sympathie stößt, kann man sich vorstellen.

    Die Geschichte wird von Ich-Erzählerin Luise erzählt. Die Kernhandlung findet während der unmittelbaren Trauerfeier statt. Luise beobachtet den von der Großmutter geplanten höchst eigenwilligen Ablauf der Beerdigungszeremonie. Immer wieder schweifen dabei ihre Gedanken ab. Sie beschäftigt sich intensiv mit Episoden und Erlebnissen aus ihrer Kindheit und Jugend, die die komplizierte Familienkonstellation und -historie erklären, die aber auch zeigen, dass Luise keine unbeschwerte Kindheit hatte. Die Übergänge der Zeitebenen gestalten sich fließend: Die mittlerweile 30-jährige Erzählerin stößt auf ein Stichwort oder eine Beobachtung, die sie direkt zu ihren episodischen Rückblicken führen. Die kurzen Kapitel sorgen diesbezüglich für Struktur, so dass man keinerlei Mühe hat, der Handlung zu folgen.

    Der Roman startet mit einem Paukenschlag, als die neunjährige Luise innerhalb weniger Monate zwei tot angeschwemmte Frauen am Ufer des Sees findet. Luise ist sehr geschockt, zumal sie zunächst ihre ältere Schwester Leni im Wasser zu erkennen glaubt. Leni ist Luises Bezugs- und Vertrauensperson gewesen – bis sie fort- und auf ein englisches Internat geschickt wurde. Dieser Verlust schmerzt Luise unendlich. Die Reaktionen der Erwachsenen auf die toten Frauen fallen höchst seltsam aus, lediglich die Großmutter gibt dem Kind Sicherheit, erwartet aber auch ein schnelles Vergessen des Ganzen. Luises Mutter wirkt indessen hochgradig instabil und ihren wechselhaften Stimmungen unterworfen. Sie kann keine Gefühle zulassen: „Meine Mutter verschob ihre und meine Gefühle nicht nur, um ihnen irgendwann besser begegnen zu können, sie verschob sie auf Nimmerwiedersehen.“ (S.33)

    Die Verzahnung der Ebenen wird gekonnt gelöst. Die Figuren wirken in all ihrer Ungewöhnlichkeit glaubwürdig. Luise ist eine brillante Beobachterin der Szenerie rund um den Friedhof. Die spitzen Dialoge tun ihr Übriges, den Charakteren zahlreiche Facetten zu verleihen. Währenddessen sorgen die Episoden aus der Vergangenheit dafür, dass sich das Netz der komplexen familiären Beziehungen immer mehr komplettiert. Tragische Verluste und traumatische Erlebnisse, die sich Luise meist aus Erinnerungsfragmenten erschließen muss, säumen die Familienbiografie. Die Großmutter wirkt meistens unnahbar, spielt gegeneinander aus. Ihr selbstgerechtes Verhalten gepaart mit der deutlichen Bevorzugung eines Enkelkindes erzeugt ein Klima des Misstrauens und der Eifersucht. Die Großmutter als Zeremonienmeisterin steuert und manipuliert, hat Geheimnisse und verschweigt vieles. Die aufgestauten Konflikte drohen, bei der Trauerfeier zu eskalieren. Luise ist die beobachtende Außenseiterin des Szenarios. Mit dem Tod der Großmutter muss sie sich über ihre neue Rolle klar werden: „Ich war Erbin der Steine und des Anwesens, der toten, aussortierten und verschwundenen Frauen, ob ich es wollte oder nicht.“ (S. 78)

    Über weite Strecken habe ich diese leicht beklemmende Atmosphäre als sehr fesselnd empfunden. Die Autorin erzählt bewusst nicht alles aus, sie arbeitet mit Andeutungen und (wiederkehrenden) Motiven, woraus sich mein latentes Interesse speiste. Annika Reich kann schreiben. Sie hat einen unaufgeregten Stil, schildert bildlich und intensiv. Der Schauplatz, auf dem sie das unglückliche Leben der Reichen aufmarschieren lässt, ist wunderbar gewählt und verspricht zunächst eine spannende Familiengeschichte. Doch irgendwo im letzten Drittel hat mich der Roman verloren. Ich kann gar nicht sagen, woran es konkret gelegen hat. Ich habe kein Problem mit offenen Enden, doch dieser Ausgang bleibt mir zu vage, zu sehr in der Luft schwebend. Mir fehlt eine finale Entwicklung. Die einzelnen Rückblicke lesen sich interessant, aber wo ist ihr Zusammenhang, wo ist die Grundaussage des Romans? Vielleicht habe ich ihn trotz intensiven Lesens nicht komplett verstanden, vielleicht habe ich Bausteine übersehen. Die letzten Seiten decken auch eine starke feministische Botschaft nach Frauensolidarität auf, die sich mir aus dem Text allein nicht erschließt und daher übergestülpt auf mich wirkt.

    Ich bin sicher, dass der Roman seine Leser finden wird. Titel und Cover wurden wunderbar gestaltet und machen neugierig. Von mir gibt es leider nur eine eingeschränkte Leseempfehlung.

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  1. 5
    18. Feb 2023 

    Düsteres Familienporträt

    Ein Anwesen am See und 8 Frauen, die dort leben. Über allem thront die namenlose Großmutter, eine elegante, aber manchmal auch grausame Frau, um deren Zuneigung alle buhlen: die Töchter Ingrid und Marianna, die Enkelinnen Leni, Luuise und Olga und – etwas abseits – Hausangestellte Justyna. Und die Männer? „Männer starben bei uns nie, Männer kamen und gingen.“ (S. 1) Nach dem Tod der Großmutter, fällt das ganze familiäre Konstrukt in sich zusammen.

    „Männer sterben bei uns nicht“, aus der Feder von Schriftstellerin und Aktivistin Annika Reich, wird aus der Sicht der Protagonistin Luise in der Ich- und Vergangenheitsform erzählt. Ausgehend von der Beerdigung der Großmutter in der Gegenwart, blickt sie immer wieder in die Vergangenheit zurück, indem sie assoziativ Verbindungen herstellt, zum Beispiel durch ein getragenes Schmuckstück oder einen umher flatternden Schmetterling.

    Im Zentrum steht die Großmutter; wer nach ihren Vorstellungen lebt, den überschüttet sie mit Geschenken und Lob. Zum Liebling hat sie sich Luise auserkoren, die so zur Außenseiterin wird. Generell gelingt es der alten Dame, Schwestern und Cousinen gegeneinander auszuspielen und somit alle Beziehungen zu vergiften. Als Luises Schwester Leni als Teenager „rebelliert“, wird sie ins Internat geschickt. Lenis andere Großmutter Vera darf zwar auf dem Anwesen leben, ist dafür aber täglichen Demütigungen ausgesetzt.

    Männer gibt es in der gesamten Geschichte keine. Der Großvater lebte von der Familie getrennt, dennoch musste die Illusion der Ehe erhalten werden. Luises und Lenis Vater machte sich nach Australien davon, mehr wissen wir nicht. Überhaupt wird im Roman vieles angedeutet, so zum Beispiel die Rolle der Familie im Dritten Reich. Die Großmutter verkörpert das, was als männlich verstanden wird: Macht, Reichtum, Gefühllosigkeit, doch auch sie ist in diesem Spiel aus vererbten Traumata und Schuld gefangen und hält alle anderen mit sich im Unglück fest.

    Während ihre Mutter sofort nach dem Tod der Großmutter aus dem Anwesen auszieht, fällt es Luise schwer, loszulassen. Im Gegensatz zu allen anderen verbindet sie auch positive Erinnerungen mit dieser schwierigen Frau. Vieles will sie sagen, tut es dann aber doch nicht und das immer wieder im Verlauf des Romans. Doch am Ende muss sie sich positionieren, eine Haltung einnehmen und entscheiden, ob sie das Erbe ihrer Großmutter annehmen will.

    Ein düsterer, aber auch allzu wahrer Roman über das, was Frauen einander antun, anstatt solidarisch zu sein.

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  1. 3
    13. Feb 2023 

    Die Erbin einer matriarchalen Familiendynastie

    „Meine Geburt hatte mich in die Nähe von Frauen geraten lassen, die mir nicht nahe waren.“ So ist eine der Erkenntnisse, die Luise rückblickend über ihr Hineingeboren werden in eine privilegierte Familie, die sich aber niemals nah, sondern immer gegeneinander ausgerichtet erscheint, gewinnt.

    Luise wächst auf dem Anwesen ihrer Großmutter auf. Diese ist die Matriarchin einer (Geld-)Adelsfamilie und versammelt auf dem Grundstück mit fünf Häusern die weiblichen Familienmitglieder. Fast könnte man sagen, sie nimmt sie in Sippenhaft und wer nicht nach ihren Regel spielen will, wird aussortiert. Die Männer spielen sowieso keine Rolle, sie sterben hier auf dem Anwesen nicht, sie verschwinden schon vorher und gehen ihrer eigenen Wege. Luise ist schon erwachsenen als nun ihre Großmutter verstirbt. Das bringt die Familie für die Beerdigung wieder örtlich, wenn auch nicht emotional, zusammen und lässt Erinnerungen von Luise aufflammen. Mit dem Blick der Erwachsenen versucht sie nun, nach und nach ihre Erinnerungen neu zu sortieren und vor allem auch neu zu interpretieren.

    Mir hat dieses Buch zu Beginn wirklich sehr gefallen. Das Cover ist schon einmal eine Klasse für sich. Die Sprache der Autorin in ausdrucksstark und mit einer gewissen lakonischen Art versehen. Auch das Setting ist spannend gewählt. Kennen wir ja aus den vergangenen Literaturjahren das Phänomen der Veröffentlichung einer steigenden Anzahl von Romanen über Klasse und soziale Herkunft. Nur geht es hier nicht um die Arbeiterklasse, sondern um die Reichen, wenn auch nicht Superreichen. Die Familie väterlicherseits von Luise ist gut situiert. Luise scheint die einzige zu sein, die sich den Familientraditionen hingeben will und auch als würdig dafür erachtet wird. Ihre eigene Mutter stammt aus einer niedrigeren Klasse und passt ebenso wie andere Frauen auf dem Anwesen nicht so richtig hierher. Dieses Spannungsfeld wird gekonnt entworfen und man meint, dass damit nun für das finale Zusammentreffen und damit den Showdown zur Beerdigung der Großmutter und die Frage des Erbes (komplett an Luise) ein perfektes Spielfeld vorgegeben ist.

    Nur leider verpufft die anfängliche Energie und Stringenz des Romans spätestens ab zwei Dritteln des Buches. Die Handlung und die Beziehungen der Frauen untereinander werden verwirrend, bleiben nebulös und einfach mitunter vollkommen unklar. Auch bekommen die Figuren nicht mehr die benötigte psychologische Tiefe, um sich erklären zu können, was zum Ende des Romans hin passiert. Ganz grundsätzlich scheint dem Buch auch eine Aussage zu fehlen. Ist es eine feministische, im Sinne von: Alle Frauen sollten, egal wie unterschiedlich sie sind, sich nicht auseinandertreiben lassen, sondern zusammenhalten? Denn dieses Auseinandertreiben hat bisher die Großmutter königlich beherrscht. Sie hat einen Keil zwischen die vielen Frauen dieser Familie getrieben, um sich dann die Rosine (Luise) als ihre Nachfolgerin auf dem Anwesen herauszupicken. So schreibt Annika Reich:

    „Sie [die Großmutter] hatte kein emotionales Verständnis von Familie, sondern ein dynastisches, auch wenn das Wort zu pompös war für den Haufen, den wir darstellten. Sie wies jeder von uns einen Platz und eine Aufgabe zu, und wenn wir diesen Platz einnahmen und die damit verbundene Aufgabe erfüllten, lief alles glatt, wenn nicht, wurden wir aussortiert wie verschlossene Muscheln.“

    Solche Passagen sind schon toll geschrieben, aber sie führen leider gefühlt zu nichts mit Blick auf den gesamten Roman. Immer wieder ist von „Versehrungen“ der Hauptfigur zu lesen, aber was genau dort dahinter steckt, erfahren wir nicht. Vieles bleibt schwammig und wird immer schwerer zu deuten, umso klarer wird, dass die Erinnerungen von Luise vielleicht auch kindlich verzerrt sind. Es wird immer mal wieder angedeutet, dass ein Ereignis so oder auch ganz anders hätte passiert sein können. So wendet sich der Roman zum Ende hin immer mehr ab vom Konkreten und bleibt auf eine störende Art und Weise unkonkret.

    Insgesamt handelt es sich hierbei durchaus um ein lesenswertes Buch, welches sein anfängliches Potential jedoch nicht halten kann. Schade.

    3,5/5 Sterne

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  1. Persönlichkeit durch die Augen anderer

    In "Männer sterben bei uns nicht" begleiten wir die Protagonistin Luise, ihre Familie und ihre Großmutter, die Matriarchin der Familie, Zusammen mit Luise versuchen wir die Rätsel zu entschlüsseln, die ihre weiblich geprägte Familie in sich trägt.

    Und das gleich vorweg: Es bleibt bei dem Versuch, die Geheimnisse zu entschlüsseln. Deshalb möchte ich das Buch vor allem für Leute empfehlen, die nicht immer auf alles eine eindeutige Antwort brauchen, die mit offenen Enden umgehen können und Geschichten fühlen wollen.

    Denn das Buch hat psychologisch einiges zu bieten. Auch Luise weis wie wir Lesende sehr wenig über ihre Familie, rätselt viel und muss sich einiges auch einfach selbst zusammenreimen. Dieses Gefühl überträgt sich finde ich auch auf die Lesenden. Sie und auch die anderen Mitglieder ihrer Familie leben sehr in ihren eigenen Köpfen und in der Welt, die für sie konstruiert wurde - egal ob sie hineinpassen oder eben auch nicht.

    Vor allem spannend fand ich, das wir die Geschichte aus Luises Augen sehen, die die in der Familie am wenigsten zu wissen scheint und meiner Meinung nach auch keine eigene Persönlichkeit hat, die ihr nicht zugeschrieben wurde. Das finde ich an ihr sehr spannend, wie sie sich und ihre Persönlichkeit je nachdem anpasst, in welche Welt sie gerade gehören will.

    Mein Manko an dem Buch: Manche Informationen wirken auf mich sehr unzusammenhängend und ich verstehe nicht ganz, warum sie eingebaut wurden. Ein Detail sind die toten Frauen, die schon im Klappentext erwähnt werden. Das macht das Buch für mich teilweise sehr verwirrend und zieht in der Gesamtwertung Sterne ab. Dennoch habe ich das buch schnell gelesen und wollte wissen, wie es weitergeht.

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