Limonow

Buchseite und Rezensionen zu 'Limonow' von Emmanuel Carrère
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Limonow"

Format:Taschenbuch
Seiten:416
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442747184

Rezensionen zu "Limonow"

  1. 5
    13. Jun 2017 

    Ein Leben auf der Überholspur der Extreme

    „Limonow“ ist ein non-fiktionaler Roman über das extreme Leben eines herausstechenden Charakters der russischen Zeitgeschichte, an dessen Leben der französische Autor Emanuel Carrère sich für sein Buch fühlbar abgearbeitet hat. Er teilt mit dem Leser sein ambivalentes Verhältnis zum Helden des Romans – eine Mischung aus Faszination und Abscheu – in wechselnden Verhältnissen und nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die neuere russische Vergangenheit mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den folgenden Gehversuchen eines neue Russlands während der Gorbatschow und Jelzin-Ära. Und das macht der Autor so gut und kenntnisreich, dass ich dem Urteil von Uli Hufen vom Deutschlandradio - „eines der klügsten nicht-wissenschaftlichen Bücher über Russland, das hierzulande seit langer Zeit veröffentlicht wurde.“ – voll und ganz zustimmen kann.
    „Limonow“ ist der selbst gewählte Künstlername des Eduard Sawenko, der 1943 in der Ukraine geboren wurde, und der in seinem Leben eine wechselvolle Künstler-, Politiker- und Verbrechenskarriere hinlegen wird. Es ist in etwa so als wäre Charles Bukowski nicht nur der Skandalautor, als den wir ihn kennen, sondern nebenbei auch noch neofaschistischer Oppositionspolitiker und gesuchter vermeintlicher Terrorist und Häftling in Gefängnis und Arbeitslager.

    Eduard Limonow im Jahr 2011

    Der Autor Carrère hat sich der Aufgabe angenommen, das Leben dieser schillernden Figur in romanhafter Weise zu erfassen und arbeitet es jahrelang auf. Er kommt der Person Limonow dabei durchaus sehr nahe, ohne aber jemals vehemente Zweifel an ihm zu verlieren. Diese gehen so weit, dass er an mehreren Stellen nahe daran ist, an diesem Leben, an diesem Menschen zu verzweifeln und das Projekt ganz abzubrechen.
    "An diesem Punkt bin ich mir nicht mehr sicher, ob mein Leser wirklich Lust hat, die Anfänge eines Käseblatts und einer neofaschistischen Partei als mitreißendes Epos erzählt zu bekommen. Und ich selbst bin mir dessen auch nicht mehr sicher."
    Aber sowohl der Autor hält bis zum Ende durch als auch der Leser sollte es tun. Es wird nicht langweilig. Gemeinsam mit dem Autor durchlebt der Leser einen inneren Kampf von Faszination und Abscheu und ist doch genauso gebannt von diesem Leben auf der Überholspur. Überhaupt macht einen Teil der Güte des Buches für mich genau dieses ungewöhnlich ambivalente Verhältnis zwischen Autor und Romanheld aus. Carrère nimmt sich dieses Lebens an, da er viele Parallelen zwischen seinem und dem Leben Limonows sieht. Das bezieht sich auf viele gleiche Orte, an denen sie z.T. zu verschiedenen Zeiten gelebt haben, und auch auf die familiär geprägte Nähe und Interesse Carrères an Russland und seinen sowjetischen Unionsstaaten. Aber während der Autor diese Lebensstationen sozusagen aus der komfortablen Sofaecke des Abgesicherten heraus erlebt, schnellt an ihm jeweils vorbei der Charakter von Limonow, der wo auch immer und überall das Extreme sucht und findet und jeglichen Mittelweg erfolgreich zu umkurven versteht.
    Es fällt mir schwer viel mehr über den Inhalt dieses übervollen Buches zu schreiben. Aber, wer immer sich für eine unterhaltsame, kenntnisreiche und intelligent analysierende Beschreibung der neueren russischen Geschichte interessiert, wird hier in vieler Hinsicht fündig werden. Ein Beispiel hier zum Russland der Chruschtschow-Ära:
    "Die Revolution hat aufgehört, ihre Kinder zu fressen, die Macht ist, nach Anna Achmatowas Worten, Vegetarierin geworden. Unter Nikita Chruschtschow präsentiert sich die strahlende Zukunft als vernünftiges, freundliches Ziel, das Sicherheit proklamiert, eine Verbesserung des Lebensstandards und des friedlichen Wachstums von fröhlichen sozialistischen Familien, in denen Kinder nicht mehr angehalten werden, ihre Eltern zu denunzieren."
    Fazit:
    Ein abenteuerliches Leben hineingepresst in ein abenteuerliches Buch, das überquillt von Handlung, Wendungen und Leben. Lassen Sie sich mitreißen von diesem Strom von non-fiktionalem Abenteuer, auch wenn Sie es manchmal hassen werden.
    Ich kann nicht anders und muss diesem Buch 5 Sterne geben, auch wenn es viele Leser ob des zweifelhaften Heldens bestimmt hassen werden.

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