Letzte Erzählungen

Buchseite und Rezensionen zu 'Letzte Erzählungen' von Trevor, William
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Inhaltsangabe zu "Letzte Erzählungen"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:0
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Rezensionen zu "Letzte Erzählungen"

  1. Von Chancen und vom Scheitern

    Kurzmeinung: Je länger ich über den Sinn dieser Geschichten nachdenke, desto besser finde ich sie. Sie lassen sich aber nicht so leicht erschließen.

    In den zehn Kurzgeschichten, die aus dem Nachlass des irischen Schriftstellers William Trevor stammen, kommen diejenigen gescheiterten Gestalten zum Leser, die die Gesellschaft an den Rand gedrängt hat.

    Die Geschichten sind gut geschrieben und ganz unterhaltsam, wenn man offene Enden mag. Sie haben keine Conclusio. Was sie zu bedeuten haben, darüber mag man eine Weile grübeln. Der Autor hilft nicht, die Interpretation obliegt dem Leser.

    Vielleicht ist unsere Gesellschaft mit viel mehr dieser Menschen gefüllt, den Gescheiterten und Scheiternden, den Ausgegrenzten, als wir wahrhaben wollen und Autoren wie Trevor müssen uns darauf aufmerksam machen, dass sie quasi überall sind, sogar in der Nachbarschaft und nicht so sehr die Ausnahme, wie wir vermuten und hofften.

    Es sind Alltageschichten, in denen die Verluste nicht riesengroß sind und der Schmerz niemals in die Zeitung gelangt. Die Szenen kommen uns daher auch bekannter vor als wir wollen und lassen, wenigstens kurz, bestürzt innehalten.

    Im einzelnen:
    (1) Da ist eine ältliche Klavierlehrerin, die seit Jahr und Tag auf den Ausnahmeschüler wartet, der ihr zeigt, dass ihre Mühen nicht vergeblich sind. Und tatsächlich, er erscheint. Aber dann ist alles anders als erhofft. (2) Ein paar Gelegenheitsarbeiter entscheiden, dass ein Mord sie nichts angeht, (3) Eine tiefe Freundschaft geht an einer gestohlenen Liebe zugrunde, (4) Ein Bankkunde hat vielleicht KO-Tropfen benutzt, vielleicht aber auch nicht, der Leser reime sich zusammen, was er sich zusammenreimen möchte. (5) Sowohl ein älterer Mann wie auch eine ältere Frau verlieren ihre jeweiligen Ehegatten, aber das Schicksal behandelt nur einen von ihnen gut. (6) Eine ausländische, ausgenützte Haushaltshilfe ist tot und kein Schwein kümmert sich darum, was war ihr Lebensinhalt, fragt sich ein Geistlicher, (7) Liebe ist leider sehr oft einseitig, das ist schwer zu verstehen, da es doch Liebe ist, (8) Ein Mann verliert sein Gedächtnis, aber nicht seine Welt und eine Frau hätte ihre Moral wiederfinden können, entschied sich aber anders, (9) Ein unentschlossener Mann steht zwischen zwei Frauen, die sich das klaglos gefallen lassen und (10) ein Vater belügt seine Tochter schamlos. Als sie die Chance hat, die Wahrheit zu erfahren, kneift sie.

    Es sind Geschichten von Begegnungen und Begebenheiten. Sie beruhen auf dem Zufall. Das Leben ist Zufall und Schicksal? Das Aufeinandertreffen diverser Menschen hat keine großartigen Auswirkungen. Es ist im Kleinen aber doch bedeutsam. Oder hätte bedeutsam sein können, wenn die Protagonisten Bedeutung zugelassen hätten. Das lehrt uns der Autor. Letztlich hat man eine Wahl. Doch wird sie selten verwirklicht, da Chancen nicht als solche erkannt und begriffen und darum leichtfertig in den Wind geschlagen werden.

    Ein wenig verstörend sind diese letzten Geschichten Trevors schon, sie sind ausnahmslos deprimierend und trostlos, ohne direkt morbide zu sein und in jeder von ihnen ist eine Menge Gesellschaftskritik verborgen. Wenn man drüber nachdenkt. Als Testament, als letzte Geschichten des Autors William Trevor, die unveröffentlicht in seiner Lade lagen, könnte man vage auf die Idee kommen, der Autor scheine nicht viel von der Menschheit gehalten zu haben.

    Fazit: Ergreife deine Chance (auf eine Veränderung), wenn sie sich bietet.

    Kategorie: Kurzgeschichten
    Verlag: Hoffman & Campe, 2020

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