Lebensgeister

Buchseite und Rezensionen zu 'Lebensgeister' von Banana Yoshimoto
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Lebensgeister"

Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten ist Sayoko nicht mehr sie selbst. Sie hat das Zwischenreich der Geister betreten und Geheimnisse der unsichtbaren Welt erfahren. In der Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewiss­heiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, ob man jung ist oder alt. Aber sie begreift auch, wie einmalig und geheimnisvoll das Diesseits ist.

Format:Taschenbuch
Seiten:160
Verlag: Diogenes
EAN:9783257300420

Rezensionen zu "Lebensgeister"

  1. 5
    04. Dez 2016 

    Lebensgeister

    Das Buch habe ich nun durch, und es hat mir recht gut gefallen. Wie ich schon in der Buchvorstellung geschrieben habe, behandelt die Thematik ein okkultes Thema. Der Umgang mit der Transzendenz, mit der viele Menschen nicht wirklich etwas anzufangen wissen. Verständlich, wenn die Grenzen von Diesseits und Jenseits sich auf einmal vermischen. Das ist auch schwer vorstellbar.

    Mir selbst ist diese Thematik in der Literatur ein wenig vertraut und denke dabei an Haruki Murakami, an Isabel Allende, die sehr oft den magischen Realismus in ihren Büchern haben einfließen lassen.

    Doch auch hier bei uns hat der altbekannte deutsche Autor namens Herrmann Hesse sich mit diesen Themen literarisch befasst, und man diese in seinen Büchern Siddharta und Das Glasperlenspiel wieder findet. Mir haben diese Bücher auch sehr gut gefallen. Wobei seine Thematik sich eher um den Sinn des Lebens dreht, aber immer in Verbindung mit dieser außersinnlichen Welt.

    Er setzte sich mit den größten Weltreligionen auseinander, und fand seinen Frieden im Buddhistischen und im Hinduistischen, die verglichen zu anderen Religionen die spirituelle und die irdische Welt in ihren Alltag miteinbeziehen würden. Ich erinnere mich, dass er schrieb; der Mensch müsse sich eine Brücke bauen, damit er durch diese beiden Welten ein und aus gehen könne, auch, damit sie ihnen vertraut und nicht mehr fremd erscheinen würden …

    Zurück zum Buch, so gebe ich erneut den Klappentext rein:

    >>Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten ist Sayoko nicht mehr sie selbst. Sie hat das Zwischenreich der Geister betreten und Geheimnisse der unsichtbaren Welt erfahren. In der Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewiss­heiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, ob man jung ist oder alt. Aber sie begreift auch, wie einmalig und geheimnisvoll das Diesseits ist.<<

    Durch den Verkehrsunfall, den die junge Protagonistin Sayo zusammen mit ihrem Freund hatte, erlitt sie sehr schwere Verletzungen und wurde dadurch in ein Nahtoderlebnis versetzt, sodass sie sich zwischen diesseits und jenseits bewegte. Sie konnte wieder reanimiert werden, während bei ihrem Freund die Verletzungen tödlich endeten.
    Durch das Nahtoderlebnis entwickelt Sayo eine übersinnliche Gabe und ist in der Lage, den Geist verstorbener Menschen zu sehen. In Japan ist das nichts, wofür man sich verstecken müsste, so scheint mir in dem Buch. Es liest sich wie eine Selbstverständlichkeit. Das mache ich an einer Szene fest, als Sayo vor einem fremden Haus steht, und sie eine Frau am Fenster stehen sieht. Sie wusste sofort, dass diese Frau ein Geist ist, als ein junger Mann aus dem Haus kam und er Sayo die Frage stellte:

    >>Sehen Sie etwa meine Mutter?<<; fragte er gar nicht verwundert. (2016, 67)

    Sayo kann ganz offen über ihre Geistererscheinungen sprechen. Auch an anderen Orten, nicht nur hier an dem Haus.
    Außerdem nahm Sayo nach dem Unfall ihr Leben viel intensiver wahr und war dankbar für ihr wiedererworbenes Leben, wobei sie in tiefer Trauer steckt, und sich innerlich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen muss, weshalb nicht sie gestorben sei, sondern ihr Partner, der von Beruf Künstler ist und seine ganzen Kunststücke der Nachwelt hinterlassen hat. Die Eltern des Verstorbenen vermachen alles Sayo, die für sie wie eine Schwiegertochter ist. Die Beziehung zwischen Sayo und den Schwiegereltern hat mich sehr angesprochen und tief berührt.

    Sayo besuchte einige Kneipen, denn gerade weil mich niemand behelligt und ich in Ruhe trinken konnte, nahm ich ab und zu unerwartete Dinge wahr.
    Allein war man wacher, aufmerksamer als zu zweit. Es ist, als hätte man Augen auf dem Rücken und als könnten nur diese Augen gewisse Dinge sehen. Wenn man mit Freunden ausgeht und lacht und schwatzt, übersieht man sie eben – die geheimen Regungen des Herzens, die sich in kleinen unscheinbaren Zeichen äußern.
    Der Unfall und der Verlust ihres Freundes machten sie zu einem sehr weisen Menschen. Gedanken zu dem Tod:

    Zitat:
    >>Der Tod nimmt nicht mit dem Alter zu. Er ist immer bei dir. Ganz nah. Nur das Denken an den Tod nimmt zu und nagt an der Illusion, vor dem Unausweichlichen noch eine Weile sicher zu sein. <<(105)

    Die Bekanntschaft mit Ataro fand ich sehr interessant, da Sayo und er sie durch einen Todesverlust eines geliebten Menschen freundschaftlich eint. Sayo genießt die Beziehung zu diesem jungen Mann. Ataro ist männerorientiert, sodass beide ganz entspannt diese Freundschaft eingehen können, ohne sexuelle Gefühle füreinander zu empfinden.

    Mein Fazit zu dem Buch?

    Ich finde, der Autorin ist es sehr gut gelungen, diese schwierigen okkulten Themen mit in ihr Buch einzubauen, ohne dass sie kitschig oder gar sentimental wirken. Daher ist der Buchtitel Lebensgeister recht gut getroffen. Ich habe als Externe dieser vorliegenden literarischen Lebenswelt alles sehr authentisch miterlebt. Sayo hat nämlich ihre eigene Art, mit dieser Hellsichtigkeit umzugehen:

    Zitat:
    Ob es Geister gibt oder nicht, ob man sie sehen kann oder nicht, ob sie lebendig sind oder tot – diese Fragen waren mir gleichgültig. Es ist wie eine Halluzination. Es gibt hier nämlich alles. Doch die Menschen ziehen gerne Grenzen. (146)

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  1. Melancholisch, traumhaft, leicht

    Inhalt
    Am Beginn des Romans - ein Autounfall:

    "Als ich die Eisenstange bemerkte, wie sie da in meinem Bauch steckte, dachte ich; Verdammt, das sieht nicht gut aus...Ich werde sterben." (S.9)

    Doch während die junge Japanerin Sayoko überlebt, stirbt ihr Freund Yoichi. Ein Schlag, den sie nur sehr schwer verkraftet. Im Todeskampfes wünscht sie sich, er möge überleben. Doch sie ist es, die am Leben bleibt, nachdem sie eine intensive Erfahrung an der Schwelle des Todes erlebt. Ihr verstorbener Hund wartet an einer Art Regenbogen auf sie, um sie auf die andere Seite zu geleiten. Doch ihr "Hippi-Opa", ebenfalls gestorben, holt sie auf seiner Harley ins Leben zurückgeholt:

    "Dass Leben und Tod im selben Raum beieinander wohnen, dass nur ein Haar sie voneinander trennt - daran hatte ich nie gedacht, damals. An Opas Rücken geschmiegt, gingen mir all diese Gedanken durch den Kopf, und irgendwann verlor ich das Bewusstsein." (S.18)

    Ein fantastisch anmutende Nahtoderfahrung, die Sayoko prägt und an die so oftmals zurückdenkt.
    Nachdem ihre Wunden verheilt sind, kümmert sie sich um den Nachlass ihres Freundes, der ein bekannter Künstler gewesen ist und hält den Kontakt zu seinen Eltern. Da sie selbst dem Tod so nahe gewesen ist, kann sie Geister sehen, Verstorbene, deren "Hüllen" noch auf der Erde verweilen. Etwas, was niemanden in diesem traumhaften Roman verwundert. So lernt sie einen jungen Mann in Tokio kennen, der das Haus seiner verstorbenen Mutter besucht und dort einzieht. Sayoko ist in der Lage, die früh verstorbene Frau zu sehen und freundet sich mit Ataro an.
    Gemeinsam mit ihm besucht die verwunschenen Plätze Kyotos, dort, wo sie gemeinsam mit Yoichi gewesen ist und findet ganz allmählich ins Leben zurück.

    Bewertung
    Ein sehr leiser und stiller Roman, der die Erfahrungen des Todes und die Trauer um einen geliebten Menschen auf sehr melancholische Art und Weise schildert und zugleich ein Liebeserklärung an Kyoto ist, das sehr liebevoll beschrieben wird. Der Tod ist allgegenwärtig und ein Teil des Lebens.

    Trotzdem bin ich mit diesem Roman nicht warm geworden, und das lag nicht an der seltsamen Fähigkeit der Protagonistin die Geister der Verstorbenen wahrzunehmen oder an der geschilderten Nahtoderfahrung. Der Roman, aus der Ich-Perspektive Sayokos" erzählt, ist sehr assoziativ. Es wird zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und hergesprungen - zwischen Träumen, der Todeserfahrung und der Realität. Alles wird ständig von der Ich-Erzählerin reflektiert - kaum eine Szene wirklich im Detail erzählt, so dass ich als Leserin nicht in die Geschichte hinein gekommen bin, die Situationen nicht erlebbar werden. Erst ganz am Ende, beim Spaziergang durch Kyoto.
    Es mag auch an der für mich unbekannten Kultur Japans liegen, mit der ich mich bis jetzt kaum beschäftigt habe. Vielleicht liegt es auch daran, dass mir die Orte fremd sind und sich beim Lesen keine Bilder in meinem Kopf eingestellt haben.
    Ich bin etwas ratlos, denn am Thema liegt es sicherlich nicht, vielleicht an der Sprache. Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht zu dieser jungen Frau passt, die ihre "Lebensweisheiten" transportieren will.

    "Jeder trägt im Leben seine kleine oder größere Bürde. Menschen, die ein dickes Fell haben und alles auf die leichte Schulter nehmen, erkennt man auf den ersten Blick, sie erinnert mich ein wenig an Roboter. Menschen dagegen, die ihre Bürde angenommen haben, strahlen Schönheit aus, sie sind feinfühlig und gewissenhaft." (S.45)

    Vielleicht sind es auch die Worte wie Seele, Herz, Gefühle, die inflationär gebraucht werden und die scheinbar gewichtigen Aussagen, die mich nicht berührt haben:

    "Aus meinem Innersten sprudelten Gefühle klar und rein wie Kohlensäurebläschen, und mir war, als verginge die ganze Traurigkeit, die Herz, Blick und Verstand getrübt hatte." (S.98)

    "Der angebrochene Traum schwebte noch immer im Raum, er glänzte und glitzerte wie ein Glassplitter. Es fühlte sich an, als würde meine Seele daraus Kraft schöpfen." (S.99)

    Und die kurzen Sätze, die zwar zu dem Assoziativen passen, aber den Lesefluss hemmen.

    Letztlich wird vieles zusammengekommen sein, warum mich der Roman nicht angesprochen hat.

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  1. Zwischenwelten

    Bei einem Autounfall stirbt Yoichi und seine Freundin Sayoko wird schwer verletzt. Sie erlebt eine ausgeprägte Nahtoderfahrung, von der sie leicht und voll Freude berichtet: "Wohin ich auch schaute - überall glitzerte und funkelte es, ich fühlte mich so wohl und so leicht, dass ich am liebsten immerfort vor mich hin geträllert hätte." Sie sieht ihren Großvater und der schickt sie ins Leben zurück. Dort muss sie mit dem Verlust ihres Liebsten klarkommen. Eine große Hilfe sind ihr dabei seine Eltern, die sie wie eine Tochter stützen und aufnehmen.

    Aber der Unfall und die Nahtoderfahrung hat Sayoko verändert, sie ist der Zwischenwelt nahegekommen und ihre Sinne wurden geschärft. Sie kann Tote sehen und diese Geisterwelt ist für sie überhaupt nicht bedrohlich. Auch lebt Sayoko ganz im hier und jetzt. Sie erzählt nur realistisch von einer weiteren Dimension der Wahrnehmung.

    Dieser kurze Roman, fast nur eine Novelle, hat eine sensible, beinahe melancholische Sprache. Yashimoto setzt sich sehr oft in ihren Büchern mit dem Tod und mit übernatürlichen Phänomenen auseinander. Hier verknüpft sie die beiden Themen in einer melancholischen, aber trotzdem mit leichtem Ton geschriebenen Erzählung.

    Mit dem zarten Cover – frische Blatttriebe über die watteweiße Flocken schweben – hat der Diogenes Verlag eine adäquate Ausstattung gefunden.

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