Landpartie

Buchseite und Rezensionen zu 'Landpartie' von Gary Shteyngart
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4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Landpartie"

Es ist März 2020, und eine uns wohlvertraute Katastrophe zieht am Horizont auf. In einem idyllischen Landhaus außerhalb von New York versammelt der russischstämmige Schriftsteller Sasha Senderovsky eine illustre Gruppe alter Freunde und loser Bekanntschaften, um die Pandemie bei gutem Essen und anregenden Gesprächen auszusitzen. Über die nächsten Monate wachsen neue Freund- und Liebschaften, während sich längst vergessen geglaubte Kränkungen mit frischer Kraft manifestieren. Doch mit der Ankunft eines mythenumwobenen Hollywoodstars gerät das mühsam konstruierte Gleichgewicht dieser Wahlfamilie gefährlich ins Wanken ... Eine ungemein zeitgenössische Geschichte, erzählt mit der Haltung eines großen Romanciers: Shteyngart dokumentiert die singuläre Gefühls- und Erlebniswelt des Jahres 2020 und verpackt sie in einen süffig-intelligenten Roman, der Erinnerungen an Boccaccios »Dekameron« und die großen Klassiker der russischen Literatur durchscheinen lässt – versetzt ins Amerika der Gegenwart.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
EAN:9783328602453

Rezensionen zu "Landpartie"

  1. Landpartie mal anders

    Klappentext:

    „Es ist März 2020, und eine uns wohlvertraute Katastrophe zieht am Horizont auf. In einem idyllischen Landhaus außerhalb von New York versammelt der russischstämmige Schriftsteller Sasha Senderovsky eine illustre Gruppe alter Freunde und loser Bekanntschaften, um die Pandemie bei gutem Essen und anregenden Gesprächen auszusitzen. Über die nächsten Monate wachsen neue Freund- und Liebschaften, während sich längst vergessen geglaubte Kränkungen mit frischer Kraft manifestieren. Doch mit der Ankunft eines mythenumwobenen Hollywoodstars gerät das mühsam konstruierte Gleichgewicht dieser Wahlfamilie gefährlich ins Wanken“

    Ein Roman zum aktuellen Pandemie-Thema. In „Landpartie“ nimmt uns Gary Shteyngart mit aufs Land aber nicht zu der Landpartie die Sie jetzt im Hinterkopf haben. Wir sind gleich zu Beginn des Buches mitten im Thema und fühlen uns vertraut damit, da wir alle diese Zeit der Lockdowns durchgemacht haben. Innere Sehnsüchte kamen hoch sich mit Freunden zu treffen aber viele waren eben einfach gehemmt und trauten sich nicht. Hauptprotagonist Sasha sah das anders und lud Freunde ein zum Beisammensein. Es gab so einige Parts bei denen man wirklich herzhaft lachen oder auch nur schmunzeln konnte, andere wiederum ließen einen kalt bzw. Gänsehaut kam hoch, da wir doch alle genau dies eben erleben mussten. Jeder wird es anders verarbeiten aber hier sind wir sozusagen live dabei. Wir sehen hier als Leserschaft die Entwicklung dieser Menschen mit allem was dazu gehört. Erstaunt war ich an vielen Stellen mit welcher Auffassungsgabe hier der Autor arbeitet, aber es gab auch Stellen die mich ermüdend und etwas leer zurück ließen. Zudem muss man aufpassen das Corona hier nicht auch noch Buch zur Waffe gegen das eigene Ich wird. Schwierige Gratwanderung in jeglicher Situation! So manches erinnert an Geschichten von damals als sich Künstler aller Art trafen und Partys gefeiert wurden. Ich erinnere da an Kahlo, Hemingway, Fitzgerald und Co.. Auch da war nicht alles Gold was glänzte und die fröhliche Stimmung war manches Mal eher Schein als Sein - hier ist es nicht anders. Sasha trägt seinen Rucksack genau wie alle anderen Personen in der Geschichte. Der ominöse Filmstar soll wohl das Gaspedal für die Story sein und tatsächlich kommt viel ins rollen auf dieser Landpartie. Zu viel für meine Begriffe. Corona ist eigentlich schon an Thema genug, da muss nicht noch etwas anderes als Aufhänger oder Mitläufer eingebaut werden. Kurzum: die Geschichte ist gut und zum Thema Corona eben wirklich gut lesbar, aber die Mischung war mir etwas zu überdreht. 3 von 5 Sterne.

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  1. 4
    16. Jul 2022 

    Ein Land voller erfolgreicher Versager

    In Gary Shteyngarts amerikanischer Gesellschaftssatire „Landpartie" geht es um Diskriminierung, Snobismus, Corona und alte „Freundschaften“ bzw. das, was dafür gehalten wird.
    Eine Gruppe alter Freunde und loser Bekanntschaften begibt sich mit Ausbruch der C- Seuche in die Isolation... sorry - Quasi-Isolation. Denn mit den Entbehrungen, die eine Isolation mit sich bringt, hat das Leben, das die ausgewählte Gruppe von jetzt an führen wird, wenig zu tun.
    Alle Mitglieder dieser Gruppe sind Amerikaner, die Meisten von ihnen sind in jungen Jahren mit ihren Familien nach Amerika eingewandert.
    Gastgeber dieser Einheit sind Sasha Senderovsky und seine Frau Masha, ein russischstämmiges Ehepaar. Er ist Schriftsteller und Professor im Ruhestand, sie ist Psychiaterin. Zu ihrem Freundeskreis – eher zu seinem als zu ihrem – gehören
    Karen Cho (koreanische Wurzeln), die als Erfinderin einer bekannten Dating App in Amerika zu Ruhm und Reichtum gekommen ist;
    Ed Kim, ebenfalls koreanische Wurzeln, von Beruf „Globetrotter“ und „Gentleman aus reicher Familie“ sowie
    Vinod (indisch-stämmig), der seine berufliche Karriere in Amerika als Professor begonnen hat und nun als Koch arbeitet.
    Dann gibt es noch Natasha, das einzige Kind in dieser illustren Gesellschaft und koreanische Adoptivtochter der Gastgeber Sasha und Masha.
    Die Gruppe machen zwei Bekannte Sasha‘s komplett: Dee Cameron, Autorin und ehemalige Studentin von Sasha sowie ein blendend aussehender Schauspieler, mit dem zweifelhaften Ruf, der „größte Mime der Welt“ zu sein (womit sicher nicht seine Körpergröße gemeint ist). Sowohl Dee als auch der Mime sind übrigens in Amerika geboren, was sie zu den Exoten in der Gruppe macht.

    „,… Wir tun so, als wären wir hier ungeheuer divers. … Aber ich muss trotzdem fragen: Wo sind die Schwarzen an diesem Tisch? Wo sind die Schwulen? Die Nicht-Cisgender?‘“

    Die Isolation findet auf Sashas und Mashas schickem Anwesen auf dem Lande statt, die nächste Stadt scheint nicht weit entfernt zu sein. Die Versorgung ist dank diverser Einkaufsmöglichkeiten im Umkreis gesichert. Die Internetverbindung könnte zwar besser sein. Aber nun ja, man kann nicht alles haben.
    Was macht man den lieben langen Tag in der Isolation? Das, was viele in einem Urlaub auch machen würde: Chillen, essen, trinken, die Beine vertreten, Drogen?, Sex, gepflegte Gespräche mit kultivierten Menschen führen. Mit der Zeit werden allerdings innerhalb der Gruppe die Gespräche weniger gepflegt und die Menschen weniger kultiviert. Existierende Verbindungen werden aufgelöst und neue Verbindungen werden geknüpft. Der Isolationsalltag wird zum Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel innerhalb der Gruppe. Und die Seuche, vor der sich alle schützen wollten, scheint nicht die einzige Bedrohung zu sein. Denn die eigentliche Gefahr kommt von ganz anderer Seite. Die Gruppe wird mehrere Monate miteinander verbringen und am Ende wird nichts mehr sein, wie es früher einmal war.

    „, … Dieses Land ist voller erfolgreicher Versager. …‘“

    Gary Shteyngart hat mit „Landpartie" einen satirischen Roman über die moderne amerikanische Gesellschaft geschrieben, der durch das Zusammenspiel seiner außergewöhnlichen Charaktere besticht, wobei sich nur die Charaktere selbst als außergewöhnlich betrachten und auch kaum eine Gelegenheit auslassen, dies zu betonen. Bei näherem Hinsehen wird der Leser jedoch feststellen, dass unter der versnobten Oberflächlichkeit dieser Menschen große Schwächen zu Tage treten, von denen die Charaktere selbst nichts wissen wollen, die jedoch umso mehr durch Gary Shteyngarts humorvolle Erzählweise und einer gehörigen Portion Slaptstick hervorgehoben werden. Der Roman erinnert dabei an ein Theaterstück, denn ähnlich eines Dramas hat Shteyngart seinen Roman in Aufzug 1 bis 4 unterteilt. Und Drama findet im Miteinander der Protagonisten definitiv statt, wenn auch eher komisch als tragisch.

    „Während das Quecksilber der Spitze des Thermometers zustrebte, feierte die Nation mit einem nicht nachlassenden Gefühl des Entsetzens ihren Geburtstag. In anderen Teilen des Landes stapelten sich die Leichen. Die Kühllaster fuhren nach Süden und Westen. Es wurde deutlich, dass der Präsident des Landes seine Macht vielleicht niemals freiwillig abtreten würde, …“

    Häufig vergisst man während der Lektüre dieses Romans die eigentliche Ursache für die selbstgewählte Isolation der Freunde: die Corona Pandemie, zu sehr ist man mit den zwischenmenschlichen Turbulenzen der Charaktere beschäftigt. Umso mehr wird man von den Momenten überrascht, die den Leser und die Protagonisten in die Corona-Wirklichkeit zurückholen. Diese Momente werden Bestandteil dieser Komödie, rücken aber nicht die Seuche in die Nähe der Lächerlichkeit sondern manche übervorsichtige und unsinnige Maßnahme im Umgang damit.
    Ich hatte auf jeden Fall Spaß, auch wenn der Roman zum Ende hin ein paar Längen bekommt. Ein paar Schleifen weniger in den Paarläufen der Charaktere hätten dem Roman sicher nicht geschadet.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. 5
    18. Jun 2022 

    Tiefgründige Satire auf höchstem Sprachniveau

    Gary Steyngart hat bekanntlich keine Angst vor schrillen Tönen. Ob aber Satire und Pandemie zusammengehen, war ich mir unsicher. Allerdings amüsierte mich schon die Namensgebung der Protagonisten – Sascha, Mascha und Natascha - und so bin ich ebenso skeptisch wie neugierig in seinen neuen Roman eingestiegen.

    Dessen Hauptfigur, Sascha Senderowsky, erwies sich tatsächlich als so schrullig-anstrengend wie erwartet, zeigt aber - ich schätze Selbstironie - viele biographische Parallelen zum Autor: Russisch-jüdischer Immigrant, erfolgreicher Autor, Besitzer eines Anwesens Upstate NY. Weiteres Romanpersonal: Seine Frau Mascha, Psychiaterin; seine ängstliche Tochter Nat(ascha) und dazu drei Schulfreunde: Ed, ein koreanischer Dandy; Vinod, Inder, ehemaliger Uni-Dozent; Karen, Koreanerin, reich durch eine Dating App. Dann noch Southern Belle und Essayistin Dee Cameron (ein Schelm, der hier Decamerone liest) und als übergroße Figur „Der Schauspieler“, ein Mann von monströsem Ego und gottgleicher Schönheit.

    Sie alle sind von Sascha eingeladen worden, die Pandemie, die 2020 New York in ihrem tödlichen Griff hält, auf seinem Anwesen im Hudson-Tal auszusitzen, das er aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ständig zu verlieren droht. Das Setting erinnert nicht ganz zufällig an Tschechows „Kirschgarten“. Folgerichtig entwickelt der Roman sich in vier „Aufzug“ genannten Teilen. (Bei so viel Tschechow sucht man unwillkürlich nach dem Gewehr. Hinweis: Es gibt eins. Nur hat es nicht die Gestalt einer Waffe.)

    Der Autor wirft einen kritischen Blick auf erfolgreiche Immigranten, wie er selbst einer ist (eine der vielen klugen gesellschaftlichen Reflektionen des Buches): Sascha und seine Gäste fragen sich nach der Ermordung George Floyds, ob sie wirklich Teil einer besseren Welt geworden sind: „Wir alle […] stehen einer Ordnung zu Diensten, die schon lange vor uns bestanden hat. Wir sind gekommen, um uns an diesem Land der Knechtschaft gütlich zu tun.“ Und natürlich geht es auch um das Privileg, in diesem Upstate-Paradies der Hölle des pandemischen New York entflohen zu sein, darum, unter kulinarischen Genüssen nostalgische Narrative neu zu verhandeln, während es 90 Autominuten entfernt um Leben und Tod geht. So pointiert und witzig, manchmal bis ins Burleske, der Autor die Interaktionen, Liebeleien, Streitereien, die Erotik, die Lügen und den gegenseitigen Verrat seiner Figuren auch in Szene setzt, so setzt er gleichzeitig einen melancholischen Unterton, der an russische Klassiker erinnert. Das Unfassbare, das in New York oder Minneapolis gerade geschieht, bleibt stets präsent, in einer meisterlich gehaltenen Balance.

    Währenddessen fühlt sich die Gruppe auf dem Land zunehmend unsicher. Was sind das für Leute, die in schwarzen Pickups vor dem Grundstück stehen? Sind die Trump-wählenden Nachbarn der Gemeinschaft wohlgesonnen? Wer feuert ständig, trotz Schonzeit, Schüsse ab? Gefahr lässt Shteyngart jedoch aus einer ganz anderen Richtung kommen: Niemand ist gegen die Macht der Social Media gefeit. Auch die Urgewalt der Liebe ist durch sie korrumpiert – wie Karens desaströse App beweisen wird. Shteyngarts Roman fragt: Wie relevant sind die traditionell Kulturschaffenden im Kontext dieser disruptiven Technologie?

    Neben seinen kritischen Reflektionen hat mich vor allem Shteyngarts Sprachkunst beeindruckt. Seine Sprache ist originell, kühn, ironisch, fantasievoll, lyrisch. Sein Blick ist ebenso scharf wie mitfühlend, etwa wenn er aus Nataschas Perspektive konstatiert: „Das Leben mit Daddy war eine fortwährende Begegnung mit einem Gänseblümchen: Er liebte sie, er liebte sie nicht.“ Man könnte sich ständig Zitate herausschreiben; nur käme man dann nicht mehr zum zusammenhängenden Lesen. So habe ich all die klugen Sätze einfach nur genossen. Dazu lebendige Figuren und ein Setting, das man zu sehen meint. Ich könnte mir das Ganze sehr gut als Serie verfilmt vorstellen.

    Fazit: Shteyngart ist sicher nicht jedermanns Geschmack. Aber wer sich auf ihn einlassen kann, bekommt tiefgründige Satire auf sprachlichem Höchstniveau. Empfehlung!

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