Krass

Buchseite und Rezensionen zu 'Krass' von Martin Mosebach
3.35
3.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Krass"

Ralph Krass – so heißt ein verschwenderisch großzügiger Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder träumt er hemmungslos? Er will sich seine Gesellschaft kaufen, immer nur selbst der Schenkende sein. Als in Neapel Lidewine in seinen Kreis tritt – eben noch die Assistentin eines Zauberers, eine junge Abenteurerin –, bietet er ihr einen ungewöhnlichen Pakt an. Beobachtet wird das Ganze von seinem Sekretär, dem Pechvogel Dr. Jüngel, mit einem Blick voll Neid und Eifersucht. Aber erst nachdem die Gesellschaft von Herrn Krass durch einen Eklat auseinandergeflogen ist, gelingt es ihm, an seinem Zufluchtsort in der französischen Provinz, die Mosaiksteine des Geschehenen zu einem Bild zu ordnen – während Menschen wie der stumme Kuhhirte Toussaint, der Schuster Desfosses und Madame Lemoine mit ihren Wellensittichen ihm eine Ahnung davon vermitteln, wie alles mit allem rätselhaft zusammenhängt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:528
EAN:9783498045418

Rezensionen zu "Krass"

  1. Zwischen Inhalt und Stil liegen Welten

    Leider war dieser Roman nichts für mich. Angepriesen wurde dieses Buch mit einer herausragenden Sprache, das trifft auch in weiten Teilen zu, aber was nützt mir eine tolle Sprache ohne Inhalt.
    Das Buch handelt von Ralph Krass, einem Narzisst, der es sich aufgrund seines verschwenderischen Reichtums leisten kann seine Umwelt und seine Wegbegleiter zu richten bzw. abzurichten, wie es ihm gefällt. Ich glaube ich habe noch nie ein Buch gelesen mit einem derart unsympathischen Hauptcharakter. Da ich solche Menschen auch im realen Leben zum Kotzen finde, möchte ich auch keine wertvolle Lesezeit mit derartigen Persönlichkeiten verbringen. Noch dazu sind die Nachrichten voll von Leuten, die glauben, sich alles richten zu können. Egal ob reich oder nur Möchtegernzampanos.
    Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Teil eins spielt im Neapel 1988. Krass zieht mit seiner Gefolgschaft von einem Restaurant zum nächsten. Liefert seinen Wegbegleitern Brot und Spiele und frisst sich mit seinen Parasiten durch die italienischen Speisekarten.
    Ab dem zweiten Teil habe ich die Aufmerksamkeit verloren und von der Geschichte ist mir so gut wie nichts mehr im Gedächtnis geblieben. Der zweite Teil handelt von Krass´ ehemaligen Mitarbeiter Jüngel, der nach der Trennung von seiner Frau auf einer Art Selbstfindungstrip ist.
    Im dritten Teil gibt es einen Zeitsprung von 20 Jahren. In Kairo treffen die Hauptprotagonisten wieder aufeinander. Aufgrund des zweiten Abschnitts war hier für mich nichts mehr zu holen.
    Ich finde es extrem schade. Der Schreibstil ist zum Teil wirklich herausragend, aber die Geschichte kommt in keiner Phase an die Sprache ran. Zwischen Inhalt und Stil liegen einfach Welten. Für mich wirkte das Buch wie eine Schreibübung des Autors, ohne inhaltlichen Anspruch.
    Man findet Wörter wie „Sopha“, „Telephon“ etc. Warum man so erpicht auf diese Schreibweise ist, erschließt sich mir auch nicht ganz. Den Hype, der für dieses Buch veranstaltet wurde und wird, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.

    Teilen
  1. Außergewöhnliche Lektüre

    Mit „Krass“ hat der deutsche Autor und Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach einen äußerst opulenten und sprachgewaltigen Roman vorgelegt, in dessen Mittelpunkt der titelgebende, sehr ambivalente Protagonist „Ralph Krass“ steht. Sehr versiert und mit erstaunlich aktuellen Bezügen entwirft Mosebach in seinem dreiteilig angelegten Roman ein faszinierendes Portrait eines für seine Zeit typischen machtgierigen Patriarchen und Vertreter des Stereotyps „Alter Weißer Mann“ und lässt uns schließlich an seinem Niedergang teilhaben.
    Die drei unterschiedlichen Teile spielen auf drei Zeitebenen in den Jahren 1988, 1989 und 2008 und sind angesiedelt in drei Ländern, so dass wir den Figuren von Neapel über ein Provinzkaff in Frankreich bis nach Kairo folgen, wo schließlich das etwas surreal anmutende Finale mit Krass sowie Lidewine und Jüngel stattfindet. Dem Aufbau einer klassischen Sonate folgend sind die drei stimmungsmäßig sehr verschieden gelagerte Teile entsprechend mit Allegro imbarazzante, Andante pensieroso und Marcia funebre betitelt.
    Anfangs musste ich mich erst in Mosebachs eleganten, etwas altmodisch wirkenden Erzählstil und seine sehr differenzierte, anschauliche Sprache hineinfinden, doch schon bald war ich von der Lebendigkeit und Vielfältigkeit seiner Bilder und Beschreibungen sowie der sehr prägnanten Schilderung seiner Charaktere fasziniert. Es ist eine vielschichtige, recht undurchsichtige Geschichte mit vielen Nebenfiguren, Verweisen und Verflechtungen, die mich zunehmend in ihren Bann gezogen hat. Zuweilen aus Sicht eines allwissenden Erzählers, meist aber auch der Perspektive von Krass` devoten Adlatus und rechter Hand Dr. Jüngel lernen wir den verschwenderischen, skrupellosen Machtmenschen und dubiosen Geschäftemacher Ralph Krass mit seinem großkotzigen Hang zur Dekadenz zu seiner „Blütezeit“ inmitten seiner illustren Entourage kennen, deren Gesellschaft er sich gönnerhaft erkauft hat.
    Facettenreich und mit vielen spannenden Leerstellen skizziert Mosebach seine sehr unsympathische, aber hochinteressante Hauptfigur, von der man recht schnell ein lebendiges Bild vor Augen hat und unwillkürlich auch Parallelen in lebenden Vertretern seiner Spezies findet. Sehr gelungen sind auch die Einsichten in die Gefühls- und Gedankenwelt der verschiedenen Figuren, die Krass umkreisen, ihre ambivalenten Beziehungen zueinander und die aufschlussreichen Schilderungen der sich allmählich einstellenden Machtverhältnisse – ein äußerst faszinierendes und sehr entlarvendes Panoptikum hat Mosebach hier sehr prägnant eingefangen. Gefesselt verfolgt man im ersten Teil die sich zunehmend verselbstständigende Dynamik und amüsiert sich über die junge selbstbewusste und unerschrockene Lidewine, die sich ihre ganz eigenen Spielregeln im Umgang mit Krass herausnimmt. Im zweiten Teil lernen wir nun den mittlerweile abgestürzten Unglücksvogel Dr. Jüngel in einer tiefen Sinnkrise und mit all seinem Selbstmitleid über seine ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen kennen, doch zugleich bekommt die Geschichte durch sehr überraschende wie rätselhafte Enthüllungen über Krass auch einen ganz neuen Dreh und liefert sehr aufschlussreiche neue Zusammenhänge.
    Im letzten Teil, dem Trauermarsch, spitzt sich die Handlung im morbid-apokalyptischen Setting des flirrenden Kairo, wo sich die drei Schlüsselfiguren -Lidewine als Galeristin, Dr. Jüngel als Professor für Urbanistik und Krass - in veränderter Rollenkonstellation zufällig wieder begegnen, immer mehr zu und lässt uns schließlich den kläglichen Untergang des einst so mächtigen Titelhelden miterleben.

    FAZIT
    Ein opulenter, tiefgründiger und beeindruckender Roman über einen überaus unsympathischen Machtmenschen und seinen unabwendbaren Untergang.
    Raffiniert und sehr atmosphärisch erzählt, mit faszinierenden Charakteren und bildgewaltigen Beschreibungen – allerdings recht anspruchsvoll und etwas überladen geschrieben!

    Teilen
  1. Ein Name ist Programm

    Der Roman setzt sich aus drei Teilen, die mit musikalischen Vortragsbezeichnungen überschrieben sind, zusammen. Im ersten Teil, dem „Allegro imbarazzante“, lernt man eine außergewöhnliche Reisegesellschaft in Neapel kennen. Die Gruppe schart sich um den Geschäftsmann Ralph Krass, dessen Name Programm ist. Mit imposanter Statur, Durchsetzungsstärke, scheinbar unbegrenztem Reichtum und ebensolcher Gastfreundschaft strahlt er Dominanz und Härte aus. Frisch eingestellt wurde Doktor Jüngel, ein unerfahrener, beflissener Akademiker, der das Reiseprogramm organisiert und sämtliche Kosten begleicht: „Zu Beginn von Jüngels Tätigkeit in Neapel hatte er (Krass) ihm im Hotelzimmer einen Aktenkoffer übergeben, der mit Bargeld gefüllt war. „Ich wünsche, dass Sie die Verbindlichkeiten, die Sie in meinem Dienst eingehen, bar abwickeln. Sie notieren die großen Beträge und tragen mir die Summen jeden Morgen vor dem Frühstück vor. Rechnungen brauche ich keine. Ich weiß, was die Dinge kosten.““ (S. 22) Das Wertvollste für Krass ist die Zeit, die gilt es, nicht unnötig zu verschwenden. Krass greift sich, was er möchte, sein Wille ist das Maß der Dinge. So nimmt er überraschend Lidewine Schoonemaker, die Assistentin eines Zauberkünstlers, in seinen Hofstaat auf. Gemäß seiner Vertragsbedingungen wird sie großzügig ausgestattet. Krass genießt die junge Frau an seiner Seite, sexuelle Dienstbarkeiten sind jedoch nicht inklusive – sollte sie intime Beziehungen zu anderen Männern aufnehmen, würde das zur sofortigen Kündigung führen. Lidewine nimmt das Angebot an. Doktor Jüngel ist der Mann für alle Fälle. Er geht mit Lidewine einkaufen, er plant und ändert, liebedienert und bezahlt, er unterhält und übersetzt in verschiedene Sprachen und muss schließlich auch noch ein würdiges Anwesen finden. Jüngel ist stets bemüht, es seinem Chef Recht zu machen, sein Diensteifer grenzt ans Groteske, der subtile sarkastische Humor hat großen Reiz.

    Womit Krass sein Geld genau verdient, wird nur angedeutet. Momentan sind es wohl Waffengeschäfte mit dubiosen Staaten. Das ist auch von untergeordneter Bedeutung. Dieser erste Teil lebt von der zwischenmenschlichen Dynamik und den Charakteren der Reisenden, die die Sehenswürdigkeiten Neapels erkunden, häufig Taxi fahren und immer wieder einen Einkehrschwung nehmen. Krass ist dabei das Zentrum: „Er kann Menschen buchstäblich wegzaubern, unsichtbar machen, mit einem Blick versinkt man in der Bedeutungslosigkeit.“, schreibt Jüngel an seine Verlobte Hella. Krass ist nicht gern allein. Welchen Nutzen er aus den Mitgliedern seiner Entourage zieht, wird ebenfalls nur rudimentär deutlich. Diese Leerstellen wecken aber das Interesse des Lesers, geben zu Spekulationen Anlass. Mosebach ist ein Romancier alter Schule, so streut er Spuren aus und verwendet eine umfassende Symbolik im Kleinen wie im Großen.

    Im mittleren Teil „Andante pensieroso“ wird der Stil komplett gewechselt. Statt einem allwissenden Erzähler wird nun Jüngel allein das Wort erteilt und zwar durch seine Tagebuchaufzeichnungen, die etwa ein Jahr später einsetzen und sich über einen Zeitraum von etwa sechs Wochen hinziehen: „Ein schiffbrüchiger Passagier, der aus dem Strudel des Untergangs eine kleine verlassene Insel schwimmend erreicht hat – ist der eigentlich gerettet? Ich habe meine Lebenskatastrophe hinter mir gelassen, Deutschland den Rücken gekehrt, sitze nun in einem Haus, das nicht mir gehört, in menschenleerem Land.“ (S. 195)

    Jüngel hat nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren, auch seine Frau Hella, der er im ersten Teil noch verliebte Faxe schickte, hat ihn verlassen und sich einem anderen Mann zugewandt. Taten- und mittellos, in Selbstmitleid versunken sieht sich Jüngel als Opfer böser Mächte. Er leckt seine Wunden und telefoniert den beiden Menschen hinterher, die nichts mehr von ihm wissen wollen. Zunächst eine tragische Figur vollzieht sich mit Jüngel jedoch eine Entwicklung, die Reflexionen auf sein Leben sind interessant, zumal er uns an seinen Spaziergängen und Besichtigungen teilhaben lässt. So stellt er bei der Betrachtung einer alten Kirche fest: „ Das Alte kann nicht altmodisch werden, das Alte hat das Warten gelernt. Unablässig sinkt das Modische vor ihm dahin – obwohl es doch Ausdruck des Lebens ist. Als ob die wirkliche Probe der Dauer nur bestehen könnte, was vorher gründlich stirbt.“ (S. 237) Obwohl Jüngel selten Kontakte in der französischen Einöde hat, sind es doch die wenigen Begegnungen mit einfachen Menschen, die ihn beeindrucken und seinem Leben eine neue Richtung geben.

    Der dritte Teil führt als „Marcia funebre“ nach Kairo – rund 20 Jahre sind seit der Reise nach Neapel vergangen. Im Mittelpunkt steht erneut Ralph Krass. Der Autor führt uns durch die staubigen Straßen der Stadt, durch Hotels und Cafes, man kann sich das Ambiente zwischen Prunk und Armut genau vorstellen. Es gibt ein Wiedersehen mit bekannten Figuren und ein würdiges Ende.

    Über weite Strecken hat mich der Roman restlos überzeugt. Die Handlung ist kurzweilig und überraschend. Die Figuren werden vielschichtig gezeichnet. Sie sind außergewöhnlich, haben spezielle Vorlieben und Marotten. Die Gespräche, Episoden, das Zwischenmenschliche und nicht zuletzt der Ort der jeweiligen Handlung werden sehr bildhaft beschrieben. Es wird deutlich, dass Mosebach eine enge Verbindung zu allen drei Schauplätzen hat, sie genauestens kennt. Seine Formulierungskunst sucht ihresgleichen, mir hat der konservative, prägnante Stil sehr gut gefallen (allerdings irritierte mich die alte deutsche Rechtschreibung bei Begriffen wie Sopha oder Telephon).

    „Krass“ ist ein literarisches Buch. Zahlreiche Symbole säumen den Text. Spiegel tauchen auf, Zauberei und Verwandlung, Wasser… Da gibt es viel zu entdecken, Zusammenhänge zu erfassen und Rückschlüsse zu ziehen. Mosebach beschreibt Szenen mit Tieren, die Anlehnung an Fabeln nehmen und für sich schon interpretierbar sind – dazu passt auch das wunderschöne Titelbild mit der sich im Wasser spiegelnden Bachstelze. Auch märchenhafte Elemente finden Eingang in den Roman: Im letzten Teil bekommt das Märchen vom verlorenen Sohn eine neue Ausprägung, da gibt es viele Zufälle… Der Zusammenhang zwischen den drei Teilen – ähnlich einem Musikstück mit mehreren Sätzen – ist relativ lose.

    Für mich war es das erste Buch von Martin Mosebach, von dem ich unbedingt weitere Bücher kennenlernen möchte. Mit 4 von 5 verdienten Sternen empfehle ich den Roman, der sich auch ideal für Lesekreise eignet, gerne weiter.

    Teilen