Kintsugi: Roman

Rezensionen zu "Kintsugi: Roman"

  1. Wenn das Leben Risse bekommt

    !ein Lesehighlight 2022!

    Klappentext:

    „Kintsugi ist das japanische Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten. Diese Tradition lehrt, dass Schönheit nicht in der Perfektion zu finden ist, sondern im guten Umgang mit den Brüchen und Versehrtheiten.

    Es ist Wochenende. Wir sind in einem Haus an einem spätwinterlichen See, das Licht ist hart, die Luft ist schneidend kalt, der gefrorene Boden knirscht unter unseren Füßen. Gerade sind Reik und Max angekommen, sie feiern ihre Liebe, die nun zwanzig ist. Eingeladen sind nur ihr ältester Freund Tonio und seine Tochter Pega, so alt wie die Beziehung von Max und Reik. Sie planen ein ruhiges Wochenende. Doch ruhig bleibt nur der See.

    »Kintsugi« von Miku Sophie Kühmel ist ein flimmernder Roman über die Liebe in all ihren Facetten. Über den Trost, den wir im Unvollkommenen finden. Und darüber, dass es weitergeht. Wie immer geht es weiter.“

    Ich bin durch eine liebe Freundin und Japan-Kennerin auf japanische Literatur aufmerksam gemacht worden und habe dadurch wahrlich eine neue Welt entdeckt. Dafür danke ich ihr bis heute und kann auch bei diesem Buch hier wieder nur sagen: es ist ein wahrer Genuss was ich hier lesen durfte. Einerseits werden wir in die japanische Kunst des Kintsugi eingeweiht. Vermeintlich kaputtes Porzellan wir mit Gold gekittet und zeigt dann trotz dieser sichtbaren Stellen die wiederhaltende Formvollendung selbst. Aus etwas Ganzem wurde Vieles und aus diesem wurde wieder etwas Ganzes gekittet mit Gold. Es scheint fast wie ein Mäander und spiegelt sich dann in Kühmels Geschichte rund um die vier Personen im Buch wieder. Andererseits lesen wir, wie Kintsugi in unser aller Leben eine Rolle spielt. Jedes Leben bekommt Risse.

    Das geplante Wochenende am See verläuft anders als gedacht und der Leser wird hier zarter Zuschauer von Kintsugi. Die Autorin erzählt rückblickend die letzten zwanzig Jahre der vier Personen und schnell wird deutlich, hier gibt es mehr als genug Risse und die wollen, wenn es jeder einzelne von ihnen will, gekittet werden. Die Schönheit besteht hier aus dem Versuch etwas vermeintlich defektes wieder gekonnt in seine alte Form zu bringen. Selbstredend ist das für jeden sehr schwer und es gehört Kraft, Mut und auch der Wille dazu erstmal alles offen anzusprechen, die Risse zu sehen und zu verstehen und eventuell auch diese wieder zu reparieren. Wenn man so will steckt hier sehr viel philosophisches zwischen den Zeilen aber eben auch direkt zu erlesen durch die Technik Kintsugi selbst. Sie denken jetzt, man könne eine Tasse nicht mit einer Beziehung vergleichen? Warum nicht? Jede Tasse ist wertvoll weil sie von Menschenhand geschaffen wurde und zwar genau so wertvoll ist wie eine Beziehung jeglicher Art - es kommt immer auf die Sichtweise an und wie man dies alles für sich selbst schätzt. Man muss die Kunst erlernen auch das Negative zu sehen um es in etwas Positives umwandeln zu können. Hier geht es auch um Sicht auf sich selbst, sich selbst unter die Lupe zu nehmen und eben Positives sowie Negatives kritisch zu beleuchten, denn wenn die Bruchstücke zu viele Teilchen zerborsten sind, hilft auch Kintsugi nicht mehr.

    5 von 5 Sterne für dieses Werk!

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  1. Rückschau eines Beziehungs-Quartetts auf die letzten 20 Jahre

    ‚Scherben bringen Glück‘, lautet ein altes Sprichwort bei uns, in Japan herrscht die Erkenntnis, dass Scherben eine besondere Schönheit innewohnen kann. ‚Kintsugi‘ bedeutet das kunstvolle Zusammenfügen von Keramik- oder Porzellanbruchstücken, die mit Urushi-Lack und pulverisiertem Gold wieder zu einem Ganzen werden. Es geht dabei um die Wahrnehmung eines philosophischen Mehrwerts, den eine bloße Reparatur niemals besäße.

    Und welche ‚Bruchstellen‘ hat – außer der Teetasse - unser Protagonisten-Beziehungs-Quartett, das sein Wochenende in einem Wochenend-Haus am See in der Uckermark verbringt?

    Das ist erstmal das homosexuelle Paar Max und Reik: Max ein bewunderter Archäologie-Professor und Reik ein anerkannter Künstler, sind seit 20 Jahren zusammen. Was am Anfang ihrer Beziehung bestimmt sehr reizvoll war, waren die Unterschiede: Max, ein Feng-Shui-Anhänger, liebt die Ordnung (und seine penible Art lässt mich drauf schließen, dass er außerdem im Sternzeichen der Jungfrau geboren ist) und der chaotische, aber liebenswerte Reik. (Jedoch geschehen die meisten Trennungen erfahrungsgemäß genau aus den Gründen, aus denen man sich auch verliebt hat!)

    Außerdem sind noch Tonio (alleinerziehend von Anfang an) und seine 20-jährige Tochter zu Besuch. Tonio hatte sich die letzten 20 Jahre nur auf Pega konzentriert. Doch jetzt ist sie wegen des Studiums ausgezogen und er hat mit der neuen Situation Probleme. Pega will sich jedoch freistrampeln – sie hat das Gefühl, dass ihr Vater klammert.

    Reik hatte in jungen Jahren einmal eine Beziehung zu Tonio und Pega ist in Max verliebt, seit sie laufen kann.

    An diesem WE kommt viel zur Sprache: ‚Das Haus stellt die Dinge scharf. Wie unter einer Schneekugel. Jedes Ding, jedes Objekt, jede Geste, jede Situation und jeder ausgesprochene Satz bekommt eine Rolle, einen Sinn.‘ (Kapitel ‚Sabi‘, S. 161). Jeder Protagonist erzählt nacheinander seine Sicht auf die 20-jährige Beziehung und auch auf sein Elternhaus. Dazwischen, äußerst geschickt, sind jeweils in Protokollform die aktuellen Situationen aufgeführt.

    Mir gefiel dieser ruhige, aber inhaltsschwere Debüt-Roman ausnehmend gut (und er wird mich noch eine Weile beschäftigen)! Er erzählt von menschlichen Selbstzweifeln und der Unfähigkeit, das Schöne und Positive zu erkennen. (Den Titel ‚Kintsugi‘ fand ich deshalb auch genial gewählt!) Ich vergebe fünf Sterne und empfehle es allen Lesenden, die ein Faible für Beziehungsthemen, für Zwischentöne und Freude am Analysieren haben.

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  1. 3
    14. Nov 2019 

    Wochenendhaus

    Sie sind seit zwanzig Jahren zusammen und das wollen sie feiern. Eher begehen als feiern. Reik und Max fahren ins Wochenendhaus am See, da wo sie sich immer wohl fühlten. Ihre einzigen Gäste sind Tonio und seine Tochter Pega. Sie sind fast wie eine Familie. Im winterlichen Haus entwickelt sich das Festwochenende etwas anders als erhofft. Verborgene Wünsche und Gedanken drängen ans Licht. Eigentlich waren es Tonio und Reik die sich zuerst kannten schon als sie noch Jugendliche waren. Und dann war Max da, der Ruhige, bei dem sich der Künstler Reik ausleben konnte.

    Kintsugi bezeichnet auf Japanisch, die Kunst zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten. Und tatsächlich gibt es in dem Roman eine Teetasse, die auf diese Art repariert wurde und dadurch noch eine zusätzliche Schönheit bekommen hat. Auch die Beziehung von Max und Reik scheint gekittet. Und im Verlauf des Wochenendes offenbart sich, dass die Beziehungen zwischen den drei Männern und dem jungen Mädchen, das sie aufgezogen haben, nicht so glatt und friedlich sind wie es auf den ersten Blick wirkt. Risse durchziehen die Bande zwischen diesen Menschen, die doch so menschlich bleiben. Sie sind schon ein Trupp, Künstler, Professor, Klavierspieler und die junge Studentin.

    Man muss fürs Lesen solch poetischer Beziehungsgeflechte geschaffen sein, um von diesem Roman eingenommen zu werden. Ist man das nicht, verliert sich die Lektüre in den Erzählungen und Gedanken der handelnden Personen. Man vermisst eine wirkliche Handlung. Dennoch kann man die Poesie genießen und der Gedanke an die Teetasse in ihren verschiedenen Daseinsformen hat was. Man beginnt sich zu fragen, ob die Menschen mit ihren Beziehungen ebenso zart umgehen wie mit der Tasse, ob sie sie ebenso hegen und nach Brüchen wieder zusammensetzen. Oder gibt es den Moment, an dem man einfach erkennen muss, dass es vorbei ist. Diese kluge und schöne Idee vermag wohl nicht jeden Leser zu packen, wird vielen aber ein besonderes Leseerlebnis bereiten.

    3,5 Sterne

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