Kind 44

Buchseite und Rezensionen zu 'Kind 44' von Tom Rob Smith
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kind 44"

Moskau 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden, nackt, fürchterlich zugerichtet. Doch in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow jedoch kann die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als der nächste Mord passiert, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln und bringt damit sich und seine Familie in tödliche Gefahr …

Format:Taschenbuch
Seiten:509
Verlag: Goldmann
EAN:9783442472079

Rezensionen zu "Kind 44"

  1. 4
    05. Apr 2017 

    Verbrechensbekämpfung - das eigentliche Vergehen.

    Tom Rob Smith hat mit „Kind 44“ einen Krimi (oder Thriller) geschrieben, der sich deutlich von den üblichen Krimimustern abhebt. Denn ist sonst der Kommissar/die Kommissarin der Held für die Gesellschaft, in dem er oder sie hilft, das Böse zu bekämpfen, wird in seinem Buch Leo Demidow zum gejagten Staatsfeind, gerade weil er Böses aufzudecken versucht und damit dem Staat und der durch ihn bestimmten Gesellschaft vermeintlich die Maske des Guten vom Gesicht zu reißen droht. Diese Konstellation ergibt sich durch die geschichtliche Situation, in die Smith seinen Krimi eingelagert hat: die Sowjetunion zu Stalins Zeiten in den Kreisen des Geheimdienstes. Verfolgung, Denunzierung, Lagerhaft und Verschwinden sind an der Tagesordnung und prägen persönliches Verhalten und menschliche Beziehungen.
    Was sagt der Klappentext?:
    Moskau 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden, nackt, fürchterlich zugerichtet. Aber in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow jedoch kann die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als der nächste Mord passiert, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln und bringt damit sich und seine Familie in tödliche Gefahr….
    Leo muss gegen die Überzeugungen ankämpfen, dass – wenn schon ein Verbrechen in der Sowjetunion geschieht , es höchstens von einem Individuum, das außerhalb der Gesellschaft und den Erziehungsbemühungen des Staates existiert (Perverse, Herumtreiber, Trunkenbolde, unerwünschte Personen), begangen sein kann. Schnell sind von den Aufklärern entsprechende Individuen gefunden. Beweise bzw. Gegenbeweise spielen dabei eine untergeordnete Bedeutung. Doch Leo sieht Zusammenhänge und meint die Spur eines Serienmörders zu erkennen. Und vor dem gilt es, die Gesellschaft und weitere potentielle Mordopfer zu schützen. Und so gerät er in den inneren Konflikt, sich über seine tief greifende Loyalität seinem Staat gegenüber sehr schweren Herzens hinwegsetzen zu müssen.
    „Er hätte sogar die Gulags bei Kolyma in der arktischen Tundra kommandiert, wenn man es ihm befohlen hätte. Sein einziger Ehrgeiz war es, seinem Land zu dienen. Einem Land, das den Faschismus bezwungen hatte, in dem Bildung und das Gesundheitswesen umsonst waren, das die Rechte der Arbeiter in der ganzen Welt verkündete, das seinem Vater, einem Fließbandarbeiter in einer Munitionsfabrik , einen Lohn zahlte, der so hoch wie der eines voll ausgebildeten Arztes war. Obwohl seine Tätigkeit im Staatssicherheitsdienst oft unerquicklich war, sah er deren Notwendigkeit vollkommen ein. Die Notwendigkeit, die Revolution vor ihren aus- und inländischen Feinden zu beschützen, vor Leuten, die sie unterminieren und in den Untergang treiben wollen. Dafür würde Leo notfalls sein Leben opfern. Und auch das Leben anderer.“
    Leo begreift über den Roman hinweg, dass das Eintreten für diesen Staat für ihn auch einen alternativen Weg bedeuten kann. Wie dient er am besten dem Wohl des Ganzen, das ihm so am Herzen liegt? Seine klare Entscheidung: in der Aufklärung des Serienmordes. Dabei ist er und der Leser sich ständig darüber im Klaren, dass Leo im Grunde selbst ein (staatlich eingesetzter) Serienmörder ist, der in seinem Job als Geheimdienstler immer wieder vermeintlich aufgedeckter Spionage oder Umstürzlertum ohne Skrupel ein Ende durch Exekution der „Täter“ gesetzt hat. In dieser Spannung findet der Roman von Smith für mich seine besondere und ihn aus der Masse der Krimis heraushebende Stärke.
    Leo macht sich auf die Suche nach dem Täter durch große Teile des Riesenlandes immer in der Gewissheit totaler Kontrolle durch die Staatsorgane. Er nimmt den Leser mit auf diese gefährliche Reise voller Hindernisse und Überwachung und kommt an dessen Ende zu einer Lösung, die für mich – der schwächste Punkt des Romans - nicht unbedingt die Glaubwürdigste ist.
    Das „Happyend“ findet in einer Zeit nach Stalins Tod statt, in dem die Brutalität und Härte des sowjetischen Staatswesens – zum Glück für Leo – leicht aufzuweichen beginnt. Er bekommt eine neue Chance und die Möglichkeit zur Rehabilitierung, die er ganz im Sinne des von ihm verstandenen Staatswohls nutzen möchte:
    „‘Trotzdem bitte ich um Ihre Erlaubnis, Ihr Angebot auszuschlagen. Stattdessen möchte ich eine Bitte vorbringen.‘ ‚Fahren Sie fort.‘ ‚Ich möchte gern in Moskau ein Morddezernat leiten. Und wenn es so ein Dezernat noch nicht gibt, würde ich es gerne aufbauen.‘
    Fazit:
    Ein Krimi, den ich wegen seinem historisch-gesellschaftlichen Hintergrund auf meine Leseliste gesetzt habe und der mich auf diesem Hintergrund nicht enttäuscht hat. Spannung und historisches Drumherum sind sicher auch für andere Leser etwas, deshalb gebe ich gerne gute 4 Sterne.

    Teilen