Judas: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Judas: Roman' von Amos Oz
5
5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Judas: Roman"

Im Winter 1959/1960 beschließt Schmuel Asch, sein Studium in Jerusalem (Thema der geplanten Abschlussarbeit: Judas in der Perspektive der Juden) abzubrechen. Zum selben Zeitpunkt verlässt ihn seine Freundin, um einen früheren Freund zu heiraten. Dazu kommt, dass seine Eltern sich finanziell ruiniert haben und ihn nicht mehr unterstützen können. Daraufhin will Schmuel Israel verlassen. Er entscheidet sich anders, als er eine Anzeige liest, die ihm ein Auskommen in Jerusalem erlaubt, auch wenn er sich verpflichten muss, von seinem Aufenthalt niemandem zu berichten. Die Anzeige führt ihn ins Haus eines eigentümlichen alten Mannes namens Gerschom Wald. Nachts liest er ihm vor und unterhält sich mit ihm – über die Ideale des Zionismus, über die jüdisch-arabischen Konflikte, kurz: über Gott und die Welt.

Und dort trifft er auf die geheimnisvolle Atalja Abrabanel, deren verstorbener Vater einer der Anführer der zionistischen Bewegung war. Sogleich ist Schmuel gefesselt von der Schönheit und Unnahbarkeit dieser Frau. Nach und nach gelingt es ihm, ihr Geheimnis zu enthüllen – und damit die menschliche Tragödie vor und nach der Gründung Israels im Jahr 1948.

Amos Oz hat einen Liebesroman geschrieben und zugleich ein Buch über das Land und das geteilte Jerusalem – eine Geschichte seinen Landes mit seinen Hoffnungen und seiner Verzweiflung.

Lesern von "Judas: Roman" gefiel auch

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:331
EAN:9783518466704

Rezensionen zu "Judas: Roman"

  1. JUDAS - Das Buch vom Verrat

    Schmuel Asch, ein israelischer Student an der Hebräischen Universität meint sein Studium abbrechen zu müssen, weil seine Eltern auf Grund von Firmenpleite dies nicht mehr unterstützen können. Außerdem hat seine Freundin ihn verlassen. Hinzukommt, dass Schmuel mit seinem Diplomthema nicht mehr weiter kommt, er arbeitet über Jesus aus der Sicht der Juden. Es ist das Jahr 1958 und Jerusalem ist geteilt. Schmuel sucht sich eine Arbeit und eine Bleibe, diese besteht ohne langes Suchen dann gleich in der Tätigkeit als „Betreuer“ eines alten intellektuellen Mannes nebst Logis und ziemlich spartanischer Verpflegung.

    Eingestellt hat ihn Atalja Abrabanel, sie ist die Schwiegertochter des alten Gerschom Wald. Spröde, unnahbar und zwanzig Jahre älter als unser Student. Dessen Aufgabe besteht darin, dem Alten Gesellschaft zu leisten, Abend für Abend diskutieren sie über „Gott und die Welt“. Das passt zur bisherigen Beschäftigung unseres Helden, einen asthmatischen, intellektuellen nicht sehr sportlichen Typ, der allerdings eine immer mehr größere Neugier nach der Frau zeigt, welche mit der Zeit zu etwas „Zuwendung“ ihrerseits führt.

    Das ist die eine Geschichte, die in JUDAS erzählt wird, die Geschichte einer Liebe zwischen einem jungen Studenten und einer erwachsenen Frau, eine Liebe deren Gegenseitigkeit eher keine Zukunft hat.

    Schmuels Neugier zielt über Atalja aber noch auf einen anderen Umstand, denn er sucht nach der Beziehung zwischen dem alten Mann und der Frau, dass sie seine Schwiegertochter ist, wird ihm erst später offenbart. Ataljas Mann fiel im Unabhängigkeitskrieg. Ihr Vater, Scheathiel Abrabanel, der den Namen eines jüdischen Gelehrten und Politikers in portugisischen Diensten im 15./16. Jahrhundert trägt, arbeitete in der Jewish Agency und in der Zionistischen Weltorganisation, lehnte aber die Staatsgründung ab, wodurch er zum „Verräter“ wurde und sich zurückzog. Nach dem Tode seines Schwiegersohnes nahm er dessen Vater Wald bei sich auf.

    Nun dreht sich die Geschichte um den Verrat. Um einen vermeintlichen Verrat. Den des JUDAS, der seinen Meister JESUS angeblich verriet und die Römer zur Kreuzigung überredete, dafür 30 Silberlinge von der Priesterkaste bekam, die er gar nicht nötig hatte. Warum sollte er im Garten Gethsemane den Nazarener verraten, durch den „Judaskuss“ bezeichnen, wo doch inzwischen jeder diesen Prediger kannte? War es ein Verrat an Eretz Israel, wenn Scheathiel Abrabanel, der viele palästinensische Araber seine Freunde nannte, die Staatsgründung ablehnte, weil er den Krieg voraus sah, der die Völker, Juden wie Araber, Jahrzehnte beschäftigen würde?

    „Das Hauptübel liegt darin, dass die Unterdrückten insgeheim davon träumen, selbst zu Unterdrückern ihrer Unterdrücker zu werden.“ (Seite 249)

    Das Buchthema ist kein religiöses, es ist ein politisches. Es geht um den „Verrat“ vor 2000 Jahren, für den die Christen alle Juden verantwortlich machten und so den Grundstein für den Antisemitismus insbesondere in Europa legten. Es ist gleichermaßen ein „Verrat“ des Scheathiel Abrabanel, der den dauerhaften und immer noch überaus aktuellen Konflikt in Palästina sah, und darum das große Ziel des Zionismus, eine Heimstatt für die Juden der Welt zu finden, zum Zeitpunkt als es möglich wurde, ablehnte, weil der „Verräter“ dies nicht auf Kosten eines anderen alteingesessenen Volkes erreichen wollte. „Noch ein Liliputstaat um den Preis eines ewigen Krieges:“ (Seite 246)

    Seine Überzeugungen zu vertreten und zu begründen, unangenehme Meinungen zu äußeren, führen insbesondere in Zeiten kriegerischer Konflikte oder revolutionärer Perioden auch zu Isolierung und zum Vorwurf des Verrats.

    „Wer bereit ist, sich zu verändern…, wer den Mut hat, sich zu verändern wird immer wieder von jenen als Verräter bezeichnet werden, die zu keiner Veränderung fähig sind und eine Heidenangst vor Veränderung haben, die Veränderung nicht verstehen und sie ablehnen.“ (Seite 273)

    Zurück zur Liebesgeschichte. Gerschom Wald verliert noch einmal einen Sohn, als Schmuel auszieht. Die Zuneigung, die er Atalja zeigte, überträgt sich auch auf den alten weißhaarigen, teilweise gelähmten Alten und der gibt diese zurück. Doch Schmuel geht nicht als Verlierer aus dem Haus in Jerusalem weg. Er dürfte als ein anderer gehen, als der er kam.

    „Durch seinen Tod [Micha Walds] bekam ich diesen Winter in seinem Haus geschenkt, im Schoß seines Vaters und seiner Frau. Er ist es, der mir diesen Winter geschenkt hat. Den Winter, den ich vergeudet habe. Obwohl ich dort Freiheit und Einsamkeit im Überfluss genoss.“ (Seite 329)

    Es geht ihm wie dem Leser, der nach der letzten Seite des Buches nachdenklich und um vieles Wissen reicher ein bei aller Geschichte und Politik sehr gefühlvolles Buch aus der Hand legen wird.

    * * *

    Es dauert eine Weile, bis der Leser zum Kern der Geschichte, also zum Thema JUDAS und Verrat vordringt. Zu Beginn wird der Geschichte des Schmuel Asch größerer Raum gegeben. Erst als Gerschom Wald und Schmuel miteinander ins Gespräch kommen, werden die Inhalte politischer.

    Gleichermaßen nimmt die Spannung der Liebesgeschichte und der Geschichte um die Familie Wald / Abrabanel und der Darstellung des Judas-Verrates zu. Die Gegenüberstellung der Geschichte um Jesus / Judas und der Staatsgründung Israels unter ständiger Hinweise auf die Rolle David Ben Gurions wird ebenso immer detaillierter. Oz gelingt es dabei den Spannungsbogen bis zum Schluss weiter zu steigern. Gleichermaßen will der Leser nun erfahren wie es mit Schmuel & Atalja, Schmuel & Wald, mit Judas & Abrabanel weiter geht. Die Tragödie des Scheathiel Abrabanel und die des Judas wirken wie der Ausgangspunkt für jahrhundertelange (Juden / Christen) und jahrzehntelange (Juden / Araber) Kriege, Unterdrückung, für Kreuzzüge verschiedenster Art.

    Der Roman ist damit ein Buch für den Frieden. Aktuell unter den Völkern in Palästina und überhaupt für einen Frieden unter den Religionen.

    Teilen
  1. 5
    15. Apr 2018 

    Verräter! – Danke für das Kompliment

    2015 erhielt Amos Oz den Internationalen Literaturpreis 2015, der in Deutschland für das beste übersetzte Buch des Jahres vergeben wird. Es schildert eine einfache Geschichte und komplexe Gedanken- und Diskussionsansätze, die die Geschichte Israel mit all seinen Konflikten, seinen Hoffnungen und seiner Verzweiflung in den Mittelpunkt des Buches stellt.
    Der Autor hat mich schon lange gereizt und so wurde es zum Einstieg dieses Buch, das mich voll und ganz „gekriegt“ hat. Die Handlung ist sehr einfach und schnell erzählt:
    Im Leben des Studenten Schmuel Asch bricht gerade so Einiges zusammen: seine Freundin hat ihn verlassen, seine Eltern können wegen Konkurs sein Studium nicht mehr unterstützen, seine wissenschaftliche Arbeit stockt. Und so bricht er das Studium ab und findet eine neue Lebensstation durch eine Anzeige am Schwarzen Brett als Gesellschafter eines eigentümlichen alten Mannes. In dessen dunklem, geheimnisumwitterten Haus in Jerusalem findet er so einen Winter lang im Jahr 1959 Unterschlupf und Beschäftigung. In dem Haus lebt auch die unnahbare und undurchschaubare, aber ungemein anziehende Atalja Abrabanel, in die Schmuel sich verliebt. Nach einigen Monaten und nach kurzen Annäherungen zwischen Schmuel und Atalja erlässt er nach dem Winter das Haus wieder und tritt hinaus in sein weiteres Leben.
    So die einfache Geschichte, die eigentlich nicht mehr ist als ein Rahmen für Diskussionen und Gedankenspiele, die sich vor allem um zwei Figuren ranken:
    1. Judas Ischariot, der Jesus mit einem Kuss verraten hat und in der weiteren historischen Rezeption dieser Bibelepisode quasi als Ursprung des Judenhasses der Christenheit wirkt. Schmuels wissenschaftliche Arbeit rankt sich um das Jesusbild der Juden über die Jahrhunderte hinweg. Sein besonderes Interesse verschiebt sich bei dieser Arbeit aber immer mehr auf die Rolle, die Judas in der Geschichte des Christen- und Judentums gespielt hat. Und hier bietet er eine Sichtweise an, die von den üblichen Mustern deutlich abweist. Für ihn ist Judas nämlich eigentlich der erste Christ bzw. der eigentliche Begründer des Christentums. Ohne ihn nämlich wäre Jesus und seine besondere Rolle als Sohn Gottes gar nicht ins Licht der Öffentlichkeit getreten. Erst Judas bringt Jesus und seine Jünger dazu, die ländlichen Gebiete Galiläas zu verlassen und nach Jerusalem zu ziehen. Er verrät ihn an die Römer, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Göttlichkeit unter Beweis zu stellen. Denn Judas sei überzeugt gewesen davon, dass Jesus auch am Kreuz wieder Wunder wirken kann und sich vom Tode befreien wird, wie er auch andere Tote zuvor zum Leben erwecken konnte. Als dies nicht geschieht und Jesus stirbt, nimmt Judas sich aus Verzweiflung das Leben. Die Auferstehung erlebt er so nicht mehr.
    2. Schealtiel Abrabanel, verstorbener Vater von Atalja – eine fiktive Gestalt, die von Amos Oz in die israelische Gründungsgeschichte hineinprojiziert wird als jemand, der im inneren Kreis der Gründungsväter um Ben Gurion herum gegen die Staatenwerdung Israels opponiert. Das macht er aus der Überzeugung heraus, dass ein Staat Israel gegen die arabischen Nachbarn keine Chance haben kann und dass das Konstrukt eines Staates sich in naher Zukunft sowieso allüberall auf der Welt überlebt haben wird und insbesondere in dem konfliktbeladenen Gebiet Palästinas kein Zukunftsentwurf sein kann. Abrabanel wird wegen dieser extrem abweichenden Haltung als Verräter an der Sache Israels in Unehren entlassen und all seiner Ämter enthoben, er geht in ein inneres Exil und der Staat Israel wird gegründet, wie Ben Gurion und die jüdische Bevölkerung Palästinas es herbeigesehnt haben.
    Diese beiden Verräterfiguren und ihre tatsächliche oder mögliche Geschichtsgestaltung stehen im Mittelpunkt der Gedankenhandlung dieses Romans. Das stellt die Frage nach ganz existentiellen geschichtlichen Alternativen und nach der Bewertung von verräterischem Handeln. Ist es nicht vielleicht eine Notwendigkeit, um Geschichte voranzutreiben und positiv zu gestalten. Sind Verräter nicht die eigentlichen, die tragischen Helden? Endgültige Antworten gibt der Roman zu den Fragen rund um das Verrätertum nicht, wohl aber stößt er die Suche nach Antworten an. Und wird so zu einem tief philosophisch verwurzelten Roman, der gleichwohl gut lesbar ist.
    „Ein Buch, in dem man wohnen will.“ So Hannes Stein in der „Literarischen Welt“.
    Hannes Stein, der dieses Zitat schuf, führt in einer Rezension den interessanten Gedanken aus, dass Amos Oz, obwohl er in Israel lebt und auf Hebräisch schreibt, mit gutem Grund und Hintergrund auch als russischer Autor und seine Romane ebenso als russisch gesehen werden können. Und tatsächlich handelt es sich bei „Judas“ um einen Roman von Dostojewskischen Ausmaßen – nicht was die Länge angeht (es sind nur gut über 300 Seiten), aber was die existentiellen Fragestellungen, die er aufwirft, betrifft. In ihm werden die ersten und die letzten Fragen des Lebens gestellt und bewegen den Leser.
    MEIN FAZIT:
    Auch ich habe mich in diesem Roman sehr wohl gefühlt und wollte, wie Hannes Stein, gern in ihm wohnen. Ich bin aus dem Roman aufgewacht und hatte das Gefühl, wirkliche Weltliteratur gelesen zu haben, was bei zeitgenössischen Romanen ja alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, denn Weltliteratur sucht man wohl eher in der Vergangenheit und früheren Autorengenerationen. Aber nein! Hier ist einer.
    Deshalb fällt es mir auch schwer, hier das 5 Sterne-Bewertungsschema anzuwenden.
    5 Sterne sowieso, aber welches Plus kann ich noch dazu geben?
    Gern verführe ich auch Euch zu dieser Lektüre!
    Amos Oz steht mit weiteren seiner Romanen bei mir ab heute auf jeden Fall ganz weit oben auf der Lesewunschliste. Schlecht für den weiteren SUB, aber es brennt in mir nach mehr!

    Teilen
  1. 5
    23. Jan 2017 

    Judas

    Mir hat das Buch von Amos Oz sehr gut gefallen. Zwischen den Seiten haften wieder mal jede Menge Blättchen, und ich muss mich noch entscheiden, welche ich bearbeiten möchte. Amos Oz hat nicht nur den Literaturpreis von 2015 verdient, nein, er hätte auch den Friedensnobelpreis bekommen sollen. Der Autor beschreibt in diesem Buch die religiösen und die territorialen Problematiken zwischen Juden und Arabern, die zum sinnlosen Blutvergießen führen. Beide Parteien hätten das Recht auf Grund und Boden, doch beide Parteien lassen von ihrem Glauben nicht ab, ein alleiniges Vorrecht für dieses Land zu haben. Was mir sehr gut gefallen hat, ist, dass der Autor hier nicht die Partei für die Juden oder für die Araber ergreift. Mit Hilfe seiner Figuren setzt er sich mit dieser Thematik in verschiedenen Perspektiven kritisch auseinander. Es gibt Figuren, die Argumente aus der Sicht der Juden anbringen, die im Glauben sind, ihnen stehe der Boden zu für die Bildung eines jüdischen Staates. Verschiedene Bürgerkriege werden im Buch aufgezeigt. 1948 findet der Nahostkrieg statt, in dem Walds Sohn umgekommen ist, und zeigt die Sinnlosigkeit des Krieges auf, der wie alle anderen (Bürger)-Kriege auch, viele Opfer fordert. Dieses sinnlose Blutvergießen und dieses sinnlose Sterben und die Unfähigkeit, sich für die Gleichheit aller Menschen einzusetzen, macht der Autor immer wieder in seinem Buch deutlich. Es gibt Figuren, die sehr wohl diese Sinnlosigkeit einsehen, weshalb sie für die Gründung eines gemeinsamen Staates sind, in dem sowohl Juden als auch Araber brüderlich und freundschaftlich zusammenleben können. Aber das sind eher die Ausnahmen.

    Das Buch beinhaltet auch eine interessante Liebesgeschichte zwischen dem jungen Schmuel Asch und der viel älteren Atalja Abrabanel, die unter den Folgen des Bürgerkrieges von 1948 leidet. Atalja gibt sich Schmuel gegenüber sehr geheimnisvoll. Ich persönlich fand Atalja eine sehr interessante Persönlichkeit, die auf mich trotz ihrer kühlen Art sehr sympathisch wirkte. Auch sie äußert ihre persönlichen politischen/religiösen Ansichten, die ich mir unbedingt rausschreiben muss. Die Geschichte in diesem Roman spielt sich im Winter 1959 / 1960 ab. Atalja ist gezeichnet, da sie ihren Mann 1948 im Unabhängigkeitskrieg, im Nahostkonflikt verloren hat. Sie bekundet Schmuel schließlich ihre Trauer, aus der ersichtlich wird, weshalb sie sich Männern gegenüber reserviert gibt.

    Zitat:
    "Jeden Tag sehe ich ihn. Jede Nacht. Jeden Morgen. Ich mache die Augen zu und sehe ihn. Ich mache die Augen auf und sehe ihn. Ich habe weiter hier gelebt, mit den beiden Großvätern, die nie Großväter werden würden, und ich habe beide gepflegt. Was war mir sonst geblieben? Männer zu lieben, das ist unmöglich. Ihr habt schon seit Tausenden von Jahren die Macht über die Welt, und ihr habt sie in ein Ort des Schreckens verwandelt. In ein Schlachthaus. Vielleicht kann man euch wirklich nur benutzen. Manchmal sogar Mitleid mit euch haben und versuchen, euch ein bisschen zu trösten. Wofür? Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen eurer Unfähigkeit. "(2015, 207)

    Schmuels Liebe konnte von Atalja nicht erwidert werden. Je mehr sie sich Schmuel gegenüber abweisend verhält, desto mehr fühlte sich Schmuel zu ihr hingezogen. Bis auf wenige Nachtspaziergänge und Kinobesuche blieb diese Liebe recht einseitig. Was Männer beträfe, so habe Atalja nach dem Tod ihres Mannes keinerlei Wünsche.

    Zitat:
    "Wozu auch? Männer kämen ihr fast immer kindisch vor und trieben in einem ständigen Strom von Erfolgen und Siegen, ohne die sie versauerten oder verwelkten."(98)

    Atalja nahm kein Blatt vor dem Mund, wenn es darum geht, Schmuel den Spiegel vorzusetzen. Atalja gelingt es immerzu, hinter die Fassade eines Menschen zu schauen.

    "Du (…) bist entweder ein begeisterter, lauter Hund, der herumtobt und sich anschmiegt, sogar, wenn du im Sessel sitzt, scheinst du immerfort deinem Schwanz hinterher zu laufen, oder du bist das Gegenteil, du liegst tagelang im Schlafzimmer herum wie eine ungelüftete Zudecke." (Ebd)

    Atalja und ihr Schwiegervater Wald waren gegen den Krieg und gegen die Gründung eines israelischen Staates. Jüdische Menschen dieser Art machen sich bei ihren Landsleuten zu Feinden, da sie als die Verbündeten der Araber bezeichnet werden.

    Interessant fand ich auch die Figur Wald, ein älterer Mann, der mittlerweile pflegebedürftig ist. Schmuel bricht aufgrund verschiedener ungünstiger Umstände seine Zelte ab, folgt einer Annonce, die zu Wald und Atalja führt. Atalja ist Walds Schwiegertochter. Schmuels Aufgabe ist es, mit Wald Diskussionen zu führen. Kritische Diskussionen. Eigentlich sollte Schmuel Asch Wald immerzu widersprechen, damit Wald sich nicht langweilen würde. Auch hier findet man interessante Argumente.

    Zitat:
    "Wenn wir die Welt nur einen Tag lang von allen Religionen und allen Revolutionen befreien könnten – von allen, ohne Ausnahme -, dann würde es weniger Kriege auf der Welt geben, das verspreche ich Ihnen. Immanuel Kant hat geschrieben: >Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.<
    Wir sollten nicht versuchen, ihn zu schleifen und zu hobeln, damit wir nicht bis zum Hals im Blut stehen." (77f)

    Im Buch wird zudem Jesus aus der Sicht der Juden behandelt. Jesus sei aus Fleisch und Blut gemacht, sei ein Mensch wie jeder andere auch. Kein Prophet, wie ihn die Christen feiern. Auch hier werden verschiedene Perspektiven behandelt.

    Mein Fazit?

    Man bekommt es hier mit recht vielen Sichtweisen zu tun, sodass man als Leserin nicht in eine Ecke gedrängt wird, nein, man wird gefordert, sich selbst eine Meinung zu bilden.

    Aber nicht nur die vielen tollen Gedanken haben mir gut gefallen, auch den Schreibstil finde ich sehr bemerkenswert, den ich als recht fantasievoll erlebt habe, siehe auch obiges Zitat. Schmuel, eine rastende Figur, die schwer zur Ruhe kommt, weil sie sich von ihren Schicksalsschlägen getrieben fühlt, beschreibt sich Atalja gegenüber als einen Menschen, der sich selbst hinterherrennen würde. Dieses Bild hat mir so gut gefallen.
    Des Weiteren ist hier das Wissen mit Weisheit gepaart ...

    Teilen