Insel der verlorenen Erinnerung: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Insel der verlorenen Erinnerung: Roman' von Yoko Ogawa
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Insel der verlorenen Erinnerung: Roman"

Auf einer Insel, nicht weit vom Festland entfernt, prägen sonderbare Ereignisse das Leben. In regelmäßigen Abständen verschwinden Dinge, und zwar für immer. Zunächst sind es Hüte, dann alle Vögel, später die Fähre. Bald gibt es keine Haarbänder mehr und keine Rosen … Die Bewohner haben sich damit abgefunden, dass auch ihre Erinnerung immer weiter verblasst. Nur einige wenige können nichts vergessen. Deshalb werden sie von der Erinnerungspolizei verfolgt, die dafür Sorge trägt, dass alle verschwundenen Dinge auch verschwunden bleiben, nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Als eine junge Schriftstellerin herausfindet, dass ihr Verleger Gefahr läuft, von der Erinnerungspolizei festgenommen zu werden, beschließt sie, ihm zu helfen – auch wenn sie damit ihr Leben riskiert. Sie richtet im Untergeschoss ihres Hauses ein Versteck für ihn ein. Doch die Razzien der Polizei werden ständig ausgeweitet, und immer häufiger verschwinden Dinge. Die beiden hoffen auf die Fertigstellung ihres neuen Romans als letzte Möglichkeit, die Vergangenheit zu bewahren. Yoko Ogawas internationaler Bestseller ist eine faszinierende Parabel über den Verlust von Freiheit und die Bedeutung der eigenen Vergangenheit. Selten werden die drängenden Fragen unserer Zeit so poetisch verhandelt wie hier.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
EAN:9783954381227

Rezensionen zu "Insel der verlorenen Erinnerung: Roman"

  1. Amnäsie, Sprachlosigkeit, Verschwinden

    Mit Spannung und Ergriffenheit habe ich den Roman der japanischen Autorin Yoko Ogawa gelesen, das sich dem Phänomen der verlorenen Erinnerung widmet. Es erzählt die Geschichte einer Auslöschung: der Dingen, der Erinnerung und der Welt. In einem fiktiven Inselstaat herrscht die Erinnerungspolizei: sie wacht über die Einhaltung des Vergessens und Verschwindens: totalitär, unerbittlich und auf verhaltene Weise grausam. In regelmässigen Abständen verschwinden Dinge: Vögel, Rosen, Bücher und viele andere Gegenstände. Mit ihrem Verschwinden erlischt auch die Bedeutung derselben für die auf der Insel lebenden Menschen: das physische Verschwinden von Gegenständen bedingt ihr Vergessen durch die Menschen. Sind die Dinge einmal verschwunden, zerstört und vergessen, so ist der Prozess unausweichlich: nur mehr ein wages Gefühl an die einstige Bedeutung bleibt über, seine Bedeutung kann durch die der Erinnerung beraubten Menschen kaum mehr erschlossen werden. Wem es aber gelingt, die verschwundenen Dinge (und damit die Erinnerung an sie) doch festzuhalten, dem droht die Verschleppung durch die Erinnerungspolizei.

    Die Geschichte einer Schriftstellerin wird erzählt, welche ihrem Lektor Unterschlupf gewährt, weil dieser befürchtet, von der Erinnerungspolizei abgeholt und – niemand weiss wohin – verschleppt zu werden. Er ist einer jener Menschen, die von dem um sich greifenden Prozess des Vergessens ausgenommen sind und deshalb für die Ziele der Erinnerungspolizei in höchstem Masse gefährlich sind. Mit Hilfe eines alten Mannes baut die Schriftstellerin in ihrer Wohnung einen gut getarnten Unterschlupf, in dem ihr Lektor Zuschlupf findet: eine Art Widerstandsnest gegen das Vergessen. Eingebettet in diese Handlung sind Texte des neuen Romanes der Protagonistin, der von der Geschichte einer Schülerin erzählt, die von ihrem Schreibmaschinenlehrer der Freiheit beraubt wird und, ohne sich sprachlich ausdrücken zu können, von diesem für seine perversen Obsesionen missbraucht wird. Ihrer Schreibmaschine beraubt, verstummt sie und vegetiert in der Dachkammer eines Turmes dahin. Wir lernen in diesem sehr intensiv und klug geschriebenen Buch, dass mit dem Verschwinden der Dinge und der Sprache menschliche Erinnerung und Ausdrucksfähigkeit versiegen, ja überhaupt zum Verschwinden der Menschlichkeit und des Menschen führen. Und doch: die Erinnerung stirbt, so wie die Hoffnung immer zuletzt.

    In vielen Kritiken dieses Romans wird dieser als grossartige Dystopie gefeiert, als neue Parabel auf autoritäre Regime mit ihren Kontrollmechanismen und der Unterdrückung von öffentlicher Sprache und Erinnerungskultur. Das sicherlich zu Recht. Vergleiche mit George Orwell werden gezogen. Letzteres sicher zu Unrecht. Assoziationen an die Nationalsozialistische Diktatur tauchen natürlich auf, etwa an jenen Stellen, die auf eindrückliche Weise Bücherverbrennungen beschreiben. Ein Schlüsselerlebnis für die Schriftstellerin, da sie ab nun ihrer Lebensgrundlage beraubt ist. Mit einem Male hat das Schreiben und Verfassen von Geschichten keine Bedeutung mehr. Ihr Lektor versucht ihr, die Erinnerung wiederzugeben. Es reicht zum Vollenden der Geschichte. Ein müshsamer, fast unmöglicher Prozess.

    Ich glaube nicht, dass man es sich so einfach machen kann, das Buch allein als eine Dystopie des Totalitarismus lesen zu wollen, ganz einfach deshalb, weil weit mehr erzählt wird als die Bedrohung durch eine Erinnerungspolizei, von welcher man zudem nicht erfährt, welchen Zielen ihre klandestine Tätigkeit dient. Die Phänomene der Amnäsie, der Sprachlosigkeit und der Auslöschung sind in das Erleben der Protagonistin des Romans verlagert, die Angst vor dem Unerklärlichen bestimmt ihren Alltag. Die Leser schreiben sich ein in die allgemeinen Prozesse der Amnäsie, und in das Verschwinden der Vergangenheit. Die Zukunft verschwindet mit ihr und eine apathische Gegenwart ergreift Alle.

    Teilen
  1. 4
    16. Nov 2020 

    Abfinden oder Aufbegehren ?!?!

    4 Sterne bekommt dieses Buch von Yoko Ogawa von mir. "Die Insel der verlorenen Erinnerung" ist eine interessante Dystopie über den Unterschied zwischen dem fraglosen Hinnehmen oder dem Anzweifeln von Fakten/von Vorgaben eines unheimlichen Systems und/oder über Abhängigkeiten von Menschen untereinander oder auch Abhängigkeiten von einem führenden System. Auf einer namentlich nicht genannten Insel verschwinden Dinge, Totes und Lebendes, und die Bewohner der Insel nehmen dies einfach so hin, vergessen das Verschwundene auch recht schnell. Aber nicht alle Bewohner. Manche können nicht vergessen und werden als eine Gefahr des Systems gejagt, von der Erinnerungspolizei. Die Protagonistin, eine Schriftstellerin, versucht gegen das System anzukämpfen und schreibt ebenso an einer Geschichte, einer Geschichte über Selbstaufgabe und Abhängigkeit. Es ist eine wirklich interessant verwobene Geschichte/ein spannendes Buch, die/das ein Grauen beinhaltet und eine Spannung aufbaut, die den Leser fordert und auch beim Lesen schwer innehalten lässt. Das Einzige was ich für mich bemängele, ist eine gewisse Distanz, die sich zwischen mir und den Protagonisten aufbaut, was auch an dem kühl/kalt geschilderten Geschehen liegt. Was einerseits sicher der Kultur der Autorin zuzuordnen wäre, andererseits aber sicher auch der dystopischen Geschichte geschuldet ist. Dennoch blitzt ab und zu doch etwas Tiefes und ein Empfinden/ein Gefühl auf. Gerade wenn ich an die Schreibe der Protagonistin oder an das Verhalten der Protagonistin ihrem Verleger gegenüber denke. Yoko Ogawa hat ein sehr interessantes und spannendes Buch geschrieben und Freunde von Dystopien sind hier gut aufgehoben.

    Teilen