Immer noch wach: Roman

Rezensionen zu "Immer noch wach: Roman"

  1. 4
    12. Aug 2021 

    Was ist wichtig angesichts des eigenen Todes

    Der Protagonist Alex in Fabian Neidhardt’s Debutroman „ Immer noch wach“ hat gerade mit seinem Freund Bene aus Kindheitstagen ein Café eröffnet . Mit seiner Freundin Lisa ist er sehr glücklich.
    Da trifft ihn die Diagnose Magenkrebs im Endstadium („… gebe ich Ihnen etwa sechs Monate.“ …“Dann werde ich nicht mal mehr 31.“)
    Alex weiß, was auf ihn zukommt. Musste er doch als Kind miterleben, wie jämmerlich und qualvoll sein Vater an derselben Krankheit gestorben ist. Und wie in der Folge daran seine Mutter innerlich zerbrochen ist und Jahre später an einem Herzinfarkt stirbt. ( „ Akuter Herzinfarkt, sagen sie. Vielleicht ist das der medizinische Begriff für ein zu oft gebrochenes Herz.“)
    Alex will sich das und seiner Umgebung nicht zumuten. Er verweigert jegliche Therapieangebote, die ihn letztendlich doch nicht retten können, sondern nur sein Leiden verlängern würden. Er wählt einen anderen Weg, trotz gutem Zureden von Freund und Freundin. Er will seine letzten Wochen nicht im Krankenhaus verbringen, stattdessen sein Leben nochmals auskosten und sich dann zum Sterben in ein Hospiz zurückziehen.
    Es gibt ein paar Dinge, die er zuvor noch erledigen will, allerdings nichts Spektakuläres, wie man es auch manchen Büchern und Filmen kennt. Hier bleibt Fabian Neidhardt erfreulich realistisch. „ Es gibt gar nicht so viele Dinge, die ich unbedingt tun will. All die Dinge, von denen ich glaubte, sie erledigen zu wollen oder zu müssen, all die ToDos, die mich früher wachgehalten haben, wirken ganz schön klein neben dem Tumor. Er skaliert das Leben neu.“
    So steht auf Alex‘ „ Löffelliste“ neben „ So viel Zeit wie möglich mit Lisa und Bene verbringen.“, auch sich bei ein paar Menschen für sein früheres Fehlverhalten zu entschuldigen. Zum Abschluss plant Alex noch ein großes Fest mit all seinen Freunden, das diese zu einer Art vorgeschobener Trauerfeier umgestalten.
    Danach reist Alex in ein weit entferntes Hospiz; die Adresse verrät er keinem.
    Doch aus den Wochen dort werden Monate. Alex lebt sich ein, schließt Freundschaften mit den anderen Todkranken. Er muss sich hier nicht nur mit seinem eigenen Sterben auseinandersetzen, sondern auch mit dem Tod Anderer. Immer wieder steht eine brennende Kerze vor einer Zimmertür, als Zeichen dafür, dass der letzte Bewohner gestorben ist. Trotzdem ist die Stimmung hier nicht nur düster.
    Plötzlich die Wende: Die ehemalige Diagnose erweist sich als falsch. Der Tumor ist gutartig, Alex wird nicht daran sterben.
    Wie soll Alex damit umgehen? Kann er an sein früheres Leben anknüpfen?
    Ich will nun nicht verraten, welche Wendung sich der Autor ausgedacht hat.
    Fabian Neidhardt wurde von einem Spiegel-Artikel, in dem ein ähnlicher Fall geschildert wird, zu seinem ersten Roman inspiriert . Darin greift er existenzielle Fragen auf. Was ist wirklich wichtig im Leben? Wie gehen wir mit unserer eigenen Sterblichkeit um? Was wollen oder sollen wir noch tun, wenn die Zeit, die uns verbleibt, nur noch kurz ist?
    Geschildert wird uns die Geschichte aus der Ich- Perspektive von Alex. Dadurch ist der Leser immer ganz nah bei dessen Gedanken und Emotionen und begleitet so dessen Entwicklung.
    Allerdings wird hier nicht chronologisch erzählt, sondern die kurzen Kapitel springen in den Zeitebenen hin und her. Erinnerungen an früher wechseln mit den aktuellen Geschehnissen.
    Fabian Neidhardt hat einen schnörkellosen, manchmal flapsigen Ton und entgeht so meist der Kitschfalle. Trotz der Schwere des Themas bewahrt sich der Roman eine gewisse Leichtigkeit.
    Mein Kritikpunkt setzt am letzten Abschnitt des Buches an. Der Teil mit Alex‘ Mission hätte es für mich nicht gebraucht. Die Geschichte der Fehldiagnose und der Wiedereinstieg ins Leben waren Stoff genug.
    Trotzdem ist dem Autor hier ein beachtliches Debut gelungen. Man merkt dem Buch auch an, dass Fabian Neidhardt zur Recherche eine Woche im Hospiz gearbeitet hat. Die Szenen dort sind sehr einfühlsam geschildert und sie sind ein Loblied auf die Arbeit, die dort geleistet wird.
    „ Immer noch wach“ ist ein äußerst lesenswerter Roman, der den Leser auffordert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und sich zu fragen, wie würde ich handeln.

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