Im Strom der Steine: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Im Strom der Steine: Roman' von Wladimir Medwedew
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Inhaltsangabe zu "Im Strom der Steine: Roman"

Wladimir Medwedew erzählt die packende Geschichte eines Geschwisterpaares im zentralasiatischen Tadschikistan Anfang der 1990er Jahre. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetmacht gerät das Land in den Strudel von Bürgerkrieg und regionalen Machtkämpfen. Der Vater von Sarina und Andrej, ein tadschikischer Arzt, wird ermordet. Auch seine russische Frau und seine Kinder werden bedroht und daraufhin von Onkel und Großvater in ihr Heimatdorf im Pamir geholt. Doch der Vater hatte dort noch eine zweite Frau, eine Tadschikin. Und die Auseinandersetzungen zwischen den Familien könnten nicht größer sein.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:654
Verlag:
EAN:9783351037505

Rezensionen zu "Im Strom der Steine: Roman"

  1. Macht und Ohnmacht in Tadschikistan

    Dieser Roman lässt mich zwiegespalten zurück. Über weite Strecken fand ich es mühsam den Gedanken der Protagonisten und der Handlung zu folgen.
    Das hat mehrere Gründe. Im Strom der Steine spielt in Tadschikistan und dort überwiegend in einem kleinen abgelegenen Bergdorf. Die politische Situation des Landes war mir unbekannt: Von 1929 bis 1991 war Tadschikistan eine Unionsrepublik der Sowjetunion. Mit der Unabhängigkeit zu Beginn der 1990er Jahre schlitterte das Land in einen Bürgerkrieg. Medwedews Roman setzt genau zu dieser Zeit des Umbruchs ein. Die Geschichte beginnt mit dem Mord an einem tadschikischen Arzt, dessen Ehefrau Russin ist. Der Bruder des Ermordeten holt die russische Witwe und ihre beiden halbwüchsigen Kinder Andrej und Sarina aus der Stadt und bringt sie in sein abgelegenes Heimatdorf in den tadschikischen Bergen. Er glaubt, die Familie dort besser schützen zu können, was sich schon bald als Illusion herausstellt. Im Dorf angekommen erfahren Sarina, Andrej und ihre Mutter Vera, dass ihr ermordeter Vater/Ehemann auch mit einer tadschikischen Frau verheiratet war und weitere Kinder hat. Von Beginn an ist das Verhältnis der beiden Familien schwierig. Einer der zentralen Protagonisten ist Suchur, ein Tyrann, der die Gunst der Stunde nutzt, um in den Opiumhandel einzusteigen. Er riegelt die kleinen Bergdörfer ab, zwingt die Bauern ihre kargen Felder für den Opiumanbau bereit zu stellen und ist nicht zimperlich, wenn es darum geht ein Exempel zu statuieren oder von der Waffe Gebrauch zu machen. Neben dieser fiktiven Herrscherpersönlichkeit hat Medwedew aber noch historische Persönlichkeiten in seinen Roman verwoben und er nimmt Bezug auf Mythologie und Literatur.

    Insgesamt hat Medwedew 6 „Stimmen“ ausgewählt, aus deren Sichtweise abwechselnd die Handlung im Roman dargestellt wird. Dazu gehören die Kinder des ermordeten Arztes (Sarina und Andrej), ihr Onkel Dscharub, ein einfacher, noch unverheirateter Bauer (Karim) und ein Soldat (Dawron). Ein weiterer Protagonisten ist Fotoreporter (Oleg), der die meiste Zeit außerhalb von Tadschikistan gelebt hat, dadurch eine Außenperspektive einnimmt und aus beruflichen Gründen versucht, bestimmte Machenschaften aufzuklären. Die letzte „Stimme“ gehört einem geistlichen Dorfoberhaupt (Eschon Wachab). Er vertritt einen volkstümlichen Islam, ist von seiner Sozialisation her jedoch ein Studierter, ein Kommunist, der lange in der Stadt lebte und eher unfreiwillig in die Rolle des geistlichen Oberhaupts seines Heimatdorfes gedrängt wurde. Die ausgewählten Personen sind sehr interessant, weil sie alle einen unterschiedlichen Blick auf die Geschehnisse haben und auch dieselben Situationen jeweils unterschiedlich bewerten. Außerdem sind einige von ihnen äußerst ambivalent, innerlich zerrissen und damit auch ein Spiegel ihres Landes. Problematisch und ermüdend war für mich, dass über weite Teile nur berichtet wird, was passiert ist und welche Gedanken die Protagonisten haben - oftmals in Form von Monologen, aber auch in zahlreichen Dialogen. Das hat es mir schwer gemacht, in die Geschichte einzutauchen. Immer dann, wenn nicht geredet, sondern „lebendige“ Situationen entstanden, fand ich den Roman fesselnd und interessant. Z.B. als die Frauen die Braut für die Hochzeit nach bestimmten Ritualen vorbereiteten oder die harte Arbeit auf den steinigen kleinen Feldern gezeigt wurde.

    Der Roman ist sehr komplex und wahrscheinlich ist es leichter mit mehr Vorwissen der Handlung zu folgen. Dankenswerter Weise gibt es immer mal wieder Fußnoten des Übersetzers, wenn auf eine historische Persönlichkeit oder auch auf Figuren aus der Mythologie oder der Literatur verwiesen wird. Im Roman prallen unterschiedliche Wertesysteme aufeinander (Leben auf dem Dorf und in der Stadt, Islam und Kommunismus, Generationenkonflikte). Sarina fordert auch die alten patriarchalischen Strukturen heraus. Letztendlich siegt derjenige, der ohne Skrupel ist und über Waffen verfügt, um seine Interessen durchzusetzen. Zugleich bedeutet eine Angstherrschaft aufzubauen, auch ein Leben in ständiger Gefahr, weil sich die Machtverhältnisse schnell ändern können. Die einfache Bevölkerung wird zum Spielball der Machtgierigen, beugt sich der Gewalt, weil es sonst kaum Möglichkeiten des Überlebens gibt. Allerdings begehrt vor allem die jüngere Dorfbevölkerung auf, möchte sich wehren, achtet nicht mehr die Entscheidungen der Ältesten, bezahlt dadurch aber auch zuweilen mit dem Leben oder richtet ein Blutbad an. Die Handlanger verstecken sich hinter Befehlen, sehen sich nur als Ausführende und daher auch als nicht schuldig - sie haben schließlich nur den Mordbefehl ausgeführt, ihn jedoch nicht erteilt. Medwedew stellt in seinem Roman den Irrsinn des Bürgerkrieges dar und stellt auch Fragen über Schuld und Verantwortung sowie die Legitimation von Macht.

    Insgesamt war viel Interessantes in dem Roman. Für mich hätten es gerne weniger Seiten sein können und ich hätte mir eine Form der Erzählung gewünscht, die den Fokus weniger aufs Reden und mehr auf die Handlung legt. Medwedew hat einen äußerst komplexen Roman geschrieben, der viel Konzentration erfordert, sich nicht so nebenbei lesen lässt und einen Einblick in die kulturelle Vielfalt und die politische Situation Tadschikistans der 1990er Jahre gewährt.

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