Ihr Königreich

Buchseite und Rezensionen zu 'Ihr Königreich' von Jo Nesbø
3.8
3.8 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ihr Königreich"

Als die Polizei nach Jahren erneut in einem alten Fall ermittelt, ist Automechaniker Roy alarmiert. Die Rückkehr seines Bruders Carl in die kleine Stadt Os in den Bergen Norwegens wirbelt zu viel Staub auf. Auch dass Carls Frau Shannon genau sein Typ ist macht Roy nervös. Carl hingegen ist voll großer Pläne und verspricht, ganz Os reich zu machen. Doch plötzlich kursieren im Ort Gerüchte und Verdächtigungen zum Unfalltod ihrer Eltern. Roy hat seinen kleinen Bruder immer beschützt, aber jetzt stehen sie sich als Rivalen gegenüber.

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:592
EAN:9783548064932

Rezensionen zu "Ihr Königreich"

  1. Abgründige Brüder

    Missbrauch, Schuldgefühle, dunkle Familiengeheimnisse - Mit "Ihr Königreich" hat Jo Nesbo einen psychologischen Thriller mit überraschenden Wendungen über ein Brüderpaar in einem entlegenen norwegischen Bergdorf geschrieben, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Roy ist Automechaniker, betreibt die Dorftankstelle. Er ist derjenige, der geblieben ist, seit seiner Jugend berüchtigt als Schläger, ein Mann ohne Freunde, ein Einzelgänger.

    Ganz anders Carl, der ein Jahr jüngere, der nach vielen Jahren zurückkommt mit einer kanadisch-karibischen Ehefrau und dem wegen einer geplanten Umgehungsstraße vor dem Aus stehenden Dorf neues Leben verspricht: Ein Berghotel soll her, für das Carl die Unterstützung der ganzen Gemeinde braucht. Carl war stets der Womanizer, der golden boy mit den vielen Freunden, im Gegensatz zum Bruder in der Schule erfolgreich, verkörpert gewissermaßen das Aufstiegsversprechen - dabei war die Jugend der beiden alles andere als einfach, starben ihre Eltern doch bei einem Autounfall, als die Söhne 16 und 17 waren. Im Cadillac des auf alles Amerikanische verrückten Vaters stürzten sie in den Abgrund an der steilen Straße zum einsamen Berghof.

    Doch war es wirklich ein Unfall? Und warum verschwand damals der Dorfpolizist, der den Vorfall untersuchte? Nun ist es sein Sohn, ebenfalls Polizist, der Roy Fragen stellt nach den damaligen Vorgängen. Der tödliche Abgrund, er spielt in diesem Thriller gleich mehrfach eine Rolle. Abgründig und tief ist auch die Handlung. Immer wieder schafft es Nesbo, scheinbar sicher Geglaubtes zu erschüttern und mit der Enthüllung eines Details der Handlung eine ganz neue Wendung zu geben. Dabei geht es nicht nur um die Dynamik zwischen Roy und Harry und ihren Geheimnissen, sondern auch um die des Dorfes.

    Die isolierte Dorfgemeinschaft, Machtspiele und Intrigen, Erpressung und Druck, Verrat und Schuld - es gibt kein schwarz-weiß in diesem düsteren Königreich. Hier hat so ziemlich jeder eine eigene Wahrheit, viele haben Dreck am Stecken, doch welche Wahrheit tatsächlich stimmt, das erfährt der Leser erst in einer dramatischen Zuspitzung.

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  1. Nicht genug Spannung

    Die Brüder Carl und Roy sind in der Stadt Os aufgewachsen. Vor vielen Jahren verließ Carl die Stadt, während Roy im Dorf eine Tankstelle betreibt. Nun kehrt Carl zurück, samt Frau und großer Pläne zum Bau eines Hotels im Dorf. 

    Bei diesem Krimi handelt es sich nicht um einen weiteren Band einer Reihe, sondern um einen eigenständigen Krimi. Ich war deshalb sehr neugierig auf das Buch.
    Der Schreibstil war klar und gut verständlich, so dass ich problemlos folgen konnte.
    Die Charaktere von Carl und Roy wurden gut beschrieben, beide waren sehr unterschiedlich, was prima herausgearbeitet wurde.
    Die Handlung konnte mich nicht so ganz überzeugen. Es ging sehr gemächlich los und ich hatte das Gefühl, als wenn ich eine Familiengeschichte lese. Eine besondere Spannung war lange nicht vorhanden. Dadurch empfand ich den Beginn bzw. die erste Hälfte eher langatmig und ich musste mich zum Weiterlesen zwingen. Erst später kam Spannung auf, als die Hintergründe und das Geheimnis Stück für Stück klarer bzw. aufgedeckt wurden. Für einen Krimi war mir das aber eindeutig zu wenig spannung oder einfach falsch verteilt.

    Mich hat dieser Krimi leider nicht ganz überzeugt, da es zu viele Längen und zu wenig Spannung gab. Ich vergebe 3 von 5 Sternen.

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  1. 4
    30. Okt 2020 

    Wie weit gehen Loyalitäten?

    Als die Polizei erneut in dem ungelösten Fall ihres verschwundenen früheren Chefs ermittelt, ist der Automechaniker Roy alarmiert. Die kürzliche Rückkehr seines Bruders Carl in die kleine Stadt Os bringt anscheinend Unglück. Auch dass dessen Frau genau Roys Typ ist macht ihn nervös. Carl hingegen ist voll großer Pläne und verspricht, ganz Os reich zu machen. Doch plötzlich kursieren im Ort Gerüchte und Verdächtigungen zum Unfalltod ihrer Eltern. Roy hat seinen kleinen Bruder immer beschützt, aber jetzt stehen sie sich als Rivalen gegenüber.

    Der ältere Bruder Roy fungiert in diesem Roman als Ich-Erzähler - doch er ist ein schweigsamer, eigenbrötlerischer Typ, der nie mehr sagt als unbedingt notwendig. Und so erfährt der Leser auch stets nur genauso viel, wie Roy preisgeben möchte. Bereits im Prolog wird jedoch deutlich, dass Roy als der Ältere immer schon die Rolle des Beschützers für seinen Bruder Carl innehatte, geprägt auch durch ihren Vater:

    "Du und ich, wir sind aus demselben Holz geschnitzt, Roy. Wir sind härter als Mama oder Carl. Deshalb müssen wir auf sie aufpassen. Immer. Verstehst du? (...) Wir sind eine Familie. Wir haben einander und sonst niemanden. Freunde, Geliebte, Nachbarn, die Dorfbewohner und Landsleute, alles Illusion. Wenn es eines Tages wirklich darauf ankommt, sind sie nichts wert. Dann heißt es, wir gegen sie, Roy. Wir gegen alle anderen. Absolut alle." (S. 11)

    Dies klingt wie ein Versprechen. Und das ist es auch. Roy weiß, worauf es ankommt, wem seine Loyalität zu gelten hat. Und doch...

    Roy ist zeitlebens in dem kleinen Ort Os geblieben, einem Bergdorf auf einer norwegischen Halbinsel südlich von Bergen. Dort arbeitet er als Automechaniker und Betreiber einer kleinen Tankstelle, redet wenig aber hört viel. Er schlägt stets als Erster zu, kompromisslos und immer dann, wenn es seiner Meinung nach angesagt ist. Die Menschen im Dorf zollen ihm Respekt, doch Freunde hat er nicht.

    Carl ist der smartere Bruder der beiden, ein Frauenschwarm, einer, der mit Charme schon viel erreicht hat. Er hat in den USA studiert, will jetzt aber nach Jahren der Abwesenheit wieder zurückkommen nach Os, große Pläne im Gepäck. Und damit beginnt das Gleichgewicht aus dem Lot zu geraten, das die Dorfgemeinschaft und Roys Leben bislang aufrechterhalten hat.

    Carl hat die Absicht, oben in den Bergen ein großes Wellness-Hotel zu bauen, was die Wirtschaft des kleinen Dorfes ankurbeln soll. Doch zuvor sucht er potentielle Geldgeber, und das bringt gewaltige Unruhe in den Ort. Und Carl kommt nicht alleine, sondern mit seiner Frau Shannon - was für Roy eine noch größere Unruhe bedeutet. Denn bereits kurz nach der Ankunft kann er nicht leugnen, dass er sich von ihr sehr angezogen fühlt.

    Wer jetzt an Kain und Abel aus der Bibel denkt oder auch an 'Jenseits von Eden' von John Steinbeck, der liegt nicht ganz falsch. Hier geht es ganz eindeutig um das schwierige Verhältnis zweier Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier geht es um Schuldgefühle und Verantwortung, aber auch um Liebe, Gier, Neid und Eifersucht. Und es geht um ein Dorfgefüge, das nach und nach gewaltig in Schieflage gerät.

    Ein Kriminalroman? Nun, irgendwie schon - über einen Mangel an Toten braucht man sich jedenfalls nicht zu beklagen. Aber gleichzeitig ist es auch ein auf verschiedenen Ebenen angelegtes Psychodrama, das die sich anbahnende Katastrophe schon früh erkennen lässt - ohne dass man jedoch weiß, worum es sich dabei handeln könnte.

    Jo Nesbø, wohl am ehesten bekannt durch seinen als Antiheld angelegten Ermittler Harry Hole, zeigt in seinem neuesten Roman sein ganzes schriftstellerisches Können. Er präsentiert hier eine langsame Erzählung, dem beschaulichen Lebenstempo in dem kleinen Dorf Os angemessen. Der Autor ergänzt die Schilderungen der Gegenwart mit Rückblenden in die Vergangenheit der beiden Brüder, was den Charakteren zunehmend Profil verleiht.

    Die Spannung entsteht dabei eher unterschwellig - beim Lesen entwickelt sich schnell ein ungutes Gefühl ohne dass der Grund dafür zu fassen ist. Doch als versierter Krimischreiber beherrrscht Jo Nesbø natürlich auch die Kunst der Cliffhanger und der PlotTwists. Das macht das Geschehn unvorhersehbar, was die Spannung wiederum erhöht.

    Man muss keinen der Charaktere leiden können - und tatsächlich buhlt hier niemand um Sympathiepunkte - aber das unaufhaltsame Drama sorgt letztlich doch für ein Mitfiebern. Vielleicht doch ein Hoffnungsschimmer? Wie weit können Loyalitäten gehen? Gibt es eine Grenze?

    Gefallen hat mir dabei der eher nüchtern-distanzierte Schreibstil, der gut zur Figur des Ich-Erzählers Roy passte. In manchen Szenen wurden dennoch ausreichend Emotionen transportiert, um das Drama auch für den Leser fühlbar zu machen - und aufgelockert wurde das ganze durch immer wieder eigenstreute Sequenzen mit trockenem Humor.

    "Klar, Schönheit war kein Menschenrecht, aber bei Grete war der Schöpfer wirklich ausnehmend geizig gewesen." (S. 29)

    Auch wenn mich die Erzählung nicht von Anfang an packen konnte, band sie mich doch zunehmend an sich, so dass ich das Buch schließlich gar nicht mehr aus der Hand legen mochte. Kein Pageturner, aber ein außergewöhnlich intensiver Roman, der gut zu langen Herbstabenden auf der Couch passt...

    © Parden

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  1. Am Rande eines Abgrunds liegt ein Königreich.

    Os ist eine kleine Gemeinde im ländlichen Norwegen. Dort betreibt Roy Opgard eine Tankstelle. Als nach 15-jähriger Abwesenheit Roys jüngerer Bruder Carl nach Os zurückkehrt, ändert sich Roys beschauliches und eintöniges Leben schlagartig. Denn Carl hat nicht nur seine Ehefrau Shannon mitgebracht, sondern er hat auch Pläne für den Bau eines Hotels im Gepäck. Während Carl noch Investoren für sein Projekt auftreiben will, geraten wieder alte Gerüchte in Umlauf: über den Unfalltod der Eltern der Opgardbrüder vor vielen Jahren und über das rätselhafte Verschwinden des Dorfpolizisten danach.
    Der norwegische Schriftsteller Jo Nesbø wird der Leserschaft vor allem durch seine Krimireihe um den abgehalfterten Ermittler Harry Hole bekannt sein. „Ihr Königreich“ ist ein Einzelband, ein Kriminalroman, aber auch wieder nicht. Ungeklärte Todesfälle sind ein elementarer Bestandteil für einen Krimi und die gibt es in diesem Roman auch. Aber das Buch ist noch viel mehr ein tiefer Blick in menschliche Abgründe. Ein Kammerstück um Moral, Gier, Begierde und Liebe.
    Nesbø legt sein erzählerisches Können in die Hände von Roy Opgard, dem älteren Bruder. Roy ist wortkarg, ein Eigenbrötler. Ein stilles Wasser, doch die sind bekanntlich tief. Und er ist ein absolut unzuverlässiger Erzähler. Es ist Stückwerk, das nach und nach zusammengesetzt wird. Roy hat Geheimnisse, das ist sehr schnell klar. Aber es dauert, bis er hinter die Fassade blicken lässt.
    „Roy ist der Erzähler, der uns sagt, wer wir sind, sagte Carl. Er selbst ist alle und niemand. Der Gebirgsvogel ohne Namen.“
    Der Hof der Opgards ist gefährliches Terrain. Am Rande eines Abgrundes. Der Vater bezeichnete ihn als „das Königreich“. Eine Bastion der Familie, die es zu verteidigen gilt.
    „Wir sind eine Familie. Wir haben einander und sonst niemanden. Freunde, Geliebte, Nachbarn, die Dorfbewohner und Landsleute, alles Illusion. Wenn es eines Tages darauf ankommt, sind sie nichts wert. Dann heißt es, wir gegen sie, Roy. Wir gegen alle anderen. Absolut alle. Hast du das verstanden?“
    Doch Familie ist nicht immer ein sicherer Ort, das mussten die Opgard Brüder schon als Kinder erfahren. Roy, der ältere, stand schon immer tatkräftig für seinen Bruder Carl ein, versteht, was zu tun ist, macht sich auch mal die Hände schmutzig. Es ist ein kleines bisschen wie bei Macbeth, Schuld lässt sich nicht abwaschen. Carl ist charmant, windig, ein charismatischer Verführer. Er weiß um die bedingungslose Liebe seines Bruders und nützt dies aus. Doch auch er scheitert letztlich an Roys Untiefen.
    Loyalität auf dem Prüfstand, bis zur Zerreißprobe. Jo Nesbø lässt tief blicken in die Abgründe menschlichen Handelns. Allzu nahe sollte man an diesen Abgrund nicht gehen, denn er schaut zurück.

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  1. 4
    14. Sep 2020 

    Unerwartet aber spannend

    Das unerwartete Auftauchen von Carl bringt das Leben von Roy Opgard in Norwegen ganz schön durcheinander. Er kommt nicht allein. An seiner Seite ist Shannon seine exotische Ehefrau aus Barbados. Beide kommen nicht ohne Grund. Sie haben Großes in der kleinen Stadt in Norwegen vor. Ein riesiges Wellnesshotel auf dem Berg soll Reichtum und Wohlstand für alle im Ort sichern. Alle sind von diesem Gemeinschaftsprojekt, das ja alle irgendwie mitfinanzieren sollen, begeistert. Es könnte alles so schön sein.

    Aber es gibt eben auch eine dunkle Seite in diesem Buch. Erzählt wird die Geschichte von Roy. Von ihm erfahren wir in einzelnen Rückblenden zunehmend mehr aus der Kindheit und dem Leben der beiden Brüder. Es wird beim Lesen auch immer klarer, das es da viele dunkle Geheimnisse und Begebenheiten im Leben beider gibt, die die beiden Brüder so fest verbindet. Ob es nun der tragische Unfalltod beider Eltern ist, oder aber auch die vielen Arztbesuche seines, damals noch kleinen Bruders, die einen schlimmen Verdacht aufwerfen.

    Jo Nesbo erzählt hier sehr anschaulich, manchmal auch ein wenig langatmig, aus dem Leben dieser beiden Brüder. Diese werden sehr genau gekennzeichnet. Roy, der ältere und stärkere der beiden Brüder, der es zumindest zu einer eigenen Tankstelle gebracht hat. Carl, der jüngere und ängstliche Bruder, dem es gelingt durch ein Studium in Amerika ein erfolgreicher Unternehmer zu werden, dem es mit seinem Auftreten und Charisma gelingt, die Leute erfolgreich zu manipulieren und immer auf seine Seite zu ziehen.

    Da es sich aber bei diesem Buch um einen Krimi handelt, ist schon klar, dass da auf jeden Fall so einiges passieren wird. Mir hat dieser Krimi, auch die fast schon sanfte ruhige Art, wie er erzählt wurde, sehr gefallen. Das war mal etwas ganz anderes. An den entscheidenden Stellen entstand aus dem sanften Erzählen plötzlich eine explosive Spannung und man wollte einfach nur wissen, was passiert und wie es weitergeht.

    Von mir gibt es natürlich eine Leseempfehlung und auf Grund der manchmal unnötigen Längen nur vier Lesesterne.

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