Iglhaut

Rezensionen zu "Iglhaut"

  1. 4
    21. Jan 2023 

    Alltag im Hinterhof eines Münchner Mietshauses...

    Sie hat eine Vorliebe für Whiskey-Cocktails und alte Sozialdemokratinnen, hat schlechte Backenzähne, Geldprobleme und ein Talent für den Umgang mit Holz: Iglhaut, die im Hinterhof eines Münchner Mietshauses ihre Werkstatt unterhält. Die freiheitsliebende Iglhaut, die sich immer wieder – ohne eigenes Zutun und definitiv gegen ihren Willen – in nachbarschaftliche Angelegenheiten verstrickt. Katharina Adlers Iglhaut ist eine Heldin nach Art alter Götter. Aus dem Holz für verlässliche Beziehungen ist sie nicht gemacht, weder in der Liebe noch im Geschäft. Auch ihre Laune: so wandelbar wie das Wetter. Dabei will sie eigentlich nur ihre Ruhe, Ruhe für sich, die Hündin und ihre Arbeit. Doch dann steht da plötzlich eine alte, komplizierte Liebe, drängen immer mehr Anwohner und ihre Geschichten – cholerisch, komisch, ungebeten – in diesen zutiefst menschlichen Roman. Einen Roman, der das Leben feiert, ohne die Augen zu verschließen vor dem, was ist. (Klappentext)

    Im Grunde lässt sich schlecht beschreiben, worum es in diesem Roman geht. Alltagsgeschehen halt, rund um ein Mietshaus in München, im Mittelpunkt die selbständige Schreinerin Iglhaut, die alleinstehend ist und ihre Freiheit liebt und am liebsten von allen in Ruhe gelassen werden will. Das klappt aber irgendwie nie. Die geschiedenen Eltern machen regelmäßig ihre Aufwartung, die Hündin mit Namen "die Kanzlerin" fordert Iglhauts Aufmerksamkeit - und vegetarische Ernährung -, die Nachbarn drängen sich ungefragt in ihr Leben, der Gang zum Zahnarzt ist mehr als einmal erforderlich, anspruchsvolle Aufträge bereiten ihr Stress, in Sachen Liebe läuft es nicht so richtig rund aber irgendwie weiter... Kurz gesagt: das Leben funkt immer dazwischen.

    "Die Iglhaut kam aus dem Untergrund. Die Rolltreppe trug sie hinauf, die Nacht wie blankpoliert. Niemand nahm das zur Kenntnis, nicht einmal die Iglhaut selbst. Sie war müde vom Flug und von der Ferne..."

    Iglhaut - jede:r nennt sie nur beim Nachnamen, was zu dem spröden, etwas mürrischen und raubeinigen Charakter passt, und doch fehlt da wohl ein "E", um wirklich stachelig zu erscheinen. Neben der Iglhaut stehen noch andere weibliche Figuren im Zentrum des Geschehens, die Männer erscheinen hier eher als Randfiguren. Die Iglhaut ist eine gute Beobachterin, wirkt meistens in sich ruhend und bildet sich stets ihre eigene Meinung. Sie lässt sich nicht so schnell aus der Fassung bringen und akzeptiert jede:n anderen so wie er oder sie nun einmal ist. Ändern lässt sich das eh nicht. Der Iglhaut passiert das Leben häufig einfach, und auch da nimmt sie es wie es kommt. Genervt manchmal, staunend zuweilen, selten auch erfreut. Aber in der Regel eben recht pragmatisch. Ich mochte diesen Charakter zunehmend gern.

    Ein Thema des Romans ist Solidarität - und zwar in erster Linie jenseits von Familienstrukturen. Hier gibt es verschiedene Lebenskonzepte, die alle gleichberechtigt nebeneinander sehen, eine Stärke des Romans. Der strotzt nicht vor Spannung, ist leise und beschaulich, und doch fein komponiert. Der eingängige Schreibstil mit der oftmals lakonischen und trockenen Erzählweise war zudem ganz nach meinem Geschmack. Das Ende ist offen, passend gewählt - und doch hätte ich die Iglhaut gerne noch weiter begleitet. Aber zeichnet das nicht einen guten Roman aus?

    Von mir eine klare Leseempfehlung...

    © Parden

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