Identitti: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Identitti: Roman' von Mithu M. Sanyal
4.25
4.3 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Identitti: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:449
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Identitti: Roman"

  1. 4
    01. Jan 2022 

    Welche Farbe darf es sein?

    Welche Farbe darf es denn bitteschön sein für Sie: Weiß, Schwarz, Beige, oder doch lieber Blau?

    "Blau, Blau, Blau" würde die Göttin Kali als Antwort auf diese - auf den ersten Blick abstruse - Frage geben. Worum geht es? Die Haut. Aber natürlich geht es in diesem Roman um so viel mehr als nur die Hautfarbe. Es geht um Identität. Um race, gender und class, welche soziale und politische Konstrukte darstellen. Konstrukte, die zu Realität geworden sind. Und diese vermeintlichen Realitäten stellt Saraswati, eine begnadete Professorin für Postkoloniale Studien, nun in Frage, nämlich indem im Rahmen eines riesigen Skandals herauskommt, dass diese Person of Colour (PoC) eigentlich Weiß ist. Eine Kategorie, die die Europäer erst im Siebzehnten Jahrhundert erfanden, um den Sklavenhandel durch angebliche Überlegenheit der Weißen "Rasse" zu rechtfertigen. Biologisch verschiedene Menschenrassen gibt es nicht. Man sollte meinen, dies sei nun weithin bekannt. Der Roman von Sanyal hilft nicht nur dabei die zugrundeliegenden Lehren zu verstehen, sondern eben auch nachzuvollziehen, was es heißt, als PoC in Europa zu leben, vielleicht hier geboren zu sein und doch nie richtig dazuzugehören. Gefragt zu werden, woher man komme... Nein, wirklich herkomme...

    Die Erzählstimme folgt dabei vor allem einer herausragenden Studentin Saraswatis: Nivedita. Sie schreibt einen Blog über das Leben als PoC in Deutschland und unterhält sich dabei digital (und auch offline) mit der Göttin Kali. Sanyal verwebt gekonnt verschiedene Textstile und Medien miteinander. So erscheinen im Buch nicht nur Niveditas Blogeinträge sondern auch unzählige Tweets und Artikel zur Debatte, die Sarawatis Bloßstellung zum race-passing auslöst hat, sowie Notizen aus Niveditas Seminarmitschriften, welche durchweg Zitate bekannter und weniger bekannter Denker*innen zum Thema race und Rassismus darstellen. Dadurch vermittelt Sanyal nicht die eine "richtige" Meinung zum Diskurs sondern viele verschiedene. Sie schafft etwas in Form eines Romans, was ansonsten eher schwierig wäre, verständlich zu vermitteln: die widersprechenden Sichtweisen zu ein und demselben Thema, welche alle gleichzeitig wahr aber auch falsch sein können. Durch eine gekonnte Dramaturgie wird auch das Aufbauschen und Abflauen eines virtuellen Shitstorms grandios abgebildet.

    Als Roman, der nicht nur leichtfüßig und mitunter amüsant, komplizierte Zusammenhänge vermitteln kann, sondern auch eine Debatte so ausführlich ausleuchtet, mit einem enormen theoretischen Hintergrund, welcher durch das Nachwort, die Quellenangaben sowie Literturhinweise abgerundet wird, könnte dieses Buch perfekt - sogar wirklich großartig - sein. Nun das "Aber", warum es bei mir nur 4,5 Sterne mit einer Tendenz zu den 4 Sternen geworden ist. Der Plot lahmt im Mittelteil ein wenig und es gibt eine irgendwie nebensächlich wirkende Beziehungskiste, die etwas obsolet bis nervig wirkt. Unabhängig davon bin ich wirklich begeistert von diesem Roman Mithu Sanyals und kann ihn vorbehaltlos wirklich allen Interessierten empfehlen.

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  1. »Warum ist Kali so cool? Let me count the ways.«

    Anmerkung: PoC ist die Abkürzung für „person of color“ oder „people of color“ und beschreibt Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe Rassismus und Marginalisierung ausgesetzt sind. Es handelt sich dabei um eine Wiederaneignung und positive Umdeutung der ungeliebten Bezeichnung „colored“ / „farbig“, die einen rassistischen Hintergrund hat.

    Ok, Protagonistin Nivedita ist also eine Bloggerin, die unter dem Namen Identitti über Rassismus und … Titten schreibt. Sie unterhält sich in ihren Posts mit der Göttin Kali, weil sie sich mit der schon seit ihrer Kindheit verbunden fühlt, seit Kali ihr da in einem Traum erschien. Der Roman fängt direkt damit an, dass Kali Nivedita zu einem Masturbation-Wettbewerb einlädt, um zu gucken, wer weiter spritzen kann.

    Puh, dachte ich. Wenn das jetzt das ganze Buch so weiter geht, wird das nicht too much?

    Nee. Wird es nicht.

    Denn es fügt sich alles zusammen – und ist dabei verdammt unterhaltsam, ohne auf Tiefgründigkeit zu verzichten. Nivedita hat eine deutsche Mutter und einen indischen Vater und fühlte sich schon ihr ganzes Leben lang nirgendwo zugehörig. Als Kind wurde sie von anderen, komplett indischen Kindern als Kokosnuss beschimpft – außen braun, innen weiß. Sie fühlte sich unsichtbar, übergangen, wertlos. Kali ist im Grunde ihr freches, selbstbewusstes Alter Ego, das kompromisslos aussprechen kann, was sie bewegt. In Gedanken ist Kali immer bei ihr, in ständigem Zwiegespräch.

    »Kali ist der Schall und der Zorn und die Heftigkeit, die ich brauche, um den Abgrund zu überwinden, der mich vom Erzählen trennt.«

    Doch dann belegt Nivedita an der Universität „Postkoloniale Studien“ und begegnet der indischen Dozentin Saraswati, die als Erstes mal alle weißen Student:innen aus ihren Vorlesungen rauswirft. Es eröffnet sich Niv eine ganz neue Welt, ein ganz neues Leben, ein ganz neues Ich, das endlich gehört wird.

    Eines Tages wird Saraswati entlarvt: Sie ist gar keine Inderin, keine PoC, sondern eine weiße Deutsche, die sich Haut und Haare färbt. Echte PoC sind verständlicherweise entrüstet, die Öffentlichkeit wetzt die Messer, die AfD und die BILD-Zeitung überbieten sich mit absurden Schlagzeilen.

    »In einer Welt, in der Saraswati weiß ich, verstehe ich mich selbst nicht mehr.«

    Niv verliert den Boden unter den Füßen, weiß nicht, was sie denken und fühlen soll. Wenn Saraswati nicht echt ist, ist dann auch nicht echt, was Nivedita von ihr gelernt und wie sie sich entwickelt hat? Sie schlägt und tritt die von Saraswati geschriebenen Bücher, bringt es aber nicht über sich, sie zu zerreißen. Ganz ohne Frage, sie fühlt sich unglaublich verletzt und verraten; aber je länger sie sich mit Saraswati unterhält, desto deutlicher wird, dass sie ihre Mentorin immer noch liebt, sich aber auch von ihr befreien muss, um sich selbst zu finden.

    Zitat:
    »Unsinn. Ich habe dir eine Sprache gegeben, um deine Opfererfahrungen zu transformieren!«, sagte Saraswati wegwerfend. »Um sie in eine Waffe zu verwandeln, und nicht, um dich für immer im Opferdasein zu suhlen!«
    Die Pfütze, die Niveditas Herz war, schrie zurück: Und was mache ich mit dem, was noch nicht transformiert ist? Was mache ich mit dem, was roh ist? Was vor Schmerzen schreien will? Soll ich alldem etwa sagen: Halt den Mund, bis du erleuchtet genug bist?

    Saraswati selber versteht die ganze Aufregung nicht; für sie ist Rasse nur ein Konstrukt, das Herrschaftsstrukturen ermächtigt, und sie sieht es eher als Akt der Ermächtigung, sich daraus zu befreien. Ohne jede Ironie betrachtet sie sich geradezu als Heilsfigur. Sie scheint wirklich zu glauben, dass sie nicht weiß ist, dass ihre Identität eine Art von Trans-Identität ist, und ist ehrlich erstaunt, dass sie sich damit auch bei der LGBTQ+-Community in die Nesseln setzt. #transracial

    »Es geht bei feministischer und antirassistischer Theorie doch genau darum, die Definitionsmacht über sich selber zu bekommen. Wie könnt ihr mir dann die Definitionsmacht über mich absprechen?«

    Je weiter die Geschichte fortschritt, desto mehr haderte ich mit mir, wie ich Saraswati einschätzen sollte. Fand ich es richtig von ihr, sich braun angemalt und als Inderin ausgegeben zu haben? Himmel, nein – eher verdammt selbstherrlich. Hallo, kulturelle Aneignung hoch zwei?! Aber der Roman lässt mich hinterfragen, warum ich es so falsch finde. Er entblättert sich in einer Myriade von tiefgehenden Fragen nach Rasse, Herkunft, Identität und wie das alles zusammenhängt, und das finde ich meisterhaft konstruiert. Und so ungern ich es eingestehe – Saraswati sagt im Laufe des Buches einige hochinteressante Dinge, was race und Machtstrukturen und ‘Kolonialisierungen der Seele’ betrifft.

    Ich bin selber so weiß, wie man nur sein kann. Nivedita ist indes so gut geschrieben, dass ich über sie wenigstens den Hauch eines Gefühls dafür bekomme, wie das so ist, als „mixed-race“ PoC aufzuwachsen und zu leben.

    Als wäre ihre Welt durch Saraswatis Entlarvung nicht schon erschüttert genug, begeht Tobias R. wenige Wochen später seinen rechtsextrem motivierten Anschlag in Hanau, der leider keine Erfindung der Autorin ist. Neun Tote, sechs Verletzte – alle Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen wie Nivedita. Fortan dröhnt dieser Anschlag im Hintergrund wie ein stetiger Kontrapunkt des Schmerzes, selbst wenn gerade nicht explizit die Rede davon ist.

    »Jetzt aber los, so ein Exorzismus erledigt sich nicht von alleine.«

    Gegen Ende nimmt das Buch eine Wendung, die ich nicht habe kommen sehen. Ich grübele noch immer, wie ich das nun finde. Auf jeden Fall originell, auf jeden Fall frech und bunt … Irgendwie Bollywood-goes-political, oder umgekehrt. Aber mir gefällt, wie die Heldin der Geschichte mit der ganzen Sache und mit sich selbst ins Reine kommt. Mir gefällt auch, wie ambivalent Saraswati bleibt – transracial oder einfach nur privilegiert, weder noch oder beides … Wenn es um Identität geht, gibt es halt keine einfachen Lösungen und kein Schnittmuster.

    Fazit:

    Das große Idol der jungen Halbinderin Nivedita, Dozentin Saraswati, die ihr zum ersten Mal im Leben zu einem Gefühl der Identität und des Gehört-Werdens verholfen hat, stellt sich überraschend als weiße Frau heraus, die sich nur braun anmalt. Das kommt nicht so gut, wenn frau sich in allen Medien als Galionsfigur einer neuen Zeit verkauft hat, in der PoC sich selbstbewusst behaupten können, ohne sich rassistischen Strukturen zu beugen. Nur die AfD ist entzückt.

    Nivedita ist wütend. Nivedita ist verletzt. Nivedita ist verliebt. Und daher geht sie zu Saraswati und stellt sie zur Rede. Und die Göttin Kali hat dabei auch ein Wörtchen mitzureden.

    So einfallsreich, so kunterbunt, so frech, so authentisch, so tiefgründig und alles auf einmal, so muss frau erstmal schreiben können. Mithu M. Sanyal kann das. Die Charaktere sind grandios – auch und gerade die kontroverse Saraswati, die es der Heldin und den Leser:innen wahrlich nicht leicht macht. Der Schreibstil schert sich nicht die Bohne um Konventionen, und das Ganze kommt mit sehr viel Humor und einer Dosis Herzschmerz daher.

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  1. 4
    04. Jun 2021 

    Übergöttin

    Nivedita, die einen indischen Vater hat und eine polnische Mutter, studiert an der Uni Düsseldorf. Manchmal wünscht sie sich, sie wäre mehr indisch und nicht nur irgendwas. Saraswati ist die Professorin, die Nivedita am beeindruckendsten findet. Nivedita glaubt, mit Saraswati teilt sie ihre Identität. Doch plötzlich kommt es ans Licht: Saraswati ist eigentlich weiß! Wie kann das sein, sie, die so viel für die People of Colour zu lehren hat, über Identität, ist hat sich an der Uni als Person mit indischen Wurzeln angegeben, obwohl ihre Eltern Weiße waren? Nicht nur für Nivedita stürzt ihr Identitätsgebäude ein. Saraswatis Stellung an der Universität ist geschwächt, das Netz hetzt.

    Dies ist ein wahrlich ungewöhnlicher Roman, auf den man vielleicht nicht gewartet hat, der aber unbedingt gelesen werden sollte. Zwei Frauen, die junge Nivedita und ihre Professorin Saraswati, sie scheinen einen ähnlichen Hintergrund zu haben und ähnlich zu denken. Doch nach dem Skandal ist alles anders und Nivedita will ihre Lehrerin zur Rede stellen. Wie konnte sie nur? Doch Saraswati schafft es immer wieder, Nivedita einen anderen Blickwinkel aufzuzeigen. Hatte Saraswati etwa doch einen guten Grund? Was ist überhaupt Identität und könnte nicht auch alles ganz anders sein?

    „Identitti“ greift ein Thema auf, mit dem man sich vielleicht noch nicht explizit beschäftigt hat, weil man der Mehrheit angehört. Dennoch saugt man die Worte ein, weil sie einen anderen Blickwinkel eröffnen. Gerade weil das Thema ungewohnt ist, ist das Buch manchmal nicht leicht zu lesen. Hin und wieder muss man nochmal zurückgehen und nachlesen und überdenken, ob man einzelnen Sätze richtig verstanden hat. Man hält inne, denkt nach, ist gefesselt. Die teilweise aberwitzigen Situationen und Verdrehungen sind wie ein Spiegel, der einem vorgehalten wird, der einen erkennen lässt, wie dämlich man sich mitunter verhält. Die Autorin hat einen beeindruckenden Roman geschrieben, der das Interesse weckt, über seine eigene Identität und den geschichtlichen Zusammenhang zu reflektieren. Auch wenn man selbst eher selten Bücher mehr als einmal liest, dieses hier könnte die Ausnahme sein.

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  1. Minikosmos. Parallelwelten.

    Mithu Sanyal hat sich mit ihrem ersten Roman auf das Thema „Identität“ konzentriert. Vorher hat sie feministische Sachbücher geschrieben, die ich nicht kenne, die aber vom Titel her nach Feminismus klingen „Vulva. Das unsichtbare Geschlecht“, 2009 und 2016 „Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens“.

    Story: Nivedita ist eine junge Studentin mit Migrationshintergrund. Sie ist in Deutschland geboren und hat zu ihrem Kummer eine nur allzu deutsche Mutter, das ist Gisela und einen indischen Vater, der bei ihrer Erziehung weder großartig in Erscheinung trat noch ins Gewicht fiel. Warum sie sich mehr indisch als deutsch fühlt/e und warum es ihr etwas ausmachte, außen braun und innen weiß zu sein, als Coconut wurde sie in ihrer zarten Jugend von ihrer Cousine in Birmingham beschimpft, ist mir auch nach der Lektüre des Romans nicht klar geworden.

    Nivedita führt jedenfalls einen provokanten Blog namens „Identitti“ in dem sie sich sowohl dem Feminismus widmet wie auch den Genderthemen der Zeit (transsexuell, transgender, quivergender, polygender, etc.) und daraus resultierend, etwas allgemeiner gefasst, der menschlichen Identität. Was macht uns zu dem, was wir sind. Unser Erbe. Unsere Umgebung. Unsere Hautfarbe. Unsere Ethnie. Texture of Hair. Wie geht es Persons of Colour in einer überwiegend weißen Gesellschaft. Warum brauchen wir dafür einen englischen Begriff? Vielleicht ist das Deutsche tatsächlich nicht griffig. Mir würde bunte Menschen gefallen, aber das klingt nach buntem Hund oder Menschen mit Farbe. Gut, solange nichts Besseres vorhanden ist, also PoCs. Warum müssen wir Hautfarbe überhaupt benennen, frage ich mich.

    Was macht uns überhaupt zu Menschen, kommt in dem Roman allerdings nicht vor.

    Als Nivedita die Kurse einer farbigen Professorin, Fach Postkolonialismus, besucht, die Kurse der inzwischen berühmten und berüchtigten Professorin Saraswati, ist sie fasziniert und wird deren Vorzeigestudentin. Die erste Lehrstunde bei Saraswati bestand darin, zu fragen, wer „weiß“ wäre und diese Studenten des Saales zu verweisen. Eine sehr anschauliche Demonstration in punkto Diskriminierung.

    Die Story beginnt mit einem Interview beim Deutschlandfunk, in dem Nivedita ihre allzeit zur Provokation bereite Professorin über den grünen Klee lobt, ohne zu ahnen, dass quasi beinahe zeitgleich die Enttarnung der Professorin als „Weiße“ stattgefunden hat. Nun muss sich Nivedita vielen Fragen stellen und sich mancherlei Anfeindungen erwehren, als sie in Saraswatis Haus zieht, um herauszufinden, was hinter allem stecken mag. (Wer zieht in das Haus seiner Professorin? Strange).

    Der Kommentar:
    In diesem Roman, der zeitweise einfach aus Auszügen aus Niveditas Blog besteht, aus Twitternachrichten, etc. ist die Schreibweise „Leser*innen“, etc. völlig angebracht, da die Thematik des Buches es erfordert.

    Nivedita und ihre Kommilitonen leben freilich in einer Parallelwelt. Sie beschäftigen sich mit nichts anderem mehr als mit echter und vermeintlicher Diskriminierung wegen ihrer Hautfarbe, ihres Hintergrunds, etc. Es wird ausführlich erläutert, wie sehr sie es satthat (satthaben) danach gefragt zu werden, woher sie kommt. Aus dem Internet, sagt sie schnippisch. Oder wie schrecklich sie es findet, wenn jemand sagt, dass sie gut deutsch kann. Warum sie nicht einfach sagt. Du auch! habe ich nicht begriffen. Was im ganzen Buch nicht einmal zur Sprache kommt, ist, dass Diskriminierung überall ist in der Gesellschaft und sich eben NICHT auf die Diskriminierung von PoCs beschränkt. Warum ist dies wichtig? Weil man sich sonst in einen Kokon der Einmaligkeit verpuppen kann und nicht mehr herausfindet vor lauter Selbstmitleid.

    Der Roman ist schnippisch, was gefällt, ironisch, sexistisch, was nicht gefällt, nimmt sich teilweise auch selber auf die Schippe, verliert, meines Erachtens aber nie den anklagenden Unterton. Der arme „Weiße“ kann nichts richtig machen. Am obigen Beispiel. Fragt man interessiert nach, ist man ein patriarchalisches Subjekt, fragt man nicht nach, ist man ein interesseloses, empathieloses Subjekt. (Subjekt steht hier als Platzhalter für unser beliebtestes anales Schimpfwort). Anpassung wird als Unterwerfung verkauft.

    Aus dem Roman habe ich einiges gelernt und verstanden, aber dennoch drängt sich mir als Resultat auf, dass man sich auch selber auf die Opferschiene bugsieren kann und der Zug erst in der Orientierungslosigkeit, im Selbstmitleid und der Abschottung zum Stillstand kommt. Und Studenten leben oft in einer Blase. Sie müssen erwachsen werden und Kompromisse machen. Wie wir alle.

    Fazit: Lesenswertes Experiment mit kleinen sprachlichen Schwächen, die dem ModernseinwollenumjedenPreis geschuldet sind.

    Kategorie: Anspruchsvoller Roman
    Verlag: Suhrkamp 2021

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