Ich nannte ihn Krawatte

Buchseite und Rezensionen zu 'Ich nannte ihn Krawatte' von Milena Michiko Flasar
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Inhaltsangabe zu "Ich nannte ihn Krawatte"

Ist es Zufall oder eine Entscheidung? Auf einer Parkbank begegnen sich zwei Menschen. Der eine alt, der andere jung, zwei aus dem Rahmen Gefallene. Nach und nach erzählen sie einander ihr Leben und setzen behutsam wieder einen Fuß auf die Erde.

Nur wenige sorgfältig gewählte Worte benötigt Milena Michiko Flasar, um ihre Figuren zum Leben zu erwecken, nur wenige Szenen, um ganze Schicksale zu erzählen. Ein junger Mann verlässt sein Zimmer, in dem er offenbar lange Zeit eingeschlossen war, tastet sich durch eine fremde Welt. Eine Bank im Park wird ihm Zuflucht und Behausung, dort öffnet er die Augen, beginnt zu sprechen und teilt mit einem wildfremden Menschen seine Erinnerungen. Der andere ist viele Jahre älter, ein im Büro angestellter Salaryman wie Tausende. Er erzählt seinerseits, über Tage und Wochen hinweg, Szenen eines Lebens voller Furcht und Ohnmacht, Hoffnung und Glück. Beide sind Außenseiter, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, die allein in der Verweigerung aktiv werden.

Aus der Erfahrung, dass Zuneigung in Nahrung verpackt, Trauer im Lachen verborgen werden kann und Freundschaften möglich sind, stärken sie sich für einen endgültigen Abschied und einen Anfang. Milena Michiko Flasar macht eine Parkbank zur Bühne, zu einem huis clos unter freiem Himmel. Die Bank befindet sich in Japan und könnte doch ebenso gut anderswo in der westlichen Welt stehen. Dieser Roman stellt der Angst vor allem, was aus der Norm fällt, die Möglichkeit von Nähe entgegen - sowie die anarchische Kraft der Verweigerung.

Format:Kindle Edition
Seiten:144
EAN:

Rezensionen zu "Ich nannte ihn Krawatte"

  1. Wenn das Nicht-Weinen ein Weinen ist

    ‚Ein Nagel, der hervorsteht, muss plattgeklopft werden‘ lautet ein sehr charakteristischer Spruch in Japan. Er drückt aus, dass Außenseiter es sehr schwer haben! Das ist auch der große Unterschied zu unserem westlichen Denken, wo Individualismus großgeschrieben wird.

    Das sollte einem beim Lesen dieses Buches der japanisch-österreichischen Autorin bewusst sein!
    Zwei Jahre hat der Ich-Erzähler Taguchi Hiro, 20 Jahre alt, sein Zimmer nicht verlassen! Beim ersten ‚Ausgang‘ im Februar landet er, der niemanden begegnen will, in einem Park auf einer Bank. Eines Tages taucht ein typ. jap. Büroangestellter (mit rot grau gestreifter Krawatte), Mitte 50, auf und setzt sich auf die gegenüberliegende Bank. Und er kommt jeden Tag, außer am WE, bleibt von 9 – 18.00 Uhr, liest seine Zeitung, leert seine Bento-Box und raucht.

    Und es dauert mehrere Monate, bis Ohara Tetsu sich zu ihm setzt und sich ganz zögerlich langsam ein Gespräch zwischen beiden entwickelt. Sie erzählen sich nach und nach die Hintergründe, warum sie auf dieser Bank sitzen, warum sie zu Außenseiter wurden.

    Ich fand es faszinierend, wie auf gerade mal 136 Seiten so viel Inhalt passte! Jeder Satz ist allerdings auch sehr aussagekräftig und kein Wort ist zu viel! Gut, man kann mit Fug und Recht von mir behaupten, dass ich voreingenommen gegenüber Büchern über die Heimat meiner japanischen Schwiegertochter bin. Ich sauge einfach jede Information darüber auf wie ein Schwamm und freue mich immer riesig, wenn mir wieder etwas Vertrautes begegnet: z.B. der ‚Butsudan‘, der buddhistische Hausaltar, der auch bei unserer Schwiegertochter zum Andenken an ihre, erst zu Ostern verstorbene, Mutter in Schuhkarton-Größe steht.

    Fünf Sterne vergebe ich für dieses schmale, aber sehr beeindruckende, tiefgründige und berührende Meisterstück! Ich drücke es allen ans Herz, die ein Faible für japanische Literatur haben und sich für dieses faszinierende Land interessieren. Nach ‚Oben Erde, unten Himmel‘ ist das Buch das 2. von dieser Autorin, das mich begeistert! Ich hoffe, dass es bald wieder ein neues von ihr zu lesen gibt!

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