Ich an meiner Seite: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Ich an meiner Seite: Roman' von Birnbacher, Birgit
4.25
4.3 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ich an meiner Seite: Roman"

Der Roman der Bachmann-Preisträgerin von 2019: Humorvoll und empathisch erzählt Birgit Birnbacher vom jungen Arthur, der nach seiner Zeit im Gefängnis nur schwer eine neue Chance bekommt. Arthur, 22, still und intelligent, hat 26 Monate im Gefängnis verbracht. Endlich wieder in Freiheit stellt er fest, dass er so leicht keine neue Chance bekommt. Ohne die passenden Papiere und Zeugnisse lässt man ihn nicht zurück ins richtige Leben. Gemeinsam mit seinem unkonventionellen Therapeuten Börd und seiner glamourösen Ersatzmutter Grazetta schmiedet er deshalb einen ausgefuchsten Plan. Eine kleine Lüge, die die große Freiheit bringen könnte ... Humorvoll und empathisch erzählt Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher davon, wie einer wie Arthur überhaupt im Gefängnis landen kann, und geht der großen Frage nach, was ein „nützliches“ Leben ausmacht.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:304
Verlag:
EAN:9783552059887

Rezensionen zu "Ich an meiner Seite: Roman"

  1. Einfühlsamer

    Einfühlsamer Resozialisierungsroman

    Birgit Birnbacher hat eine einfühlsame Geschichte darüber geschrieben, wie schwierig die Wiedereingliederung in die Gesellschaft für straffällig gewordene Menschen ist. Wenn nicht der Zufall zuhilfe kommt oder ein Wunder geschieht, so ihre implizierte Aussage, kann es nicht klappen.

    Der Leser begegnet Arthur nachdem er seine Haftstrafe bereits verbüßt hat. Wobei man Buße in seinem Falle wörtlich zu nehmen hat. Weil er nicht nur den Freiheitsentzug zu verkraften hat. Denn, wenn das alles wäre, wäre es ein Kinderspiel.

    Birgit Birnbacher hat ein fast wahnsinniges Szenario aufgezogen, um die Absurdität mancher Resozialisierungsprogramme aufzuzeigen, in deren behaupteter Sinnlosigkeit leider mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt. Die Gesellschaft bietet Arthur kaum einen Anreiz oder eine Chance zum Neuanfang.

    Der Roman ist in zärtlich-sachlichem Ton gehalten, einer Tonart, die man selten in Romanen antrifft. Das Schreckliche wird erzählt, ist aber durch die Erzählart für den Leser verkraftbar. Dass, wie der Roman es impliziert, ein Neuanfang ein richtiges Wunder ist und nicht der Normalfall, wie es doch sein sollte, macht den Roman dann allerdings dennoch zu einem deprimierenden Leseereignis. Das restliche Personal in Arthurs Leben ist da und dort ein wenig surrealistisch überzeichnet, was einen Punkt Wertschätzung kostet. Das hätte nicht sein müssen.

    Fazit: Einfühlsamer und dezenter Roman über die Probleme der Wiedereingliederung straffällig gewordener Menschen.

    Der Roman stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, 2020

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: Zsolnay, 2020

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  1. Wiedereinstieg ins Leben

    Arthur Galleij ist 22 Jahre alt und wird nach 26 Monaten aus der JVA Gerlitz entlassen. Was ihn dorthin gebracht hat, bleibt lange im Unklaren. Abgeholt wird er von der ehemaligen Schauspielerin Grazetta, selbst todkrank und doch eine wichtige Stütze für den jungen Mann. Arthur hat einen Platz in einer Wohngemeinschaft ergattert, von wo aus die Wiedereingliederung in die Gesellschaft innerhalb eines Jahres erfolgen soll. Betreut wird er von seinem unkonventionellen Therapeuten Konstantin Vogl, genannt Börd, der selbst seine Baustellen und eine bewegte Vergangenheit zu haben scheint. Nach Börds Philosophie soll sich Arthur ein neues Ich an seine Seite stellen, ein rechtschaffenes, ideales Ich, das in schwierigen Situationen Hilfe und Beistand leisten kann:
    “Also träumen Sie erst mal einen Entwurf von sich. Nicht, wer wir sein wollen, ist entscheidend, sondern wen wir darstellen können. Verstehen Sie den Unterschied?”⠀

    Parallel dazu wird Arthur aufgefordert, über sein bisheriges Leben zu reflektieren. Zu diesem Zweck bespricht er ein Aufnahmegerät.
    Der Leser wechselt nun zwischen der Gegenwart, der Vergangenheit Arthurs als Kind und Jugendlicher sowie seinen Tonbandaufnahmen. Alle drei Ebenen sind gut verzahnt und verständlich. Die einzelnen Abschnitte sind mit jeweiliger Ort/Zeit überschrieben. Man nimmt starken Anteil an Arthurs Leben.

    Arthurs Kindheit ist durch Verluste gekennzeichnet. Früh hat der Vater die Familie verlassen. Die Mutter und der neue Lebensgefährte Georg bauen sich eine neue Existenz in Andalusien auf, indem sie dort ein Hospiz für wohlhabende Todgeweihte gründen. Für Arthur und seinen älteren Bruder Klaus heißt das, aus dem gewohnten Umfeld herausgerissen zu werden. Arthur arrangiert sich, passt sich an. Mit Hospiz-Bewohnerin Grazetta bekommt er eine verständnisvolle Ersatzmutter an die Seite, darüber hinaus hängt Arthur immer öfter mit Princeton und Milla, zwei Gleichaltrigen, ab. Diese Dreier-Freundschaft ist nicht unkompliziert und gipfelt letztlich kurz vor Studienbeginn in einem tragischen Ereignis, in dessen Folge Arthur zurück nach Österreich geht und auf die schiefe Bahn gerät…

    Birgit Birnbacher versteht es, diese verschiedenen Ebenen wunderbar zu verbinden. Sie schildert, wie ein normaler junger Mann in Konflikt mit dem Gesetz kommen kann. In Rückblicken erfährt der Leser vom Weg in die Kriminalität, vom harten Leben in der JVA, wo das rigide Gesetz des Stärkeren gilt, und von den emsigen Bemühungen des Protagonisten, anschließend wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Das ist zeitweise sehr bedrückend. Arthur ist ein sympathischer, nachdenklicher und ruhiger junger Mann. Es sollte eigentlich kein Problem für ihn sein, den ersehnten Arbeitsplatz zu bekommen - wenn, ja wenn der Gefängnisaufenthalt nicht wäre… Immer wieder stößt er auf Vorurteile und Ablehnung. So unkonventionell Therapeut Börd auch sein mag, er hat hehre Ziele: „Ich bin jemand, der sich um Ihre Geschichte kümmert. Ein Schutzvogel vielleicht. Nichts ist vor meinem Schutz sicher! Ich rette Menschen, und Dinge rette ich auch. Aber glauben Sie mir eins: Die Dinge sind dankbarer.“
    Es wird nicht einfach für Arthur, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden, zumal auch Versuchungen am Wegesrand lauern. Ein großes Themenspektrum wird im Laufe des Romans behandelt, der mich begeistert hat.

    Birnbacher erzählt sachlich, unsentimental und empathisch. Sie wertet zu keiner Zeit. Man spürt, dass die Autorin sich als Soziologin mit schwierigen Situationen auskennt. Schreibstil und Handlung haben mich kontinuierlich gefesselt, immer wieder gibt es neue Wendungen. Manche Szenen warten mit feinem Humor auf, doch nie übertrieben und zur Gesamtkonstruktion passend. Die Charaktere sind glaubwürdig, haben ihre Ecken und Kanten, das Themenspektrum ist breit angelegt. Man kann lange über diesen Roman sinnieren, man findet immer wieder weitere Aspekte beim erneuten Durchblättern. Die Nominierung für die Longlist des DBP 2020 ist mehr als gerechtfertigt.

    Große Lese-Empfehlung!

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  1. Ein beeindruckender Roman

    „Er braucht einen schönen, gerade Lebenslauf. Nicht übertrieben ausgeschmückt, darum geht es nicht, aber etwas, das ihn auf den normalen Weg führt.“ (Zitat Pos. 1746)

    Inhalt
    Arthur Galleij ist zweiundzwanzig Jahre alt, als der die JVA Gerlitz als freier Mann verlässt. Er wusste, dass ihn niemand erwarten würde, doch da irrte er. Grazetta, eine alte Dame mit einem bewegten Leben, die er in der Palliativresidenz seiner Mutter in Spanien kennengelernt hatte, ist nun hier in Wien, um auf ihn aufzupassen. Dies will auch der Therapeut Doktor Konstantin Vogel, genannt Börd, der Gesellschaftswissenschaften studiert hatte, auf Grund seiner eigenwilligen Arbeitsweise jedoch arbeitslos wurde. Bettina Bergner hat ihn, ihren ehemaligen Professor, als Mitarbeiter in ihr Projekt geholt, eine neue Form der Therapie für Haftentlassene. Einen vorübergehenden Platz in einer speziellen WG hat Arthur, doch er braucht dringend einen Job. Rasch erkennt er, dass er dazu einen etwas korrigierten Lebenslauf benötigen würde.

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Träume, Verluste, Ereignisse, die Menschen aus der Bahn werfen können, um die reale Härte im Strafvollzug, Bewährungshilfe, Resozialisierung, Vorurteile und mögliche neue Chancen. Auch der schöne Schein des angepassten, daher perfekten Menschen, der in unserer modernen Gesellschaft so wichtig ist, ist ein Thema.

    Charaktere
    Arthur ist ein intelligenter, aber sehr ruhiger junger Mann. Er beobachtet und versucht, das gesellschaftliche System zu verstehen. Im Grunde sollte es für einen Menschen wie ihn nicht schwierig sein, Arbeit zu finden, doch nicht als Haftentlassener. Er erkennt, dass keine gesellschaftliche Beschönigung ihm helfen kann, sondern „einzig und allein ich an meiner Seite.“

    Handlung und Schreibstil
    Nach einer kurzen Einleitung, ein Morgen in der Jetztzeit, beschreibt die aktuelle Handlung die Ereignisse zwischen Juni 2010 und Juni 2011. Parallel dazu wird in Rückblicken Arthurs Kindheit und Jugend erzählt, ergänzt durch Arthurs eigene Erinnerungen. Das Schicksal dieser Hauptfigur, die untypisch in diese Lage geschlittert ist, wird lebendig, einfühlsam, aber auch unverklärt und realistisch geschildert. Obwohl Arthur jung ist, scheint er, ebenso wie Börg und Grazetta, etwas aus der Zeit gefallen, und man schließt diese Figuren mit allen ihren Schrullen und speziellen Eigenheiten rasch ins Herz. Die Sprache erzählt klar, gerade und eindrücklich.

    Fazit
    Ein ernster, nachdenklicher und gleichzeitig humorvoller Roman. Diese Geschichte über die Realität eines Alltags mit einem Gefängnisaufenthalt im Lebenslauf überzeugt auch durch die einnehmende Hauptfigur.

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  1. 4
    03. Okt 2020 

    Wiedereingliederung

    Arthur war im Knast. Äußerlich hat er sich nicht verändert, aber innen drin ist er nicht mehr der, der vor über zwei Jahren die Haftanstalt betreten hat. Um sich wieder in die Gesellschaft einzufügen, darf er ein Jahr in einer Wohngemeinschaft wohnen und an einer Studie teilnehmen, um seine Defizite anzugehen. Etwas widerwillig beginnt er mit der Therapie, um überrascht festzustellen, dass sich doch Veränderungen einstellen. Sein Therapeut Dr. Vogel, genannt Börd, ist zwar ein wenig seltsam, aber irgendwie schlagen seine Methoden an. Arthur soll von sich erzählen und am besten soll er mit dem Anfang beginnen.

    In Rückblenden erzählt Arthur, dass er eigentlich Mario heißen sollte. Doch ehe seine Mutter sich versah stand der Name Arthur in der Urkunde. Und sein leiblicher Vater war bald darauf verschwunden. Die Mutter beginnt sich neu zu erfinden und geht mit ihrem neuen Lebensgefährten und ihren beiden Söhnen nach Spanien. Ein abenteuerlicher Lebensstart, der für ein Kind sicher nicht ganz einfach ist. Doch irgendwie findet sich der neunjährige Arthur in der Fremde zurecht und als Jugendlicher ist er eng mit Milla und Princeton befreundet. Bis kurz vor Beginn des Studium eine Katastrophe passiert, die Arthur aus der Bahn wirft.

    Nicht leicht hat es ein junger Mensch nach einem Gefängnisaufenthalt wieder in die Welt zu kommen. Zwar gibt es Angebote zur Wiedereingliederung, doch wirkt ein Gefängnisaufenthalt im Lebenslauf nicht gerade karrierefördernd. Die Autorin beschreibt Arthurs Schwierigkeiten sehr eindringlich. Allerdings werden einige Ereignisse etwas zu sehr im Ungewissen gelassen. Arthurs Jahr der Resozialisierung gerät durch die notwendigen Zeitsprünge eher szenisch und nach manchen Sprüngen fragt man sich, wie kommt das denn. Nichtsdestotrotz beeindruckt Arthur mit seinem Streben nach Normalität. Wobei sein Mentor Börd auf eine eigenartig unprofessionelle Art eine beachtliche Hilfe ist. Arthurs Erzählung wirkt zwar unfertig, aber dennoch berührend.

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  1. Das Ich und die Hauptfigur

    Man merkt, dass Birgit Birnbacher als Soziologin weiß, wovon sie spricht, wenn sie über diesen jungen Mann schreibt, der eigentlich kein schlechter Kerl und doch auf die schiefe Bahn geraten ist. Er ist kein Mörder, kein Vergewaltiger, von ihm geht keine Bedrohung aus, und daher ist man als Leser:in bereit, ihm erstmal einen moralischen Kredit einzuräumen.⠀

    Irgendwie muss Arthur nach 26 Monaten Gefängnisaufenthalt zurückkehren ins Leben, daher nimmt er die Hilfe eines Resozialisierungsheims in Anspruch, trottet brav zu seinen Therapiestunden – und die sind unkonventionell, um nicht zu sagen sonderbar. Eine “Hauptfigur” soll Arthur sich ausdenken: eine idealisierte Version seiner selbst, die sich überstülpen lässt wie eine Maske und in deren eingeübte Verhaltensmuster er sich in schwierigen Situationen flüchten kann.⠀

    “Also träumen Sie erst mal einen Entwurf von sich. Nicht, wer wir sein wollen, ist entscheidend, sondern wen wir darstellen können. Verstehen Sie den Unterschied?”⠀

    Das soll Arthur Struktur geben, aber er ist intelligent genug, um zu wissen: schon die grundlegendsten Dinge, wie das Finden eines Jobs oder einer Wohnung werden in Zukunft aufgrund seiner Vorstrafen zur Sisyphosarbeit werden, Hauptfigur hin oder her. Man kann ihm eine gesunde Skepsis nicht verübeln, durch die er zum Schluss kommt:⠀

    “Schon bald habe ich das Gefühl gehabt, dass kein Glanzbild mich heil hier rausbringen wird, sondern einzig ich an meiner Seite.”⠀

    Arthurs Hintergrundgeschichte klingt, als sei sie anfällig für Klischees:⠀
    Der Vater ist früh verschwunden, schon davor war die Kindheit in der Arbeitersiedlung nicht allzu rosig für das stille Kind. Durch den neuen Lebensgefährten von Mutter Marianne wird “Georg sagt” zum neuen Diktat und die bisherige Struktur zum nur brüchig verbundenen Patchwork.⠀

    Der ersehnte gesellschaftliche Aufstieg verschlägt die Stieffamilie nach Andalusien, wo Marianne ein luxuriöses Hospiz leitet, so dass der Hochglanz-Tod für Arthur und seinen Bruder Klaus zum Alltag wird. Irgendwann flüchtet auch Klaus aus der Familie, Arthur findet neue Freunde und verstrickt sich in ein pubertäres Liebesdreieck. Dann geschieht ein tragisches Unglück, das sein Leben fortan überschattet.⠀

    Es wäre einfach, den Finger auf einen Punkt zu legen und zu sagen: Aha, hier liegen also die Ursachen für seinen späteren Abstieg! Nichts davon wird indes als Rechtfertigung oder schnöde 08/15-Erklärung für Arthurs Verhalten benutzt.⠀

    Die Autorin beschönigt Arthurs Lage und auch seine Schuld daran nicht, zeichnet ihn aber weder als bemitleidenswertes Opfer noch als mustergültig reformierten Heimkehrer, der sich wie Phönix aus der Asche erhebt. Sie sieht davon ab, die Erzählung zum moralinsauren Trauerspiel oder zum Klamauk verkommen zu lassen, sondern erzählt ruhig, durchaus mit Humor aber immer glaubhaft.⠀

    Der Schreibstil passt wunderbar zu dieser Mischung aus Sozialkritik, persönlicher (Anti-)Heldenreise und Unterhaltung. In letzter Zeit habe ich viele Romane mit lyrischer oder irgendwie außergewöhnlicher Sprache gelesen. Hier ist die Sprache an sich relativ nüchtern, schnörkellos und auf den Punkt, aber trotzdem überhaupt nicht langweilig oder emotional flach. Der Stil ist in seiner Klarheit eine willkommene Abwechslung – die Sprache nimmt sich zurück, dadurch kann man sich auf die Geschichte konzentrieren.⠀

    Mit knackigen Dialogen springen einem die Charaktere auch ohne poetische Metaphern geradezu aus dem Text entgegen. Besonders die Nebencharaktere wie die alte Schauspielerin Grazetta oder der Therapeut Konstantin Vogl, genannt “Börd”, sind großartig. Sie katapultieren sich direkt ins Langzeitgedächtnis des Lesers, weil sie so glaubhaft sind und dennoch so originell, mit Ecken und Kanten. Daneben verblasst der stille, zurückhaltende Arthur manchmal fast ein bisschen.⠀

    Schubladen sucht man hier vergebens. Frau Birnbacher entsagt der Klischees oder des Sozialkitsches. Da kann ein Therapeut auch mal ein desillusionierter Alkoholiker sein, der frauenfeindliche Sprüche raushaut und einem dennoch ans Herz wächst, und die Menschen, die Arthur eigentlich den Weg bahnen sollten, können straucheln oder sogar scheitern.⠀

    Die Autorin schreibt stets mit großer Empathie. Humor existiert nie ohne den gelegentlichen Bruch, so dass die vielen Facetten der menschlichen Natur durch die Risse sichtbar werden.⠀

    Die schillernde Grazetta schwindet vor Arthurs Augen immer mehr dahin und bleibt doch unbeirrt Grande Dame und loyale Freundin. Leichter Witz und ernste Themen wie Krankheit, Sucht, Alter oder Tod schließen sich gegenseitig niemals aus – so ist halt das Leben. Auch was Arthur im Gefängnis erlebt, ist schrecklich, und das wird weder für den Schockfaktor ausgeschlachtet noch heruntergespielt.⠀

    Das Ende verzichtet auf erzwungen klare Lösungen, als Leser:in muss man sich wie Artur mit leiser Hoffnung zufrieden geben.⠀

    “Er denkt: schön eigentlich. Immer wieder geschieht etwas, und der Mensch macht weiter.”⠀

    Fazit⠀

    Ich musste den Roman ein paar Tage sacken lassen – aus irgendeinem Grund fühlte ich mich nicht hundertprozentig begeistert, obwohl mir die einzelnen Elemente der Geschichte doch sehr gefielen. Vielleicht hätte ihm in manchen Passagen etwas mehr Struktur gutgetan, vielleicht verblasste Protagonist Arthur manchmal zu sehr neben den Charakteren Grazetta und Börd.⠀

    Dennoch ist das Meckern auf hohem Niveau! Das Buch bietet viele lohnende Denkanstöße, eine interessante Sozialstudie, lebendige Charaktere und auch eine sehr unterhaltsame Geschichte mit feinem Humor. Daher kam ich zu dem Schluss, dass es die Longlist-Nominierung für den Deutschen Buchpreis in meinen Augen durchaus verdient hat.

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  1. Komisch, bissig, berührend und zutiefst bedrückend

    Dieses Buch ist vieles gleichzeitig: komisch, bissig, berührend und zutiefst bedrückend.

    Arthur ist 22, hat einen Fehler gemacht, für den er im Gefängnis war. Nach abgesessener Strafe wieder Fuß zu fassen ist nicht leicht. Sein Bewährungshelfer scheint selbst Hilfe zu brauchen.
    In Rückblenden erfährt man nach und nach was passiert ist und wie es kam, dass Arthur im Gefängnis gelandet ist. Er ist eigentlich ein ganz normaler Junge…

    Anfangs ist dieses Buch ein großer Spaß. Birgit Birnbacher schreibt frisch, originell und wirklich witzig. Man muss aufmerksam lesen, aber man amüsiert sich. Arthur ist ein tragischer Held, gefangen in der Formalitätenfalle Österreichs.

    Je tiefer man allerdings schürft, desto bedrückender wird die Situation sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Man hätte ihm helfen müssen, diesem Jungen mit Problemen. Und jetzt möchte er nur alles richtig machen, hat aber das Gefühl, der vorgeschriebene Weg ist nicht zu schaffen. Kein Job ohne Zeugnis, keine Wohnung ohne Job, und Arbeitgeber möchten eine Adresse. Das schreit doch nach einer winzigen Urkundenfälschung.

    Ist man gezwungen, immer wieder den rechten Pfad zu verlassen, wenn man einmal vom Wege abgekommen ist? Hat man eine echte Chance oder sein Leben verwirkt, wenn der Lebenslauf ungewöhnliche Schlenker dreht?
    Das spielt Birgit Birnbacher hier sehr nachvollziehbar durch.

    „Ich an meiner Seite“ steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2020, ich bin gespannt. Ich finde Sprache und Thema des Buches durchaus preisverdächtig. Mir fehlt ein winziger Kick Sensationelles, um es grandios zu finden. Ein wirklich gutes Buch ist es auf jeden Fall.

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  1. Macht nachdenklich

    Nachdem der 22-jährige Arthur, der still und intelligent ist, nach 26 Monaten Gefängnis wieder in Freiheit ist, muss er feststellen, dass er so leicht keine neue Chance bekommt. Was ihm fehlt sind die passenden Zeugnisse. Gemeinsam mit seinem Therapeuten Börd und seiner Ersatzmutter Grazetta schmiedet er einen Plan für eine kleine Lüge.

    Auf dieses Buch war ich sehr gespannt, denn die Beschreibung hat mich neugierig gemacht und ich wollte wissen, wer Arthur ist und wie sein Leben verläuft.
    Der Einstieg in das Buch ist mir gut gelungen. Der Schreibstil war anders und hat mich deutlich mehr gefordert, als es andere Bücher tun. Ich musste mehr zwischen den Zeilen lesen, interpretieren, zusammenreimen. Doch das gefiel mir gut und es fiel mir auch nicht schwer. Zudem war ein toller Humor dabei, der das Lesen sehr angenehm machte.
    Die Charaktere wurden detailliert beschrieben und ich hatte klare Bilder vor Augen. Arthur war ein besonderer Protagonist, den ich schnell ins Herz geschlossen hatte. Weshalb er ins Gefängnis kam, wurde erst später erwähnt. Dennoch war klar, dass er kein typischer Krimineller war. Ich habe ihm von Anfang an gewünscht, dass er eine neue Chance erhält. Neben Arthur wurden auch sein Therapeut Börd und die sterbenskranke Grazetta toll beschrieben und ich habe sie beide liebgewonnen. Die Personen waren insgesamt wirklich toll, auch wenn ich an der einen oder anderen Stelle gerne noch mehr erfahren hätte.
    Die Geschichte begann mit Arthurs Entlassung aus der Haft und spielte dann auf unterschiedlichen Zeitebenen und Orten, zwischen denen immer wieder gewechselt wurde. Dadurch erfährt man von Arthurs Leben seit seiner Kindheit. Sehr bewegend beschrieben wurden die Zeit und die Zustände im Gefängnis, das ging mir sehr nahe. Danach ein „normales“ Leben zu führen, ist gar nicht so einfach und bedarf der Hilfe, die Arthur hier von Börd erhielt.

    Die Geschichte regt zum Nachdenken an und wirkt auch noch nach. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

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  1. In der Hauptrolle: das Leben

    „Heute Vormittag hat Arthur Galleij als freier Mensch das Gefängnis der JVA Gerlitz verlassen.“
    Arthur ist 22 Jahre alt, als er nach Verbüßung einer Haftstrafe wieder ins Leben entlassen wurde. Er ist ein stiller junger Mann, intelligent, auf sich allein gestellt. Mit Hilfe seines Bewährungshelfers Vogl, „Börd“ genannt, und dessen unorthodoxen Methoden soll er wieder Fuß fassen in der Gesellschaft.
    Die österreichische Autorin Birgit Birnbacher beschreibt in ihrem Roman „Ich an meiner Seite“ den Werdegang eines jungen Menschen, der wohl zu Recht strafrechtlich verurteilt wurde und dem man trotzdem eine Chance auf Resozialisierung wünscht. Ein reales Vorbild liegt der Person des Arthurs zugrunde, wie man in der Danksagung der Autorin erfährt.
    Ohne Vater wuchs Arthur auf, in der Salzburger Provinz. Die Mutter Marianne erhofft sich ein besseres Leben als das ihrige in der Eisenbahnersiedlung, als Alleinerzieherin von zwei Söhnen. Georg, Mariannes Lebensgefährte, der sich mehr mit seinem Blackberry unterhält als mit der Frau und den Kindern, kann dies ermöglichen. Die Familie zieht nach Andalusien, hangelt sich empor. Doch als ein Unglück passiert, zieht Arthur alleine wieder zurück nach Wien.
    Birgit Birnbacher erzählt keine lineare Geschichte, springt zwischen Gegenwart, Kindheitserinnerungen, der Zeit vor der Haftstrafe. Lange weiß man als Leser nicht, was einen Menschen wie Arthur ins Gefängnis gebracht hat. Arthur ist kein Krimineller, ganz im Gegenteil. Die Erfahrungen, die er in der Justizvollzugsanstalt gemacht hat, prägen ihn. Außer den Schwerverbrechern, mit denen Arthur im Knast überleben lernen musste, ist die Autorin ihrem Personal zugeneigt. Da ist die alte sterbenskranke Schauspielerin Grazetta, die etwas Besonderes mit Arthur vorhat. Und „Börd“: Dieser schräge Charakter soll für Arthurs Resozialisierung sorgen. Sein Galgenhumor und skurrile Episoden sorgen mitunter sogar für heitere Momente.
    Jemanden an seiner Seite zu wissen, kann Stütze und Trost sein. Arthur hat lang nur sich selbst an seiner Seite. Da kann es schon passieren, dass er sich selbst im Weg steht. Mit Börds spezieller Methode betritt Arthur eine ganz persönliche Bühne, mit sich selbst als Hauptrolle.
    “Nicht wer wir sein wollen, ist entscheidend, sondern wen wir darstellen können.“ Sich selbst zu spielen, in einer besseren klügeren, weichgezeichneten Version, das rettet Arthurs Leben

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