I get a bird

Buchseite und Rezensionen zu 'I get a bird' von Anne von Canal
3.5
3.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "I get a bird"

Eines Tages erhält Jana, Zukunftsforscherin aus Freiburg, ein Paket von einem ihr unbekannten Mann. Der Busfahrer Johan schickt ihr einen Kalender zurück, den sie in einer Telefonzelle in Neumünster vergessen hat. Es entspinnt sich die intensive Korrespondenz zweier Fremder. Während Johan der verlorene Kontakt zu seiner Tochter aus der Bahn geworfen hat, reißt sein Paket bei Jana ebenfalls alte Wunden auf. Bald finden die Schreibenden heraus, dass ihre Biografien nicht nur ungeahnte Parallelen haben, sondern auch eine ganz konkrete Überschneidung in der Vergangenheit. Könnte ihnen das die Chance eröffnen, sich mit dem Schicksal zu versöhnen? Zwei Jahre lang schrieben sich die Autoren als Jana und Johan – ohne je etwas anderes abzusprechen als den Anfang: Der eine findet etwas, was die andere verloren hat ...

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag:
EAN:9783866486829

Rezensionen zu "I get a bird"

  1. Ein humaner *Vogel*, den man kennenlernen sollte!

    "I get a bird": Dieser seltsame, wunderbare Vogel ist ein Novum nach einer gewagten Idee von Anne von Canal in Gestalt eines Briefwechsels. Und zwar nicht von einem, sondern von zwei Autoren verfasst. Ihren glänzenden partner in crime fand sie im befreundeten Schauspieler Heikko Deutschmann.

    Die Autoren begaben sich hierfür in die Haut fiktiver Personen. Ein hohes Risiko und eine Menge Vergnügen war für beide im Spiel: keine Absprache.

    Jeder wusste vom anderen nur soviel wie alle späteren Leser: nämlich nicht mehr als das, was man aus den Briefen erfahren kann. Weder Geschlecht, noch Alter, noch Herkunft, Vorname… nichts war bekannt.

    Statt Konstruktion also Improvisation. Statt Alleingang eine Kooperation. Und mit einem Briefwechsel ein Anachronismus, der eigentlich einer rationalen Begründung bedarf. Und wenn man nicht das übliche Hilfsmittel einer Liebe bedient (siehe "Gut gegen Nordwind"), was kann dann zwei wildfremde Menschen veranlassen, sich (wie hier) über sechs Monate zwei Dutzend (auch für andere Leser) lesenswerte Briefe zu schreiben?

    Der Reiz der Lösungen, welche die Autoren auf ihrer (tatsächlich zwei Jahre währenden) Reise ins Ungewisse fanden, wirkt umso zauberhafter auf den Leser, weil man hier einmal fast das Privileg besitzt, den Entstehungsprozess einer Geschichte in Gedanken beim Lesen mitzuerleben.

    Wie man sich da ein Blatt ums andere darbietet, das abgelehnt oder angenommen oder abgewandelt wird, wie man versucht, Verbindungen zu knüpfen und gleichzeitig Kontraste zu nähren, wie man schließlich die fühlbare Erleichterung beider, der Autoren wie ihrer Figuren, mit zu teilen vermag, wenn endlich das Licht der Notwendigkeit das Dunkel der Aussichtslosigkeit verbannt – das alles ist ein kleines Wunder an sich, denn die Autoren lassen mit ihrem erstaunlichen Können die Unreife der Improvisation zwischen den Zeilen gehörig untergehen.

    Zwei Fremde finden sich hier durch einen Zufall, ein Fundstück, das der Finder an den Besitzer zurückschickt. Viele Zufälle später und Jana und Johan wissen voneinander: Ihre derzeitige gemeinsame Heimat ist kein durchschnittlicher Alltag sondern der Abgrund (wenn auch aus verschiedenen Gründen auf verschiedenen Etagen). Chaos, Trauma, Leid, Verlust, Schuld, Angst und die Unbeweglichkeit, welche diese mit sich bringt. Eine wahrhaft grauenhafte irdische Palette entfalten die beiden vor- und füreinander und der Leser leidet und lächelt/lacht (denn wenn hier der Humor zum Zuge kommt, dann sitzt er unerbittlich), je nach eigener Konstitution und Empathie, kräftig mit.

    Beider Einsamkeit, bzw. Isolation erklärt die spontane Offenheit, die starke Sehnsucht nach dem Entdecken und dem Teilen in und aus der Unsichtbarkeit heraus. (Und sogar auf verschlungenen Wegen den Anachronismus eines Briefwechsels!) Eine distanzierte Intimität ist möglich, weil das Gegenüber unbekannt, fast unwirklich, da ohne Gestalt, Gesicht und Stimme ist und nur auf Papier, durch Buchstaben, Worte, Sätze, also nur aus reinsten Gedanken zu leben versteht. Man fühlt sich sicher. Man fühlt sich frei. Und gleichzeitig geborgen. Und durch verbindende Ähnlichkeiten sieht man sich sogar gespiegelt.

    Auf ein Ende in Selbstbespiegelung läuft diese fesselnde Begegnung selbstverständlich nicht hinaus, denn man entdeckt ein Wunder oder besser gesagt eine Geschichte, welche einen Ausweg aus der Gegenwart in die Zukunft eröffnet: In beider Vergangenheit findet sich ein entfernter Berührungsmoment. Ohne ihr Wissen und ohne aktives Zutun nahm Jana für Johan damals eine Retterrolle ein. Und was nun passiert…

    Was dieses Buch neben becircenden Einlagen, urkomischen Wendungen und seiner dunklen Sogwirkung menschlichen Elends so ungeheuer einnehmend wirken lässt, ist vielleicht gerade dieses Phänomen… So wie die Autoren nur miteinander konnten, ja sogar mussten, so ist es selbstredend auch mit ihren Figuren. Und es ist ein Verdienst Johans/Deutschmanns, mit irritierenden Konstruktionsleistungen, eine so seltsam traurige wie beglückende Atmosphäre zu schaffen, in der man endlich einmal glauben darf, dies ist ein universelles Gesetz: sich gegenseitig immer wieder zu retten.

    Oder zumindest irgendwie den Versuch zu unternehmen… keep on trying!

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  1. Mehr Selbstdarstellung als Dialog

    Ich habe „Der Grund“ von Anne von Canal gelesen und war sehr begeistert. Deshalb wollte ich unbedingt dieses Buch lesen.

    Es klingt wie ein spaßiges Experiment: Zwei Autoren schreiben einen Briefroman und sprechen nur die Ausgangssituation ab, der Rest bleibt der jeweiligen Fantasie überlassen. Man wirft sich Bälle zu und guckt, wie der andere reagiert.

    Johann ist Busfahrer und findet in einer Telefonzelle Janas Terminkalender. Er legt ihn beiseite, bis er Jahre später wieder darüber stolpert und ihn reichlich verspätet zu Jana zurückschickt. Das ist der Beginn einer höchst ungewöhnlichen Brieffreundschaft und ergibt auf jeden Fall ein höchst ungewöhnliches Buch, auch wenn ich mich damit etwas schwergetan habe.

    Zunächst einmal muss man sich daran gewöhnen, dass hier ein Busfahrer sprechen soll? Ein Busfahrer?

    „…für einen Busfahrer verläuft der Alltag nach den Gesetzen von Ebbe und Flut. Ungeachtet der Wetterverhältnisse, der Umstände und Befindlichkeiten, wie das Wasser den Anziehungskräften des Mondes ausgeliefert, stapeln sich morgens die Fahrgäste, schwitzend oder regendurchnässt, in die Fellimitat-Kragen verkrochen, die Fingerspitzen mit den Resten des Nachtatems wärmend oder eben nervös die Klappfenster öffnend, um das Gesicht in den Fahrtwind zu halten. Die hecheln wie schwitzende Hunde.“

    So klingen Busfahrer selten. Dieser hier hat auf jeden Fall schriftstellerischen Ehrgeiz, wenn nicht gar Literatur studiert. Ja, das kommt vor, natürlich.

    Weiter geht es sprachlich elaboriert und weitschweifig. Man bekommt den Eindruck, dieser Busfahrer hört sich vor allem gerne selbst reden. Er plaudert und witzelt und referiert, beobachtet, philosophiert, alles wunderbar, nur auf Janas Brief geht er kaum ein.
    Die beiden scheinen auch keine Kennenlernphase zu benötigen, kein Herantasten, kein Vertrautwerden, es geht direkt hinein in die Nervenheilanstalt. Man schüttet sich direkt gegenseitig sein Herz aus.

    Nach reichlich Schlenkern und Drumherum bekommt man tatsächlich eine Idee vom Leben der beiden und sogar höchst dramatische Wendungen präsentiert. Vielleicht hätte es mir auch gefallen können, wäre dieser Busfahrer ein wenig mehr beim Thema geblieben. Er redet und redet und scheint sich lieber an seiner Redegewandtheit zu ergötzen als eine Geschichte zu kreieren.
    So etwas mag den Autoren Spaß bereiten, ein Lesespaß ist es nicht. Selbst wenn dieses Buch ein Schreibexperiment ist, sollte sein Ansinnen doch sein, ein plausibles Buch zu ergeben. Es ist aber zu großen Teilen nur Selbstdarstellung.

    Ich verbuche dieses Werk als eine Erfahrung und machte künftig einen großen Bogen um schreibende Busfahrer.

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