Hunger

Buchseite und Rezensionen zu 'Hunger' von Knut Hamsun
4
4 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Hunger"

LangenMüller Verlag; 1921; Pappe; Gebraucht - Gut; Altdeutsche Schrift; Deutsch; 187Seiten;

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:240
EAN:9783548291093

Rezensionen zu "Hunger"

  1. Brot und Anerkennung

    In Kristiana -wie die norwegische Hauptstadt Oslo früher genannt wurde – schweift ein Mann durch die Gassen. Arbeitslos, obdachlos, brotlos. Er laviert von Tag zu Tag, fabuliert erfindungsreich. Er bleibt namenlos bis zum Ende. Ein Suchender, ein Hungernder.

    Knut Hamsun (1859-1952) schrieb Hunger in der Urfassung 1890. Mehrfach hat der Schriftsteller sein Werk umgeschrieben, 1920 erhielt er den Nobelpreis. In seinen letzten Jahren lässt Hamsuns Geisteshaltung und Weltanschauung kein gutes Licht auf den Autor.

    Dennoch ist Hunger ein Klassiker der Weltliteratur geblieben. Am Cover wird Astrid Lindgren zitiert: „Ein ergreifendes und hinreißend lustiges Buch über den Hunger…“ Nun. Ich teile offenbar nicht Lindgrens Humor. Ergreifend finde ich das Buch jedenfalls.

    Es ist ein außergewöhnlicher Protagonist, so ambivalent in seiner Persönlichkeit. Arroganz, Stolz, Scham und Würdelosigkeit sind im ständigen Widerstreit.

    Gleich zu Beginn auf den ersten beiden Seiten finden wir die ganze Trostlosigkeit, die Tür tapeziert mit alten Ausgaben des „Morgenbladet“, gleich daneben eine Werbung für Bäcker Fabian Olsens frisch gebackenes Brot. Das ist, es was den Mann antreibt, wonach er strebt: Schreiben und Essen. Der Hunger nach Nahrung und der Hunger nach Aufmerksamkeit ist sein Motor und mit beiden kann er nicht umgehen, wenn er es doch einmal erhält. Brot und Anerkennung.
    Aussichtlos von Beginn weg, trifft sein Blick auf die Anzeige in „mageren, grienenden Buchstaben Leichentücher bei Jungfer Andersen“.

    Grau und rau, der Manesse Verlag trifft mit dem Cover auf den Punkt. Übersetzt aus dem Norwegischen wurde die Erstausgabe aus 1890 von Ulrich Sonnenberg. Das Nachwort stammt von Felicitas Hoppe.

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  1. Rastlos und hungrig durch Kristiania

    Knut Hamsun gilt als einer der berühmtesten norwegischen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts. Seine reaktionären Anschauungen und offenen Sympathiebekundungen für den Nationalsozialismus brachten nicht nur ihn persönlich, sondern auch sein literarisches Werk in Verruf.

    „Hunger“ ist Knut Hamsuns erster und zugleich erfolgreichster Roman. Er erschien erstmals 1890; Hamsun veränderte ihn bis ins Jahr 1934 insgesamt vier Mal, so dass immer reaktionärere Fassungen auf den Markt kamen. Nun hat Ulrich Sonnenburg die Urfassung von 1890 für den Manesse Verlag neu übersetzt.

    Obwohl mehr als 100 Jahre alt, liest sich der Roman erstaunlich modern, was wohl vor allem mit der Erzählweise zusammenhängt, die ausschließlich auf die Gemütszustände, die Gedanken und aktuelle Begegnungen, die wir durch die Brille des Protagonisten erleben, fokussiert.

    Der namenlose Ich-Erzähler irrt hungrig durch Kristiania (Oslo) immer auf der Suche nach Möglichkeiten an Geld und Essen zu gelangen. Er schreibt Artikel, die er meist erfolglos diversen Zeitungen anbietet. Wir sind Zeuge seiner Euphorie, wenn eine seiner Arbeiten veröffentlicht wird und leiden mit ihm, wenn ihn Selbstzweifel plagen, er unter Schreibblockaden leidet, eingereichte Artikel abgelehnt werden oder er durch Hunger nicht klar zu denken vermag und Schwächeanfälle erleidet. Man möchte ihn schütteln, wenn er „Dummheiten“ begeht, Lügengeschichten auftischt, um besser dazustehen und ahnt die ganze Zeit, dass es nicht gut ausgehen wird.

    Ich habe diesen Roman mit seinem ambivalenten, oft unsympathischen Antihelden voller Faszination gelesen.

    Wir erfahren kaum etwas über seine Vergangenheit, erahnen aber aus Andeutungen, dass es Zeiten des Wohlstands gegeben haben muss. Doch alles, was in Hamsuns Werk zählt, ist der Augenblick in der Gegenwart, die der Protagonist durchlebt und durchleidet.

    Hunger war für mich ein extrem kurzweiliges, schräges und unberechenbares Leserlebnis. Sein Protagonist wird mir definitiv mit seinen Stimmungsschwankungen, seiner Überheblichkeit, aber auch seinem Leid, seiner Hartnäckigkeit, seinen irrwitzigen Einfällen, seinen zweifelhaften ethischen Maßstäben, seinem gestörten Verhältnis zu anderen Menschen, seinem Talent Situationen misszuverstehen und sich selbst im Weg zu stehen, aber auch seinem wahnsinnigen Gedankenkarussell im Gedächtnis bleiben. Für mich sind das glatte fünf Sterne. Positiv zu erwähnen sind auch die zahlreichen hilfreichen Anmerkungen im Text und das sehr informative Nachwort von Felicitas Hoppe sowie die editorische Notiz am Ende dieser Neuausgabe.

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  1. Mein all time favorit

    Zum ersten Mal las ich "Hunger" von Knut Hamsun als junge Erwachsene. Ich war sehr begeistert von dem Werk, das eine nachhaltige Wirkung bei mir hinterließ. 2019 erschien dann dieses Meisterwerk im avant Verlag als graphic novel. Auch diese graphic novel fand ich sehr ansprechend. Alle guten Dinge sind drei. So nutzte ich die Gelegenheit, im Rahmen einer Leserunde das Werk in der neuen Ausgabe des Manesse Verlags zu diskutieren. Der Verlag ist ja für seine ansprechend gestalteten Klassiker bekannt und so enttäuscht er auch hier nicht. Nun liegt das autobiographisch inspirierte, bekannteste Werk Hamsuns in seiner Urfassung, versehen mit einem sehr informativen Nachwort von Felicitas Hoppes vor und punktet rein äußerlich mit einer besonderen Haptik.

    Auch die dritte Lektüre konnte mich wieder begeistern, weswegen ich in dem Fall von einem persönlichen all time favorit sprechen würde. Das Schicksal des hungernd durch Kristania herumirrenden Schriftstellers berührt mich jedes Mal aufs Neue. Vom beißenden Hunger- und Durst an den Rand des Wahnsinns getrieben, kämpft der Schrifsteller ums nackte Überleben. Stets ist er auf der Suche nach einer Gelegenheit, einen Text zu publizieren, doch kaum zu ein wenig Geld gekommen, wird er wiederholt leichtsinnig und verjubelt das bißchen Hab und Gut wieder. So gerät er schnell in den Sog einer machtvollen Abwärtsspirale. Seine eigene Würde scheint ihm das Wichtigste, und so lehnt er oft Hilfsangebote ab. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

    Wie auch bei den beiden vorangegangenen Lektüren fieberte und litt ich mit dem brotlosen Schriftsteller mit. Die große Not eines permanent um das Nötigste kämpfenden Menschen finde ich nach wie vor sehr eindrücklich beschrieben. Manch Leser mag es für unvernünftig und nicht nachvollziehbar halten, dass Hamsuns Hungerkünstler scheinbar nichts dazu lernt und uneinsichtig bleibt. Mir hingegen scheint dies eine authentische Beschreibung eines Hungernden zu sein, dessen größte Sorge die Wahrung eines letzten Rests eigener Würde ist und bleibt. Möglicherweise muss man selbst einmal in einer vergleichbaren Situation gewesen sein, um die ambivalenten und widersprüchlichen Verhaltensweisen des Protagonisten verstehen zu können. Den von Asrid Lindgren hochgelobten Humor konnte ich zwar nur ansatzweise erkennen, viel zu sehr ging mir das Buch an die eigene Substanz. Doch die Stärke dieses auch in sprachlicher Hinsicht sehr gelungenen Werks sehe ich in der implizierten Gesellschaftskritik. Hilfe ist eben nur dann letztlich wirklich eine Hilfe, wenn sie auch vom Hilfebdürftigen so verstanden wird. Das ist mein ganz persönliches Fazit.

    Für mich ist Hamsuns bekanntestes Werk auch nach der dritten Lektüre ein absolutes Lebenshighlight, das ich sicherlich nicht zum letzten Mal gelesen habe und gerne weiter empfehle.

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  1. Ein Hungerkünstler zwischen Verzweiflung und Wahnsinn

    Knut Hamsuns Roman „Hunger“ erschien im Jahr 1890. Bis 1934 wurde er vom Autor für vier verschiedene Neuauflagen überarbeitet, in denen er zentrale Passagen abänderte oder gar herausstrich. Insofern ist es wichtig zu wissen, dass sich die vorliegende Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg an der Urfassung orientiert. Felicitas Hoppe hat dazu ein höchst interessantes Nachwort geschrieben, das den Roman beleuchtet und in Hamsuns Schaffen einordnet. Gewohnt hochwertig gestaltet zeigt sich diese Manesse Neuausgabe, deren angerauter Schutzumschlag allein haptisch eine besondere Erfahrung darstellt. Hilfreich und informativ sind die 81 Anmerkungen zum Text sowie die editorische Notiz

    „Es war zu der Zeit, als ich hungrig in Kristania umherging, dieser sonderbaren Stadt, die niemand verlässt, bevor er von ihr gezeichnet worden ist.“
    Mit diesem Satz beginnt der namenlose Ich-Erzähler seine Geschichte. Er ist bettelarm, leidet seit Monaten Hunger, trägt zerschlissene Kleidung und haust in einer kleinen Dachkammer. Er versteht sich als Journalist, weil er verschiedenen Zeitungen immer wieder Artikel für das Feuilleton anbietet. Manchmal gelingt es ihm, einen Artikel zu veröffentlichen, besonders ein Redakteur ist ihm gewogen. Dann verdient er ein paar Kronen, die seine Not aber nur kurzfristig abmildern, weil er einfach nicht mit Geld umgehen und damit haushalten kann. Dadurch wird seine Situation im Grunde immer prekärer. Als Leser hat man den Eindruck, die Hunger-Spirale dreht sich konsequent abwärts.

    Die meiste Zeit treibt sich der Protagonist in den Straßen Kristianias (heute Oslo) herum. Er fühlt sich elend und hungrig. Seine Empfindungen werden in einem für die Zeit modernen, fast endlosen Gedankenstrom beschrieben, in dem der Erzähler sehr anschaulich seine Wege, Begegnungen und Beobachtungen mitteilt – stets auf der Suche nach Nahrung. Tatsächlich gelingt es ihm immer wieder, zu etwas Geld oder Brot zu kommen. Doch anstatt es sich einzuteilen, verschleudert er das wertvolle Gut meist in Windeseile: Er beschenkt fremde Menschen, lädt Freunde ein, markiert den sorglosen Lebemann – nur um von seiner wahren Lage abzulenken. Man kann darüber streiten, ob sein Verhalten realistisch ist, oder ob nicht irgendwann die menschlichen Grundbedürfnisse nach Nahrung den Stolz und das Ehrgefühl niederringen müssten.

    Als Leser ist das schwer auszuhalten. Man möchte den Erzähler schütteln oder wenigstens auf ihn einreden, denn es ist schnell absehbar, dass er der Hungerspirale aus eigener Kraft nicht entkommen kann. Sein Problem besteht darin, dass er eine widersprüchliche Wahrnehmung von sich selbst hat. Einerseits weiß er, dass er am Boden liegt, dass er Gefahr läuft, sein Obdach zu verlieren (was kurze Zeit später auch passiert), dass er auf andere einen zerschlissenen, runtergekommenen Eindruck macht. Andererseits ist er sehr auf sein Ansehen, seine Ehre bedacht. Nur kein Bettler möchte er sein, sondern ein ehrlicher, rechtschaffener Bürger. Diese beiden Eindrücke konkurrieren und kämpfen in seinem Innern miteinander und dringen immer wieder auf abstruse Weise nach außen. Er ist kein Sympathieträger, er pendelt zwischen Gutmütigkeit und Größenwahn. Mitunter reflektiert er aber auch sein törichtes Verhalten oder monologisiert mit Gott und dem Teufel. Mancher Leser mag diese Szenen als komisch empfinden, mir blieb regelmäßig das Lachen im Halse stecken. Für mich ist der Ich-Erzähler eine höchst tragische Figur, sein irrationales Verhalten muss einer Art von Hunger-Irrsinn geschuldet sein. Wie im Wahn versucht er immer wieder Artikel zu schreiben. Er beginnt sogar einen Roman, aus dem er die Hoffnung schöpft, in naher Zukunft zu Ruhm und Geld zu kommen.

    Im Verlauf des Romans wiederholen sich die genannten Muster fortwährend. Dem Erzähler geht es zunehmend schlechter, auch die unästhetischen Nebenwirkungen des Nahrungsmangels werden nicht ausgelassen. Es treten neue Figuren hinzu, denen gegenüber sich der Protagonist als unzuverlässiger Geschichtenerzähler präsentiert. Manchmal lügt und übertreibt er wie ein Baron von Münchhausen, jedoch immer getrieben von innerer Verzweiflung. Damit stößt er sogar Menschen, die ihm helfen wollen, zurück. Diese gespaltene Persönlichkeit ist es, die den Erzähler so einzigartig macht. Man folgt ihm, seinen Assoziationen und Erlebnissen mit voller Aufmerksamkeit. Seine Not und Widersprüchlichkeit gehen nahe und wirken sehr authentisch, auch wenn man nicht nachvollziehen kann, warum er nicht aus dem Hamsterrad aussteigt, indem er sich einfach eine andere bezahlte Arbeit sucht. Doch seine Stärke ist eben nicht das Handeln, sondern das Denken.

    Diese Unmittelbarkeit wird auf großartige Weise durch die virtuose Sprachführung transportiert. Die Sätze sind meist lang und aneinandergereiht. Sie wirken atemlos. Das unterstreichen auch die wenigen Absätze. Der Bewusstseinsstrom, die inneren Monologe ebenso wie Gespräche und Beschreibungen, vermitteln plastisch die Verzweiflung des Protagonisten, der sich als wahrer Hungerkünstler durch Kristania bewegt und in seinem unverständlichen Verhaltenskodex gefangen ist. Eine Entwicklung erkennt man kaum, es ist ein kontinuierliches Auf und Ab. Streng genommen hätte ich deshalb auf die ein oder andere Spirale verzichten können, die im Kern nichts Neues bringt. Das Ende lässt Hamsun offen – oder auch nicht. Auf alle Fälle findet er einen sehr würdigen Abschluss für diesen, seinen berühmtesten Roman, für den ich eine klare Leseempfehlung aussprechen möchte.

    Unabhängig von Knut Hamsuns späterer politischer Verstrickung in die Ideale der Nationalsozialisten halte ich „Hunger“ für ein sehr lesenswertes Buch, das Freunde moderner klassischer Literatur sehr schätzen werden.

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  1. 2
    11. Feb 2023 

    Anstrengend und herausfordernd...

    1890 erschien die Erstfassung des ersten Romans des norwegischen Autors (1859-1952), der 1920 den Literaturnobelpreis erhielt und der später politisch sehr umstritten war wegen seiner offen zur Schau getragenen Sympathie mit der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegs. "Hunger" entstand vor dem Hintergrund eigener Erlebnisse des Autors, der 1886 in Kristiania (früherer Name von Oslo) arbeitslos eine schwere Hungerzeit durchzustehen hatte. Mit diesem Roman gelang Knut Hamsun der literarische Durchbruch. Die Neuauflage des "Klassikers" entspricht lt. Verlag besagter Erstfassung, die später immer wieder Veränderungen unterlag.

    "Es war zu der Zeit, als ich hungrig in Kristiania umherging, dieser sonderbaren Stadt, die niemand verlässt, bevor er von ihr gezeichnet worden ist." (S. 5)

    Erzählt wird hier aus der eindringlichen Ich-Perspektive eines namenlosen Schreibers, der versucht sich durch das Einreichen kleiner Zeitungsartikel in Kristinia über Wasser zu halten. Er haust in einer schäbigen Kammer, wird von seinen Schulden aufgefressen und verliert schließlich sein Obdach. Tagelang streift er durch die Straßen ohne etwas zu essen zu haben und kommt dem Wahnsinn (zu) nahe. Das ist im Wesentlichen auch schon die Handlung. Im Fokus steht die innere Verfassung des Hungernden, seine wild springenden Gedanken und Empfindungen, zahllose demütigende Begegnungen und Ereignisse, die zunehmend untrennbare Verwebung von Realität und Halluzinationen. Von optimistisch zu hoffnungslos, fröhlich oder dankbar zu beschämt oder verächtlich - stetig wandelt sich das Erleben im Sekundentakt. Von himmelhochjauchzend zu zu Tode betrübt innerhalb von einer Sekunde - und gleich wieder zurück, bis man beim Lesen das Gefühl erhält, gleich mit verrückt zu werden.

    Dies sorgt für besagte Eindringlichkeit und Intensität, und nicht umsonst gilt der Roman als Meilenstein in der Entwicklung der Erzähltechnik des sog. "Bewusstseinsstroms" (Wiedergabe einer scheinbar ungeordneten Folge der Bewusstseinsinhalte eines Charakters). Autoren wie Kafka, James Joyce oder auch Virginia Woolfe ließen sich davon inspirieren. Insofern hat der Roman zurecht seinen "Klassiker"-Status. Doch muss einem jedes Buch gefallen, das unter diesen Begriff fällt? Wohl kaum. Ich jedenfalls fand den Roman nicht nur anstrengend zu lesen, ich war auch zunehmend genervt von der Lektüre. Das Verhaltensmuster des zudem sehr unsympathisch gezeichneten Ich-Erzählers wiederholt sich immerzu, eine Entwicklung findet nicht statt. Der ständige konsequente Wechsel der Zeitebene zwischen Präsens und Perfekt, teilweise auch innerhalb desselben Satzes, erhöhte den Lesefluss auch nicht gerade.

    "Ein ergreifendes und hinreißend lustiges Buch über den Hunger ... ein größeres Leseerlebnis habe ich wohl nie gehabt." Das hat wohl Astrid Lindgren nach der Lektüre des Romans verkündet. Leider erschloss sich mir der Humor in keinster Weise, ich habe ihn überhaupt gleich an keiner Stelle entdecken können. Schade eigentlich. Spannend fand ich dann allerdings die Verbindung zu Astrid Lindgren und ihrer Pippi Langstrumpf, die womöglich nur deshalb so viele Lügengeschichten auftischt, weil die Autorin damals so begeistert von Hamsuns skurrilem Werk war, dessen "Held" selbst ständig Lügengeschichten erzählt. Na, dann - hatte der Roman doch eine positive Auswirkung. Dieses Detail ist übrigens im umfassenden Nachwort von Felicitas Hoppe zu erfahren, das ich insgesamt leider als sehr gewollt intellektuell-geschraubt empfand, stellenweise ebenso unverständlich (wenn auch auf eine andere Weise) wie den Roman davor.

    Ein Roman, dem ich den "Klassiker"-Status zubillige, zu dem ich persönlich jedoch badauerlicherweise keinen Zugang fand.

    © Parden

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  1. Was Hungern mit einem Menschen anstellen kann

    Was Hunger mit einem Menschen anstellen kann

    Ich habe mir vorgenommen hier und da einen Klassiker zu lesen, also nutzte ich die Chance und nahm mir das Werk des norwegischen Nobelpreisträgers Knut Hamsun " Hunger" vor.
    Ich war ein wenig überrascht, als mir klar wurde, dass dieses Werk ausschließlich daraus besteht einen Hungernden zu begleiten, der durch das norwegische Kristania zieht. Dieser Mann zieht durch die Straßen, erzählt von seinen goldenen Zeiten, gibt sich als Schreiber aus, und will den Menschen um ihn herum glauben machen, dass er durchaus Geld hat. Kommt er mal zu ein paar Kronen kann es durchaus vorkommen, dass er sie Samariter mäßig einfach verschenkt. Der Pfandleiher bekommt hanebüchene Geschichten aufgetischt, wird sich aber anhand der dargebotenen Dinge gewiss seinen Teil denken und zum richtigen Schluss kommen.
    Das kleine Zimmerchen, dessen Miete er auch meist schuldig bleibt, ist an Kargheit kaum noch zu übertreffen, doch das muss man ihm wahrlich zu gute halten, er arrangiert sich mit jeder noch so misslichen Lage.
    Seine Gedanken wirken getrieben, je schlimmer der Hunger, umso konfuser die Zusammenhänge. Teilweise fällt es beim lesen schwer zu erkennen, was tatsächlich geschehen ist, oder was nur dem Wahn geschuldet ist.
    Seine Begegnung mit einer jungen Frau ist ein Beispiel dafür. Ich war mir nie sicher, ob es sie tatsächlich gibt, oder ob sie seinem gebeutelten Hirn entsprungen ist.

    Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht ausführen, da es im Kern die komplette Handlung ist. Die Art wie der Autor formuliert, hat mir außerordentlich gut gefallen. Seine Botschaft, dass es schrecklich ist, dass ein Teil der Bevölkerung in diesem beklagenswerten Zustand des Hungerns verbringen muss, ist definitiv angekommen. Er zeigt in allen Facetten auf wie schrecklich es ist Hunger zu leiden. Dennoch war es für mich eine Lektüre die mich nicht wirklich begeistern konnte. Es war mir zu wirr, zu deprimierend, wenn auch einiges fast schon ins komische abdriftete, konnte ich auch der Art an Humor wenig bis gar nichts abgewinnen.

    Ich erkenne die Andersartigkeit, und für damalige Verhältnisse sicher wichtige Botschaft, durchaus als große Leistung an, doch der Funke sprang nicht über. Das lesen machte mir keinen Spaß. Hunger weckte in mir eher das Gefühl mich durcharbeiten zu müssen. Ein Klassiker, der sicher weiterhin seine Anhänger finden wird. Positiv hervorheben möchte ich an dieser Stelle die tolle Verarbeitung und Gestaltung des Covers. Da hat der Verlag sich mächtig ins Zeug gelegt.

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  1. Von Hunger und Wahnsinn

    Oslo im 19. Jahrhundert: Er träumt davon, als Journalist oder Autor groß herauszukommen. Doch bei den Zeitungen der Stadt werden nur wenige seiner Beiträge überhaupt veröffentlicht. Von den mickrigen Einnahmen kann er nicht leben. Ohne Geld und festen Wohnsitz irrt der Mann ziellos durch die Stadt, getrieben von dem Hunger, der Verzweiflung und dem Ehrgeiz, doch noch irgendwann ein geniales Werk zu schaffen…

    „Hunger“ ist eine Erzählung von Knut Hamsun, die erstmals 1890 erschienen ist.

    Meine Meinung:
    Das Werk besteht aus vier Teilen, genannt „Stücke“. Das erinnert, zumindest dem Namen nach, ein wenig an die Gattung Drama. Erzählt wird - mit Zeitsprüngen zwischen den verschiedenen Teilen - in der Ich-Perspektive aus der Sicht des namenlosen Protagonisten.

    Der Schreibstil ist geprägt durch viele innere und weniger äußere Dialoge. Die Sprache ist modern, für ihre Zeit vermutlich revolutionär und anschaulich. Der Text enthält vielerlei religiöse Bezüge. Als störend habe ich die unvermittelten Tempuswechsel von Präteritum zum Präsens, teils sogar mitten im Satz, empfunden. Bei der Ausgabe des Manesse-Verlags handelt es sich um eine gelungene Neuübersetzung aus dem Norwegischen, angefertigt von Ulrich Sonnenberg.

    Der namenlose Protagonist stellt einen unsympathischen Anti-Helden dar. Ein gesellschaftlicher Verlierer, der aufgrund seines falschen Stolzes, seiner Überheblichkeit und seines überzogenen Geltungsbedürfnisses immer weiter in Richtung Abgrund trudelt. Sein Abwärtstrend ist selbstverschuldet. Obwohl sein Denken sehr gut zum Ausdruck kommt, habe ich sein inkonsequentes Handeln meist nicht nachvollziehen können. Die Figur wird dermaßen überzeichnet dargestellt, dass sie ins Unglaubwürdige abdriftet.

    Inhaltlich geht es vor allem darum, wie der Hunger einem Menschen zusetzt. Das allein reicht als Lesart meiner Meinung nach jedoch nicht aus. Das wahnhafte, komplett irrationale Verhalten des Protagonisten zeigt sich nämlich auch in Phasen, in denen er an Essen herankommt. Insofern lässt es sich nur dann erklären, wenn man ihn als psychisch kranke Person liest, die ohne Hilfe von Familie und engen Freunden in einer großen Stadt zu überleben versucht.

    Auf den etwas mehr als 200 Seiten entfaltet sich nur wenig Handlung. Stattdessen wiederholen sich die Verhaltensmuster des Protagonisten auf ermüdende Weise.

    Das Nachwort von Felicitas Hoppe („Der ungeheuerliche Herr Happolati“) ist für mich leider wenig aufschlussreich. Auch die rund 80 Anmerkungen sind nur zum Teil hilfreich beim Verständnis der Lektüre. Positiv bewerte ich hingegen das angehängte Literaturverzeichnis und die editorische Notiz.

    Das ungewöhnliche, haptisch ansprechende Cover sticht aus der Masse hervor. Der norwegische Originaltitel („Sult“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.

    Mein Fazit:
    „Hunger“ ist ein Werk von Knut Hamsun, das mich inhaltlich enttäuscht und sprachlich ebenfalls nicht gänzlich überzeugt hat. Nur bedingt empfehlenswert.

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  1. Ein Schrei nach Brot und Anerkennung

    70 Jahre nach seinem Tod sind die Werke des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun (1859 – 1952) seit dem Jahresbeginn 2023 gemeinfrei. In einer Neuübersetzung von Ulrich Sonnenberg erschien pünktlich dazu sein Debütroman "Hunger", basierend auf der Urfassung von 1890, bevor Knut Hamsun ihn unter dem Einfluss der in späteren Jahren von ihm bedingungslos bewunderten und verinnerlichten Nazi-Ideologie mehrfach überarbeitete. Trotz meiner Liebe zur norwegischen Literatur hatte ich aus diesem Grund bisher Berührungsängste zu seinem Werk. Die wunderschöne Neuausgabe mit dem schlichten Cover in Schleifpapiermanier und der schmucklosen, plakativen Schrift sowie das Wissen um die große Bedeutung seines Werks für spätere Autoren haben mich nun doch bewogen, "Hunger" zu lesen, das ihm den literarischen Durchbruch bescherte.

    Gezeichnet von einer Stadt
    In vier mit „Stück“ überschriebenen Kapiteln folgen wir einem mittellosen, hungernden Journalisten und Schriftsteller durch die Straßen Kristianias, dem heutigen Oslo:

    "Es war zu der Zeit, als ich hungrig in Kristiania umherging, dieser sonderbaren Stadt, die niemand verlässt, bevor er von ihr gezeichnet worden ist." (1. Satz, S. 5)

    Jedes „Stück“ markiert einen neuen Tiefpunkt, während die positiven Momente, in denen der namenlose Ich-Erzähler zu etwas Geld kommt, ausgespart bleiben. Zunehmend zerlumpt, ohne Besitztümer und in immer prekäreren Quartieren hausend kommt er mit jeder Episode dem Wahnsinn wie dem Tod näher. Dabei ist er unfähig, sein Schicksal zu wenden, gibt das wenige Geld, an das er gelegentlich kommt, aus Gründen der Ehre und um über seine Not hinwegzutäuschen verschwenderisch ab und schwankt zwischen Größenwahn und schamhafter Unterwürfigkeit. Nur selten wird der innere Monolog für die wilden Lügengeschichten unterbrochen, die er bei seinen zufälligen Begegnungen erzählt. Nicht immer ist klar, ob diese Zusammentreffen in der Realität oder in seiner Fantasie stattfinden, weshalb das Werk manchen als Vorstufe des absurden Theaters gilt.

    Ein Roman ohne Plot
    Nicht nur an Brot mangelt es dem Hungerhelden, auch wenn der tagelange Nahrungsentzug ihm immer mehr zusetzt. Gleichzeitig dürstet er nach Wahrnehmung seiner Person, nach Anteilnahme, Anerkennung und Zuwendung. Selten habe ich Einsamkeit in einem Roman so greifbar beschrieben gefunden. Es ist mir deshalb ein Rätsel, warum Astrid Lindgren, wie Felicitas Hoppe im Nachwort ausführt, ihn als „hinreißend lustiges Buch über den Hunger“ beschreibt und beim Lesen vor Lachen „wimmerte“. Treffender wären für mich die Bezeichnungen „skurril“ und „aberwitzig“ für die Fantasiegeschichten, Worterfindungen, Gefühlsschwankungen und die Tatsache, dass der Ich-Erzähler am Ende auf einem Schiff nach Leeds anheuert, einer Stadt ohne Hafen. Ein Lachen wäre mir jedenfalls im Halse stecken geblieben. Eher schon hat mich der Hungerheld mit seinem deplatzierten Stolz, der ruinösen Ehrsucht und dem mangelnden Überlebensinstinkt zur Verzweiflung gebracht.

    Ich staune selbst, dass der fehlende Plot, zahlreiche Wiederholungen, der Verzicht auf die Schilderung der gesellschaftlichen Umstände und von Sozialkritik, das Schweigen über die Vergangenheit des Protagonisten und seine geringe Weiterentwicklung mich nur wenig  gestört haben. Vielleicht liegt es daran, dass Knut Hamsuns eigene Erfahrungen so authentisch spürbar sind und dass seine minutiöse Beobachtungsgabe sowie die sprachliche Virtuosität, an der auch der Übersetzer großen Anteil hat, mich bei diesem Klassiker überzeugen.

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    03. Feb 2023 

    Hungern im Norwegen des frühen 20. Jhrts.

    “Hunger” ist ein norwegischer Roman von Knut Hamsun, der in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts hinsichtlich seiner Form ein literarisches Ereignis darstellte. Der Roman ist vollständig geschrieben in Form eines Bewusstseinsstroms, in dem Erzählzeit und erzählte Zeit über weite Strecken vollständig übereinstimmen. Dabei lässt er seine Leser vollkommen ungefiltert an den Gedanken seines Erzählers und Helden teilnehmen. Die vollkommen fehlende Distanz und das absolute Einlassen auf die Wahrnehmung und Sichtweise seines Erzählers hat Hamsun literarischen Ruhm und einen Kreis erlauchter Nachahmer eingebracht.
    Der Manesse-Verlag hat den Roman in diesem Jahr neu aufgelegt und hat sich dabei an der Ursprungsfassung, die von Hamsun später mehrfach überarbeitet werden sollte, orientiert. So hat der Verlag versucht, die möglichst authentische, da ursprüngliche Sichtweise des Autors über die oftmals chaotische Gefühlslage seines Helden angesichts seiner prekären Lebensverhältnisse wiederzugeben.
    Der Erzähler, ein Mann, der sich zum Schreiben berufen fühlt, von dieser Tätigkeit aber immer weniger leben und seinen Unterhalt finanzieren kann, rutscht in diesem Roman sozial immer weiter ab. Verliert fast buchstäblich sein letztes Hemd und hat selten etwas, womit er seinen Hunger stillen kann. Ständig ist er auf der Suche nach Möglichkeiten, die nächste kurze Zeitspanne überleben zu können. Dabei versetzt er alles, was sich irgendwie zu Geld machen lassen könnte, – bis hin zu seinen abgeschabten Mantelknöpfen - oder versucht sich an textlicher Produktion und deren Vermarktung in der recht „mickrigen“ lokalen Medienlandschaft. Die Gefühlswelt des Romanhelden, an der wir als Leser so unvermittelt teilhaben können, ist ein heftiges Auf und Ab von Hoffnung und Verzweiflung, von Aufbruchstimmung und tiefster Depression. Viele seiner Versuche, am Leben zu bleiben und Mittel dafür aufzubringen, zeigen ihn an oder sogar jenseits der Grenze zum Wahnsinn. Das alles ist für den Leser oft schwer erträglich und doch hat die Lektüre auch etwas Leichtes und Unterhaltsames, das bei aller Düsternis schwer zu beschreiben ist. Ein großes Staunen stellt sich ein darüber, wie ein Mensch in diesen Zeiten ohne Sozialsysteme und staatliche Hilfen sein bloßes Überleben gestalten konnte. Aber für den Romanhelden funktioniert das erstaunlich gut, so dass die Talfahrt, in der er sich während des gesamten Romans zu befinden scheint, zum Ende des Romans hin wohl sogar gestoppt werden kann, wenn er als Ausgezehrter und Ungelernter eine Stelle auf einem Schiff ergattert, das ihn aus dieser Ödnis Kristianias hinausbringen wird.
    Der Roman ist ein sehr gelungenes literarisches Zeugnis über eine experimentelle Schreibweise, die bedeutende Nachahmer gefunden hat. Die neue Ausgabe des Manesse-Verlages bringt diesem Werk wieder vermehrte Aufmerksamkeit in unserer Zeit und lässt uns einen Blick darauf werfen, wie prekäre Lebensverhältnisse in vergangenen Zeiten aussehen konnten.

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  1. Schwer verdaulich, aber trotzdem lecker

    „Dichter sind Vagabundenseelen, verwandt mit Leierkastenmännern, wurzellose Landstreicher ohne Pass.“ (Knut Hamsun)

    Ähnlich „wurzellos“ gibt sich der namenlose Ich-Erzähler in Knut Hamsuns Erfolgsroman „Hunger“; erstmals veröffentlicht 1890. Die Neuausgabe des Manesse Verlags in der Übersetzung von Ulrich Sonnenberg und einem Nachwort von Felicitas Hoppe folgt der Erstausgabe. Spätere Ausgaben wurden vom Autor gekürzt; warum kann der kurzen editorischen Notiz entnommen werden. Meine Bewertung bezieht sich lediglich auf den vorliegenden Text und nicht auf die Person Knut Hamsun und seine spätere äußerst fragwürdige politische Gesinnung.

    Der Ich-Erzähler ist ein abgehalfterter und erfolgloser Journalist bzw. Autor, der in Kristiania (heute Oslo) „[…] umherging, dieser sonderbaren Stadt, die niemand verlässt, bevor er von ihr gezeichnet worden ist.“ (S. 5) Was es mit dieser kryptischen Andeutung auf sich hat, offenbart sich am (offenen) Ende der in vier Stücke angelegten Erzählung.

    Ich kann nicht behaupten, dass ich direkt mit der Erzählung klargekommen bin – zu sperrig erwies sich der Stoff, der sich durch inkonsequente Zeitform konsequent den Themen Hunger/ Durst und den dadurch hervorgerufenen „Nebenwirkungen“ befasst, zumal mir das Thema aus persönlichen Gründen sehr nahegeht. Aber irgendwann habe ich angefangen zu begreifen, mit welcher Präzision Hamsun hier zu Werke geht und vieles, was der Hunger beim Erzähler auslöst, kann ich in (abgeschwächter) Form bestätigen.

    Auch ist der Erzähler als Charakter nicht sonderlich sympathisch gezeichnet. Er ist auf der einen Seite eine sprichwörtlich gesehen arme Sau, auf der anderen Seite tut er wenig bis nichts, um seine Situation zu verbessern – im Gegenteil: durch kuriose und dem normalsterblichen Leser nicht nachvollziehbare Handlungen bringt er sich immer wieder in fast ausweglose Situationen und an mancher Stelle der Erzählung hat man Angst, dass jeden Moment der Geist des Erzählers die Geschichte zu Ende bringt *g*.

    Man sollte diesem Buch die nötige Zeit geben, sich zu entfalten und Wirkung zu zeigen. Auf keinen Fall darf die Erzählung zu schnell gelesen werden, da den geneigten Leserinnen und Lesern dann Details entgehen könnten, die im weiteren Verlauf noch einmal aufgegriffen werden. Darum habe ich auch 1 ½ Lesungen hinter mir (Stücke 3 und 4 habe ich doppelt gelesen) *g*. Und es wird wohl nicht dabeibleiben; dafür hat mich die Erzählung zu tief berührt.

    Einige Szenen sind so grotesk, dass ich der Aussage von Astrid Lindgren, dass „Hunger“ ein „[…] hinreißend lustiges Buch über den Hunger…“ (S. 233) ist, zwar nicht uneingeschränkt zustimmen würde, aber trotz aller Ernsthaftigkeit, die das Thema mit sich bringt, gibt es genug Stellen, über die man lachen oder zumindest breit grinsen kann.

    Von mir bekommt die Erzählung 5* und eine klare Leseempfehlung für Fans von Bewusstseinsströmen á la Virginia Woolf etc.!

    ©kingofmusic

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    19. Jan 2023 

    Der fröhliche Wahnsinn des Hungers

    Der Manesse Verlag hat dieser Tage eine Neuauflage des Klassikers „Hunger“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun herausgebracht, auf welche es sich lohnt, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Es handelt sich dabei um die 1890 erschienene Urfassung des Romans, welcher bis 1934 insgesamt viermal in immer wieder geänderten Ausgaben neu vom Autor veröffentlicht wurde. Denn Hamsun wurde, wie aus der ausführlichen editorischen Notiz zu erfahren ist, im Alter immer reaktionärer, nationalchauvinistischer und duldete sein progressives Frühwerk zunehmend nicht mehr. Die aktuelle Ausgabe wurde außerdem von Ulrich Sonnenberg neu übersetzt und mit einem Nachwort der Autorin Felicitas Hoppe versehen.

    Im Roman selbst geht es um einen mittlerweile mittellosen Ich-Erzähler und Schriftsteller, der sich im Oslo des ausgehenden 19. Jahrhundert, damals noch Kristiania genannt, die Tage und Nächte auf der Straße um die Ohren schlug, unter ständigem Geld und vor allem Nahrungsmangel. Dieser titelgebende Hunger wirkt sich nun auf den Bewusstseinsstrom und die geschilderten Handlungen des Erzählers signifikant aus. Er schwankt zwischen Hochmut, Stolz und Ehrgefühl und Selbstzweifeln, Selbstmitleid sowie im wahrsten Sinne des Wortes verrückten Ideen. Immer wieder bringt er sich selbst um Möglichkeiten an eine Mahlzeit zu kommen, kann nicht mit Geld umgehen und irritiert die Menschen in seiner Umwelt.

    So wandert man „in vier Stücken“, den vier Teilen des Romans, mit dem Erzähler durch Kristiania, bangt mit ihm um seine nächste Mahlzeit und verflucht ihn genervt ob seiner Unfähigkeit rational zu denken und zu handeln. Die Ungeduld mit dem Protagonisten wird durch die ständigen Wiederholungen seiner Gedanken, Handlungen und Situationen, in welche er sich selbst katapultiert, im Verlaufe des Romans zunehmend gesteigert. Erwartet man immer das Schlimmste, kommt es wieder zu einer kurzfristigen glücklichen Fügung. Nur wenig Veränderungspotential gesteht der Autor seinem psychisch auffälligen Protagonisten zu. Denn der Erzähler scheint bereits vor seiner Hungerphase eine prämorbide Persönlichkeitsakzentuierung gehabt zu haben, welche ihn zum einen in seine missliche Lage gebracht zu haben scheint und sich nun - durch den Nährstoffmangel und den daraus resultierenden physischen aber eben auch psychischen Symptomen, die Hamsun sehr gut beschreibt – in besonders starken Ausprägungen äußert. Schwankt er doch stets zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

    Sprachlich, in der aktuellen Übersetzung von Ulrich Sonnenberg, kann Hamsun definitv überzeugen. Man sieht den Erzähler vor sich, wie er durch die Straßen Kristianias flaniert, rennt, schwankt, oder fast kriecht; wie er vor Erschöpfung kaum mehr die Augen offen halten kann und dann schon wieder einem Passanten hoch erregt eine Lügengeschichte auftischt. Oft fragt man sich, was davon der Erzähler tatsächlich erlebt und bei was es sich um Halluzinationen handeln könnte. Da weiß der Autor zu fesseln.

    Letztlich hätte mir der Roman allerdings ohne die vielen Wiederholungen bzw. Variationen ähnlicher Situationen etwas mehr gefallen. Das Format einer Novelle hätte dem Inhalt des Textes durchaus auch gut zu Gesicht gestanden. Quasi etwas abgespeckt. Eine Formulierung, die einem nach der Lektüre von „Hunger“ allerdings doch ein wenig im Halse stecken bleibt.

    Im noch einmal zur aktuellen Ausgabe zurückzukommen: Das Gesamtpaket der vorliegenden Veröffentlichung vom Manesse Verlag finde ich wirklich sehr gut gelungen. Endlich gab es, die von mir immer so schmerzlich vermissten, durchnummerierten und im Text gekennzeichneten Anmerkungen. Diese haben geholfen nicht nur das Romangeschehen aber auch die nachträglichen Abänderungen durch den Autor besser zu verfolgen bzw. zu verstehen. Die editorische Notiz ist ausführlich und erhellend, ebenso wie das Nachwort von Felicitas Hoppe. Es hat mir sehr gefallen, dass sich das Nachwort auch wirklich ausführlich mit dem vorliegenden Werk beschäftigt und gut verständlich ist. So war ich erleichtert zu lesen, "die Geschichte von Hunger hat keinen Kern, genauso wenig, wie man von einem bündigen Plot sprechen könnte". Tatsächlich ist dies nämlich schwer greifbar beim vorliegenden Roman. Toll finde ich, dass das Nachwort mit einer Quellenangabe unterfüttert ist, die eine vertiefende Beschäftigung mit dem Werk anregt und leicht nachvollziehbar macht. Meines Erachtens hat hier der Verlag in der Zusammenstellung dieser Ausgabe wirklich alles richtig gemacht.

    Den Roman an sich würde ich insgesamt mit 3,5 Sternen bezüglich meiner Lektüre bewerten. Da mir die Ausgabe des Manesse Verlags in ihrer Ausstattung sehr gut gefällt, runde ich auf 4 Sterne auf.

    3,5/5 Sterne

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