Hundepark: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Hundepark: Roman' von Sofi Oksanen
4.65
4.7 von 5 (9 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Hundepark: Roman"

Helsinki, 2016. Olenka sitzt auf einer Parkbank und beobachtet eine Familie: Mutter, Vater, zwei Kinder. Als sich eine Frau neben sie setzt, erschrickt sie; sie würde diese Frau überall wiedererkennen, denn Olenka hat ihr Leben zerstört. Und gewiss ist sie gekommen, um Rache zu nehmen. Für einen kurzen Moment sind sie hier zusammen – und schauen ihren eigenen Kindern, die nichts von ihrer Existenz ahnen, beim Spielen zu. »Ein rasanter Thriller über die Machtverhältnisse der Fruchtbarkeitsindustrie im Osten.« Aftonbladet. Der Roman, der sich zwischen dem heutigen Finnland und der Ukraine nach dem Zusammenbruch der UdSSR bewegt, ist ein scharf beobachteter, temporeicher Text, der an der Schnittstelle zwischen Ost und West spielt und sich um ein Netz von Ausbeutung und die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers dreht. Sofi Oksanen erzählt mit psychologischer Schärfe die fesselnde Geschichte einer Frau, die der Sehnsucht nach ihrem verlorenen Kind nicht entkommen kann, und über die rücksichtslosen Mächte, die sie erbarmungslos jagen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
EAN:9783462000115

Rezensionen zu "Hundepark: Roman"

  1. Einprägsam, lesenswert und sehr spannend

    „Wort für Wort schlug sie einen Stein nach dem anderen aus den Fundamenten meines sorgfältig aufgebauten Lebens. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass das geschehen würde.“ (Zitat Pos.233)

    Inhalt
    2006 ist Olenka als aufstrebendes Model in Paris gescheitert und sie lebt wieder bei Mutter und Tante in einem kleinen Dorf in der Oblast Mykolajiw im Süden der Ukraine. Sie fühlt sich verantwortlich und braucht Geld, um für die beiden Frauen zu sorgen. Durch Zufall entdeckt sie eine Anzeige und nach einem Vorstellungsgespräch erhält sie den Job. Sie macht rasch Karriere. Dann verliebt sie sich zur falschen Zeit in den falschen Mann. Sie muss untertauchen, beginnt in Helsinki ein neues Leben, doch 2016 holt sie ihre Vergangenheit ein und jetzt geht es um mehr, als nur um ihr eigenes Leben.

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um die Ausbeutung junger Frauen aus ärmsten Verhältnissen, die auf eine bessere Zukunft hoffen. Skrupellose Organisationen im eigenen Land, hier geht es konkret um die Ukraine, werben die Frauen als Leihmütter und Eizellenspenderinnen für reiche kinderlose Ehepaare aus Ost und West an. Es sind international tätige, weit verzweigte und sehr lukrative Geschäftszweige. Wichtige Themen sind Politik, Wirtschaft, Kinderwunsch und moderne Medizin, die ukrainische Mafia, die Familie, und prägende Ereignisse in der Vergangenheit.

    Charaktere
    Olenka ist zielstrebig, hartnäckig, übernimmt die Verantwortung, ihre Mutter und Tante zu unterstützen. In ihrer Tätigkeit muss sie skrupellos handeln, macht Fehler, trifft falsche Entscheidungen, doch man fühlt und hofft mit ihr. Es sind unterschiedliche Figuren, denen wir in diesem Roman begegnen, authentisch bis ins Detail, und ihre Handlungen sind nachvollziehbar.

    Handlung und Schreibstil
    Die aktuellen Ereignisse finden im Jahr 2016 statt und beginnen auf einer Parkbank in Helsinki. Geschildert werden sie von der Ich-Erzählerin Olenka. Gleichzeitig unterbricht Olenka diesen Handlungsstrang immer wieder und erzählt in Gedanken ihre eigene Geschichte, ihre Kindheit, die Geschichte ihrer Familie. Diese Abschnitte, ergänzt durch Schilderungen von besonders prägenden Erlebnissen und Situationen, verlaufen nicht chronologisch, sondern ergeben sich aus einem Stichwort, einer spontanen Erinnerung in der Gegenwart, die ihre Gedanken spontan zurück in die Vergangenheit führen, zu dem Mann, den sie immer noch liebt und auf dessen Verständnis sie immer noch hofft. Diese Art des Erzählens, die Stück um Stück, Detail um Detail mehr von den Zusammenhängen aufdeckt, garantiert in Verbindung mit den Themen eines Kriminalromans ein sehr spannenden Leseerlebnis. Die Autorin schreibt schonungslos und offen, klagt jedoch nicht an, sondern folgt ihren Figuren mit Empathie, die sich auf uns Lesende überträgt.

    Fazit
    Dieser Roman, erschienen im Jahr 2019, überzeugt durch fundierte, kenntnisreiche Einblicke in die Situation in der Ukraine und erhält durch die heutige Situation zusätzliche Aktualität. Eine besondere Form des Erzählens, authentische, nachvollziehbar handelnde Figuren, eine facettenreichen Sprache von poetisch, einfühlsam, bis rasant und packend, und brisante Themen ergeben eine eindringliche, sehr spannende Geschichte.

  1. Der weibliche Körper als Ware

    Helsinki im Jahr 2016. Auf einer Parkbank am Rand der Hundewiese sitzend beobachtet die Putzfrau Olenka, eine Ukrainerin, eine Familie mit ihren zwei Kindern - tagelang und so unauffällig wie möglich. Irgendwann setzt sich eine zweite Frau zu ihr: es ist Daria, die sie aus früherer Zeit, aus einem früheren Leben kennt. Olenkas erste Reaktion ist Schreck und Sorge: "Wort für Wort schlug sie einen Stein nach dem anderen aus den Fundamenten meines sorgfältig aufgebauten Lebens" heißt es. Daria scheint gekommen zu sein, um Olenka zu erpressen, ohne dass vor vorläufig erfahren, worum es geht. Was sie verbindet, ist die finnische Familie mit Hund und zwei kleinen Kindern, die sie beobachten. "Die Tochter der Familie hat dein Lächeln", stellt Olenka fest.

    In Rückblenden wird nach und nach berichtet, was die beiden Frauen verbindet. Die Ukrainerin Olenka stammt aus einer Gegend, die bestimmt ist von Bergbau - legalem und illegalem -, Armut und Hoffnungslosigkeit. Als sie sich entschließt, in der Großstadt Dnipropetrowsk ihre Dienste als Leihmutter anzubieten - zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits eine gescheiterte Modelkarriere hinter sich -, stellt sich heraus, dass ihre Herkunft kein Aushängeschild ist. Ukrainische Frauen, jung, hübsch und gesund, sind das Kapitel der Leihmütterindustrie; die Herkunft aus einem Bergbaugebiet wird verschwiegen bzw. durch eine gefälschte Vorgeschichte ersetzt. Die Kundschaft, kinderlose Eltern, kommt aus aller Welt, um die günstigen Rahmenbedingungen auszunutzen. Es gibt für die jungen Frauen, die sich in der Hoffnung auf guten Verdienst zur Verfügung stellen, praktisch keinen Schutz. Im Gegenteil, die gnadenlose Ausbeutung des weiblichen Körpers als - muss man in diesem Fall wohl sagen - Eifabrik nimmt manchmal groteske Formen an. Die Hormontherapie setzt die Gesundheit der jungen Frauen aufs Spiel, die Sonderwünsche der Kunden in bezug auf Aussehen und Hintergrund der Spenderinnen wollen berücksichtigt werden - das ganze Geschäft ist unbarmherzig und betrügerisch, kaum weniger als Prostitution. Und wenn die Kunden aus der unermesslich reichen und mächtigen postsowjetischen "Oberschicht" kommen - einer Oberschicht, in der mafiöse Strukturen herrschen -, wird das Business vollends zu einem Tanz auf sehr dünnem Eis.

    Olenka steigt schnell zur Managerin auf, verhandelt mit den Kunden, rekrutiert neue Spenderinnen; darunter auch Daria. Doch insgeheim möchte sie so schnell wie möglich aus diesem Beruf heraus und in den Westen zurück - sobald sie genug angespart hat -, am liebsten gemeinsam mit Daria, mit der sie vieles verbindet. Mehr sogar, als sie selbst zunächst ahnt: Das ist eines der vielen Geheimnisse, die der Roman abschnittweise preisgibt.

    Sofi Oksanen erzählt Olenkas und Darias Geschichte aus Olenkas Ich-Perspektive und mit den Mitteln des Thrillers. Sie wechselt zwischen der Gegenwart in Helsinki und Kapiteln aus der Vergangenheit der beiden Frauen, baut bisweilen unverständliche Szenen und Cliffhanger ein und dosiert jeden Baustein der Geschichte so geschickt, dass das Spannungslevel auf gleicher Höhe bleibt. Dass Olenka sich als Ich-Erzählerin in Abständen an ein "Du" wendet, dessen Identität vorläufig unklar bleibt, sorgt für weitere Spannung und bringt einen wehmütigen Zug in die Erzählung. Überhaupt erweist sich Olenka eine faszinierende Erzählerin, hart und desillusioniert, aber auch verletzlich und beschädigt durch die familiären und politischen Verwerfungen ihrer Vergangenheit. Hier gelingt es Sofi Oksanen - wie man das aus ihren früheren Romanen in ähnlicher Weise schon kennt -, die politische Historie der Schauplätze einzuflechten; in diesem Fall die Ukraine, ein hochaktuelles Thema.

    "Ein engmaschiges Gewebe von Verweisen, Symbolen, Indizien, Spiegelungen und Verstrebungen" hieß es in einer FAZ-Kritik über Sofi Oksanens Roman "Fegefeuer" (von Pia Reinacher, 2.10.2010). Das passt exakt auch auf "Hundepark". Im Grunde kann man die Leistung, die dieser Roman vollbringt, gar nicht genug hervorheben. Sofi Oksanen hat einen äußerst spannenden, vielschichtigen Roman geschaffen, der Tiefe und Verständnis für seine Protagonistinnen mitbringt, aber auch aufzeigt, wie die handelnden Frauen unter dem Druck der Verhältnisse immer unbarmherziger werden - es geht eben nicht um eine wohlfeile Täter-Opfer-Perspektive, sondern um ein differenziertes Bild eines Systems, in dem ein "richtiges" Leben kaum möglich ist. Zugleich bekommen wir ein authentisches Bild von ukrainischen Dörfern und Städten und dem Donezbecken. Und all das, wie gesagt, auf gleichbleibend hohem literarischem Niveau, das das Lesen zur Freude macht. Wenn man bei diesen Themen denn von "Freude" sprechen kann.
    Große Leseempfehlung!

  1. 5
    07. Feb 2022 

    Das Geschäft mit dem Kinderwunsch

    Die finnisch- estnische Autorin Sofi Oksanen, Jahrgang 1977, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der europäischen Gegenwartsliteratur. Ihr dritter Roman „ Fegefeuer“ war ein internationaler Erfolg und wurde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. In ihren Büchern greift sie meist brisante Themen auf und verknüpft sie mit den jeweiligen historischen und aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen. Gerne richtet sie ihren Fokus auf die Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen.
    So auch in ihrem neuesten Roman „ Hundepark“.
    Die Handlung setzt ein im Jahr 2016 in Helsinki, wohin die Ich- Erzählerin Olenka geflüchtet ist. Mit einer falschen Identität lebt sie hier, hält sich als Putzfrau über Wasser. Dabei hatte sie einmal alles - Geld, Karriere und eine große Liebe. Nun sitzt sie, wie so oft, in einem Hundepark und beobachtet eine richtige Bilderbuchfamilie - Vater, Mutter, zwei Kinder. Eines Tages setzt sich eine Frau zu ihr auf die Bank. Olenka erschrickt, denn diese Frau ist keine Unbekannte. Was will Daria, die Frau aus der Vergangenheit, von ihr?

    Schon mit der Eingangsszene versteht es die Autorin Spannung zu erzeugen. Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wechselt sie den Schauplatz und geht zehn Jahre zurück. Olenka, in der Ukraine aufgewachsen, versuchte ihr Glück als Model in Paris. Doch der Traum war bald geplatzt. Erfolglos kehrt sie in ihr Dorf zurück, wo ihre Mutter und ihre Tante, beides Witwen, ihren Lebensunterhalt mit dem illegalen Anbau von Mohn zu bestreiten versuchen. Auf der Suche nach Arbeit landet Olenka bei einer Agentur, die Frauen als Eizellenspenderinnen und Leihmütter vermittelt. Olenka ist ehrgeizig und steigt bald auf zur Koordinatorin in diesem Unternehmen. Und Daria wird eine ihrer erfolgreichsten Spenderinnen. Doch irgend etwas scheint gründlich schiefgelaufen zu sein. Denn warum sonst sind beide Frauen , arm und zerbrochen, in Helsinki gestrandet?

    Wie einen Thriller baut Sofi Oksanen ihren Roman auf. Sie legt immer wieder neue Fährten, zahllose Fragen stellen sich im Verlauf der Handlung, manches Kapitel endet mit einem Cliffhänger. Häppchenweise bekommt der Leser Informationen , die sich erst nach und nach zu einem sinnvollen Ganzen erschließen. Atemlos liest man weiter bis zum spannenden Finale. Der Lesende braucht allerdings Konzentration, um alle Figuren und sämtliche Erzählstränge im Blick zu behalten.

    Doch der Roman ist weitaus mehr als ein packender Thriller. Sofi Oksanen gewährt uns einen tiefen Einblick in die Fruchtbarkeitsindustrie in Osteuropa. Eizellenspende und Leihmutterschaft sind bei uns verboten, in der Ukraine sind die diesbezüglichen Gesetze sehr locker. Das Kind ist automatisch mit den auftraggebenden Eltern verwandt, die Leihmutter kann ihr Elternrecht im Nachhinein nicht einfordern. Außerdem sind die Kosten hier sehr niedrig. Das macht die Ukraine so attraktiv für dieses Geschäftsmodell. Dazu kommt die soziale Situation im Land. Armut und Perspektivlosigkeit treiben viele junge Frauen dazu, ihren Körper auf diese Art zu vermarkten. Dabei riskieren sie durch die erforderliche Hormontherapie und die Spende selbst ihre Gesundheit. Nicht selten tragen die Frauen am Ende körperliche und seelische Wunden davon.
    Dafür bekommen die zukünftigen Eltern ein Angebot, das kaum Wünsche offen lässt. Geschlecht, Aussehen, spezielle Talente und Begabungen - wie in einem Katalog dürfen sie auswählen. „ Zu Beginn des Prozesses vermittelten die Kunden zumeist den Eindruck, als wäre Ihnen jede Beliebige recht, wenn nur das Kind gesund wäre. …Doch schon bald galoppierte ihre Fantasie in Richtung von Haaren wie in der Shampoowerbung, Haut wie in den Frauenzeitschriften und Auszeichnungen bei schulischen Sportwettkämpfen…Die große Auswahl wirkte so berauschend wie plötzlicher Reichtum.“ Dafür werden dann aber oftmals die Biographien der Spenderinnen geschönt.

    Dabei klammert der Roman die Lebensumstände in der Region und ihre historischen Wurzeln nicht aus. Die Veränderungen in der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gingen auf Kosten der armen Bevölkerung. Legale Arbeit ist rar und schlecht bezahlt. Korrupte Strukturen finden sich auf allen Gesellschaftsebenen. Mafiöse Oligarchenfamilien teilen das Land unter sich auf.
    Sofi Oksanen zeigt das anschaulich am Leben und im Alltag der Protagonisten. Hier wird nichts behauptet, sondern geschmeidig in die Romanhandlung eingebaut.

    Die Ich- Erzählerin Olenka ist eine spannende, weil widersprüchliche Figur. Als Geschäftsfrau pragmatisch und kaltblütig, als Tochter und Liebende verletzlich und voller Gefühl. Sie ist keine Sympathieträgerin, zu sehr widersprechen ihre Ansichten und ihr Verhalten unseren Moralvorstellungen. Doch wir mit unserem privilegierten Leben können uns kaum anmaßen, ein vernichtendes Urteil über sie zu fällen. Denn es sind die Verhältnisse , die sie haben hart werden lassen. Überall um sie herum gilt das Recht des Stärkeren. Wer Schwäche zeigt, hat schon verloren. Sie ist Opfer und Täterin zugleich. Das glaubwürdig darzustellen, zeugt vom Können der Autorin.
    Doch auch die anderen Protagonisten werden als komplexe Figuren geschildert. Ihre ambivalenten Verhaltensweisen lassen sich oft in ihren individuellen Biographien begründen.

    Souverän hält Sofi Oksanen auch sämtliche Fäden in der Hand. Sie wechselt gekonnt zwischen den einzelnen Erzählebenen, springt zwischen den verschiedenen Zeiten und Orten, von der Gegenwart im Jahr 2016 bis zurück in die 1990er und die Nuller- Jahre, von Helsinki in die ukrainischen Dörfer und Städte bis ins estnische Tallin. Dabei erfährt der Leser immer nur so viel, wie Olenka bereit ist zu erzählen. Wer jenes „ Du“ ist, das sie immer wieder direkt anspricht, wird auch erst später geklärt.
    Die Sprache wechselt wie die Stimmungslage der Hauptfigur, mal nüchtern und kalt, dann wieder emotional. Das ist insgesamt sehr stimmig.

    Fazit: „ Hundepark“ ist ein virtuos gebauter, sehr komplexer Roman, der aufgrund seiner Thematik äußerst wichtig und lesenswert ist. Die Eizellenspende wird als lukratives Geschäftsmodell dargestellt, das aus dem Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare Profit bezieht und mit den Spenderinnen viele Verliererinnen kennt, die aus ihrer Not heraus ihre Gesundheit und ihr Seelenheil aufs Spiel setzen. Die Ursachen lassen sich in den gesellschaftspolitischen Zuständen finden.
    Sofi Oksanen beweist auch mit ihrem neuen Buch ihr Gespür für heikle Themen und ihr literarisches Können. „ Hundepark“ ist ein aufwühlender Roman, dem ich viele Leser wünsche.

  1. Ausbeutung in der Kinderwunschindustrie

    Sofi Oksanen versteht es, den Finger in die Wunde zu legen, gesellschaftliche und soziale Missstände aufzuzeigen, die uns hier in unserer Wohlstandsblase nicht bekannt sind. In ihrem neuen Roman führt sie uns in die Ukraine, ein Land, in dem bezahlte Leihmutterschaft und Eizellenspende erlaubt sind, was zu einer großen diesbezüglichen Nachfrage unfreiwillig kinderloser Paare aus der ganzen Welt führt. In den großen Städten hat sich daraus ein äußerst lukrativer Geschäftszweig entwickelt. Was heißt das für die ukrainischen Frauen, die sich dafür zur Verfügung stellen? Warum tun sie das und setzen sich damit Gefahren aus? Wer trägt die Folgen und Risiken?

    Oksanen beleuchtet die Hintergründe anhand der Geschichte der Ich-Erzählerin Olenka. Wir treffen sie 2016 in Helsinki in einer Parkanlage, dem Hundepark, wo sie eine Familie mit zwei Kindern beobachtet. Olenka tarnt sich, offenbar ist sie untergetaucht, hat Angst entdeckt zu werden. Wo wem flüchtet sie? Tatsächlich setzt sich eine junge Frau zu ihr, die sich als ihre alte Freundin Daria erweist. Beide Frauen verbindet offensichtlich eine gemeinsame, ambivalente Vergangenheit, in der es dramatische Verwicklungen gab.

    Der Roman spielt auf mehreren zeitlichen Ebenen, die Kapitel sind entsprechend überschrieben. Nach und nach wird die Geschichte Olenkas aufgerollt, die ebenso wie Daria in der ukrainischen, völlig perspektivlosen Provinz aufgewachsen ist. Die Familien dort halten sich mit Opiumanbau oder illegalem Kohleabbau über Wasser. Beide Geschäftszweige sind gefährlich, es gilt das Gesetz des Stärkeren. Regeln werden durch gezielte Korruption umgangen. Olenka hat eine gescheiterte Modelkarriere hinter sich, ihr Vater als Ernährer ist tot, sie möchte ihrer Familie helfen. Als es mit einem Job als Dolmetscherin nicht klappt, ist sie zu allem bereit. Insofern ist sie froh, als sie das Angebot erhält, sich als Eizellenspenderin zur Verfügung zu stellen. Schnell kann sich Olenka in der Verwaltung der Agentur hocharbeiten, wird Koordinatorin, bekommt Einfluss. Im Verlauf des Romans werden die Hintergründe dieser Reproduktionsmaschinerie beleuchtet, mit besonderem Fokus auf die Eizellenspenderinnen. Man erfährt viel über die Risiken der Behandlung, die langfristigen Auswirkungen auf Körper und Geist der Frauen, die in diesem Business nur eine Ware sind und skrupellos ausgebeutet werden. Die kinderlosen Paare wählen sie im Katalog nach Kriterien wie Haarfarbe, Teint, Statur, Sportlichkeit aus. Das zukünftige Kind soll ja zur Familie passen. Das alles wirkt zutiefst menschenverachtend.

    Sofi Oksanen gibt sich in ihrem Roman nicht mit der Schilderung der Missstände und Konfliktbereiche zufrieden. Sie hat in diesem Szenario einen spannenden, vielschichtigen Plot verwoben, der atemlos macht. Dabei geht es nicht nur um die schmutzigen Details der halbseidenen Geschäfte, sondern auch um Verwicklungen mit Korruption, Intrigen, Macht und Mord. Die Armut der Menschen in der postsowjetischen Ukraine macht anfällig für das vermeintlich schnelle Geld, dessen Gefahren nicht kalkulierbar sind. Politische Entwicklungen wie der Krimkrieg oder der mysteriöse Flugzeugabsturz der MH 17 im Juli 2014 werden im Hintergrund mit direktem Bezug zu den dort lebenden Menschen geschildert und unterstreichen dadurch die Authentizität der Handlung.

    Der Roman hat mich begeistert, er ist perfekt strukturiert und durchkomponiert. Olenka springt in ihrer Erzählung durch die Zeit. Sie wendet sich an ein lange nicht benanntes „Du“, das ihr offensichtlich sehr nahesteht. Sie bittet um Verständnis für ihr Tun, erklärt sich, wirkt aufrichtig dabei. Immer mehr Puzzlesteine greifen ineinander. Im Verlauf der Lektüre werden die Umstände klar, die Olenka letzten Endes als Putzfrau mit gefälschten Papieren in Helsinki haben stranden lassen.

    Die Autorin spart nicht mit überraschenden Wendungen. Man muss genau aufpassen, Hinweise richtig deuten und mit bereits Gelesenem kombinieren. Die Figuren sind facettenreich, es gibt kaum den Guten oder den Bösen. Insofern ist es schwer, mit irgendjemandem zu sympathisieren, auch mit Olenka kann man es nicht. Sie ist zwar Opfer ihrer Umstände, aber auch wehrhaft, rücksichtslos und ehrgeizig. Auch sie hat Schuld auf sich geladen. Mitleid hat man nicht mit ihr.

    Am Ende kommt man wieder am Anfang an, in Helsinki 2016. Man glaubt, Darias und Olenkas Verbindungen zu kennen und zu wissen, warum sich die beiden im Hundepark getroffen haben… Was nun noch folgt, ist ein unerwartetes, spannendes Finale, das Fragen offen lässt und zum Nachdenken anregt.

    Sofi Oksanen beherrscht ihr Handwerk. Es ist faszinierend, wie selbstverständlich sie konkretes Wissen rund um die Kinderwunschindustrie mit einem höchst spannenden, perfekt konstruierten Thriller kombiniert, der auch sprachlich hohe Ansprüche erfüllt. Hervorzuheben ist deshalb unbedingt die Übersetzungsleistung aus dem Finnischen von Angela Plöger.

    Ein besonderes Buch, das eine breite Leserschaft begeistern sollte. Große Lese-Empfehlung!

  1. 5
    04. Feb 2022 

    Opium fürs Literaturvolk

    Der Opiumanbau wie auch die Einzellspende ist in Deutschland verboten. Das Erste sollte vielen bekannt sein, das Zweite eher weniger. Beides wird hingegen in der Ukraine, wenn man Sofi Oksanens neuen Roman und ihren Recherchen im Rahmen dessen Glauben schenken kann, vielfältig genutzt, um weit verbreiteten, finanziellen Sorgen zu begegnen, eine gewisse Unabhängigkeit zu erlangen und vielleicht den sozialen Aufstieg zu schaffen.

    Geschickt verwebt Oksanen in ihrem Roman die Geschichte der Ich-Erzählerin Olenka, welche als im Westen gescheitertes Model in ihre Heimat Ukraine zurückkehrt, um dort zunächst selbst als Eizellspenderin und später aufgestiegen in der Hackordnung als Koordinatorin ebendieser zu agieren, mit den postsowjetischen Zuständen und politischen Ereignissen ab 2009 in der Ukraine. Das geschäftstüchtige Unternehmen "Eizellspende" wird kaltblütig mit bedürftigen Mädchen gefüttert, die nicht nur eine Hormontherapie über sich ergehen lassen müssen, sondern auch ihre Gesundheit durch dieses Verfahren riskieren. "So gern die Elite ins Ausland fuhr, um dort etwas für ihre Gesundheit zu tun, war unsere Gesetzgebung doch einzigartig, wenn es um die Unterstützung bei der assistierten Anschaffung von Kindern ging: Nur die künftigen Eltern genossen juristischen Schutz, während Spenderinnen und Leihmütter keinerlei Rechte besaßen." Die ukrainische Landbevölkerung hingegen hält sich mit illegalen Gruben und dem Schlafmohn- und damit Rohopiumanbau im Garten über Wasser. Beides zwielichtig, beides kreuzgefährlich.

    Olenka schildert zunehmend um Verständnis bittend mit Rückschauen auf vergangene Jahre und Erlebnisse einem ominösen "Du" ihr Leben, was sie als einfache Putzfrau bis nach Helsinki geführt hat. Nur portionsweise, so wie es Olenka dem angesprochenen "Du" preisgeben möchte, erfahren wir mehr über die weitreichenden Zusammenhänge ihrer Handlungen und Taten. Wir müssen darauf hoffen, dass sie uns die Wahrheit - oder zumindest ihre Wahrheit - darlegt, denn Olenka ist eine Meisterin des Manipulierens gewesen. Doch in diesem Roman ist keine der Figuren einfach nur "böse" oder "gut", nur "Täter" oder "Opfer". Besonders Olenka bekommt so viele Facetten zugeschrieben, dass ihre Erzählung, ihr Geständnis umso lebhafter und authentischer wirkt. Zugegeben, der verknoteten Handlung muss man sehr aufmerksam folgen, um sie annähernd verstehen zu können. Verwirrend wird mitunter erzählt. Aber all dies ist grandios von Sofi Oksanen konzipiert. Der Roman fesselt bis zum Schluss und liest sich durch seine mitunter harte, dem Charakter und Denken der Protagonistin angepassten Sprache wie ein düsteres Spiegelbild einer zunehmend moralisch zerrütteten Gesellschaft.

    So lässt sich dieses vom brillant durchdachten Cover bis zum letzten Satz durchweg stimmig konstruierte Buch uneingeschränkt für eine nicht nur spannende, sondern auch unglaublich wissenswerte - wie auch, aufgrund der Hintergrundinformationen zur modernen Ukraine, hochaktuelle - Lektüre dringend empfehlen.

  1. Thriller mit brisantem Thema: Frauen als Eizellenspenderinnen

    Die Handlung des Romans setzt im Jahr 2016 in Helsinki ein. Im Prolog lernen wir die Ich-Erzählerin und Protagonistin Olenka kennen, die im "Hundepark" sitzt und eine Familie mit zwei Kindern beobachtet. Dabei gesellt sich eine weitere Frau zu ihr, die zunächst anonym bleibt.

    "Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich sie gleich erkannt hätte und so klug gewesen wäre, das Weite zu suchen." (5)

    Im Rückblick erfahren wir zunächst, dass Olenka im Jahr 2006 in das Dorf Oblast Mykolajiw (im Süden der Ukraine) zurückkehrt, in dem ihre Mutter, inzwischen Witwe, zusammen mit ihrer Schwägerin wohnt und dort vom Verkauf von Rohopium lebt. Olenkas Traum im Westen Model zu werden, ist gescheitert, so dass sie nun mittellos festsitzt und verzweifelt Arbeit sucht. Schließlich nimmt sie einen Job in einer Agentur an, die Frauen als Leihmütter und Eizellenspenderin an reiche, kinderlose Ehepaare vermittelt. Ihre Herkunft aus einer Stadt, in der Kohle abgebaut wird, also einem "verschmutzten" Gebiet verhindert fast ihre "Benutzung" als Eizellenspenderin. Doch ihre Biographie wird, wie üblich in solchen Fällen, geschönt. Es gelingt ihr zur Koordinatorin aufzusteigen, so dass sie selbst Mädchen als Spenderinnen aussucht und dadurch die Wünsche kinderloser reicher Ehepaare zu erfüllen.

    Die Handlung wechselt zwischen den Zeitebenen 2016 und den Rückblenden in Olenkas altes Leben. Nebenbei erfährt man im Roman einiges über die Geschichte der Ukraine und auch den Konflikt mit Russland.

    In der Zeitebene 2016 stellt sich heraus, dass die Frau, die sich neben Olenka im Hundepark gesetzt hat, eines der Mädchen ist, die Olenka als Eizellenspenderin "aufgebaut" hat. Ihre enge Verbindung besteht darin, dass Darias und Olenkas Vater Freunde waren.

    Inzwischen ist sie für Olenka, die ihr altes Leben hinter sich gelassen hat und als Putzfrau arbeitet, eine Bedrohung.

    "Sie könnte mich, die Agentur, ihre alten Kunden, euch, überhaupt alle erpressen. Wollte sie mich an meine alte Chefin verkaufen? Würde das ihre letzte Rache sein?" (43)

    "Ich wusste nicht, wer sich als Erster auf mich stürzen würde: meine ehemalige Chefin, du oder dein Laufbursche oder ihre alle zusammen als eine gemeinsame Front." (50)

    Olenka richtet sich oft an ein "Du" - wer ist gemeint? Was hat sie getan, dass sie sich ein neues Leben in Finnland aufbauen musste? Warum ist sie geflohen, womit kann Daria sie erpressen? Was hat die Familie, die sie im Hundepark beobachtet, damit zu tun? Warum steht der "Hundepark" auf ihrer Liste der guten Dinge, für die es sich noch lohnt zu leben, an erster Stelle? Zahllose Fragen, die schrittweise beantwortet werden, wobei die Spannung bis zum Schluss hin aufrecht erhalten bleibt - ein echter Pageturner, der jedoch aufgrund der unterschiedlichen Zeitebenen und wechselnden Orte sehr komplex aufgebaut ist. Nicht immer leicht den Überblick zu behalten.

    Den Roman jedoch nur als Thriller zu lesen, würde ihm nicht gerecht. Schonungslos schildert die Ich-Erzählerin, wie Frauen als Ware behandelt, regelrecht verkauft und ausgebeutet werden. Ein Thema, das mir in diesem Ausmaß überhaupt nicht bewusst war und das Oksanen eindrucksvoll in all seinen Facetten darstellt.

    "Einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde mir den Finger in den Mund stecken, um den Zustand meiner Zähne zu prüfen." (43)

    Genau diese Untersuchung führen die zukünftigen Eltern durch, um die Tauglichkeit einer potentiellen Eizellenspenderin zu prüfen. Welche Folgen das für die Frauen hat, spielt keine Rolle. Sie werden benutzt, solange sie funktionieren. Am Beispiel Darias wird das besonders deutlich, während Olenka auch als Mittäterin auftritt. Trotzdem hat sie aufgrund ihrer Biographie und den Umständen, unter denen sie aufgewachsen ist und dem, was sie erlitten hat, meine Sympathie gewonnen.

    Ein brisanter Thriller, brillant geschrieben und absolut lesenswert!

  1. Weibliche Eizellen als Ware

    Was waren die Gründe für den sozialen Absturz von Olenka? Von der erfolgreichen Mitarbeiterin (im Jahre 2007 in der Ukraine) einer ‚Nahtstelle‘ zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch und jungen Mädchen, die geeignet sind, diese Wünsche erfüllen zu können, zur Putzfrau, die vom Leben gezeichnet, 2016 auf der Parkbank in Helsinki sitzt?

    Olenka, die Ich-Erzählerin, schildert die verschiedenen Stationen in ihrem Leben und wir erfahren nicht nur von ihrer Model-Tätigkeit in Paris, von finanziellen Engpässen, sondern auch vom Abschuss der malaysischen Passagiermaschine 2014 mit der Auswirkung auf die dort lebende Bevölkerung und bekommen Einblick in die ukrainische Geschichte seit dem Zusammenbruch der ‚Sozialistischen Sowjetrepublik‘.

    Viel Raum nimmt jedoch die Auswahl der passenden Mädchen für die Eizellen-Spende ein: können doch die Kundinnen in einem Katalog das passende ‚Material‘ aussuchen, je nachdem was ihnen wichtig erscheint (z.B. Größe, Aussehen, Haar-Beschaffenheit und -Farbe, Sportlichkeit oder Intelligenz).

    Ich rieb mir ungläubig die Augen, hatte ich von dieser Möglichkeit doch nur vage gehört. Dementsprechend war ich sehr betroffen, auch von den Folgen für die Eizellen-Spenderinnen.

    Die Autorin verstand es, die Fährten geschickt zu legen, Fragen aufzuwerfen, Hintergründe aufzuzeigen und sie schonte dabei nicht die Leserschaft! Zusammen mit dem symbolkräftigen Cover (Lila gefällt mir normalerweise gar nicht!), begeisterte mich die Geschichte, fesselte und informierte mich und die Kaltschnäuzigkeit der Protagonisten wühlte mich auf. Das offene Ende fand ich sehr stimmig, leider aber die Beschreibungen in manchen Abschnitten arg detailverliebt! Vier Sterne deshalb von mir und eine Leseempfehlung!

  1. Das Geschäft mit der Ausbeutung

    Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlangte die Ukraine 1991 sein Selbständigkeit. Befreit vom Joch der russischen Vormundschaft, suchte der junge Staat nach seiner Identität und seine Bürger, einst dort geboren, durch Internierung, oder auf der Suche nach einem höheren Lebensstandard abgewandert, kehrten teilweise in ihre Heimat zurück. So auch die kleine Olenka, deren Vater Ukrainer ist, und bisher an der Grenze zu Finnland das Fenster zum Westen genossen hatte. Nun zeiht sie mit ihrer Familie in das einfache und rückständige Häuschen ihrer Großmutter.
    Weder die Großmutter, noch die Mutter sind glücklich mit dieser Situation, nur der Vater versucht sein Glück mit illegalen Geschäften, die im postsowjetischen Land wie Pilze aus dem Boden schießen. Olenka beschließt, so bald sie genug Geld zusammen hat, von dort fortzugehen. Eine Modelkarriere in Paris ist ihr Traum.

    Das allerdings erfährt der Leser erst im Rückblick, denn die erwachsene Olenka sitz in einem finnischen Park und beobachtet eine glückliche Familie mit zwei Kindern. Im (titelgebenden) Hundepark trifft sie, zu ihrem Entsetzen, auf Daria, eine alte Bekannte aus ihrer Kindheit, aber auch aus ihrer beruflichen Zeit als Vermittlerin von Kinderwunschpaaren und Eizellenspenderinnen in der Ukraine. Wie hat Daria sie, die inzwischen ein unauffälliges Leben als Putzkraft in Finnland führt, gefunden und vor allem, was will Daria von ihr?

    Dieser spannenden Frage geht der Roman nach und mit jedem Gedanken an ihr bisheriges Leben, erfährt man Details aus Olenkas Familienleben, von den "Geschäften" ihres Vaters, von mafiöser Klankriminalität, dem Mohnanbau der Familien, die ums Überleben kämpfen, aber vor allem vom Aufbau der Reproduktionsindustrie im rechtsfreien Raum des jungen Landes. Es sind die jungen, hübschen Mädchen, die von einer Modelkarriere und den Weg in den Westen träumen und sich dann doch vom großen Geld locken lassen und Eizellenspenderinnen werden. Reiche Paare bedienen sich gern dieser Dienstleistung, können sie doch unter den vermeintlich besten Geenpools ihre Wunschkandidatinnen aussuchen.

    Sofie Oksanen gelingt es mit einem spannenden Thrillerplot nicht nur die weitverzweigten Zusammenhänge von Rivalitäten und Abhängigkeiten herauszuarbeiten, sondern bohrt die Schreibfeder hauptsächlich in das Leid der Frauen, die zu Hochleistungsspenderinnen gemacht und damit dem Krebs und Depression ausgeliefert werden. Mit einem präzisen Blick für Ursachen dieses haltlosen Gebarens, flicht Oksanen politische Ereignisse des Landes (Grubenunglücke, Abschuss des malaysischen Flugzeugs) mit in die Geschichte, die ein offenes Ende hat, aber dadurch Raum lässt, dem Anlass dieses Buches noch einmal nachzuspüren.

    Aufgerüttelt und erschüttert folgte ich den Rückblicken Olenkas und rechne ihrer Erfinderin, der finnischen Autorin Oksanen, die politische und gesellschaftliche Aktualität, eingebettet in einenr brisanten Verflechtung von Schuld und Rache hoch an. Ein Blick in den Osten Europas, der mich auf mehreren Ebenen überrascht hat.

  1. 2,5 Sterne

    Klappentext:

    „Helsinki, 2016. Olenka sitzt auf einer Parkbank und beobachtet eine Familie: Mutter, Vater, zwei Kinder. Als sich eine Frau neben sie setzt, erschrickt sie; sie würde diese Frau überall wiedererkennen, denn Olenka hat ihr Leben zerstört. Und gewiss ist sie gekommen, um Rache zu nehmen. Für einen kurzen Moment sind sie hier zusammen – und schauen ihren eigenen Kindern, die nichts von ihrer Existenz ahnen, beim Spielen zu.“

    Autorin Sofi Oksanen hat den Roman „Hundepark“ verfasst und bohrt dabei sehr tief in der (vielleicht immer noch stummen, klaffenden) Wunde nach dem Zusammenbruch der UdSSR zwischen den Ländern und Landstrichen zwischen Finnland und der Ukraine. An einer politischen Wertung kommen die Leser hier nicht vorbei und es wird genügend Leser geben, die nichts von diesen „Taten“ gewusst haben. Um was es hier in der Geschichte geht? Um die Ausbeutung und Kommerzialisierung der Frauen. Eizellenspenden (Raub trifft es eher) von Frauen gegen Geld, Kinder wurden anderswo geboren und ihren Müttern weggenommen und „weiter gegeben“ an Familien, die Kinder gerne wollten…Klingt hart, ist es auch. „Menschenhandel“ (auch bei Eizellen) der anderen Art trifft es am besten. Oksanen ist dabei keineswegs zimperlich. Hier Ton ist oft erbarmungslos und kalt. Ihre Worte sind zielgenau und treffen den Leser. Ich konnte dennoch nicht ganz warm werden mit dem Buch, der Geschichte, der Autorin…Solche Geschichten sind mir nicht fern und ich wusste das es solche „Praktiken“ in diesen Ausmaßen gab…Dennoch waren einige Zeitenwechsel zu verwaschen, zu verworren. Olenka ist ein recht simpler Charakter und so ganz traut man ihr die im Buch beschriebene Tätigkeit eigentlich nicht zu. Hat sie überhaupt ein Gewissen? Und dann ist da noch diese Geschichte mit der Rache. Vieles schien mir hier zu überladen, zu gewollt, zu erzwungen. Oft gerät das eigentlich Thema in den Hintergrund, manches Mal taucht es unerwartet auf. Nein, so ganz war das nicht mein Buch - 2,5 von 5 Sternen