Hotel du Lac

Rezensionen zu "Hotel du Lac"

  1. Fast-Moderne trifft Konservatismus.

    Kurzmeinung: Eine einzige Figur trägt durch das Buch. Ein bisschen Zauberberg am See, m.a.W. Mannsche Atmosphäre.

    Hotelromane sind das Schmanckerl in der Unterhaltungsliteratur. Auch im TV und im Film und wahrscheinlich bei Netflix und Co ist das Genre angesagt. Hotelgeschichten sind fast so beliebt wie „Lädchenbücher“. (Was sind Lädchenbücher, fragt sich mancher. Romane mit solchen Titeln wie „Die kleine Bäckerei an der Seine“ oder „Die Strandbücherei hinter den Rosenbüschen.“ )

    Anita Brookner (1928 bis 2016) ist gerade noch so eine Zeitgenossin Vicki Baums (1888 bis 1960), beides Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Beide Schriftstellerinnen haben auch sonst einiges gemeinsam. Vergleicht man „Hotel du Lac“von Anita Brookner mit Vicki Baums Roman „Hotel Shanghai“ (oder auch mit Baums Buch „Menschen im Hotel“), dann, ja, dann, fallen die beiden Romane und Autorinnen in fast jeder Hinsicht weit auseinander. Ganz sicher zählt der erwähnte Roman „Hotel Shanghai“ von Vicki Baum, den ich übrigens für ihren besten halte, noch besser als „Menschen im Hotel“ nur zur Unterhaltungsliteratur und Anita Brookner kann sich zur Weltliteratur zählen lassen. Interessant ist auch, dass Anita Brookner erst um die Fünfzig anfing, zu schreiben. Die reifere Lebenserfahrung führt entsprechend zu einer anderen Schreibweise.

    Doch als ich „Menschen im Hotel“ seinerzeit und noch einmal einige Jahre später las, wurde ich wirklich wunderbar unterhalten und ich habe die Figur der Ruth sowie den Handlungsort Shanghai noch sehr gut im Gedächtnis. Während die Heldin von „Hotel du Lac“, Edith Hope, wahrscheinlich nicht sehr lange irgendwelche Spuren in meinen Gehirnzellen hinterlassen wird.

    Hotel du Lac hat 1984 den Man Booker-Preis abgeräumt, ist jetzt neu aufgelegt, der Roman war mir bis dato unbekannt. Anita Brookner ebenso. Brookner ist eine Autorin der leisen Töne und des leisen Humors, ihre Art zu schreiben nahm mich sofort für das Buch ein. Es ist die alte, feine Art des Erzählens, da spielt Landschaft eine enorme Rolle und eine düstere, fast morbide Atmosphäre von gepflegter Langeweile taucht aus dem Nebel auf, der sich nur allmählich lichtet und sich über den See zurückzieht. Diese Atmosphäre ist durchdrungen von Snobismus und Selbstbeweihräucherung und innerem Verfall. Fast meint man, man sei bei Thomas Manns Personal angekommen. Allerdings verlangt Anita Brookner dem Leser keine Geduld für ellenlange Bandwurmsätze ab. Danke, Anita.

    Der Roman lebt von dem Gegensatz des Aufeinandertreffens einer beginnenden Moderne mit dem Konservatismus der besseren, neureichen und snobistischen Kreise. Denn die unverheiratete englische Autorin Edith Hope kann finanziell durchaus selbst für sich sorgen. Denn eigentlich ist sie, so wie sie lebt, eine moderne Frau und braucht niemanden, aber sie hält sich aus unerfindlichen Gründen meist in Kreisen auf, in denen die Moderne nicht zählt und eine Frau nur dann etwas wert ist, wenn sie einen Mann in gesicherter Position an ihrer Seite hat. Degoutante Kreise also. Ekelhaft. Das Fokusieren der Thematik auf „Mann, Mann, Mann, wie kriegt man einen, braucht man einen, eine Frau ist nur etwas durch ihn“, führt dazu, dass der Roman eben nicht mehr so sehr modern ist und heute keinen Bookerpreis mehr gewinnen würde!

    Es macht einen als Leserin verrückt, wie lange Edith braucht, um sich wenigstens ein bisschen aus den Stricken der Konventionen zu lösen, sie zieht sich nicht einmal nach ihrem eigenen Geschmack an (ja gibt es denn so etwas damals noch), aber wenigstens führt ihre innere Distanz irgendwie doch zu einem Ablösungsvorgang. Irgendwie löst sie sich, ja irgendwie, so ganz überzeugend ist es nicht, da sie immer noch nicht mit ihrem Lover bricht, der nicht im Traum daran denkt, seine Ehefrau für sie zu verlassen - und erst ganz zum Schluss, wobei der Roman sogar offen endet. Hosen trägt im ganzen Roman kein weibliches Wesen. Schon die Beschreibung der weiblichen Kleidung tut weh. Ein Manko ist auch die fehlende Zeitangabe. Irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg spielts bis 1984 spätestens. Ort ist ein aus der Mode gekommenes teures Hotel am Genfer See. Hotel du Lac eben.

    Was ist jetzt gut an dem Roman?

    Immerhin erhält er alle fünf Sterne von der geneigten Leserin, die bisher doch nur gemosert hat. Der Rest. Und. Gerade die Schilderung der morbiden Atmosphäre. Dass die Autorin Edith eine geheime amour fou hat, dass sie eine Schnulzenschreiberin ist, die vermutlich Lädchenbücher verfasst, und dass sie keine Menschenkenntnis hat (angeblich) und dass sie sich fremdbestimmen lässt. Plus Schreibweise. Denoch: immer alles ganz leise mit ganz viel Innerlichkeit. Und trotz vorgennanter (Schein-)handlung täusche man sich nicht, es passiert nichts. Und doch hat die Autorin die Leserin bei der Stange gehalten. Vielleicht nach dem Motto: die Hoffnung stirbt zuletzt. Nein, Scherz beiseite, der Roman lebt von seiner Figur. Von Edith Hope, die Virginia Woolf ähnelt. Wegen der Nase. Edith Hope trägt mit ihrer vornehmen Zurückhaltung, ihrer ganz leisen Kritik, ihrer Magerkeit und Fremdbestimmtheit durch den Roman. Obwohl sie einem auch mächtig auf den Geist geht. Eine einzige Figur macht die Qualität dieses Romans aus. Vicki Baum braucht(e) eine Herde.

    Auf das kluge, dennoch überflüssige Vorwort, von Elke Heidenreich hätte ich gerne verzichtet. Ich mags nicht, wenn man mir aufdrängt, wie ich einen Roman zu verstehen habe.

    Fazit: Ein Roman, den man mögen kann, aber nicht muss. Wenn man Thomas Mann las, mag man ihn vermutlich. Und solchgeartete, morbide Atmosphären muss man auch goutieren. „Hotel du Lac“ ist auch der Roman einer leisen Emanzipation. Aber um die zaghaften Emanzipationsbestrebungen der Edith Hope zu entdecken, muss man erstens genau hinschauen und zweites, ganz schön lange ausharren.

    Kategorie: Anspruchsvoller Roman. Belletristik.
    Verlag. Eisele, 2020

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  1. 5
    02. Jun 2020 

    Ein must read! Und ein Buch, das im Klassikerregal stehen muss.

    „Hotel du Lac“ ist die Neuauflage eines Romans, der bereits 1984 erschienen ist und mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.

    September. Nachsaison.
    Eine kleine verschlafene Stadt in der Schweiz.
    Ein elegantes, aber unprätentiöses Hotel am Ufer des Genfer Sees.

    Die 39-jährige Romanschriftstellerin Edith Hope will bzw. soll ihre „unglückliche Entgleisung“, „diese anscheinend schreckliche Sache“, hier an diesem Ort vergessen.

    An diesem Ort der Verbannung, der ihr von ihren Bekannten nahegelegt wurde.
    An diesem Ort der Verbannung, von dem sie eines Tages „älter, klüger und gehörig um Verzeihung bittend“ zurückkommen soll.
    An diesem Ort der Verbannung, der ihr einen Besserungsaufenthalt ermöglichen soll.

    Wir erfahren erst weit nach der Hälfte, um was es sich bei dieser Entgleisung handelt. Die Neugierde zieht sich bis dahin wie ein roter Faden im Hintergrund durch. Sie ist immer da, aber man wird vom interessanten und kurzweilig erzählten Vordergrund so abgelenkt und in Bann gezogen, dass Neugierde und Spannung erträglich sind. Nichtsdestotrotz ist man umso erfreuter, wenn das Geheimnis endlich gelüftet wird.

    Ich finde es sehr bedauerlich und sogar ärgerlich, dass in manchen Buchvorstellungen, Ankündigungen und Rezensionen erwähnt wird, um welche Entgleisung es sich handelt. Dadurch wird einem als Leser etwas genommen.
    Und natürlich werde ich es deshalb nicht verraten ;-)

    Es ist der Tag der Ankunft im „Hotel du Lac“, einem abgeschiedenen und gleichermaßen bescheidenen, wie vornehmen Zufluchtsort für Erholungsuchende.

    Edith, eine eher verschlossene und zurückhaltende Frau, erinnert sich an das letzte Mittagessen mit ihrem Agenten vor der Abreise und daran, wie ihre Freundin Penelope sie wie eine Abzuschiebende zum Flughafen Heathrow brachte.
    Sie arbeitet an ihrem neuen Roman weiter, schreibt an ihren geliebten David und geht zum ersten „Auftritt im Speisesaal“, wo ihr erstmals der Gedanke kommt, dass der Aufenthalt ihr nicht nur Ruhe, sondern auch Eintönigkeit und Langeweile bescheren würde.

    Man spürt Ediths Einsamkeit und Melancholie. Sie vermisst ihren Liebhaber David, beginnt, die anderen Gäste zu beobachten und sich mit ihrer lebhaften Phantasie ihre Lebensgeschichten auszumalen.

    Ihre Gedanken nachzuvollziehen ist interessant, ihren Beobachtungen zu folgen ist vergnüglich, unterhaltsam, inspirierend, und z. T. witzig.

    Wir lernen die oberflächliche, konsumfreudige, wählerische, anspruchsvolle und mitteilsame Mrs. Pusey mit ihrer pummeligen Tochter Jennifer kennen, die im Schatten ihrer Mutter steht und für Höheres bestimmt ist.

    Wir treffen auf die schöne, schlanke und große Lady Monica, „ein Mitglied der herrschenden Klasse“, eine „träge Luxusfrau“, die ihr Hündchen Kiki gnadenlos verwöhnt.

    Wir begegnen der von Sohn und Schwiegertochter ausrangierten, schwerhörigen und ständig Zeitung lesenden Mme. de Bonneuil mit dem „Bulldoggengesicht“.

    Und dann weckt ein Mann im grauen Anzug Ediths Interesse: Philip Neville, der in ihr die Schriftstellerin Vanessa Wilde erkennt.

    Es ist ein äußerlich ruhiger und gleichzeitig innerlich bewegter und dichter Roman.
    Handlung und Aktion stehen im Hintergrund. Es geht vor allem um das Innenleben Ediths: ihre Gefühle, Empfindungen, Gedanken, Erinnerungen und Vorstellungen.

    Man hat den Eindruck, als bewege sich Edith, eine Frau mit schlechter Menschenkenntnis und viel Fantasie, in einer Parallelwelt.
    Entweder verliert sie sich in ihrer Innenwelt, in ihren Tagträumen und Fantasien oder sie taucht tief in die Handlung ihres neuen Romans ein. Eine gute Methode, um „die allzu realen Umstände, über die sie keine Kontrolle hatte, fernzuhalten“ (Kindle Position 846)

    In dem faszinierenden Roman stecken viele kleine Schätze, zum Beispiel die schöne Bemerkung: „Literatur, die altbewährte Trösterin der sich unbehaglich Fühlenden…“ (Kindle Position 846)

    Die bildhafte und anschauliche Sprache macht es zum Genuss, sich all das vorzustellen, was Edith erlebt und beobachtet.
    Letztlich hat man das Gefühl, mit dieser elitären Luxusgesellschaft im Speisesaal zu essen oder im Salon Tee zu trinken, weil Anita Brookner sowohl Charaktere als auch Ambiente und Atmosphäre so bravourös beschreibt.

    Es ist eine sowohl eindrucksvolle und tiefgründige, als auch unterhaltsame und vergnügliche Lektüre, die immer wieder amüsant ist und zum Schmunzeln anregt.

    Dieses Buch mit dem schönen und ausführlichen Vorwort von Elke Heidenreich werde ich sicher ein zweites Mal lesen.
    Bisher habe ich es nur als eBook, aber ich werde es mir noch als Printausgabe gönnen.

    „Hotel du Lac“ ist ein Roman, der in meinem Klassikerregal stehen muss, weil ich ihn unglaublich gut finde.

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