Herz der Finsternis

Buchseite und Rezensionen zu 'Herz der Finsternis' von Joseph Conrad
3.9
3.9 von 5 (10 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Herz der Finsternis"

In den Abenteuerbüchern Joseph Conrads ist der Dschungel still. Im Herz der Finsternis (1899) etwa schlängelt sich der Kongo lautlos durch die "erhabene Stille des Urwalds": Die Geschichte von Kapitän Marlowe, der sich auf die Suche nach dem rätselhaften und grausamen Elfenbeinhändler Kurtz ins dunkle Afrika aufmacht, spielt sich vorwiegend in der "schweigenden Wildnis" ab. Erst als Marlowe Kurtz zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, durchbricht ein schriller Schrei die Lautlosigkeit. Zunächst nur "ein Wort" in den Erzählungen der Eingeborenen, stellt sich der dämonische Redner nun "als eine Stimme dar". Und als Kurtz mit dem flüsternden Ausruf "Das Grauen! Das Grauen!" sein Leben schließlich aushaucht, wird die Wahrheit dieser Einschätzung offenbar: "Er war kaum mehr gewesen als eine Stimme".

Im Herz der Finsternis, das von den teuflischen Schattenseiten der europäischen Zivilisation ebenso wie von den düstren Untiefen der menschlichen Seele berichtet, ist auch der Ich-Erzähler Marlowe für seine Zuhörer "nicht mehr gewesen als eine Stimme". Auf der CD-Fassung des Reclam Verlags nun leiht der 57-jährige Schauspieler Christian Brückner, der bereits Robert de Niro und Alain Delon synchronisierte, dem Organ des Kapitäns sein raues Timbre. Er tut dies mit viel Gespür für Conrads Text: Denn während der charismatische Kurtz "ernst, tief, bebend" -- als Störung im Urwaldschweigen eben -- hätte gesprochen werden müssen, ist die von Brückner gegebene Erzählstimme Marlowes ruhig, schlängelnd und tiefgründig wie der Kongostrom.

"Meine Stimme ist es, die nicht zum Schweigen gebracht werden kann", behauptet Marlowe einmal. Nun macht uns die unverwechselbare Stimme Brückners den herrlich gleichförmig mäandrischen "Zauberfluss der Rede" vom Herz der Finsternis anschaulich. Getreu dem auf Kurtz gemünzten Diktum Conrads: "Man spricht nicht mit dem Mann -- man hört ihm zu". 5 CDs, Spieldauer: 303 Minuten. --Thomas Köster

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:128
Verlag: Anaconda
EAN:9783938484791

Rezensionen zu "Herz der Finsternis"

  1. Subtile Kolonialismuskritik

    "Herz der Finsternis" ist ein Klassiker, der insbesondere im Kontext der literaturwissenschaftlichen Kolonialismuskritik auch heute noch viel diskutiert wird. Man muss sich bei der Lektüre natürlich vor Augen halten, dass Conrads Werk bereits 1899 erschien und es vor dem Hintergrund dieser Zeitgeschichte lesen. Conrad begibt sich mutig mitten ins "Herz der Fisnternis". Seine frühe Kolonialismuskritik ist subtil, aber sicher mutig. Er prangert eindeutig die Folgen des Missionierungswerkes an, inklusive der wirtschaftlichen und menschlichen Ausbeutung und des Leids, dass diese Praxis im "schwarzen" Kontinent auslöste. Dabei ist es sein Romanheld Marlow, der als Kapitän einen Flussdampfer auf dem Kongo steuert mit dem Auftrag, den Erkrankten Elfenbeinhändler Kurtz abzuholen. Conrad begnügt sich dabei damit, Marlow die Rolle eines distanzierten Beobachters zuzuweisen: fähig, Missstände wahrzunehmen und präzise zu beschreiben, hütet sich aber vor vorschnellen Bewertungen. Das ist sicher der damaligen Zeit und ihren Umständen geschuldet. Es schmälert widerum nicht die Bedeutung dieses Werkes für die weitere Entwicklung einer kolonialismuskritischen Perspektive.

    Kolonialismuskritik heute geht natürlich viel weiter. Es wird kein Blatt vor dem Mund genommen und das barbarische Treiben der vermeintlichen Zivilisierten viel unverblümter aufgezeigt und problematisiert. Dabei geht es heute auch viel um political correctness in sprachlicher Hinsicht. Wertvoll finde ich die Erläuterungen im Nachwort, weshalb das Werk heutzutage als rassistisch eingestufte Begrifflichkeiten beibehält. Ich finde diese nachvollziehbar und denke, eine Tilgung derselben würde Conrads eigentümliche und subtile Kolonialismuskritik, die literaturgeschichtliche Besonderheit seines Werkes letztlich, ausmerzen.

    Die Schilderungen des Geschehens auf und rund um den Kongo sind zum Teil sehr atmosphärisch, auch wenn das Geschehen phasenweise etwas vor sich hinzuplätschern scheint. Mir hat das Werk letztendlich gut gefallen, auch wenn diese Art von Abenteuerliteratur normal so gar nicht zu meinen bevorzugten Genres zählt. Ich bin froh, dieses bedeutende Werk nun endlich gelesen zu haben und empfehle es gerne weiter für alle, die an einem zeitgeschichtlich unverfärbten Blick auf das koloniale Geschehen interessiert sind.

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  1. Wenn einer eine Reise tut

    ... dann kann er was erzählen! So auch Marlow, der auf einem Kahn auf der Themse auf die Flut wartet und seinen Kameraden eine abenteuerliche Geschichte erzählt.

    Das ist die Ausgangslage in "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad; neu veröffentlicht in der farbenfrohen Ausgabe der Penguin Edition. Die Übersetzung ist von Fritz Güttinger; das Nachwort von Ernst Weiß scheint einer älteren Ausgabe entliehen worden zu sein, ist bzw. war der Verfasser doch ein Zeitgenosse und Freund Kafkas.

    Die von Marlow erzählte Geschichte führt die Leserinnen und Leser über den Kongo immer tiefer in den afrikanischen Kontinent hinein. Dabei versteht es Conrad meisterhaft, die Stimmung entlang des Flusses in atemberaubenden Bildern vor des Lesers Auge zu zaubern.

    Dabei ist die Geschichte in weiten Teilen sehr ruhig - ähnlich der langsamen Fahrt auf dem Kongo. Effekthascherei war nicht die Intention von Conrad. Und trotzdem wird in manch einer Bemerkung oder noch öfter zwischen den Zeilen die Kritik Conrads an der europäischen Kolonialherrschaft deutlich.

    Die Leserinnen und Leser sollten sich bewusst machen, dass im Text heute nicht mehr gebräuchliche Begriffe verwendet werden oder in unseren (heutigen) Augen rassistische Äußerungen getroffen werden. Es ist ein Text seiner (damaligen) Zeit - das sollte man beim Lesen im Hinterkopf haben.

    Ich bin Marlow jedenfalls gerne ins "Herz der Finsternis" gefolgt und gebe inklusive Klassikerbonus 5* und spreche eine absolute Leseempfehlung aus.

    © kingofmusic

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  1. Harte Kost

    Der Autor Joseph Conrad verarbeitet in seinem Werk "Herz der Finsternis" viele persönliche Erfahrungen. Bei dem Titel stellte sich mir kurz die Frage, ob der sein eigenes Innenleben meint, oder dann doch eher das Innere des Landes welches er selbst bereiste, und nun als Vorlage für sein Werk nutzt. Im Herzen Afrikas geschah im Zuge der Kolonialisierung damals eine Menge unrecht. Der Leser bekommt einen Eindruck davon, wie die Eingeborenen behandelt und ausgebeutet wurden. Sie waren mehr Vieh als Mensch, und das Elfenbein stand über allem.
    Meine Vorstellung dieses Klassikers ging in eine Richtung, die mich erwarten ließ, dass diese Missstände offen kritisiert werden, doch dazu war die Zeit noch nicht reif. Ich musste mir immer wieder vor Augen führen, dass diese Taten früher als normal galten, es tatsächlich nur wenige Menschen störte. Deshalb kann ich den Hintergrund der Erzählung trotzdem würdigen. Conrad wollte mit diesem Werk aufmerksam machen, zwar nicht mit der Keule, aber immerhin.
    Gut verpackt als Abenteuer, denn das ist es, bekommt man auf der Reise des Erzählers Marlow viel von der Landschaft geboten. Diese Beschreibungen gefielen mir sehr. Sein Anliegen, den Agenten Kurtz zu finden und zurückzubringen, wirkte zu Beginn dabei fast mystisch, da man wenig bis fast gar nichts von diesem ominösen Mann erfuhr. Als er ihn dann endlich fand, war ich fast ein wenig enttäuscht, da ich mir eher etwas heroisches gewünscht habe, doch Kurtz entpuppt sich als Mensch der übelsten Sorte.

    Dieses kleine Büchlein hat mich viele Nerven gekostet, es war nicht immer leicht, und ich habe es auch nicht allzu gern gelesen. Dennoch zolle ich dem Autor Respekt, er hat versucht andere um sich herum aufmerksam zu machen und zum nachdenken anzuregen, mehr, als die meisten zu der Zeit überhaupt bereit waren zu tun. Ein Klassiker, der sicher weiterhin Bestand hat!

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  1. 3
    12. Jan 2023 

    In den Abgründen des Kolonialismus

    In Joseph Conrads “Herz der Finsternis“ begibt sich der Erzähler auf eine Mission in die Wildnis Afrikas. Der Erzähler ist ein Seemann, der die Weiten des Ozeans für diese Mission mit den exotisch unerforschten Tiefen einer afrikanischen Flusslandschaft eintauscht. Hier trifft er zunächst vor allem auf die Trägheit der Sinnlosigkeit, in der die Kolonialisten auf den Stationen seiner Reise dahinvegetieren. Immer auf Wartepositionen, immer darauf wartend, dass sich für sie die einmalige Möglichkeit nach Reichtum eröffnet, die ihnen von den Einheimischen quasi auf dem Tablett eröffnet werden soll. Lange Zeit kann der Erzähler nicht zu seiner eigentlichen Mission aufbrechen, denn irgendwie ist der Weg zu seiner Zielperson Kurtz nicht so bestellt, wie erwartet. Dieser Kurtz ist in der Vorstellungswelt des Erzählers und seiner Umwelt eine der Möglichkeiten, Reichtum zu ergattern, denn er arbeitet als „Einsammler“ von Elfenbein, einer der Geldquellen dieser exotischen Gegend. Kurtz hat es in dieser Gegend zu Ruhm und Bekanntheit gebracht, da er wohl der einzige zu sein scheint, der nicht nur wartend das Land und die Leute ausbeutet, sondern dafür auch zu Mitteln greift, die Handlung und eigenes Eingreifen bedeuten. Dieses Eingreifen geschieht nicht immer auf ganz moralisch und legal einwandfreien Wegen und zeigt das Barbarische des Kolonialismus. Der Erzähler trifft schließlich auf diesen Kurtz und erlebt die Tragik seines Lebens in dieser Wildnis in einem Augenblick, der durch schwere Krankheit und die Gefahr, die von den Einheimischen in dieser Abgelegenheit ausgeht, geprägt ist.
    Conrad hat mit dieser Erzählung seine Zeitgenossen literarisch in die Welt entführt, die damals so selbstverständlich und kritiklos von den Nationen des Nordens ausgebeutet wurde. Damit hat er ein Stück kolonialkritischer Literatur geschaffen, die in ihrer Zeit wahrscheinlich hauptsächlich auf Interesse bei denen getroffen ist, die auf der Suche nach Abenteuern oder zumindest Abenteuerliteratur waren und Lust am Exotischen hatten. Die Lektüre heute ist teilweise schwer zu ertragen, denn trotz der Kolonialkritik steckt der Autor eben doch tief und fest im Denken seiner Zeit verwurzelt und sieht in den Einheimischen und Schwarzen eben doch die vermeintlich niederwertigen „Neger“. Das stößt heute bei der Lektüre deutlich auf, in einer „Editorischen Notiz“ am Ende des Buches macht der Verlag aber deutlich, dass die Darstellungsweise des Autors, die frei von der Sensibilisierung zu dem Thema in der heutigen Gesellschaft ist, hier eben den Blick in historische, vergangene Perspektiven abbilden soll und kann. Eine Glättung bedeutete tatsächlich einen zu weit gehenden Eingriff in das Werk.
    Gerade wegen dieser Gradwanderung, die zunächst der Verlag mit der neuen Herausgabe des Werkes zu gehen gezwungen war und dann der Leser bei der Lektüre leisten muss, muss hier aber die Auswahl des Nachwortes kritisch beleuchtet werden. Mit einem Nachwort, das ohne erklärenden Hinweis auf dessen Verfasser und dessen Entstehungszeit abgedruckt ist und das diese Gradwanderung überhaupt nicht aufgreift, sondern eine literaturwissenschaftliche und -kritische Betrachtung direkt aus der Entstehungszeit wiedergibt, verpasst der Verlag hier für mich eine wichtige Chance, dem Werk eine neue, aktuelle Chance zu geben. Letztlich erforderte ein solches Nachwort eigentlich ein Nachwort zum Nachwort. Das aber fehlt hier und so komme ich – etwas enttäuscht - für diese Penguin Edition-Ausgabe nicht über 3 Sterne hinaus.

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  1. Weißes Gold aus Afrika, oder Biobaumwolle aus Bangladesch

    Ich stelle mir Werbung vor, die mir zeigt, wie schön, modisch und wertvoll eine Jeans ist. Sie wurde mit nachhaltiger Baumwolle gefertigt und gab Lohn und Brot für Menschen aus fernen Ländern, die sonst auf den Straßen hätten betteln müssen. Ich kaufe diese Jeans und trage sie mit Stolz. Später kommt ein Freund zu Besuch. Er hat viel zu berichten, denn er war, nur mit einem Rucksack ausgerüstet, für 1 Jahr auf Wanderschaft in der Welt. Er erzählt mir eine Geschichte aus den Slums und Fabriken von Bangladesch...

    Und nun gehen meine Gedanken 120 Jahre in die Vergangenheit. Ich sitze bei Ebbe auf der Themse fest und warte auf die Flut, die unsere Kreuzerjacht weg vom geschäftig wuselnden London hinaus gen offene See tragen soll. Marlow ist auch an Bord und vertreibt uns unsere Zeit mit einer Geschichte. Sie klingt fast wie Seemannsgarn, doch sein Ton ist ernst und die im Dämmerlicht schwindenden Lastkähne, die ihre wertvolle Fracht nach London bringen wollen, unterstreichen die Wahrhaftig- und Ungeheurlichkeit seiner Erlebnisse als Kapitän auf einem belgischen Flussdampfer, der sich stampfend den Kongo hochschiebt, dem Herz der Finsternis entgegen.

    Marlow ist ganz aufgeregt, soll er doch endlich den legendären und sagenumwobenen Kurtz kennenlernen, der auf seinem Handelsposten im tiefsten Hinterland mehr Elfenbein beschafft hat, als jeder andere. Marlow soll den erkrankten Kurtz abholen. In Afrika angekommen, stellt Marlow schnell fest, dass hier die Uhren anders laufen und die glanzvollen Geschichten vom schnellen Reichtum gespickt sind mit hässlichen Flecken von geschundenen und hungernden Einheimischen, von Misstrauen und Hochmut, von prekärer Organisation und Unkenntnis der Gefahren, die von fremder Flora und Fauna ausgehen.

    Nach einigen Verzögerungen, die ihm Gelegenheit gab, Gespräche zu belauschen, macht er sich endlich auf, nicht ahnend, dass das wahre Grauen noch auf ihn wartet und auch nach seinem Leben trachtet.

    Conrads Erzählung wurde 1899 veröffentlicht und erregte Aufmerksamkeit, weil sie erstmalig leise Kritik am Kolonialismus erkennen ließ. Dem Leser sollte bewusst sein, dass Conrad selbst Erfahrungen als Kapitän hatte und auch den Kongo bereiste, aber eben auch nur ein "Kind seiner Zeit" war, entsprechend aus seiner Weltsichtblase heraustreten musste. Eingedenk dieser Umstände und gefangen von der dichten Atmosphäre im Buch, spielten sich ganze Filmsequenzen in meinem Kopf ab (ich ignoriere jetzt mal tatsächliche Verfilmungen) und sah Klaus Kinski in der Rolle des Kurtz, verrückt geworden an seiner Machtgier und der Götterverehrung der Einheimischen.

    Es handelt sich bei der Novelle um eine Übersetzung aus dem Englischen von Fritz Güttinger. Die schlichte Neuauflage in der Penguin Edition und einem Nachwort von Ernst Weiss (allem Anschein nach ein Zeitgenosse Conrads) soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie wichtig dieses Stück für nachfolgende Literatur war, wie sehr sparsam die Figuren angelegt, aber umso aussagekräftiger für die Geschichte waren und wie beispielhaft sie die Wanderschaft zwischen den Welten aufzeigt, die auch Conrads eigenes Leben spiegelt.

    Und was hat das jetzt mit meiner Jeans zu tun? Nun, mein Freund machte mir klar, dass die Machtgier der reichen Länder noch nicht vorbei ist, menschenverachtend, umweltzerstörend und vor allem verlogen. In diesem Sinne kann und darf der Klassiker neu gelesen werden und zum Verständnis weiterer europäischer und afrikanischer Geschichtsverläufe beitragen.

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  1. 2
    02. Jan 2023 

    „Grauenvoll! Grauenvoll!“ Naja, nicht ganz. Aber fast!

    Nein, ganz so schlimm, wie der Titel dieser Rezension andeutet, ist die Erzählung „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad nicht. Es bot sich nur an, diesen doppelten Ausruf aus dem Buch direkt zu übernehmen. Tja, aber so richtig überzeugen konnte mich Conrad mit seinem Buch und vor allem Penguin mit seiner 2022 erschienen Ausgabe des selbigen leider nicht.

    Zunächst einmal zur Erzählung an sich. Ein Seemann, Marlow, erzählt mit einem Boot auf der Themse schippernd seinen teilweise eingeschlafenen Mitreisenden eine Geschichte aus seinen jungen Jahren. Damals (Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts) sei er abenteuerlustig mit einer Handelsflotte als Kapitän eines Flussdampfers den Kongo hinaufgefahren, mit dem Ziel den Elfenbeinhändler Kurtz aus dem Inland abzuholen.

    Nachdem ich mich auf der Themse so überhaupt nicht mit zu Marlow ins Boot hieven konnte und nur schwer auf den ersten 10-15 Seiten Zugang zum Text fand, gelang mir dies auf den ersten Seiten seiner Erzählung über die Reise zum Kongo und vom Aufenthalt auf dem afrikanischen Kontinent dann schon besser. Die zu Beginn häufiger auftauchende subtile, zynische Kritik am Kolonialismus empfand ich hier aussagekräftig in den Gedankengängen des jungen Marlow widergespiegelt. Diese durchaus vorhandene Kritik zeigt sich in Äußerungen wie diesen:

    "Die Eroberung der Welt ist - genau betrachtet - nichts Erbauliches; meist läuft es darauf hinaus, dass man denen, die eine andere Hautfarbe oder platte Nase haben, ihr Land wegnimmt." (S.12-13)
    "Sie sprach von der Notwendigkeit, 'diese unwissenden Menschen ihrer grässlichen Lebensweise zu entwöhnen', bis mir nachgerade nicht mehr wohl war in meiner Haut." (S.24-25)
    "Also nannte man sie [die Schwarzen] Verbrecher, und das verletzte Recht war, wie die krepierenden Granaten, geheimnisvoll über sie hereingebrochen, ein unlösbares Rätsel von jenseits des Meeres." (S.31)

    Diese ersten 50 Seiten empfand ich als gekonnte Beobachtung des Kolonialismus und den daraus entstandenen „Handel“ mit Kolonialwaren, wie Elfenbein, aber auch Darstellung eines jungen, abenteuerlustigen Menschen, der zunehmend desillusioniert wird durch seinen Eintritt in die Handelsflotte und deren Verstrickungen mit der Politik und dem Menschenbild der damaligen Zeit. Man beachte, das Buch wurde 1899 erstmals veröffentlicht, in einer Zeit, in der der Kolonialismus noch en vogue in Europa war. Von der Schifffahrt vor allem nach Afrika versteht der Autor auch etwas, war er doch selbst ab 1888 bis 1893 Kapitän der Otago und verarbeitete seine Erlebnisse u.a. im Kongo in seinen Werken.

    Nur ist es so, dass mich das Buch mich für die darauffolgenden 110 Seiten nicht mehr einfangen konnte. Das lag zum einen am ausufernden Schreibstil des Autors. Seine schwülstigen Formulierungen sind sicherlich der Zeit geschuldet, konnten mir aber leider nicht die Atmosphäre dieser Reise auf dem Kongo vermitteln. Die in Worten beschriebene Stimmung auf dem Flussdampfer übertrug sich nicht auf mich als Leserin. Auch konnten die Beschreibungen in mir nur selten ein inneres Bild der Szenerie entstehen lassen. Nie wollte ich in einer kurzen Lesepause zurück ins Buch und damit zurück in diese Geschichte. Im Gegenteil, mit zunehmender Seitenzahl wurde die Lektüre zunehmend zäh, unverständlich und entzog sich mir in seiner Aussagekraft, dass ich mich regelrecht quälte die Lektüre abzuschließen. Zurück ließ sie mich mit riesigen Fragezeichnen bezüglich einer Aussage des Buches bzw. des Autors. Man findet in Analysen des Textes die Beschreibung, dass Kurtz hier als das „charismatische, moderne Böse“ dargestellt sein soll. Leider übertrug sich diese Interpretation überhaupt nicht auf mich während der Lektüre. Zuletzt fehlte mir die Nachvollziehbarkeit sowohl der Handlung als auch der handelnden Personen. Zu lang für eine Novelle, zu kurz für einen Roman, bekommen für mich die wichtigen Handlungsstränge nicht genug Raum und Zeit, um das Anliegen Conrads zu vermitteln. (Andererseits hätte es mich davor gegraut, noch länger Conrads Sprache folgen zu müssen.) Die Kolonialismuskritik ging zum Ende hin, nach meinem Verständnis zunehmend verloren, die afrikanischen Ureinwohner bleiben in ihrer Beschreibung eindimensional „die Wilden“, obwohl es Anknüpfungspunkte gegeben hätte, diese menschlicher, mit – zumindest ein wenig – mehr Tiefe darzustellen. Denn natürlich ist das Buch noch während der Kolonialzeit geschrieben, dennoch sollte man im Blick behalten, dass es innerhalb der Intelligentsia zu dieser Zeit der Jahrhundertwende durchaus schon realistischere Darstellungen von Schwarzen Menschen existierten und sich gegen die triebgesteuerte, tierische Darstellung von indigenen Völkern aussprach. Den verschiedenen Figuren bin ich leider über die Erzählung hinweg nicht näher gekommen, ihre Beweggründe wurden für mich kaum ersichtlich, was vor allem für die zentrale Figur Kurtz gilt.

    Vielleicht hätte sich das Buch, die verwendete Symbolik und die Aussage dessen mir mehr geöffnet, wenn die Ausgabe vom Penguin Verlag in der „Penguin Edition“ besser gelungen wäre. Dem Text allein hätte ich 3 Sterne für sich stehend zugesprochen, aber in Form der leider wenig zugänglichen Aufmachung, habe ich mich für ein Abrunden auf 2 Sterne entschieden. Denn aus der Ausgabe erfährt man die grundsätzlichsten aber gleichzeitig unglaublich wichtigen Informationen zum Text, um diesen einordnen zu können, nicht. Man muss sich ergoogeln, dass der Originaltext 1899 erschien, dass der Übersetzer Fritz Güttinger in 1992 verstarb, somit die Übersetzung aus einem früheren Jahr stammt, welches bleibt offen, dass das Nachwort, welches mit „Ernst Weiss“ unterschrieben ist, scheinbar vom österreichischen Schriftsteller und Übersetzer Ernst Weiß stammt, der 1940 verstarb, demnach also auch schon etwas älter ist. Ob es dieser Ernst Weiß ist, keine Ahnung, es gibt keinerlei Angaben im Buch diesbezüglich, auch kein Jahr des Verfassens des Nachworts. Und einmal von diesem eklatanten Fehlen der Rahmeninformationen abgesehen, konnte mir das ähnlich nebulös verfasste Nachwort – hier wähnt man sich sprachlich fast noch im Text von Conrad – keine Erkenntnisse zum vorliegenden Text vermitteln. Es ist ein allgemein gehaltenes Nachwort zum Autor und dessen Werk, wobei „Her der Finsternis“ hier kaum auftaucht. Es konnte mir nicht einmal ansatzweise Tipps geben, wie ich die Geschichte verstehen könnte. Hinweise zu mythologischen Bausteinen, biografischen und historischen Zusammenhängen sind bei Wikipedia dann nachzulesen. Da erwarte ich mehr von einer neuen Veröffentlichung im Jahre 2022. Hätte die Erzählung doch eine perfekte Steilvorlage gegeben ein aktuelles, modernes Nachwort anzuhängen, welches die Geschichte in einen entsprechenden Kontext setzt oder verschiedene Interpretationen und Bewertungen ermöglicht. Denn unumstritten scheint dieser historische Text nicht zu sein, wie Äußerungen Chinua Achebes aus der (durchaus gelungenen) editorischen Notiz zu entnehmen ist. Warum hat der Verlag dieses Potential zur Diskussion verschenkt?

    Also noch einmal: „Grauenvoll!“ ist die Erzählung nicht gleich, keine Angst. Aber in dieser Präsentation leider auch nicht besonders gut. Lesende, die Prosatexte aus dieser Zeit mit pathetischer Sprache lieben, werden hier sicherlich auch auf ihre Kosten kommen. Für mich war das leider unterm Strich nichts.

    2,5/5 Sterne

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  1. Die zweifelhafte Eroberung der Welt

    Joseph Conrad (1857 – 1924) stammte aus Polen, fuhr dann lange Jahre zur See, bevor er sich parallel dazu als Schriftsteller einen Namen machte. Die vorliegende Erzählung „Herz der Finsternis“ erschien im Original 1899. Man kann davon ausgehen, dass Conrad eigene Erfahrungen darin verarbeitet hat.

    In der Rahmenhandlung liegt die Kreuzerjacht „Nellie“ auf der Themse vor Anker und wartet auf Niedrigwasser, um auslaufen zu können, was sie am Ende der 169 Seiten auch tun wird. Kapitän Charlie Marlow wird der Mannschaft bis dahin die Zeit vertreiben, indem er sie mit Seemannsgarn versorgt. „Marlow entsprach nicht dem üblichen Bild eines Seemanns; für ihn steckte der Sinn einer Geschichte nicht wie ein Kern in ihr drin, er umhüllte sie gleichsam wie einen Lichtschein.“ (S. 10) In diesem Sinne erzählt Marlow von seiner Handelsexpedition als Binnenkapitän auf dem Kongo, die ihn einst von Abenteuerlust getrieben ins Innere Afrikas führte. Die Landkarte dieses Kontinents bestand damals noch aus zahlreichen weißen Flecken. Marlow berichtet gemächlich von seiner gefährlichen Reise. Dabei versteht er es, Atmosphäre zu schaffen und unbekannte Landschaften vor dem Auge des Lesers entstehen zu lassen. Die rückblickende Grundhaltung Marlows ist von Anfang an klar: „Die Eroberung der Welt ist – genau betrachtet – nichts Erbauliches; meist läuft es darauf hinaus, dass man denen, die eine andere Hautfarbe oder platte Nase haben, ihr Land wegnimmt.“ (S. 13)

    Über verschiedene Stationen kommt Marlow voran, seine Eindrücke sind vielfältig. Langsam bewegt sich schließlich der alte Dampfkahn vorwärts, es gilt, zahlreiche Hindernisse zu überwinden. An den Ufern: undurchdringliche Wildnis, verlassene Stützpunkte, Überbleibsel fremder Kulturen und das Gefühl, permanent beobachtet zu werden. „Ganz allgemein nahm ein Gefühl der Bedrückung und Verwunderung in mir überhand. Es war wie die Vorahnung eines bösen Traums.“ (S. 29)

    Marlows Erzählung wirkt nüchtern, er ist ein genauer Beobachter, der nur ins Geschehen eingreift, wenn es lebensnotwendig wird. Gerade deshalb wirken seine Erlebnisse sehr authentisch und realistisch, erinnern teilweise an Schauergeschichten. Helden sucht man vergeblich. Er schildert, wie schwarze Arbeitskräfte ausgebeutet werden und hungern müssen, wie sie weißer Willkür ausgeliefert sind und zum Spielball wirtschaftlicher Interessen werden. Angebliche Handelsgeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass man die Einheimischen mit billigem Tand versorgt und dagegen wertvolles Elfenbein eintauscht. Erschreckend, mit wie wenig Widerstand sich einzelne Völker unterjochen lassen, sie erliegen dem „Zauber des weißen Mannes“. Das schwarze Menschenleben ist wertlos, der gruselige Mythos vom Kannibalismus omnipräsent.
    Eingebunden ist das Geschehen in einen Bericht von wunderbarer Sprachschönheit, wie man sie von guten Klassikern gewöhnt ist. Zwischendrin wendet sich Marlow immer wieder an seine Zuhörer auf der „Nellie“, wobei sich auch der Leser angesprochen fühlen darf.

    Joseph Conrad bezieht eindeutig Stellung gegen den Kolonialismus. Er sieht den Raubbau, die Unterdrückung, den Machtmissbrauch. Er hinterfragt die fadenscheinigen Rechtfertigungen (Zivilisierung, Erziehung, Missionierung), kritisiert die organisatorische Unfähigkeit der rohen, ungebildeten Invasoren, deren robuste Gesundheit ein weitaus höheres Gut für die Karriereleiter darstellt als fachliche Kompetenz.
    Es hat mich sehr beeindruckt, wie deutlich Conrad hier die Schattenseiten der Kolonialisierung als Zeitzeuge definiert. Uns heutigen Lesern reichen ein paar Stichworte, um das Kopfkino in Gang zu setzen, weil wir die brutalen Konsequenzen der damaligen Entwicklungen kennen. Es schmerzt zu erleben, wie rabiat gegen Natur und Menschen aus reiner Habgier vorgegangen wurde. Es muss nicht alles auserzählt werden, Anspielungen reichen.

    Die Übersetzung von Fritz Güttinger orientiert sich am Originaltext. Die editorische Notiz erläutert die Nutzung von heute umstrittenen Begriffen, die jedoch bewusst beibehalten wurden, um keine Geschichtsverfälschung oder eine Verharmlosung des Rassismus zu betreiben. Das Nachwort von Ernst Weiss bietet einige biografische Fakten zum Autor, vernachlässigt aber leider konkrete Informationen zur Entstehung/ Rezeption dieser Erzählung.

    Das farbenfrohe Büchlein aus dem Penguin Verlag wird meine Klassikersammlung bereichern. „Herz der Finsternis“ lädt gewiss zu einer Zweitlektüre ein. Ich bin Joseph Conrad mit seinem Marlow sehr gerne auf ihrer Reise gefolgt und empfehle das Buch allen Lesern, die sich an schöner Sprache erfreuen und in eine andere Welt eintauchen wollen.

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  1. Von der Finsternis der Natur zur Finsternis des Herzens

    „Die einzelnen Abschnitte des Stroms taten sich vor uns auf und schlossen sich hinter uns, als sei der Urwald gemächlich über die Ufer getreten, um uns den Rückweg abzuschneiden. Immer tiefer drangen wir in das Herz der Finsternis ein.“ (Zitat Seite 74)

    Inhalt
    Während sie auf einer Kreuzerjacht auf der Themse die Flut abwarten, erzählt der Seemann Charlie Marlow seinen Freunden, die Berufe ausüben, wie sie auch in kolonialen Handelsgesellschaften typisch sind, von seiner Reise als Kapitän eines Flussdampfers auf dem Kongo. Der bekannte und äußerst erfolgreiche Agent Kurtz leitet einen wichtigen Handelsstützpunkt, weit abgelegen im Zentrum des Elfenbeingebietes. Nun jedoch sind diese Station und somit auch die wirtschaftlichen Erträge aus dem Handel mit Elfenbein gefährdet, denn Kurtz ist krank und Marlow soll ihn mit dem Dampfer holen. Doch je weiter diese Reise auf dem Fluss führt, hinter dessen Ufern sich der dunkle, unwegsame Dschungel ausbreitet, desto dunkler werden auch die Eindrücke, die Marlow nicht nur in der Natur, sondern auch im menschlichen Verhalten sammelt.

    Thema und Genre
    Diese Erzählung, 1899 zunächst als Serie in einem Magazin veröffentlicht, 1902 als Buch, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem europäischen Kolonialismus im späten neunzehnten Jahrhundert, der damit verbundenen Menschenverachtung und Grausamkeit gegenüber den ursprünglich dort lebenden Menschen und ihre Ausbeutung.

    Charaktere
    Neben einem namenlosen Ich-Erzähler der Rahmenhandlung ist es der Seemann Charlie Marlow, der seine eindrücklichen Erlebnisse auf seiner Reise zu einer abgelegenen Handelsstation schildert. Doch im Mittelpunkt seiner Geschichte steht Kurtz als zunächst omnipräsenter Schatten.

    Handlung und Schreibstil
    Der Seemann Charlie Marlow schildert Erlebnisse, Erfahrungen und auch Eindrücke, die ihn auch heute noch verfolgen. Chronologisch erzählt er von dieser abenteuerlichen Reise auf dem Kongo, beschreibt seine vielseitigen Gedanken über die Eindrücke der ihm fremden Natur und über den ihm vorerst noch unbekannten Agenten Kurtz, der ein besonderer Mensch sein soll.
    Auch diese Geschichte des Schriftstellers Joseph Conrad hat autobiografische Hintergründe, seine Erfahrungen aus seiner aktiven Zeit bei der französischen und britischen Handelsmarine und vor allem die Erlebnisse seiner Kongo-Reise als Kapitän eines kleinen Dampfbootes.
    Diese Ausgabe ist neu als Penguin Edition der Klassiker erschienen und in der editorischen Notiz am Buchende wird begründet, warum man die Sprache nicht unserem heutigen Verständnis angepasst hat, sondern die deutsche Übersetzung in der Sprache der ursprünglichen englischen Originalausgabe belassen hat. Dem kann ich persönlich nur zustimmen, denn Klassiker sind immer auch zeitlos gültige Dokumente der Zeit, in der sie verfasst wurden.

    Fazit
    Die Romane und Erzählungen von Joseph Conrad zählen zu den wichtigsten Werken der englischen Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Diese Erzählung, längst ein Klassiker, war 1899 einerseits einer der ersten Beiträge zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, gleichzeitig ist es ein spannend zu lesender Abenteuerroman.

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  1. Der Schrecken des Kolonialismus

    Als Kapitän Marlow seinen Flussdampfer in den Kongo steuert, weiß er noch nicht, dass diese Fahrt sein bisheriges Verständnis von menschlicher Zivilisation über den Haufen werfen wird. Sein Auftrag ist es, den erfolgreichen, aber erkrankten Handelsagenten Kurtz aufzuspüren und in die Heimat zurückzubringen. Doch je tiefer der Dampfer in die afrikanische Wildnis eindringt, desto bedrohlicher wird die Reise. Marlow und seine Begleiter sehen sich mehr als einmal Angriffen vom Flussufer ausgesetzt. Doch das eigentliche Grauen lauert dort, wo Marlow es nicht erwartet hatte: im Herzen der Finsternis, dem Schrecken des englischen Kolonialismus.

    Vor nicht allzu langer Zeit startete der Penguin Verlag mit seiner "Penguin Edition" eine neue Klassiker-Reihe im Taschenbuchformat, in der populäre Werke der Weltliteratur in knallbuntem Design "Farbe ins Bücherregal" bringen sollten. In kräftigem Lila ist nun "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad in der deutschen Übersetzung von Fritz Güttinger und versehen mit einem Nachwort von Ernst Weiss erschienen. Die Erzählung wurde erstmals 1899 veröffentlicht und gilt bis heute als eines der wichtigsten Prosastücke in englischer Sprache. Neben der Besonderheit, dass Conrad als Sohn polnischer Eltern erst mit 21 Jahren Englisch lernte, ist für die Lektüre von "Herz der Finsternis" erwähnenswert, dass der Autor selbst als Kapitän eines Flussdampfers in den Kongo fuhr. Somit erhöht sich die Authentizität der Erzählung um ein Vielfaches.

    Seine stärksten Momente hat "Herz der Finsternis" eindeutig in den Momenten, in denen es Joseph Conrad gelingt, die Atmosphäre der Flussfahrten fast spürbar zu machen. Sei es auf der einleitenden Fahrt auf der Themse, auf der ein anonymer Ich-Erzähler den Protagonisten Marlow einführt, oder später auf der zentralen Dampferfahrt in den Kongo. Gut spürbar ist auch der innere Kampf Marlows, von dessen Aufbruchstimmung und Optimismus zu Beginn seiner Reise nach und nach überhaupt nichts mehr übrig bleibt und er sich nur noch Gewalt und Gefahren gegenübersieht.

    Doch das Buch weist aus heutiger Sicht auch Schwächen auf. Trotz seines hehren Ansinnens - der Fundamentalkritik am englischen Kolonialismus und Rassismus - wirkt die Umsetzung fragwürdig. Denn Conrad gelingt es nicht, der afrikanischen Bevölkerung ein Gesicht zu geben. Nicht einmal ein diffuses. Ständig schreibt er von "schwarzen Leibern", von unkultivierten "Wilden", von Menschen ohne Zeitbegriff, die es nicht gewohnt waren, die Folgen ihres Handelns zu bedenken. Und auch die Figurenkonstruktion an sich ist nicht immer gelungen. Insbesondere die Figur Kurtz, die uns mehr als 100 Seiten lang als ein Mythos, ja, fast als eine Legende präsentiert wird, entpuppt sich letztlich als Enttäuschung und als wahnsinnig wirkender Krimineller, aus dem überhaupt nicht hervorgeht, warum er zuvor ein solch hohes Ansehen hatte. Stilistisch gibt es zahlreiche Wiederholungen, was aber natürlich auch dem Fakt geschuldet sein könnte, dass Joseph Conrad eben kein Muttersprachler war. Zudem entpuppt sich "Herz der Finsternis" als relativ handlungsarm, so dass die Erzählung in ihrer Gesamtheit deutlich länger wirkt als die gerade einmal gut 150 Seiten.

    Das Nachwort des Schrifstellers Ernst Weiss ist durchaus emotional und macht deutlich, was Weiss an seinem Schrifstellerkollegen schätzte. Doch letztlich hätten ein paar sachlichere Fakten zu Conrad und zur Entstehung von "Herz der Finsternis" sicherlich einen höheren Informationsgehalt gehabt. Besser ist da die Editorische Notiz des Verlags, in der deutlich gemacht wird, warum man davon abgesehen hat, diskriminierende Begriffe der Erzählung zu ändern und sie somit als historisches Dokument für sich stehen zu lassen.

    Die historische Bedeutung der Erzählung ist es letztlich auch, die eine erneute Veröffentlichung rechtfertigt und dafür sorgt, dass das "Herz der Finsternis" auch von einer jüngeren Generation erschlossen werden kann. Denn bei aller Kritik darf man nicht vergessen: Joseph Conrad war einer der Ersten, der mit seinem Werk öffentlich Kritik am europäischen Kolonialismus und Rassismus verübte. Eine Leistung, die ihm niemand mehr nehmen kann.

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  1. Flussfahrt auf dem Kongo

    Kurzmeinung: Anfänge imperialistischer Kritik - ein Zeitzeugnis.

    Man sollte die Lebensdaten Conrads (1857-1924) kennen und berücksichtigen, wenn man seine Werke liest. Es wäre auch nicht verkehrt, ein wenig mehr von ihm selbst zu wissen, zum Beispiel, dass er schon in jungen Jahren zur See fuhr und sich vom einfachen Matrosen hocharbeitete, dass er die Welt bereiste. „1886 erhielt er im Alter von 30 Jahren die britische Staatsbürgerschaft. 1888 wurde er Kapitän der Otago; es sollte seine einzige Position als Kapitän sein. Seine Erlebnisse zur See, insbesondere im Kongo und auf den malaiischen Inseln, bilden den Hintergrund seines Werkes.“ So steht es in Wikipedia. „Heart of darkness“ erschien 1902. 

    Die Handlung: 
    Ein alter Kapitän, Marlow, erzählt, sich mit einigen Seeleuten auf der Themse befindend, von einstigen Abenteuern, die er erlebte als er den Kongofluss befuhr. 

    Dass Conrad dabei aus eigener Anschauung schöpft, merkt man an den stimmigen Beschreibungen des Urwalds, den sein Dampfer in der vorliegenden Erzählung befährt. Von unserer heutigen Sicht aus gesehen, ist seine Sprache pathetisch und schwer, seine Ausführungen langatmig, dennoch kann man die Bedrohlichkeit der unberührten Wildnis mit Händen greifen. Da Englisch nicht Conrads Muttersprache ist, kann man ihm seine manchmal umständlichen Wendungen leicht verzeihen. 

    Nigel Frederick Barley, ein englischer Anthropologe, der sich ausführlicher (als ich) mit "Herz der Finsternis" beschäftigte, sagt: „Das Buch basiert [also] auf Conrads eigenen Erfahrungen als Kapitän eines Flussdampfers auf dem Kongo zur Zeit des Kongo- Freistaats als Leopold II. von Belgien das unermesslich große Land zu seinem persönlichen Eigentum erklärt hatte. Die Einheimischen, die niemals zuvor von Leopold gehört hatten, waren plötzlich seinen unberechenbaren Forderungen ausgeliefert, mussten Gewalt, Verstümmelung und Tod fürchten, wenn sie sich seiner Gier oder der seiner Handlanger widersetzten“. 

    Was passiert genau?

    Der Dampfer holt von einer weit entfernten Niederlassung einen Agenten für Elfenbein ab, einen gewissen Herrn Kurtz. Dieser will das „organisierte“ Elfenbein nicht mehr an seine Company herausrücken und soll deshalb abgesetzt werden. Die Fahrt dorthin, den Kongo hinauf ist beschwerlich, man meistert diese Schwierigkeiten unter anderem mithilfe von angeheuerten „Wilden“, die die Schwerstarbeit verrichten. Belohnt werden sie durch Hunger, denn sie bekommen nichts zu essen, die Heuer besteht in einigen Stücken Draht. Sterben sie unterwegs, werden sie mir nichts dir nichts wortlos über Bord geschmissen.

    Conrad schildert ohne große Emotionen und weitgehend ohne Wertung die Ausbeutung des Landes und der schwarzen Menschen.

    Vieles wird indessen nur angedeutet. Was hat Kurtz gemacht im Urwald, wodurch erhielt er eine gottgleiche Anbetung oder wurde er nur aufgrund bestialischer Unterdrückung gefürchtet? Der Leser kann sich vieles denken, doch weiß er es nicht so genau; schließlich nimmt man den todkranken Kurtz an Bord. Er ist nicht nur physisch, sondern auch mental an Afrika gescheitert. Das ist die stärkste Aussage des Romans.

    „Herz der Finsternis“ wird heute unterschiedlich bewertet. Für seine Zeit ist es bemerkenswert, dass sich Conrad überhaupt der Thematik des europäischen Imperialismus und des Kolonialismus ziemlich ungeschminkt annimmt; und wie realistisch er die Zustände zeichnet. Es gibt keinen Weichspüler in seinem kleinen Buch. Die unmenschliche Gier der Invasoren ist ihr hervorstechendes Charakteristikum. 

    Fazit: Ein frühes Zeitzeugnis europäischer Ausbeutung und des europäischen Rassismus. 

    Kategorie: Klassiker der Weltliteratur
    Verlag: Penguin Edition, 2022 

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