Hellwach: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Hellwach: Roman' von Hilary Smith
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Hellwach: Roman"

Autor:
Format:Broschiert
Seiten:368
Verlag: FISCHER FJB
EAN:9783841421579

Rezensionen zu "Hellwach: Roman"

  1. 4
    04. Mai 2015 

    Mogelpackung!

    Das Leben meiner Eltern ist so strahlend, als wäre es gar nicht echt. Es hat eine klinisch saubere Frische wie Schnittblumen, eingeschweißt in Zellophan. Mir wird schlecht davon. Seit dem Tod meiner Schwester weiß ich, Leben ist Chaos.
    Aber ich bin hier. Und hellwach. Ich schlinge die Arme um die Knie, weine und lache und suche nach meinem iPod, damit ich die passende Musik dabeihabe. Jetzt habe ich die Chance auf etwas Wunderschönes. Ich bin verliebt. Dieses aufgedrehte Gefühl ist zu einem summenden, knisternden elektrischen Feld geworden. ich will die Straße hinuntertanzen.

    Bewusst beschränke ich mich hier zum Inhalt auf den Klappentext, um zu verdeutlichen, mit welchen Erwartungen ich an das Lesen dieses Buches gegangen bin. Zumal ich das Buch in einer Leserunde lesen durfte, die mit folgenden Worten angekündigt war:

    Hilary T. Smith hat mit ihrem Debüt »Hellwach« einen Jugendroman geschaffen, der nicht nur berührend, sondern auch provozierend ist: Ein Feel-Good-Roman, den ihr garantiert nicht so schnell aus der Hand legen könnt, vor allem, wenn ihr den Tipp der Autorin beherzigt: »Das Buch sollte am besten zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden gelesen werden.« Durchlesene Nächte sind hier vorprogrammiert!

    Ein Jugendbuch, ein Feel-Good-Roman, berührend, provozierend - was hättet Ihr erwartet? Abgrenzung von den Eltern, Musik, die erste Liebe, etwas Lebendiges, ein Wohlfühlbuch? So jedenfalls ging es mir.

    Und dann wurde ich von der Geschichte überrollt.

    Dies ist eine Geschichte von Kiri, einem jungen Mädchen, dessen Leben plötzlich aus dem Ruder läuft. Dessen Eltern unterwegs sind auf einer wochenlangen Kreuzfahrt. Dessen Bruder nicht zu Hause ist, weil er über Wochen ein Praktikum macht. Ein Mädchen, das ganz allein zu Hause ist, das sich vorbereitet auf einen wichtigen Musikwettbewerb, stundenlang Klavier übt, diszipliniert, dazu noch die Vorbereitungen für einen Auftritt der Band. Heimlich verliebt in Lukas, ihren Bandkollegen, von dem sie hofft, dass er mehr für sie empfindet. Und all das, um das ihr Leben kreist, wird von einer Sekunde auf die andere unwichtig, als ein Mann sie anruft. Ein Mann, der ihre Schwester kannte. Die Schwester, die vor fünf Jahren starb. Und deren Sachen der Mann seither verwahrt...

    Stück für Stück bröckelt die Fassade, die Kiri seit Jahren aufgebaut hat. Erwartete Haltung, um ihren Eltern eine Stütze zu sein, angepasst, ohne Fragen. Doch die Fragen stürmen nun auf sie ein, ihre Welt bricht zusammen, immer haltloser rudert Kiri durch die Tage.

    Ich zucke nur mit den Schultern und drehe auf dem Gehweg eine kleine Pirouette. Für eine, die gestern Morgen noch in der Dusche geheult und die ganze Nacht mit den Sachen ihrer toten Schwester verbracht hat, benehme ich mich ganz schön seltsam, das weiß ich. Aber vielleicht ist das eben so, wenn man zu viel Stress auf einmal hat. Da verändern sich die Gefühle plötzlich wie beim Glücksrad, und man weiß vorher nie, auf was für einer Position es stehen bleibt. Und statt traurig oder ernst zu sein, fühlt man sich auf einmal nur noch komplett albern. (S. 119 f.)

    Ein schmerzhafter Weg, der viel fordert. Von Kiri, aber auch vom Leser. Denn der sieht sich plötzlich mit ungeahnten Themen konfrontiert: Drogen, Alkohol, Tabletten, Depression, Psychose, Tod, Abschied und Trauer.
    Ein Feel-Good-Roman? Doch wohl eine Mogelpackung!

    Aber was wird hier eigentlich bewertet? Das Cover (dessen Sinn oder Zusammenhang zur Geschichte sich mir leider gar nicht erschließt) sowie der Klappentext stammen vom Verlag. Thema verfehlt, kann man da eigentlich nur attestieren.

    Aber die Geschichte der Hilary T. Smith, die Zeichnung der Personen, die feinfühlige Darstellung der Gefühle - das hat was. Nicht dass die Handlungen und Reaktionen immer nachvollziehbar wären, schließlich driftet Kiri ja ganz schön ab. Aber die Gefühlswelt war oft ganz nah bei mir, manchmal fast zu nah, verstörend, berührend.

    Menschen sind wie Städte: Wir haben alle geheime Dächer und Stellen in uns, wo Gänseblümchen durch die Ritzen im Gehweg wachsen, aber meistens geben wir anderen nur den Blick auf eine postkartenmäßige Skyline frei. Liebe ist das, was passiert, wenn man sich diese Postkarte so lange ansieht, bis sie ihre Geheiminisse freigibt. (S. 279)

    Heftig diskutiert wurde in der Leserunde der selbstverständliche Umgang Kiris mit Drogen, Alkohol und Tabletten - die Frage tauchte auf, ob Jugendlichen (der Verlag empfiehlt die Lektüre ab 14) nicht eine falsche Botschaft dadurch vermittelt würde.
    Für mich stellte sich die Frage weniger, muss ich sagen, weil ich fand, dass die Autorin zum einen wie schon beim Thema Depression und Psychose auch mit den Drogen ein weiteres Tabuthema unserer Gesellschaft authentisch eingearbeitet hat. Dabei hat sie aber die Folgen dieses Exzesses sehr bildhaft vor Augen geführt, eher kein wünschenswerter Effekt. Aber deutlich wird in dieser Geschichte eben doch, dass man in verzweifelten Situationen, in Krisen, in solch eine Abwärtsspirale geraten kann. Die Frage ist doch: kommt man da wieder heraus - und wenn ja: wie?

    Etwas komplett anderes als ich erwartet hatte. Etwas, das mich phasenweise überrollt hat. Aber auch etwas, das mich beeindrucken und berühren konnte. Keine leichte Kost, auch und gerade nicht für Jugendliche. Aber trotz der Mogelpackung in meinen Augen empfehlenswert...

    © Parden

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