Heinrich Mann

Rezensionen zu "Heinrich Mann"

  1. Mann, oh Mann!

    Heinrich Mann zeigt uns mit seinem Professor Unrat in schönster Paulus-zu-Saulus-Manier, einen Mustermisanthropen in Lehrergestalt, wie ihn Dostojewsky nicht besser hätte erdenken können. Dieser Professor Raat nämlich, der sich kaum selbst seines richtigen Namens entsinnen kann, hat es besonders auf drei seiner Zöglinge abgesehen. Vor allem dem Senatorensohn Lohmann, dem Adelsspross von Ertzum und dem Motor des Trios Kieselack möchte er die, hinter seinem Rücken bekundeten, Unrat-Rufe beweisen.
    Jedem Hinweis für Ungehorsam der Schüler wird nachgegangen und als Unrat eines Tages ein anzügliches Gedicht auf eine Frau bei Lohmann entdeckt, treibt ihn sein Ehrgeiz um. Er macht sich auf den Weg, dieses Fräulein Rosa zu finden, Lohmanns Schande zu beweisen und ihn damit ein für allemal seiner zukünftigen Karriere zu berauben.
    Die Suche führt ihn durch die ganze Stadt, bis in die finstersten Ecken. Er begegnet vielen seiner ehemaligen Schüler, die ihm aber nicht behilflich sein wollen. Als er schon aufgeben will, steht er plötzlich vor einer Tanzbar, dem Blauen Engel, und wird fündig. Dort tanzt die Künstlerin Rosa Fröhlich und dort trifft er auch seine drei Schüler wieder.
    Aufgebracht und verunsichert, stolpert Unrat bis in die Umkleide, lernt dort das Fräulein Rosa und eine gänzlich andere Welt kennen. Nun will er dieses zarte Geschöpf nicht nur vor seinen Schülern warnen, sondern sie auch aus dem Vergnügungssumpf erretten. Lebensfremd kommt Unrat aber nicht darauf, was die Künstlerin Fröhlich braucht. Diese sieht in dem Professor einen finanziellen Halt und kann ihn überzeugen, ihr Beschützer zu werden.
    Fortan treibt es den verstockten Herrn an, Stunde um Stunde bei der Künstlerin zu sein, damit sie nicht belästigt werden kann, aber auch damit sich dem vermeintlichen Konkurrenten Lohmann keine Chance mehr bietet. Die Schüler aber treffen sich trotzdem noch mit der Tänzerin... das Eifersuchtsdrama und die Wandlung des Professors zum Saulus nehmen ihren Lauf.

    Der 1905 veröffentlichte Roman war seinerzeit eine harsche Gesellschaftskritik. Heute muten uns die Umgangsformen, der schulische Drill und die starren Ansichten von Moral seltsam komödiantisch an. Ich fühlte mich auf jedenfall beim Lesen an die alten Schwarz-Weiß-Filme erinnert und das Bild von Marlene Dietrich ziert nicht nur das Cover sondern bleibt fest verbunden mit dem Blauen Engel, dem Film zum Buch.

    Heinrich Manns Sprache ist, im Vergleich zu manch seiner Zeitgenossen, erstaunlich gut zu lesen. Ein paar Redewendungen zogen sich durch den ganzen Roman und haben jetzt bei mir einen gewissen Wiedererkennungswert, wie zum Beispiel "immer mal wieder", oder "traun fürwahr". Auch dass der Professor in Rosas Augen "nicht drauf kommt", wird mir wohl im Gedächtnis bleiben. Die Geschichte hat heute eine gewisse Leichtigkeit, doch 1905 muss die Moral wohl anders bewertet werden. Die starre gesellschaftliche Hierarchie war im Umbruch und nicht nur die Russische Revolution war ein Zeichen für die Unzufriedenheit des Volkes. Manns Roman mag damals auch ein Denkanstoß für neue Wege gewesen sein.

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