Hannah und Ludwig: Heimatlos in Tel Aviv

Rezensionen zu "Hannah und Ludwig: Heimatlos in Tel Aviv"

  1. Die Flucht in eine ungewisse Zukunft

    Hannah und Ludwig von Rafael Seligmann - Heimatlos in Tel Aviv

    Wie es sich anfühlt heimatlos zu sein und sein behütetes Leben aufzugeben, um in einem völlig fremden Land wieder Fuß zu fassen, davon können momentan Millionen Menschen erzählen.

    Wir begeben uns mit diesem Buch in das Jahr 1933. Es ist die Zeit, als Adolf Hitler die Macht anfing an sich zu reißen. Die überwiegenden Opfer waren Millionen jüdische Menschen. Ludwig wandert mit seinem älteren Bruder Heinrich nach Palästina aus. Sie nahmen die Warnungen sehr ernst. Ein Gang in eine sehr ungewisse Zukunft. Auch schaffen sie es, die restliche Familie nachzuholen, eh es nicht mehr möglich war.

    Ludwig verdingt sich mit Hilfsarbeiten, wie Orangen pflücken und Putzarbeiten, Heinrich als Zeitungsbote. Erst mal auf eigenen Füßen stehen. Ludwig schafft es mit eisernem Willen bis zum Prokuristen in einer Textilfirma. Sein loyaler Chef hilft ihm dabei.

    Als er die Jüdin Hannah kennen lernt, sieht die Zukunft für ihn rosig aus. Sein Glück scheint perfekt. Seine Eltern und Geschwister sind versorgt. Der Sohn Rafael wird geboren. Palästina war von den britischen Streitmächten besetzt. Das Land geteilt und die arabische Bevölkerung will nicht kampflos ihre Heimat den eingewanderten Menschen überlassen. Die Zionisten wollten einen eigenen Staat. Unruhen lagen immer in der Luft.

    Rafael Seligmann, der heute als Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker agiert hat die ersten 10 Jahre in Tel Aviv verbracht, wo er auch geboren wurde. In seinem Buch über seine Eltern schreibt er offen und ehrlich, sogar schonungslos zeigt er dem Leser die Charakter der Familienmitglieder und Geschäftsleute auf. Wie sein Vater seinen Lebensunterhalt verdiente, später sich aus der Not heraus selbständig machte und kämpfte und alles aufs Spiel setzte. Wie seine Mutter mit ihren schlimmen Kriegserlebnissen versuchte fertig zu werden und unter ihrer Familie litt. Daneben lernen wir auch Ludwigs Eltern und Geschwister kennen.

    Hier kann sich der Leser ein gutes Bild von einer Familiengeschichte machen, die gezwungen waren das Land zu verlassen, damit sie nicht im Konzentrationslager landeten. Ich werde mir noch den ersten Band, der Trilogie holen und dann hoffen, wir werden bald den 3. Band zu lesen bekommen. Schließlich möchten wir auch gerne wissen, ob es sich gelohnt hat für Ludwig, in seine Heimat nach Deutschland zurück zu kommen.

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  1. Heimatlos in Tel Aviv

    Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und damit die Natürlichkeit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos zurückgelassen, unsere besten Freunde sind in den Konzentrationslagern umgebracht worden, und das bedeutet den Zusammenbruch der privaten Welt
    Hannah Arendt, Wir Flüchtige (1934), das Eingangszitat des Buches

    Ludwig und Heinrich Seligmann haben ebenfalls alles zurückgelassen, als sie im Sommer 1934 in Palästina ankommen. Nur mit zwei Koffern und einer geringen Barschaft müssen sie sich dem unbekannten Land, dem ungewohnten Klima und der fremden Sprache stellen.

    Der deutsch-jüdische Politologe und Historiker Rafael Seligmann hat die Geschichte seiner Eltern aufgeschrieben. Im ersten Teil "Lauf, Ludwig, lauf! (erschienen 2019 im Verlag LangenMüller) berichtet er über die Kindheit und Jugend seines Vaters Ludwig in Deutschland. Als die Ressentiments und Gewaltausbrüche gegenüber den Juden stärker werden, muss er mit seinem Bruder Heinrich fliehen.

    In diesem Buch, das sehr passend mit "Heimatlos in Tel Aviv" untertitelt ist, beschreibt Seligmann das Leben seiner Eltern als Einwanderer in einem fremden Land. Es ist ein hartes Leben. Durch die sich verschärfende Situation der Juden in Deutschland und Europa drängen immer mehr Menschen in das britische Protektorat in Palästina. Es gibt wenig Arbeit, es herrscht das Recht des Stärkeren. Trotz aller Widrigkeiten gelingt es Ludwig und Heinrich Unterkunft und Arbeit zu finden. Zunächst nur als Zeitungsausträger und Putzkraft, aber Ludwig gelingt es sich durch seine Energie und Überzeugungskraft in eine leitende Stellung hochzuarbeiten. Sein menschenfreundlicher Chef unterstützt in tatkräftig, so dass es den Brüdern möglich ist, die restliche Familie aus Deutschland herauszuholen, bevor die britischen Besatzer die Einwanderung stoppen. Heinrich sieht den Aufenthalt eher als Übergangsphase, er ist der Überzeugung, dass der Spuk in Deutschland bald vorüber ist und alle in ihre geliebte Heimat zurückkehren können. Er wird immer fremd in Israel bleiben.

    Die politischen und historischen Ereignisse in Europa und Palästina werden ebenso geschildert, ebenso wie das unrühmliche Verhalten der Briten. Im Schmelztiegel der verschiedenen Religionen und Kulturen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen. Die deutschstämmigen "Jeckes" mit ihrer deutschen Ordnungsliebe und ihrem Hang zu Pedanterie blicken auf die in ihren Augen faulen und hintertriebenen Ostjuden herab. Die einheimischen Araber sehen sich im Angesicht der ansteigenden Flüchtlingswelle immer mehr in der Minderheit und kämpfen gegen ihre jüdischen Feinde. Gemeinsam ist der Kampf gegen die britischen Besatzer.

    Trotz allem geht das normale Leben weiter. Ludwig trifft Hannah und ist sofort verliebt, während sie zunächst hauptsächlich einen Ausweg aus ihren prekären Verhältnissen sucht. Sie kam als Touristin und lebt nun illegal im Land, abhängig vom Ehemann ihrer Schwester, der diese Situation gnadenlos ausnutzt. Seligmann wechselt ab hier die Erzählstimme. Wurde der Beginn ausschließlich aus der Sicht seines Vaters Ludwig geschildert, kommt nun auch die Sichtweise seiner Mutter Hannah hinzu. Der Wechsel zwischen den Stimmen wird nicht gekennzeichnet und kann für manchen Leser etwas verwirrend sein.

    Der Krieg in Europa geht zu Ende, aber in Israel gehen die Kämpfe weiter. Nachdem sich die Briten auf Druck der UNO zurückgezogen haben, wird der junge Staat bereits einen Tag nach seiner Gründung von den umgebenden arabischen Staaten angegriffen. Trotz dieser unsicheren Lage bekommen Hannah und Ludwig einen Sohn, Rafael. Während Hannah völlig in ihrer Mutterrolle aufgeht und Ludwig sich, nach dem Tod seines Chefs und Mentors in einer schwierigeren Arbeitssituation sieht, entfremden sich die Eheleute. Ludwig ist im Herzen noch in Deutschland verhaftet, er spricht kaum "Irwith", das moderne Hebräisch und Landessprache, er überlegt in die alte Heimat zurückzukehren. Hannah hingegen möchte niemals in das Land der Nazis und Mörder.

    Meine Sympathien für die einzelnen Protagonisten haben während der Lektüre ständig gewechselt, was natürlich den wechselnden Perspektiven geschuldet war. Die Sprachlosigkeit in der Ehe wird durch beide Partner verschuldet, aber jeder ist von seinem Standpunkt überzeugt und fordert das Verständnis des anderen, ohne dies jedoch auszusprechen. Im Angesicht einer wirtschaftlichen Katastrophe für die Familie findet das Paar doch wieder zueinander.

    Rafael Seligmann ist es gelungen ein Gesamtbild zu schaffen. Ein Gesamtbild der politischen und historischen Ereignisse der Zeit, die für die Menschen in Palästina, bzw. Israel von existenzieller Bedeutung waren, aber auch die Lebensituationen der Einwanderer wird packend erzählt. Der Verlust der Heimat dringt durch jede Zeile:

    Damals begriff ich noch nicht, das man Heimat nicht wie ein gebrauchtes Hemd wechseln kann. Durch unsere vertraute Muttersprache und die Traditionen waren wir unser Lebtag unentrinnbar mit Deutschland verbunden
    Fazit: Eine packende Familiengeschichte vor historischem Hintergrund, sehr lesenswert.

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