Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland

Buchseite und Rezensionen zu 'Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland' von Sarah Brooks
4.15
4.2 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland"

Lesern von "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" gefiel auch

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:0
EAN:

Rezensionen zu "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland"

  1. Was macht die Landschaft mit den Reisenden?

    Als ich von diesem Buch das erste Mal gehört und mir die Umschlagtexte angeschaut habe, habe ich mir nicht so recht vorstellen können, was mich erwartet und zu welchem Genre dieses Buch überhaupt gehört. Jetzt, nach dem Lesen, kann ich sagen: es ist ein in vieler Hinsicht ungewöhnliches Buch, das sich einer klaren Genre-Zuordnung entzieht.

    Wir begleiten eine Gruppe von Menschen bei ihrer Reise auf der transsibirischen Eisenstadt von Peking nach Moskau: etwa das im Zug geborene und aufgewachsene 16-jährige "Zugkind" Zhang Wei Wei, den nach Ruhm und Erkenntnis strebenden Wissenschaftler Henry Grey, die unter verdeckter Identität reisende vermeintliche junge Witwe Maria usw. Die Zugfahrt erleben wir auch tatsächlich abwechselnd durch die Perspektiven dieser verschiedenen Menschen, das macht das Buch noch einmal besonders interessant und hat mir sehr gut gefallen.

    Gleich beim ersten Aufklappen des Buches begegnet uns eine detaillierte Skizze des einzigartigen Transsibirien-Express aus dem Jahr 1899, samt Gartenwagen, in dem frische Lebensmittel angebaut werden, Krankenstation, Aussichtswagen, Bibliothek, Salon, Labor des Kartografen und natürlich Schlaf- und Speisewagen sowie Küchen für die erste und dritte Klasse (eine zweite Klasse gibt es in diesem Zug nicht). Das macht gleich Lust aufs Lesen und gibt einen guten Vorgeschmack auf die detailreiche Beschreibung der Fahrt in diesem besonderen Zug... ein Versprechen, das das Buch dann auch sehr gut erfüllt.

    Sprachlich und stilistisch zeichnet sich das Buch durch ein hohes Niveau, wunderschöne Sprachbilder, Metaphern und viele liebevoll beschriebene Details aus. Unter diesem Blickwinkel ist es definitiv als anspruchsvollere Literatur einzuordnen.

    Fast auf jeder Seite finden sich Anregungen zum Nachdenken, nicht nur über das Buch selbst, sondern auch über die Welt, in der wir leben, und über tief philosophische Fragen wie die, ob es möglich ist, zu reisen, ohne durch die Reise selbst verändert zu werden, oder ohne durch die Reise die Umgebung, die man durchquert, zu verändern. Steht alles miteinander in Wechselwirkung und wenn ja, wie? Und was ist unsere Verantwortung als Menschen dabei?

    Es geht auch um Unterschiede, Ausgrenzung und Vorurteile, das "Hier" (im Zug") und das "Dort" (das Ödland da draußen, von dem man sich abschotten will und das man fürchtet), aber auch um Freundschaft und Verbundenheit, um die ethischen Grenzen technologischer Entwicklung und wissenschaftlicher Neugierde und vieles mehr.

    Sprachlich besonders schön und inhaltlich neugierig machend und gut auf die kommenden Kapitel einstimmend sind die jeweils den sieben Teilen (die dann noch in kleinere Unterkapitel unterteilt sind) vorangestellten Zitate aus dem fiktiven "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland", z.B. "Drei Tagesreisen von Peking entfernt erscheint eines der größten Naturwunder am Horizont, flirrend wie eine Fata Morgana in den letzten Strahlen der Abendsonne: der Baikalsee, siebenhundert Kilometer lang und - so heißt es - fast anderthalbtausend Meter tief. Der älteste See der Welt. Über Stunden hinweg fährt der Zug daran entlang. Wenn der Mond aufgeht, verwandelt sich das Wasser in Silber. Es fällt schwer, nicht an die Dunkelheit darunter zu denken und daran, was wohl in den Tiefen, in die das Licht niemals vordringt, leben mag. Ich rate dem vorsichtigen Reisenden, ihn nicht allzu lange zu betrachten."

    Neben den Merkmalen, die gute, gehobene Literatur auszeichnen - und vor dem Hintergrundsetting eines historischen Romans: immerhin befinden wir uns in der Transsibirischen Eisenbahn auf dem Weg von Peking nach Moskau Ende des 19. Jahrhunderts - finden sich im Buch aber auch Elemente von Thriller und Fantasy... damit geht der Inhalt weit über einen rein historischen Roman hinaus.

    Wie man beim Lesen schnell bemerkt, befinden wir uns nicht in einem realistischen Szenario der transsibirischen Eisenbahn zu dieser Zeit, sondern in einer alternativen Realität, in der sich so einiges von den bekannten historischen Tatsachen unterscheidet.

    Das macht das Buch aber auch wiederum ganz besonders spannend und es liest sich leicht und interessant... lädt aber auch dazu ein, bei so einigen Passagen länger zu verweilen oder das Buch mehrmals zu lesen, um sich keine der darin enthaltenen sprachlichen und philosophischen Schätze entgehen zu lassen.

    Es handelt sich um ein tiefgründiges und außergewöhnliches Buch, das sicher noch lange in meinem Herzen nachwirken wird und das ich auch in Zukunft noch öfters zur Hand nehmen möchte, um wieder reinzulesen und mich von den vielfältigen philosophischen Fragen und den wunderschönen Sprachbildern inspirieren zu lassen.

    Ich empfehle das Buch allen, die bereit sind, sich auf ein Buch einzulassen, das neuartig, spannend und genreübergreifend ist und genau durch diese Vielschichtigkeit sehr bereichernd und inspirierend sein kann.

  1. 3
    16. Jun 2024 

    Eine ganz besondere Reise

    Im Jahr 1899 fährt der Transsibirien-Express zum ersten Mal nach längerer Pause wieder von Peking nach Moskau. Bei der letzten Durchquerung des Ödlandes hat es einen erst später erklärten Zwischenfall gegeben. An Bord sind unter anderem eine junge Frau, die unter dem Namen Maria Petrowna reist, der Forscher John Grey, ein Professor, das Zugkind genannte Mädchen Zhang Weiwei, die blinde Passagierin Elena und natürlich das Zugpersonal unter der Leitung des Captain, einer von der Kompanie beauftragten Frau. Zunächst kann niemand den Zug verlassen. Die Landschaft können die Passagiere nur durch das Panzerglas sehen. Nichts darf von außen in den Zug dringen, denn das Ödland wird als Bedrohung wahrgenommen. Mit den Reisenden sieht der Leser eine Flora und Fauna, die so nicht existiert, d.h. es gibt eine Fülle von Fantasy-Elementen. Wir werden Zeugen, wie Maria versucht, die Geschehnisse während der letzten Durchquerung aufzuklären und herauszufinden, ob das von ihrem inzwischen verstorbenen Vater hergestellte Glas wirklich fehlerhaft war und zu der Katastrophe geführt hat und können verfolgen, wie sich die Freundschaft zwischen Weiwei und Elena entwickelt.
    Es passiert nicht allzu viel in diesem Roman mit einigen Längen. Die bedrohliche Außenwelt dringt in den Zug ein, und lange ist ungewiss, ob die Passagiere die Fahrt überleben werden, weil eigentlich für diesen Fall vorgesehen ist, den Zug zu versiegeln und alle sterben zu lassen. Der Roman vermischt verschiedene Genres, historischen Roman und Fantasy, Abenteuerroman sowie Gesellschaftskritik bezüglich der verbreiteten Gier und verantwortungslosen Ausbeutung von Mensch und Natur. Er nimmt in der Beschreibung der Veränderungen teilweise denn Klimawandel vorweg.
    Sarah Brooks Roman ist außergewöhnlich und lesenswert wegen der sprachlichen Qualität, aber auch wegen der Landschaftsbeschreibungen, der gelungenen Charakterisierung der Figuren und der Schaffung einer überaus mysteriösen Atmosphäre, aber trifft nicht meinen persönlichen Geschmack – zu viel Fantasy, insgesamt einfach zu unrealistisch mit einem überraschenden, wenig plausiblen positiven Ende.

  1. 4
    09. Jun 2024 

    Ganz großes Kino

    In diesem Roman begeben sich im Jahr 1899 u. a. eine unter falschem Namen reisende junge Frau, ein Naturforscher und ein junger Kartograf auf eine abenteuerliche Reise mit der Eisenbahn, dem Transsibirien Express, von Peking nach Moskau.

    Mit an Bord sind neben dem übrigen Zugpersonal die sechszehnjährige Zhang Weiwei, ein Waisenkind, im Transsibirien Express geboren und aufgewachsen, "der" Captain, das ist die charismatische Lokführerin und zwei "Berater" der Eisenbahnkompanie.

    Zwischen Peking und Moskau erstreckt sich ein geheimnisvolles, als gefährlich geltendes, sogenanntes Ödland. Die letzte Fahrt des Zuges durch dieses Ödland liegt 10 Monate zurück, der Zug mußte nach seiner letzten Fahrt erst noch repariert weden und ist nun bereit für eine neue Durchquerung der gefährlichen Landschaft.

    In anschaulicher Sprache entwirft die Autorin mit dem Ödland das Bild einer eindrucksvollen Gegend, die alles vorstellbare ist, nur nicht öde. Geheimnisvolle, farbenprächtige Tiere und Pflanzen, wie in Schwärmen auftretende große Vögel, fluoreszierende Schmetterlinge mit augenähnlichen Mustern und Farben, rankende grüne Pflanzen, sich rasant ausbreitende Flechten, Moore und Seen, die wiederum fantasievolle, unheimliche Wesen hervorbringen.

    Eine geheimnisvolle, fantastische Welt voller Fabelwesen, die auf den Zug übergreift und ihn in Besitz nehmen will. Die Passagiere werden von einem unheimlichen "Ödlandweh" ergriffen. Was geschieht hier, ist die Reise gefährlich, wohin führt sie wirklich ? Ist die blinde Passagierin, ein elfenhaftes Wasserwesen, dessen Heimat das Ödland ist, gut oder böse ?

    Sehr gespannt verfolgt man diese Reise, in der nicht nur das Ödland anmutet wie ein vor dem inneren Auge ablaufender an Farben, Gerüchen und Geräuschen überbordender Fantasyfilm. Auch die Charaktere der Mitreisenden, insbesondere das Zugkind Zhang Weiwei, das sich mit der blinden Passagierin anfreundet, die junge unter fremden Namen reisende angebliche Witwe, der Naturforscher und die alles überwachenden Berater werden überaus differenziert und psychologisch hochinteressant beschrieben.

    Ich habe diesen Roman, der bis ungefähr zur Mitte nicht unbedingt nur einem Genre zuzuordnen ist, gerne gelesen. Die Geschichte erscheint wie ein Abenteuerroman, ein Fantasyroman, teilweise wie ein Märchen.

    Lange habe ich überlegt, ob hier die Übermächtigkeit der Natur, die sich gegen die Technikgläubigkeit der Menschen aufbäumt und sich ihr Territorium zurückholt, aufgezeigt werden soll. Viele Deutungen der Geschichte erscheinen möglich. Doch dann werden die Fantasyelemente so stark, dass ich die Lektüre besonders gegen Ende hin nur noch als sehr gut gemachte Unterhaltung empfunden habe. Mein Fazit: Ganz großes "Kopfkino", große Literatur eher nicht.

    Ich vergebe 4 Sterne und eine große Leseempfehlung für Liebhaber solcher Geschichten.

  1. Spannende Bahnfahrt durch eine surrealistische Landschaft

    Eine surrealistisch anmutende spannende Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn – Kritik mit Fantasy-Elementen gewürzt

    Wer eine Art von abenteuerlichem Reisebericht mit dem berühmten Transsibirien-Express erwartet … nein. Aber was dann? Das ist gar nicht so einfach zu sagen.

    Wir befinden uns im Jahr 1899 und durchqueren das 'Ödland' genannte Sibirien, das sowohl von China als auch von Russland hermetisch abgeschottet ist, ebenso wie der Zug selbst, der während der Durchreise nicht geöffnet werden darf. Es gibt Warnungen vor geheimnisvollen Gefahren, die im Ödland lauern und schon zu Problemen bei der Durchquerung geführt haben. Wir starten in Peking; die Reise soll in Moskau in einer großen, von der Kompanie organisierten Ausstellung enden.

    Doch zuerst lernen wir die Personen kennen, die anscheinend alle ihre Geheimnisse und bestimmte Absichten haben, z.B. die junge Witwe Maria Petrowna, die unter falschem Namen reist. Auch beide Eltern sind angeblich bei einer Epidemie gestorben, ihr Vater Besitzer einer Manufaktur, die mit den Verglasungen des Zuges zu tun hatte. Anscheinend will seine Tochter herausfinden, was geschehen ist. - Ganz ungewöhnlich ist das Mädchen Zhang Weiwei, im Zug geboren und als Waise für immer dort beim Servicepersonal geblieben. - Dr. Henry Grey ist ein gottgläubiger Naturwissenschaftler, der in der Fachwelt seinen guten Ruf verloren hat und der für die Durchquerung seine eigenen Absichten hat, um ihn zurückzugewinnen. - Es gibt eine geheimnisvolle blinde Passagierin, angeblich mit Namen Elena, ein Mädchen, das von Weiwei entdeckt wird.

    Über dem Ganzen liegt von Anfang an etwas Gefährliches und Unheilvolles. In einem alten Handbuch ist von Gräueln und Geistern die Rede; man müsse für die Reise ein ausgeglichenes Gemüt haben und vorsichtig sein. Die Passagiere werden vor der 'Ödlandkrankheit' gewarnt, die hier verschwommen als eine Art Halluzination erklärt wird und für die man – noch – natürliche Ursachen zugrunde legen könnte. Aber so bleibt es nicht...

    Das Buch ist von einer seltsam vielfältigen Mischung geprägt: eine poetische Beschreibung des Baikalsees, ein fast philosophische Gespräch über Schönheit, Kritik an der Ausbeutung der Natur (Minen) durch den Menschen, vor allem durch die Transsibirien-Kompanie, die Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt hervorgerufen hat. Dabei klingt einiges realistisch und umweltkritisch, anderes eher nach Fantasy, so dass man noch nicht recht weiß, worauf das Buch hinaus will. Die Buch-Kapitel umfassen jeweils einige Tage der Reise und enden mit einem rätselhaften Cliffhanger, der Spannung aufbaut.

    Und dann wird es zunehmend spannender und fantastischer: es stellt sich heraus, wer die blinde Passagierin ist, die Wasserversorgung bricht zusammen, ein schreckliches Gewitter tobt und stört den Streckenverlauf. Zudem beobachten die Passagiere draußen merkwürdige, unheimliche Tiere. Das Ganze mutet eher surrealistisch an, wobei mir gleich ein Gemälde von Max Ernst vorschwebt: 'Die Versuchung des heiligen Antonius'. So ungefähr stelle ich mir die Landschaft vor, kein bisschen öde, sondern eher wie ein Urwald, der dann auch auf das Innere des Zuges übergreift. Weil der Zug nun möglicherweise infiziert ist, wird er nicht ins russische Reich einreisen dürfen, sondern vielleicht für immer versiegelt werden.

    'Das unerbittliche Gesicht des russischen Reiches, das grimmig sein Territorium verteidigt...' (362) – Aber es gibt Risse in der Mauer... Das könnte durchaus auch politisch interpretiert werden.

    Wohin wird das Ganze führen? Wird es gut oder schlecht enden? Wird es Klarheit geben? Im Ganzen gesehen empfinde ich das ganze Buch und sein Ende als unterschiedlich interpretierbar, tendiere aber dazu, es weniger kritisch naturwissenschaftlich zu sehen - Zerstörung der Umwelt um des Profites willen - sondern eher politisch. Einige Stellen deuten darauf hin, die ich aber nicht zitieren möchte, um nichts zu verraten. Nur so viel, dass das anfangs so bedrohlich Wirkende auch sein Gutes haben kann. Ein Zitat empfinde als essenziell:

    'Wir überlassen es Ihnen, wie Sie damit umgehen, welche Wahl Sie treffen – ob Sie die Veränderungen ablehnen, bekämpfen, vor ihnen fliehen, oder ob Sie sie willkommen heißen.' (409)

    Fazit

    Hätte ich gewusst, dass dieser Debutroman einer jungen Autorin so viele Fantasy-Elemente enthält, hätte ich ihn nicht gelesen, aber: ich hätte ein wunderbares, vielschichtiges Buch verpasst. Mir hat diese spannende, surrealistisch anmutende Reise durch eine Fantasielandschaft mit ihren vielen Anspielungen und der Gesellschaftskritik sehr gut gefallen. Auch die Sprache mit ihren vielen Vergleichen und Metaphern bereitet Vergnügen: 'die dünnen Finger der Albträume, die sich unter ihre Lider schlängeln' (67), der Himmel 'eine Schale aus hellem Blau' (109) u.v.m.

    Erwähnt werden muss auch die passende, edle Covergestaltung und die Besonderheit, die das Vorsatzpapier (erste Seite innen) bietet: einen Zugplan, der die Waggons der Reihenfolge nach zeigt und den ich oft zu Hilfe gezogen habe.

  1. Thank you for choosing "Transsibirien-Express"

    Peking, 1899: Nach zehnmonatiger Pause ist der einzigartige Transsibirien-Express endlich wieder einsatzbereit, um die lange Reise ins weit entfernte Moskau anzutreten. Mit an Bord ist beispielswese Dr. Henry Grey, eigentlich ein renommierter Wissenschaftler, dessen Ruf jedoch kürzlich merklich gelitten hat. Oder Maria Petrowna, eine junge Trauernde, die nicht ohne Grund unter falschem Namen reist. Und natürlich - wie jedes Mal seit ihrer Geburt im Zug vor 16 Jahren - Zhang Weiwei, als Mitglied der Crew eine Art Mädchen für alles. Gemeinsam mit vielen anderen begeben sie sich auf eine Fahrt, die keine:r von ihnen je vergessen wird. Denn das zu durchquerende Ödland ist gar nicht so öd, wie es der Name vermuten lässt. Ganz im Gegenteil. Als dann auch noch klar wird, dass sich eine blinde Passagierin trotz aller Sicherheitsmaßnahmen in den Zug schleichen konnte, nehmen die Dinge ihren Lauf...

    "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" ist der Debütroman der im englischen Leeds lebenden Autorin Sarah Brooks, dessen Manuskript bereits vor Veröffentlichung mit dem Lucy Cavendish Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Der Roman erscheint in insgesamt 15 Ländern, darunter in der deutschen Übersetzung von Claudia Feldmann bei C. Bertelsmann im Juli. Bemerkenswert schön ist diese Ausgabe rein optisch geworden. Ein goldener Zug unter goldener Schrift, dazu eine liebenswerte Verzierung des Buchdeckels und eine detaillierte Zeichnung der einzelnen Waggons im Inneren. Umso besser, dass da auch der Inhalt insgesamt überzeugen kann.

    Gerade die erste Hälfte des Romans weiß nämlich zu gefallen. Brooks nähert sich den oben vorgestellten drei Hauptfiguren behutsam an und legt erst Schritt für Schritt deren Träume und Ziele offen. Ein kluger Schachzug, der zusammen mit der großen Fabulierfreude der Autorin und der Liebe zum Detail für eine aufregende Lektüre sorgt. Da ist beispielsweise das Buch, das diesem Roman seinen Titel gibt und von einem gewissen Valentin Rostow 1880 veröffentlicht wurde. Die Auszüge, die man zu lesen bekommt, wirken dabei so authentisch, dass man kurz zweifelt und sich fragt, ob dieser Rostow nicht vielleicht doch wirklich gelebt hat? Wunderbare Begriffe wie "Ödlandweh" - eine Art Trancezustand, die Reisende während der Fahrt durch das gefährliche Niemandsland befallen kann - "Valentinsfeuer" oder "Birkenkathedralen" und Beschreibungen des Zuges und der Geschehnisse um diesen herum, dürften nicht nur bei Eisenbahnfreund:innen den richtigen Nerv treffen.

    Insgesamt ist auch die Figurenkonzeption ein großes Plus des Romans. Sarah Brooks hat sich in jedem Fall für die richtigen Hauptfiguren entschieden, denn Weiwei, Maria und Dr. Grey sind letztlich der Grund, warum das Buch auch in der schwächeren zweiten Hälfte noch zu überzeugen weiß. Sie alle berühren die Leser:innen jeweils auf ihre ganz eigene Art. Sei es Weiwei mit ihrer Sehnsucht nach einer echten Freundin, sei es der gescheiterte Dr. Grey mit seinem Streben nach Wissen und seiner Liebe zur Natur oder die trauernde Maria, die von Brooks mit großer Empathie gezeichnet wurde.

    Dabei setzt sich die Autorin durchaus kritisch mit so großen Themen wie den Unterschieden zwischen Natur und Kultur oder auch Wissenschaft und Religion auseinander und scheut zudem keine Genregrenzen. Während die Leserschaft zu Beginn an Horror-Bahnhöfen Halt macht, zwischendrin ein paar Coming-of-Age-Passagier:innen zusteigen lässt, eine kurze Pause auf einem Krimi-Abstellgleis einlegt, driftet die Fahrt in der zweiten Hälfte doch ziemlich rasant und eindeutig in Richtung Endstation Fantasy.

    Brooks begeht allerdings den Fehler, dem Grauen vorzeitig den Dampf zu nehmen. Vergleichbar mit einem mittelmäßigen Horrorfilm, bei dem der Grusel mit dem ersten sichtbaren Auftritt des Monsters schlagartig aufhört, muss sich die Autorin den Vorwurf gefallen lassen, es in der zweiten Hälfte mit den Fantasy- und Actionelementen zu übertreiben. Dadurch wirkt das "Handbuch" irgendwann ein wenig überfrachtet.

    Dennoch ist es gerade für einen Debütroman erstaunlich, dass Sarah Brooks mit dem "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" eine ganz eigene Welt kreiert hat, die vor Ideen und Fantasie nur so strotzt. Zwar erinnern gewisse Momente an den 2014er-Kinofilm "Snowpiercer" von Bong Joon-ho oder an Albert Sánchez Piñols großartigen Roman "Im Rausch der Stille", doch sind beides ja nicht die schlechtesten Referenzen.

  1. Reise in eine andere Welt

    Die Transsibirische Eisenbahn vor hundert Jahren war immens wichtig für den Schmuggel von Waren und geheimen politischen Informationen. Jeder Fahrtausfall muss vermieden werden, würde er doch enormen Verlust bedeuten für die allmächtige Eisenbahn-Kompanie. Und doch stört etwas ihre Geschäfte.

    Die längste Eisenbahnstrecke der Welt geht durch das Gebiet des Großsibirischen Ödlands. Es ist gefährlich, doch niemand weiß so richtig warum. Mystische, unheimliche, unerklärliche Vorkommnisse werden bei jeder Fahrt stärker. Es gibt sogar ein Handbuch mit Anweisungen, wie man sich während der Fahrt verhalten soll. Der Zug selbst ist gepanzert und vor allem wichtig sind die extra angefertigten Spezialglasscheiben für die Fenster. Der Zug muss hermetisch abgeschlossen sein gegen die Aussenwelt des Ödlands, nichts darf durch die kleinsten Risse eindringen.

    Ein Naturwissenschaftler, der sein Leben der Erforschung dieses Ödlands gewidmet hat findet die Gelegenheit sich heimlich hinauszuschleichen, um die Vorgänge zu erkunden.

    Er steht plötzlich einer anderen Natur gegenüber, ein Gegenentwurf zu dem, was wir kennen. Er fühlt sich angezogen von dem Neuen, er vergisst die Gefahr und lässt sich hineinziehen in eine Wasserwelt aus Nässe, Dampf, Feuchtigkeit und ihren Kreaturen. Doch nicht alle diese Geschöpfe sind dem Menschen und dem Zug wohlgesonnen. Alle sind aus auf Durchdringung, Besetzung, Überwucherung und Veränderung. Was wird geschehen?

    Ein Buch für Fantasy-Fans. Ein Stoff, wie gemacht für einen opulenten Fantasie-Film.

    Für mich war es nur bedingt unterhaltsam, da ich kein passionierter Fantasy-Leser bin.