Gute Nachbarn: Roman

Rezensionen zu "Gute Nachbarn: Roman"

  1. Gut gemeint, aber ...

    In Oak Knoll, einem Vorort von North Carolina, könnte man toll wohnen: es gibt schöne alte Häuser in üppigen Gärten mit schönen altem Baumbestand. Leider schleicht sich auch hier das Gespenst der Gentrifizierung ein. Zum Beispiel haben die Whitmans, ein neureiches Ehepaar mit zwei Töchtern, ein ganzes Grundstück mitsamt Bäumen und Sträuchern platt machen lassen, um darauf eine charakterlose Protzvilla mit fünf Bädern, Smart-TV in jedem Zimmer und Außenpool zu errichten. Brad Whitman ist ein Emporkömmling ohne jede Bildung (Herzensbildung eingeschlossen), der überzeugt ist, dass ihm alles zusteht, was er verlangt - er hat schließlich hart genug gearbeitet, um so weit zu kommen. Unglücklicherweise wohnt genau neben ihm in einem hübschen, bescheidenen Häuschen die Witwe Valerie Alston-Holt mit ihrem Sohn Xavier, einem intelligenten und vernünftigen Teenager. Valerie ist Dozentin für Forstwirtschaft und liebt ihren Garten über alles, besonders eine über zwanzig Meter hohe Eiche. Wie die Whitmans ihren eigenen Garten ausgeräumt haben, ließ ihr bereits das Herz bluten. Nun sieht es so aus, als ob auch ihre liebe alten Eiche bleibenden Schaden genommen hat; das Wurzelwerk ist zerstört, der Baum stirbt. Das wird sie sich nicht gefallen lassen - sie lässt sich anwaltlich beraten, und was sie zu da hören bekommt, ist recht interessant ...

    Bis hierher haben wir eine glasklar strukturierte Geschichte gelesen, bei der (ich habe nicht übertrieben) von Anfang an feststeht, wo die Sympathien der Leserin zu liegen haben. Dazu kommt noch zweierlei: Valerie und ihr Sohn sind farbig, die Whitmans weiß. David gegen Goliath, ganz klar. Und zu allem Unglück verlieben sich auch noch der junge Xavier und Juniper, die Tochter der Whitmans, ineinander. Romeo und Julia unter der kränkelnden Eiche. Das kann doch nur schief gehen.

    Die Erzähler dieses Romans (man muss sie sich als mehrere denken) könnten anonyme Mitbewohner von Oak Knoll sein, haben aber in der Art eines auktorialen Erzählers das ganze Leben, die innersten Gedanken der Protagonisten im Blick; und sie wissen, wie es ausgehen wird. Die Ankündigung einer furchtbaren Tragödie erfolgt schon auf den ersten Seiten. "Wir sind nur hier, um zu erzählen, wie es war." Das diffuse Angstgefühl, das dadurch erzeugt wird, trägt das Leseinteresse eine lange Zeit, obwohl die Handlung recht vorhersehbar ist und die Autorin in der Schilderung der Personen kaum ein Klischee auslässt. Etwa von der Mitte ab nimmt aber das Verhängnis so richtig Fahrt auf, eine Ungeheuerlichkeit jagt die andere bis zur Katastrophe (an deren Ende ich, nebenbei bemerkt, nicht restlos verstand, was eigentlich passiert ist - wenn mich jemand darüber aufklären kann, dann gerne per Spoiler oder PN). Hier kommt noch einmal ein ungewöhnlicher Kunstgriff, der einiges klärt, auch die Zukunft der Protagonisten; anderes aber auf erstaunliche Weise unklar lässt.

    Der Autorin war daran gelegen, einen Roman gegen Rassismus zu schreiben. Diese Absicht merkt man von Anfang an aus jeder Zeile - weniger (im wahrsten Wortsinn) Schwarz-Weiß-Malerei wäre mehr gewesen. Dass unsere kommentierender Chor ein Kapitel einschiebt, in dem dargestellt werden soll, wie Brad Whitman "zu dem Menschen wurde, der er ist", nützt da nicht mehr viel. Zu dem strukturellen Rassismus, der geschildert wird, kommt - vor allem in Brads Person, aber keineswegs nur dort - ein ausgeprägter männlicher Chauvinismus, der ebenso zerstörerisch wirkt. Eine grässliche Mischung, die der Leserin manches Mal das Messer in der Tasche aufgehen lässt. Das Buch macht so richtig wütend, aber - wie erwähnt - in der ersten Hälfte konnte es mich gerade eben so bei der Stange halten.

    Dreieinhalb Punkte - plus einen halben für die ehrenwerte Absicht! Vier von möglichen sechs wären mir lieber!

    Teilen