Grazie, Genova: Zwei Jahre al dente

Buchseite und Rezensionen zu 'Grazie, Genova: Zwei Jahre al dente' von Bernadette Olderdissen
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3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Grazie, Genova: Zwei Jahre al dente"

Format:Taschenbuch
Seiten:410
EAN:9781499582611

Rezensionen zu "Grazie, Genova: Zwei Jahre al dente"

  1. 3
    12. Jul 2014 

    Zu viel Gejammer...

    So hatte Ruth sich das nicht vorgestellt! Als sie mit zwei Koffern im Schlepptau nach Italien zieht, träumt sie vom Dolce Vita. Doch um zu bewältigen, was sie dort erwartet, braucht sie vor allem eins: viel Biss. Alle beneiden Ruth, als ihr Traum plötzlich wahr wird: Sie bekommt eine Stellenzusage in der norditalienischen Stadt Genua und wandert Hals über Kopf nach Italien aus.
    Doch statt Dolce Vita erwarten sie Genuas stinkende Altstadtgassen, eine Wohnung voller Schimmel und ein Job in einer Art Irrenhaus. Bei den Behörden kommt Ruth nur alla Schnecke voran. Ihre ersten Italienischkenntnisse erwirbt sie dank der ständig fluchenden Nachbarn. Als endlich amore und passione in Ruths Leben einziehen, bekommt sie erste Heimatgefühle, aber Italien hält noch eine Menge Überraschungen und Trubel für sie bereit ...

    Ruth ist eine junge Frau aus Deutschland, die sich spontan auf eine Stellenanzeige bewirbt als Deutschlehrerin an einem Sprachinstitut in Genua. Nach der Zusage bricht sie Hals über Kopf mit rudimentären Italienisch-Kenntnissen und nur zwei Koffern in der Hand nach Italien auf. Dort, wo andere Urlaub machen, darf sie zukünftig leben und arbeiten!
    Doch gibt es dort nicht nur das geliebte Meer, sondern auch das wahre Leben, das so ganz anders ist als es durch die rosarote Urlaubsbrille schien. Zwei Jahre verbringt Ruth schließlich in Genua - und das Buch berichtet von dieser intensiven Episode ihres Lebens und gewährt dabei einen tiefen Einblick in die (vermeintliche?) italienische Mentalität.

    "Es stinkt. Ich halte den Atem an. Hauptbestandteile der Note sind Hundekot und Urin, Feuchtigkeit, die sich tief in die alten Gemäuer geschlichen hat und vergossener Alkohol. Dunkelheit und Verfall umklammern die kleinen Straßen und ihre fleckigen Gebäude, an denen der Putz abbröckelt. (...) Erbrochenes vom Wochenende klebt noch in manchen Ecken, lässt darauf schließen, was die Genueser vor dem Diskoabend zu sich nehmen. Mitten auf dem Weg liegt ein zerschmettertes Ei. Eine Möwe versucht, aus einer Durchfallpfütze einen matschigen Hamburger zu retten."

    Als ich den Klappentext las, erhoffte ich mir tatsächlich einen zwinkernden Einblick in Land und Leute von einer jungen Frau, die mutig und spontan zu einem großen Abenteuer in ihrem Leben aufbrach. Doch geriet dieser Einblick anders als erwartet. In langen Phasen voller Selbstmitleid und sehr negativ schildert Bernadette Olderdissen von ihren Erlebnissen in der italienischen Stadt und ihren Erfahrungen mit den Italienern, Institutionen und der Politik. Wer sich auf diese Schilderung verlässt, erhält ein überaus negatives Bild Italiens:

    - maßlos überteuerte, renovierungsbedürftige, marode Wohnungen
    - niedrige Löhne, die die Italiener zu illegalen Aktivitäten wie Schwarzarbeit zwingen (deshalb auch der stündliche Espresso, denn zum Schlafen reicht neben regulärem Job und der Schwarzarbeit die Zeit nicht wirklich)
    - alle Behördengänge sind mit Wartenummern aus Automaten verbunden, immer muss man ewig warten und irgendetwas zahlen
    - "korrupte Politiker, die vögeln"
    - "Nichts funktioniert in diesem verdammten Land, man trampelt ständig auf der Stelle"
    - "Es geht ums Aussehen, um Sex und bella figura, um was anderes kümmert sich keine Sau"
    in jeder Lebenslage wird geflucht

    Und überhaupt das Fluchen. Hierzu schrieb die Autorin beinahe eine wissenschaftliche Abhandlung - das Phänomen scheint sie wirklich beeindruckt zu haben:

    "Der Sprachgebrauch der Italiener erstaunt mich umso mehr, je mächtiger ich seiner werde; die Menge an Geschlechtsorganen und anderen kompromittierenden Körperteilen in der italienischen Alltagssprache übersteigt die Anzahl sämtlicher Pasta-Sorten. Wer "Arsch hat", hat Glück, "prendere per il culo", am Arsch packen, bedeutet dagegen "an der Nase herumführen". Der Schwanz ist generell Ausdruck von Entrüstung, Überraschung, Ärger oder neutraler Satzbestandteil. Eine "fica", wörtlich "Fotze", ist eine besonders attraktive Frau; während eine deutsche Frau sich zutiefst beleidigt sähe über diese Bezeichnung, fühlt sich eine italiensiche "fica" geschmeichelt - oft versucht sie sogar, sich mithilfe von aufreizender Kleidung sowie hohen Hacken den Fotzen-Status zu erarbeiten".

    "Che cazzo" (zum Schwanz) geht jedenfalls immer - und dementsprechend fügt die Autorin diesen Ausdruck gefühlt jedem zweiten Satz bei...

    Interessant war die Schilderung der zwei Jahre in Genua durchaus - die Schilderung der kleinen umliegenden Städte und Dörfer am Meer, die kulinarischen Besonderheiten, das Klima - all das ließ mich innerlich schon die Koffer packen. Aber diese zeitweise vor Selbstmitleid triefende und z.T. überaus negative Schilderung haben mir den Lesespaß doch über weite Strecken eher verleidet.

    Insgesamt ein interessanter Einblick in Land und Leute, aber weniger Jammerei hätte dem Buch in meinen Augen jedenfalls gut getan.

    © Parden

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