Graue Bienen: Roman

Rezensionen zu "Graue Bienen: Roman"

  1. Bienenroadmovie.

    Kurzmeinung: Subtile Komik mag ich.

    Zwei sich alt fühlende Männer verbringen den Winter in Malaja Starogradowka. Sie sind keine Freunde, doch der besondere Umstand, dass sie die einzigen Menschen sind, die das in der Kriegszone liegende Dorf nicht verlassen haben, schmiedet sie zusammen. Das fiktive Dorf liegt in der „grauen Zone“, in einem Verwaltungsgebiet, das teilweise der Ukraine und teilweise Russland zugerechnet wird, also irgendwo im Donbas. Ostukraine.

    Nach dem harten Winter verlässt der eine, der sechs Bienenstöcke sein eigen nennt, die Ortschaft und fährt mit seinem alten Auto und den Bienen auf ein paar Umwegen in die Krim, damit die Bienen dort ungestört Honig produzieren können. Denn Granaten und Raketen mögen sie nicht, da sind sie empfindlich. Genauso wie ich.

    Der Kommentar:
    Bevor der Roman ein Roadmovie wird, ein Bienenroadmovie sozusagen, gefällt er mir am besten. Den ganzen Winter über spielt er in dem kleinen Dorf, dessen Kirche durch Beschuß zerstört wurde und das nur zwei Straßen hat. Der Autor sieht durch die Augen Serges, des Imkers, und beschreibt dessen mühevollen Alltag. Daraus besteht das Leben: Kohleofen anschmeissen, eintönige Mahlzeiten zubereiten, Fotoalben durchblättern und sich erinnern, kurze Spaziergänge, sich mal gegenseitig besuchen und saufen, viel mehr können die beiden Männer nicht tun, die von der Stromversorgung und fast allen Einflüssen von außen abgeschnitten sind. Na ja, und hoffen. Gelegentlich Schnee schippen. Hoffen, dass die beiden feindlichen Lager, die sich vor und hinter dem Dorf in Stellung gebracht haben, über das Dorf feuern werden oder gar nicht. Na ja, bis jetzt ist alles fast gut gegangen. Nur einmal musste sie ihre Fensterscheiben auswechseln. Wegen der Druckwellen. Und halt die Kirche. Und ein paar Nachbarhäuser und der Grater mitten auf der Straße zu den anderen Dörfern, wo man ab und zu mal hin muss, um Essen zu beschaffen. Aber sonst? Man lebt. Und wer lebt, beklagt sich nicht. Ach ja, und die nicht hochgegangenen Granaten im Garten, so dass man kein Gemüse mehr anpflanzen kann. Das ist schon lästig. Im vergangenen Jahr hat es einen der letzten Nachbarn beim Gärtnern zerfetzt. Schicksal halt. Serge müsste hungern, hätte er nicht seinen Honig: bestes Tauschmaterial.

    Die Eintönigkeit des Alltags, das sich Eingraben in sich selbst, im Bett und hinterm Kohleofen, der Stoizismus der Männer, ihr Fatalismus, ihre unterdrückten Gefühle, die Starre eines auf das Allernotwendigste reduzierten Lebens hat der Autor wunderbar eingefangen. Man geht einmal am Tag mit nach draußen, schaut in den Himmel und fragt sich, ob es jemals wieder Frühling wird. Dann kocht man seine Buchweizengrütze oder seine Nudeln. Ach hätte man doch ein paar Eier. Oder Butter. Oder halt irgendwas.

    Als es taut und sich Serge auf den Weg macht, wird die Erzählung zu einem skurillen, dennoch leisen und lakonischen Abenteuer. L’amour, besseres Essen, Sonne, Blumen; Wiesen, Weinberge. Aber auch Grenzkontrollen, Willkür, Tod und Gefahr. Die Besatzer können überall und unvermittelt auftauchen. Oder deren Gegner. Sicher ist man nirgendwo. Politische Meinung? Wird angepasst. Je nach dem. Ohne den ihm eigenen Fatalismus würde Serge nachts nicht schlafen können. Manchmal im Zelt, manchmal auf den Bienenstöcken und manchmal in einem warmen Bett einer Frau. Immerhin kann sie gut Bortschtsch kochen. Hat er lange nicht mehr gegessen. Irgendwie hat Serge bisher überlebt. Von irgendwo hat er immer wieder neuen Lebensmut hervorgeholt. Dennoch, dem ist sich Serge bewusst, ist er ein Spielball größerer und unbegreiflicher, weil unrationale Kräfte.

    Dieses Roadmovie ist mir eine Spur zu breit angesetzt. Wiederholungen waren unvermeidbar. Andererseits hat uns die Honigernte Freude bereitet.

    Fazit: Eine liebenswerte lakonische, subtil komische kleine Erzählung aus einem besetzten Gebiet.

    Kategorie:Gute Unterhaltung
    Verlag: Diogenes

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  1. Graue Bienen

    Sergej liebt seine Bienen. Er züchtet sie in einer Region die vom Krieg beherrscht wird. Der Donbass ist Treffpunkt und Kampfplatz von ukrainischen Kämpfern und prorussischen Separatisten. Aber Sergej hat nur eines im Sinn - sich aus allem rauszuhalten. Ihn interessieren seine Bienen, nicht der Krieg und dafür unternimmt er alles....auch eine Umsiedlung seiner Geschöpfe.

    Andrej Kurkow hat einen extrem atmosphärischen, ruhigen und tiefgründigen Roman verfasst. „Graue Bienen“ nimmt einen als Leser komplett ein. Kurkows Schreibstil ist rein und klar. Er lässt Protagonist Sergej erzählen und wir können sehr tief in seine Gedankenwelt eintauchen. Sergej ist keineswegs ein Mensch, der die Vogel-Strauß-Politik betriebt. Er will sich nicht verstecken, er bekommt schon alles genau um sich herum mit aber er will seine kostbare Zeit einfach nicht damit vergeuden. Er möchte das seine Bienen leben können und unternimmt besondere Wege dafür. Kurkows Roman hat mich komplett verzaubert. Er beschreibt eine politische Situation die komplett aus dem Leben gegriffen ist und einen Erzähler, der mehr Gefühl hat, als man sich nur vorstellen kann. So eine Mischung in einen Roman unterzubringen, ist nicht einfach aber Kurkow hat es perfekt geschafft! Da bekommen selbst Grenzsoldaten eine gewisse Menschlichkeit verpasst und mit Sätzen wie „...damit nicht auch noch der Honig nach Krieg schmeckt...“ hat sich Kurkow irgendwie unsterblich gemacht. Seine Art zu erzählen, egal ob über Bienen oder über Menschen, ist einmalig und besonders. Ebenso die daraus zu schließenden Verbindungen/Assoziationen sind einfach nur bemerkenswert.

    Dieses Buch erhält eine klare Leseempfehlung von mir!

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  1. Der Imker in der ‚Grauen Zone‘

    Können wir uns das vorstellen: seit 3 Jahren keinen Strom, mit nur einem weiteren Bewohner allein in einem verlassenen und teilweise zerstörten Dorf, keine Post mehr seit Jahren, keine Rentenzahlungen, keine Einkaufsmöglichkeiten…… und doch mitten in Europa?!

    Der 49-jährige Frührentner und Imker Sergej Sergejitsch lebt in der ‚Grauen Zone‘ im Kriegsgebiet Donbass, in dem seit dem Frühjahr 2014 die ukrainische Armee die - von Russland massiv mit Waffen, Wissen und Soldaten unterstützen - Separatisten bekämpft. Ferner Geschützdonner ist an der Tagesordnung, auch Tote werden immer wieder gefunden.

    Sergej vertreibt sich diese einsame Zeit mit Nachdenken und Erinnern – wir erfahren von seiner gescheiterten Ehe mit Witalina und dass sie ihn vor 8 Jahren mit der 4-jährigen Angelina verlassen hat. Mit Patscha, seinem ‚Feindfreund‘ seit Kindertagen, verbindet ihn eine Interessensgemeinschaft, in der es ums Überleben und gelegentlicher Gemeinschaft geht. Große Unterhaltungen liegen ihm nicht und ihm fehlen auch oft die richtigen Worte.

    Seine große Sorge gilt den Bienen und so macht er sich im Frühjahr mit ihnen auf den Weg, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, in Ruhe ausfliegen und Honig sammeln zu können. (Hochinteressant fand ich, was ich alles über Bienen erfuhr, z.B. ihre Heilkraft, allein durch das Liegen auf Bienenstöcken.)
    Ruhig, gelassen und voller Herzenswärme erzählt der Autor diese Geschichte, wie sie auch dem Wesen unseres Protagonisten entspricht.

    Wir lernen durch Sergej ein Stück von der Ukraine kennen und das Leben in diesem Krieg, der im Westen gar nicht die nötige Aufmerksamkeit bekam. Besonders bei etlichen Szenen auf der annektierten Krim standen mir die Haare zu Berge und ich konnte noch mehr nachvollziehen, dass die Ukrainer nicht unter russische Regierung fallen wollen.

    Fünf Sterne bekommt dieses Buch von mir, das lange in mir nachklingen wird und für das ich eine volle Leseempfehlung ausspreche!

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