Ginsterhöhe

Rezensionen zu "Ginsterhöhe"

  1. 4
    23. Jan 2023 

    Fiktion und historische Fakten

    1919 kehrt der junge Bauer Alfred Lintermann zurück in sein Heimatdorf Wollseifen in der Eifel. Er hatte Glück, viele Söhne aus dem Ort sind auf dem Schlachtfeld geblieben. Doch Albert ist an Leib und Seele verwundet. Eine Granate hat ihm das halbe Gesicht weggeschossen und sein langjähriger Freund ist neben ihm verblutet. Seine Frau Berta reagiert auf seinen Anblick mit Entsetzen. Dieser so schrecklich entstellte Mann ähnelt so garnicht mehr dem attraktiven Jungbauern, den sie geheiratet hat.
    Doch Albert lässt sich nicht unterkriegen. Voller Tatendrang macht er sich daran, den heruntergekommenen Hof wieder aufzubauen. Auch im Dorf verschafft er sich mit seiner zupackenden und freundlichen Art einen Platz. Unterstützung findet er bei seinem Freund, dem italienischstämmigen Dorfwirt und bei Leni, der Verlobten seines gefallenen Freundes.
    Das Leben normalisiert sich, auch wenn die Zeiten hart sind. Gemeinsam versucht die Dorfgemeinschaft, den Anschluss an die allgemeine Entwicklung voranzutreiben. Wollseifen wird an das Stromnetz angeschlossen und bekommt eine zentrale Wasserversorgung.
    Aber der aufkommende Nationalsozialismus macht auch vor dem kleinen Ort nicht Halt. Ein Mann der ersten Stunde ist Johann Meller, ein dubioser Städter, der hier einen Gutshof gekauft hat und große Sprüche klopft. Bald hat er einige Anhänger um sich geschart.
    Mitte der 1930er Jahre beschließen die Nazis aus der nahegelegenen Burg Vogelsang eine riesige Schulungsstätte für ihren Führungskader zu machen und einen Flugplatz zu bauen. Was am Anfang noch für Aufschwung in der Region sorgt, erweist sich während des Krieges als Verhängnis. Denn dadurch wird das Dorf mit seinem Wehrmachtsstützpunkt ein beliebtes Bombardierungsziel.
    Anna-Maria Caspari lässt anhand ihrer Figuren eine Dorfgemeinschaft über mehrere Jahrzehnte lebendig werden. Im Mittelpunkt steht der Kriegsheimkehrer Albert. Seine Erfahrungen im Schützengraben machen ihn gefeit gegen jegliche neue Kriegstreiberei. Er möchte nur noch in Frieden leben, sich um seine Familie und seinen Hof kümmern. Die große Politik ist ihm suspekt. Aber sein jüngster Sohn, indoktriniert durch Schule und Hitlerjugend, meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst.
    Auch an anderen Dorfbewohnern zeigt die Autorin die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Da gibt es ein behindertes Mädchen, das in ein Heim abgeschoben wird, eine Halbjüdin, die sich verstecken muss.
    Immer wieder gibt es Menschen, die sich um andere kümmern und solche, die nur ihren Vorteil sehen und ihre Macht ausnützen. Geschichte wird erfahrbar an persönlichen Schicksalen.
    Auch der Alltag, die Sorgen und Nöten eines Bauern, ebenso seine Liebe zu Hof und Vieh nehmen einen breiten Platz ein im Roman.
    Das alles beschreibt Anna-Maria Caspari in einem ruhigen und unaufgeregten, fast nüchternen Schreibstil, ohne Kitsch und Pathos. Trotzdem berührt das Schicksal der Menschen den Leser. Mit Spannung verfolgt man den Weitergang der einzelnen Figuren, die glaubwürdig und authentisch rüberkommen.
    Die dazwischengeschobenen Tagebuchaufzeichnungen des Dorfschullehrers, datierend vom Februar 1919 bis Dezember 1944, geben einen direkten Einblick in den Alltag und dessen Wandel. Diese Passagen wirken emotionaler als der eher sachlich gehaltene Erzähltext.
    „ Ginsterhöhe“ ist ein unterhaltsamer und bewegender Heimatroman, der Fiktives mit historischen Fakten verwebt und so Zeitgeschichte lebendig werden lässt. Da der Roman Teil einer Trilogie sein soll, darf sich der Leser auf weitere spannende und emotionale Lesestunden freuen.
    Die in der Eifel lebende Autorin ließ sich von der Geschichte des Dorfes Wollseifen zu ihrem Roman inspirieren. In einem Nachwort erzählt sie davon. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der ganze Komplex der NS- Ordensburg Vogelsang von den britischen Streitkräften übernommen, die im umliegenden Gelände einen Truppenübungsplatz errichteten. Die Einwohner von Wollseifen, die gerade begonnen hatten, ihr in Schutt und Asche liegendes Dorf wieder aufzubauen, mussten ihre Heimat verlassen. Seit der Gründung des Nationalparks Eifel im Jahr 2006 befindet sich dort eine Dauerausstellung, die zeigt, wie vielfältig das Dorfleben damals war.
    Lobenswert sind die schön gestalteten Umschlagklappen, die mit einer Karte der Region und alten Photos von Wollseifen die Geschichte noch stärker veranschaulichen.

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  1. Eine Geschichte die mit besonderem Stil erzählt wird

    Klappentext:

    „1919: Körperlich und psychisch schwer versehrt kehrt der junge Bauer Albert Lintermann in sein Heimatdorf Wollseifen zurück. Seine Frau Bertha begegnet ihm mit Abscheu und Entsetzen. Doch Albert lässt sich nicht unterkriegen, und es gelingt ihm, seinen Platz in der Familie und der Dorfgemeinschaft wiederzufinden, nicht zuletzt, weil ihm Leni, die Verlobte seines im Krieg gefallenen Freundes, dabei hilft. Eine Zeitlang sieht es so aus, als könne das Leben wieder in geordneten Bahnen verlaufen: die Familie wächst, der Hof wird größer und trotz der zunehmenden Inflation hält der Fortschritt Einzug in Wollseifen. Bis die Nationalsozialisten in die karge ländliche Idylle einfallen und das Schicksal der kleinen Eifelgemeinde und ihrer Bewohner für immer besiegeln …“

    Autorin von „Ginsterhöhe“ ist Anna-Maria-Caspari. In ihrem Roman beleuchtet sie die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und mit ihren Protagonisten Albert und Bertha stellt sie uns zwei kühle, recht unnahbare Menschen vor die Leser-Nase. Ich muss zugeben, ich hatte doch andere Erwartungen an das Buch aber, und nun mal wieder das große ABER, nach beenden des Buch war ich doch überrascht. Ja, man muss erstmal alles sacken lassen, ist die Geschichte doch üppig mit wahrer Geschichte gefüllt und wie soll denn die Zeit wohl gewesen sein? Bunt? Laut und freudig? Voller Opulenz? Nein, eben nicht. Die Menschen waren gebeutelt vom Krieg wenn sie es überhaupt wieder nach Hause schafften. Ihre Seelen waren geschunden, egal ob direkt im Krieg sein Volk und Land verteidigt oder eben zu Hause die Kinder oder das Hab und Gut gehütet - so eine Zeit geht an keinem spurlos vorbei und genau das zeigt Caspari in ihrem Buch sehr gekonnt. Das Bertha Abscheu gegen ihren Gatten zeigt ist doch nur verständlich - steht ihr doch fast ein Fremder gegenüber der nichts mehr von dem hat und zeigt den sie damals geheiratet hat. Die Ehrlichkeit schmerzt so manches Mal in diesem Buch und doch muss sie angesprochen werden. Man kann die Zeit nicht immer mit den Goldenen Zwanzigern gleichstellen, auch diese hatten vorher und danach mehr als dunkle Seiten. Albert zeigt sich auch im Dorf als Kämpfer und kämpft sich wahrlich in sein altes Leben zurück - das ist nicht nur respektabel, das ist einfach nur gewaltig stark! Da aber die Medaille immer zwei Seiten hat, zeigt sich auch hier der politische Wandel der Zeit und der braune Sumpf erhebt sich auch in der Eifel-Gegend. Erneut heißt es kämpfen und es fragt sich dann ein Jeder für was und warum! Die Geschichte an sich ist keine „schöne“ Geschichte aber sie ist verdammt ehrlich und bewegend geschrieben ohne Kitsch und Schmalz. Die Autorin spricht harte Themen an, geht dem Unangenehmen nicht aus dem Weg sondern stellt sich ihm und dennoch ist der Sprachstil und die Wortwahl ruhig. In dem Sinne passiert in diesem Buch nicht viel, es ist trotz seiner Hintergründe ruhig und oft leise. Ich habe diese Art des Schreibens bei so einem Hauptthema sehr bewundert! Man kann Nachkriegszeit bzw. Vorkriegswehen auch ruhig erzählen ohne Effekthascherei! Besonders sei noch hervorzuheben dass Caspari viel von der Landwirtschaft bzw. dem Bauern-Dasein berichtet. Es scheint wie eine andere Welt wenn sie darüber schreibt. Als Leser ist es fast wie eine Flucht dorthin wo die Uhren anders ticken, die Zeiten ohne Krieg scheinen…und doch ist er allgegenwärtig da.

    Bei diesem Buch sollte man sich frei machen von allem und es einfach lesen und wirken lassen und danach mal gründlich darüber nachdenken was Caspari uns damit eigentlich erzählen wollte. Ich vergebe hierfür sehr gute 4 von 5 Sterne inkl. einer Leseempfehlung!

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  1. Eine besondere Dorfgeschichte

    Ein Roman zwischen Fiktion und Fakten. Denn es ist viel mehr als nur die Geschichte des Kriegsheimkehrers Albert Lintermann, der letztlich beide Weltkriege er- und überleben wird. Es ist auch die Geschichte des Ortes Wollseifen, der wahrscheinlich vielen Menschen kein Begriff ist. Mich eingeschlossen. Die nahegelegene NS-Ordensburg Vogelsand ist mir zwar durchaus ein Begriff, aber Wollseifen? Fehlanzeige, zumindest bei mir. Von daher finde ich die Idee, wie das Leben in diesem Ort ausgesehen haben könnte, wirklich gut.

    Es gab viele Szenen, die mir wirklich sehr nahe gegangen sind, z.B. Albert Lintermanns Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg, seine Verletzungen und die ersten Schritte zurück in ein halbwegs normales Leben.
    Obwohl ich die Figuren als eher etwas eindimensional empfinde (gut und böse sind von Beginn an recht genau definiert und daran ändert sich auch bis zum Ende des Buches nichts), wird trotzdem ein sehr gutes Gefühl für die Zeit und die Menschen übermittelt. Man könnte bemängeln, dass die Menschen in Wollseifen insgesamt als recht passiv dargestellt werden. Allerdings muss man dagegen halten, dass die Verunsicherung sehr groß ist. Der letzte Krieg ist noch nicht allzu lange vorbei und gut in Erinnerung. Nur die wenigsten können und wollen an das glauben, was dort auf sie zukommen. Gerade weil Wollseifen nicht gerade in einer Metropolregion liegt.

    Insgesamt ein buch, das mir gut gefallen hat und dessen große Stärke in den Emotionen liegt, die es gekonnt an den Leser transportiert und diese Zeit vor den (inneren) Augen der Menschen auferstehen lässt.

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