Gefährten: Roman

Rezensionen zu "Gefährten: Roman"

  1. Wenn jemand an die Tür klopft.

    Kurzmeinung: Ein Teil der Story ist so witzig - ein anderer altbekannt.

    Im Prinzip ähnelt die Komposition von Ali Smith neuem Roman „Gefährten“ der Vorgehensweise von Jarka Kubsowa aufs Haar, nur, dass Ali Smith, mit Verlaub, viel raffinierter ist. Ob diese Raffinesse für die Leserschaft aufgeht, muss jeder selber nachprüfen. Es gibt Vor- und Nachteile.
    Was meine ich damit? Jarka Kubsowa hat in den beiden Romane, die ich bisher von ihr gelesen habe, „Bergland“ und „Marschlande“ je ein Frauenpaar in eine bestimmte Landschaft gesetzt, wovon der eine Part in der Gegenwart und der andere in weiter Vorvergangenheit spielte. Beide Geschichten passten organisch ineinander. Anders geht Ali Smith vor. Auch sie passt eine Geschichte in die Geschichte. Zwei Frauen, eine in der Gegenwart, eine in der Vergangenheit. Doch organisch, im Sinne von „aus der Erde hervorgegangen oder bodenständig“ ist bei Ali Smith gar nichts, sondern höchst erstaunlich. Ihr Auslöser in die Vergangenheit abzuschwirren, ist eine Art esoterischer Kniff und landschaftsunabhängig.

    Im einzelnen:
    Während Sandy den Hund ihres Vaters betreut, der zu Korona-Hochzeiten mit dem Virus angesteckt und herzleidend auf der Intensivstation eines Krankenhauses liegt, also der Vater, nicht der Hund, erhält sie den Anruf einer Collegebekannten, die eine abstruse Story über das sogenannte Boothby-Schloss zum Besten gibt. Dieses Schloss ist ein Beispiel mittelalterlicher Schmiedehandwerkskunst und sehr wertvoll. Im weiteren Verlauf des Romans erhält Sandy Besuch: zum einen drängen sich ihr die Verwandten der Collegebekannten auf, zum anderen dringt ein junges unbekanntes Mädchen in ihr Haus ein. Man darf vermuten, dass sowohl die Intruders der Bekannten wie auch das unbekannte Mädchen Halluzinationen Sandys sind, die sich mit dem Virus infiziert hat – aber ganz klar wird der Sachverhalt nicht. Die Autorin liefert mit voller Absicht keinen Realitätscheck.

    Der Kommentar:
    Es ist reizvoll, sich zu fragen, was wirklich passiert. Halluziniert Sandy oder ist alls echt? Sind es Halluzinationen, ist es nachvollziehbarer, warum die Intruders so unverschämt sind und sich nicht mehr aus Sandy Haus vertreiben lassen. Und was das junge Mädchen angeht, das in ihren Sachen wühlt, ist diese „Erscheinung“ der Weg der Autorin zurück ins Mittelalter, was ihr die Möglichkeit eröffnet, sich über das vorgenannte mittelalterlich-antike Stück Schlosserhandwerkskunst in das Schicksal einer jungen Schmiedin einzuklinken. Man kann sich denken, dass es nicht gut ausgehen kann mit ihr, da Frauen im MA kein Handwerk ausüben durften und man die männliche Misogynie zu Genüge kennt.

    Was mir an dem Roman gut gefallen hat, sind die schnippischen, gut verpackten Seitenhiebe auf die Regierung GroßBritanniens und deren Maßnahmen zum Zeitpunkt der Pandemie. Die außergewöhnlich hohe Sterblichkeitsrate im Land im Vergleich zu anderen Staaten wird genauso thematisiert wie die unterschiedlichen Positionen der Menschen: Der eine trägt Maske und der andere ignoriert die Pandemie vollkommen, „unsere Familie wird nie krank“.
    Ich mag den Witz, der in der Geschichte steckt; allerdings hat mich das Leben der mittelalterlichen Schmiedin gar nicht interessiert; diese Storyline ist so altbacken und abgegessen, gefühlt kenne ich mittelalterliche Stories über gequälte Frauen in allen denkbaren Variationen und ehrlich gesagt, ich hab sie über.

    Fazit: Einen Teil der Geschichte finde ich großartig, es ist ein mit Witz und Esprit komponierter Roman, der aber mit seinem mittelalterlichen Teil an mir vorbei geht, denn Mittelalter habe ich über. Schade. Aber andere Leser haben dafür sicherlich mehr übrig und dieser persönliche Überdruß soll sich nicht in der Wertung spiegeln.

    Kategorie: Gute Unterhaltung
    Verlag: Luchterhand, 2023

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