Garten der Engel (Transfer Bibliothek)

Buchseite und Rezensionen zu 'Garten der Engel (Transfer Bibliothek)' von David Hewson
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Garten der Engel (Transfer Bibliothek)"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
Verlag: Folio
EAN:9783852568768

Rezensionen zu "Garten der Engel (Transfer Bibliothek)"

  1. 4
    19. Mai 2023 

    Von Widerstand, Liebe und Zivilcourage...

    Als der fünfzehnjährige Nico Uccello seinen Großvater Paolo im Krankenhaus besucht, vertraut ihm der todkranke Mann ein Manuskript an, das Nicos Leben und seinen Blick auf den geliebten „Nonno“ radikal verändern wird. Im Herbst 1943 ist Venedig von deutschen Truppen besetzt. Der junge Paolo Uccello kämpft nach dem Tod seiner Eltern um den Erhalt des Familienunternehmens, einer traditionsreichen Seidenweberei. Nur widerwillig bietet er im heruntergekommenen Palazzo der Familie dem jüdischen Geschwisterpaar Mika und Giovanni Unterschlupf. Beide gehören dem italienischen Widerstand an und sind auf der Flucht vor den Nazischergen. Bald aber droht die Deportation der gesamten jüdischen Gemeinde Venedigs und Paolo muss eine Entscheidung treffen. Wird er den Mut aufbringen, das Richtige zu tun? Könnten wir es? (Klappentext)

    Der Großvater des fünfzehnjährigen Nico liegt im Sterben, was für den Jungen kaum erträglich ist. Doch der alte Mann hat noch ein Anliegen, das ihm immens wichtig ist. Er möchte seinen Enkel in ein Geheimnis einweihen, das er viele Jahre still mit sich herumgetragen hat - ein Geheimnis, das er in vielen Nächten auf seiner alten Schreibmaschine oben in der kleinen Mansarde im familieneigenen Palazzo niedergeschrieben hat. Bei jedem seiner täglichen Besuche im Krankenhaus erhält Nico nun einen großen Umschlag mit vielen Seiten des Manuskripts, eine fortlaufende Geschichte, die Nico gleichzeitig fasziniert und ängstigt.

    Nico erfährt vom Leben seines Großvaters Paolo, als der kaum älter war als er selbst heute. Die Erzählung beginnt im Herbst 1943, als Venedig von den Deutschen besetzt war und selbst auf der abgeschiedenen Insel das Überleben der Juden nicht mehr gewährleistet werden konnte, die zumeist im schon seit dem 16. Jahrhundert existierenden Ghetto lebten. Paolo hatte selbst gerade seine Eltern verloren und stand nun ganz allein vor der Aufgabe, das Familienunternehmen weiterzuführen, eine altehrwürdige Seidenweberei, die bekannt war für die Qualität ihrer Stoffe. Zur Seite stand ihm nur Chiara, eine langjährige Angestellte der Weberei.

    Ohne sein Zutun geriet Paolo dann in eine prekäre Situation. Er wurde vom Pfarrer gebeten, zwei jüdische Partisanen in seinem versteckt liegenden Haus im Giardinio degli Angeli Unterschlupf zu gewähren. Nach kurzem Zögern stimmte er zu, und von da aus nahm das Geschehen seinen unweigerlichen Lauf.

    "Sie klopften so laut und energisch ans Holz, dass er zusammenzuckte. Mit pochendem Herzen stand er auf. Kaum hatte er die Tür einen Spaltbreit geöffnet, knallte sie ihm ins Gesicht. Auf der anderen Seite fluchte jemand und plötzlich wurde er rücklings zu Boden geschleudert. Zwei Gestalten, Regen, kalter Wind. Bevor die Tür wieder zuschlug, sah er draußen noch etwas. Ein Suchscheinwerfer schwenkte durch die stürmische Nacht, nach links und nach rechts, auf der Jagd. Etwas Scharfes, Kaltes presste sich an seinen Hals. Eine Messerspitze..."

    Eine düstere, bedrückende und atmosphärisch sehr dichte, zudem auch klug konzipierte Geschichte habe ich hier gelesen. Ich muss allerdings gestehen, dass mir der Einstieg nicht ganz leicht fiel. Gerade zu Beginn gibt es eine regelrechte Informationsflut, um die Gegebenheiten in der Gegenwart wie in der Vergangenheit vorzustellen. Wenn man sich darauf einlässt, ergibt das ein intensives Bild, manchmal musste ich aber auch wiederholt lesen, um alle Details zu erfassen. In jedem Fall wird deutlich, dass der Autor eine akribische Recherche betrieben hat, denn die Schilderungen wirken unbedingt authentisch.

    Nach etwa einem Viertel war ich dann aber in der Geschichte angekommen und wollte wie Nico wissen, was sein Großvater ihm so Dringendes mitteilen wollte. Der in der Gegenwart angesiedelte Handlungsstrang um Nico (erzählt aus der Ich-Perspektive) dient zunächst als Rahmenhandlung, bevor er gegen Ende zur Haupthandlung wird. Der Handlungsstrang, der das Geschehen während des Krieges beleuchtet, wird aus der personalen Perspektive (er) geschildert, wechselt aber gelegentlich auch zur auktorialen Sichtweise und schildert Gegebenheiten, die Paolo nicht wissen kann. Das irritierte mich zunächst, da es ja Paolo war, der die Zeilen niederschrieb, letztlich nahm ich das dann aber als schriftstellerische Freiheit hin.

    "Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, durch zwei verschiedene Städte zu gehen. Das Venedig, in dem ich aufgewachsen war, und diese andere, dunklere, von Gewalt geprägte Stadt, die nonno Paolo gekannt hatte, als er kaum älter war als ich." (S. 278)

    Sehr gut gefallen hat mir an dem Roman, dass der Fokus nicht ausschließlich auf Paolo gerichtet ist, sondern auch andere Charaktere beleuchtet. Da gibt es die beiden Widerstandskämpfer, einen jüdischen Arzt, einen Pfarrer, einen venezianischen Polizisten, der für die Deutschen arbeitet, die stillen Helfer in der Bevölkerung. Und es gibt hier kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern viele Grautöne, die beim Lesen durchaus für Unbehagen sorgten. Es ist leicht, sich in Friedenszeiten auf dem Sofa lümmelnd für Falsch und Richtig zu entscheiden, aber David Hewson ist es gelungen fühlbar zu machen, wie schwierig es ist, seinen moralischen Kompass in Zeiten von Denunziation, Repressalien, Folter und Lebensgefahr für sich und seine Lieben aufrecht zu erhalten. Immer wieder auch die Frage: wie würde man selbst sich in solch einer Lage positionieren und verhalten? Nicht nur Paolos Enkel kam da ins Nachdenken...

    Einige Worte möchte ich noch zur Gestaltung des Romans verlieren. Hilfreich fand ich zur Orientierung die Luftaufnahme Venedigs samt Beschreibungen vorne und hinten im Buch, die der Autor auf seiner Webseite sogar interaktiv hinterlegt hat.

    Weniger gelungen fand ich dagegen das winzige Schriftbild und das fast völlige Fehlen von Absätzen, was mir bei meinen schlechten Augen ein doch sehr anstrengendes Leseerlebnis bescherte. So hatte ich immer schon nach wenigen Seiten das Gefühl, zig Seiten gelesen zu haben und ermüdete, was mich nicht so recht voran kommen ließ. Bei einem gewohnten Schriftbild wäre das wohl ein >600 Seiten Buch geworden. Das muss nicht jeden stören, aber für mich war es eindeutig ein Handicap.

    Trotzdem gibt es von mir hier eine klare Leseempfehlung. Selten habe ich einen Roman gelesen, der so überzeugend darlegt, dass es im Krieg keine Gewinner gibt, und der aufzeigt, dass all das auch mit uns zu tun hat, selbst in Friedenszeiten...

    © Parden

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