FRAUEN LITERATUR

Buchseite und Rezensionen zu 'FRAUEN LITERATUR' von Nicole Seifert
5
5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "FRAUEN LITERATUR"

Sollte das Geschlecht des Schreibenden eine Rolle spielen bei der Lektüreauswahl? Natürlich nicht, würden wohl die meisten sagen. Und doch werden literarische Werke von Frauen seltener verlegt, besprochen und mit Preisen versehen. Das muss ein Ende haben. Nicole Seifert liefert das Buch zur Debatte – klug, fundiert und inspirierend. Banal, kitschig, trivial – drei Adjektive, mit denen das literarische Schaffen von Frauen seit Jahrhunderten abgewertet wird. Während Autoren tausende von Seiten mit Alltagsbeschreibungen füllen und dafür gefeiert werden, wird Schriftstellerinnen, die Ähnliches unternehmen, Befindlichkeitsprosa vorgeworfen. Nicole Seifert ist angetreten, die frauenfeindlichen Strukturen im Literaturbetrieb aufzuzeigen. Denn von vielen von Frauen verfassten Büchern hören wir erst gar nicht, weil Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen und noch davor Buchverlage eine entsprechende Vorauswahl treffen. Vom Deutschunterricht bis zum Germanistikstudium ist der Autorinnenanteil noch immer verschwindend gering, und so lernen wir von Anfang an: Was literarisch wertvoll ist, stammt von Männern. Nachdem Nicole Seifert drei Jahre lang ausschließlich Literatur von Frauen – Klassiker wie Zeitgenössisches, Bekanntes wie Unbekannteres – gelesen hat, ist klar: Die vielbeschworene »Qualität« ist nicht das Problem. Im Gegenteil: Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag:
EAN:9783462002362

Rezensionen zu "FRAUEN LITERATUR"

  1. 5
    21. Jan 2022 

    Klare Leseempfehlung für ALLE Literaturliebhaber*innen

    Zugegeben: Nicole Seifert hatte mich schon auf der ersten Seite dieses Buches für sich und ihr Anliegen eingenommen. Und mit der ersten Seite meine ich den Abschnitt zum Sprachgebrauch im vorliegenden Buch, welcher dem eigentlichen Text vorangestellt ist. Denn schon hier fängt das an, was im weiteren Verlauf des Buches Programm ist: Seifert macht klar, wann und warum sie "Autor*innen" oder "Schwarze..." oder "weiße..." [kursiv] als Formulierung nutzt. Denn hauptsächlich sexistische aber auch rassistische Strukturen unserer Literaturgeschichte sowie die weiterhin ausgeprägte Misogynie werden hier ausführlich besprochen.

    Trotz widriger Umstände gab es schon immer Frauen, die anspruchsvolle Literatur geschaffen haben. Ihre Fähigkeit zum literarischen Schreiben wurde und wird ihnen nicht nur aberkannt, sondern durch festgefahrene männliche Strukturen im Literaturbetrieb aktiv verdrängt und aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht. So klar und hart muss man das sagen. Und nach der Lektüre dieses hervorragenden Sachbuchs ist es selbst den nicht mit einem literaturwissenschaftlichen Studium gesegneten Leser*innen deutlich wie nie zuvor. Etwas, was vor der Lektüre nur als vage Ahnung bestand, wird für uns leicht nachvollziehbar aufbereitet und verändert den Blick auf den Literaturbetrieb grundlegend.

    Seifert leitet anhand konkreter historischer Beispiele die strukturelle Herabwürdigung literarischer Werke von Autorinnen eindringlich her. So vergleicht sie zum Beispiel Theodor Fontanes "Effi Briest" (1896), welches in den deutschen Literaturkanon aufgenommen wurde und bis heute in der Schule gelesen wird, mit den fast vergessenen Roman "Aus guter Familie" (1895) von Gabriele Reuter. Beide behandeln ähnliche Themen, sind fast zeitgleich erschienen, waren zur damaligen Zeit erfolgreich. Aber der Roman der Autorin wurde verdrängt (aktiv! nicht nur passiv "vergessen"). Dort, aber auch über die gesamte Literaturgeschichte hinweg zeigt sich, dass - beginnend bei der Annahme von Manuskripten durch Verlage, über die Vermarktung, hin zur Rezension von Kritikern und Präsentation im Buchhandel - eine frappierende Ungleichbehandlung zwischen dem Werk von Autorinnen und und dem von Autoren besteht. So gleicht die Lektüre von "FRAUEN LITERATUR" fast einem Erweckungserlebnis. Natürlich ist in den letzten Jahren etwas Bewegung in den Literaturbetrieb gekommen, keine Frage. Aber dies ist noch lange nicht genug. Denn wenn man den Satz "Männer haben immer noch Mühe, Frauen ausreden zu lassen, sie anzuhören und als die Expertinnen, die sie sind, ernst zu nehmen...", liest, unterstreicht er das vor kurzem Gesehene bei der beliebten Sendung "SWR Lesenswert Quartett" am 16.12.2021. Hier argumentierte - wie immer fundiert - Literaturkritikerin Insa Wilke in einer Runde von ansonsten ausschließlich Männern... und blieb verhältnismäßig ruhig, obwohl ihr überproportional häufig ins Wort gefallen oder schulmeisterhaft die Welt erklärt wurde.

    Unser Augenmerk sollte zukünftig als Leser*innen nicht nur darauf liegen, WAS wir lesen, sondern auch VON WEM wir lesen. Wir sollten durch Kaufentscheidungen den Verlagen das Signal senden, dass wir uns eine Kultur und Gesellschaft ohne misogyne Strukturen wünschen. Denn wie die Autorin unterstreicht: "[…] durch Abwarten kam man Ungleichbehandlung in der Vergangenheit noch nie bei [...]".

    Dieser aufrüttelnde Text über die strukturell nachweisbare, geschlechterbezogene Voreingenommenheit im Literaturbetrieb stellt meines Erachtens ein wichtiges Werk zum gesamten Themenkomplex dar und wird von mir uneingeschränkt zur Lektüre empfohlen. Männern wie auch Frauen und allen nicht-binären Personen, ob Schwarz oder weiß [kursiv]. Unbedingt lesen und eigenes (Lese-)Verhalten ändern! Zum Beispiel anhand der in diesem Buch zuhauf befindlichen Lektüreanregungen.

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  1. Bücher von Frauen gehören gelesen und wiederentdeckt

    Nicole Seifert ist promovierte Literaturwissenschaftlerin sowie gelernte Verlagsbuchhändlerin, sie liest seit früher Jugend und führt bis heute Listen darüber. Jahrelang war sie als Lektorin tätig, bevor sie sich als freie Schriftstellerin und Übersetzerin selbständig machte. Sie kennt also den Literaturbetrieb. Im vorliegenden Sachbuch sucht sie Antworten auf die Fragen, warum es zur historisch gewachsenen Benachteiligung schreibender Frauen gekommen ist, warum deren Werk oft dem Vergessen anheim fällt und warum es Autorinnen auch in der Gegenwart noch immer schwer haben, mit ihrem Werk sichtbar zu werden.

    Zu diesem Zweck hat Seifert empirische Daten gesammelt, unzählige Quellen gelesen, Verlagsprogramme auf Paritäten geprüft, Feuilletons ausgewertet und Interviews geführt. Das Ergebnis ihrer Analysen legt sie leicht zugänglich und übersichtlich dar. Ein umfangreiches Quellenverzeichnis lädt darüber hinaus zur Vertiefung der Thematik ein. Die Leseliste der im Buch erwähnten Titel macht Lust, Werke von starken Autorinnen (wieder) zu entdecken.   

    Warum sind heute so wenige Werke von Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts zugänglich? Warum bekamen sie nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen? Wie kommt es dazu, dass sie weit seltener in Literaturkanons, einschlägigen Listen oder akademischen Handbüchern auftauchen? Warum werden in den Schulen bis in die Gegenwart hinein überwiegend Lektüren von Autoren gelesen? Warum haftet dem weiblichen Schreiben noch immer das Vorurteil von Trivialität und Banalität an? Geht es im aktuellen Literaturbetrieb wirklich nur um objektive Qualität bei der Auswahl?

    All diesen Fragen wird auf den Grund gegangen. Je höher der literarische Anspruch, desto schwerer ist es auch heute noch für Autorinnen, einen Verlag für ihre Manuskripte zu finden. Nach der Veröffentlichung werden die Bücher von Frauen nachweislich seltener in den Medien besprochen, bekommen weniger Aufmerksamkeit und sind auch bei der Vergabe von Buchpreisen unterrepräsentiert. Das Ganze belegt Seifert mit konkreten Beispielen und Zahlen. Die Gründe sind mannigfaltig, man ist schockiert darüber zu lesen, wie diskriminierend und unsachlich sich namhafte männliche Kritiker öffentlich über Autorinnen äußern oder außerliterarische Kritikpunkte bei deren Bewertung ins Feld führen.

    Die Leserschaft bekommt veranschaulicht, wie sich die von Frauen hervorgebrachte Literatur im Zeitablauf entwickelte. Bedeutende Werke werden benannt und die kurzen Zusammenfassungen machen Lust, sie kennenzulernen. Der Literaturbetrieb ist auch heute leider noch männlich dominiert. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass es sich immer mehr Verlage zur Aufgabe machen, ausschließlich Literatur von Autorinnen zu verlegen oder deren ältere Werke neu aufzulegen, um sie damit dem Vergessen zu entreißen. Aufgrund der aktuell geführten gesellschaftlichen Diskussion tut sich in Sachen Gendergerechtigkeit auch im Verlagswesen viel: Die Vorschauen des Frühjahrs 2021 sind so weiblich wie noch nie, auch die Diversität nimmt erfreulicherweise zu. Es bleibt zu hoffen, dass dieser gute Weg weiter fortgesetzt wird. Seifert appelliert an alle Lesenden, den Büchern von Autorinnen generell Vorrang einzuräumen, um der latent vorhandenen Misogynie in unserer Kultur entgegenzuwirken.

    Das vorliegende Buch liest sich auch für den Laien leicht verständlich. Es ist schlüssig gegliedert und räumt gründlich mit weit verbreiteten Vorurteilen über weibliches Schreiben auf. Die zahlreichen Daten und Beispiele belegen das Geschriebene. Ich habe das Buch mindestens so fesselnd empfunden wie einen guten Roman, es hat mir viele neue Einsichten beschert und regt zum Umdenken an, was die eigene Lektüreauswahl betrifft.

    „(Frauen) Literatur – Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen, der den Themen Gendergerechtigkeit und Diversität offenbar einen festen Platz einräumt. Mit Freude habe ich im Verlagsprogramm entdeckt, dass auch zahlreiche Werke Vicki Baums neu aufgelegt werden. Ein vielversprechender Anfang, dem hoffentlich Erfolg beschieden sein wird.

    Ich bin an sich keine Leserin von Sachbüchern, aber dieses kurzweilige und dennoch gewichtige Buch möchte ich jedem und jeder Literaturliebhaber/in ans Herz legen!                                                         

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  1. Informativ, wichtig, lesenswert

    „Mehr Literatur von Frauen zu lesen, von Schwarzen Menschen, von People of Color, von queeren und anderen marginalisierten Menschen wird an sich nichts an den beschriebenen strukturellen Missständen ändern. Aber es ist eine sehr gute Möglichkeit, das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Schieflagen zu entwickeln oder zu schärfen.“ (Zitat Seite 57)

    Thema und Inhalt
    In diesem Sachbuch zwischen Literaturwissenschaft, den Büchern in den Regalen der Buchhandlungen und den Rezensionen in den Medien geht es um das Thema Frauen und Literatur, nicht zu verwechseln mit dem immer wieder anzutreffenden Genre „Frauenliteratur“, ein Begriff, der unnötig ist und endlich gestrichen werden sollte.

    Umsetzung
    In sieben Kapiteln, jedes mit einer unterschiedlichen Problematik, wird das sehr komplexe Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet, untersucht, dokumentiert. Es sind die Fragen, die sich die Autorin nach der Präsenz der von Frauen geschriebenen Literatur in allen Bereichen, die mit Büchern und Lesen zu tun haben, stellt. Das achte Kapitel stellt die Frage, wie es nun weitergeht und schließt mit einem Fazit. Ein Quellenverzeichnis und eine Leseliste, in der alle erwähnten Werke aufgelistet sind, ergänzen dieses interessante, klar formulierte und sehr gut zu lesende Buch. Ein Jahr lang wollte die Autorin ausschließlich Literatur von Frauen lesen, es wurden dann drei Jahre. Ihre persönlichen Erfahrungen daraus: „Wir verpassen das Beste, wenn wir in unseren Bücherregalen nicht endlich eine Frauenquote einführen.“

    Fazit
    Dieses Buch regt zum Nachdenken an, inspiriert und wird sicher auch die jeweilige persönliche Wunsch-Leseliste erweitern. „Dass immer wieder dieselben Titel genannt und dadurch in ihrer Bedeutung übersteigert werden, ist eine traurige Einengung der Auseinandersetzung mit Literatur. Es ist Zeit, dass Bewegung in die Sache kommt.“ (Zitat Seite 52). Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

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