Fahrtwind: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Fahrtwind: Roman' von Klaus Modick
3.7
3.7 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Fahrtwind: Roman"

In seinem neuen Roman erzählt Klaus Modick von einer Zeit der Umbrüche, von einem jungen Mann, der sich weigert, nützlich zu sein, und seinem abenteuerlichen Roadtrip ins Offene und Ungewisse. Die Bundesrepublik in den turbulenten Siebzigern. Während an den Universitäten die Revolution geprobt und bundesweit nach den Mitgliedern der RAF gefahndet wird, sitzt ein junger Mann vor dem muffig-engen Elternhaus und trifft eine Entscheidung. Er packt ein paar Sachen, greift seine Gitarre und geht. Wenig später steht er an der Straße und reckt den Daumen in den Wind. Ohne Geld und Plan schlägt sich der selbsternannte Nichtsnutz über Wien und die Toskana nach Süden durch, trifft auf schräge Vögel, hoffnungslose Romantiker, zwielichtige Rocker, Hippies und die große Liebe, spielt als Troubadour im Batikshirt groß auf, entdeckt die magische Welt der Pilze, das unvergleichliche Licht Italiens und die unermessliche Freiheit der Straße. Unfreiwillig wird er dabei zum Protagonisten eines raffiniert eingefädelten Verwirrspiels, das die Grenze zwischen Tag und Traum auf märchenhafte Weise verschwimmen lässt ...

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
EAN:9783462001303

Rezensionen zu "Fahrtwind: Roman"

  1. Der moderne(re) Taugenichts

    Der namenslose Protagonist des kurzen Romans möchte nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten und zum langweiligen "& Sohn" in dessen Unternehmen werden, und so macht er sich entgegen aller Hoffnungen seiner Eltern auf den Weg in die weite Welt. Mit dabei sind nur seine Gitarre und eine gehörige Portion Planlosigkeit und Sorglosigkeit, denn wohin es gehen soll, bleibt erstmal offen - Hauptsache weg, in die Ferne. Schon bald wird er von zwei netten, vornehmen Damen mitgenommen und findet Arbeit in deren Schlosshotel, doch hier soll seine Reise noch nicht enden - im Laufe des Romans verschlägt es ihn bis nach Italien. Die Umstände, die dazu führen, sind ihm selbst lange schleierhaft, will er doch eigentlich nur die Liebe der jüngeren der beiden Damen gewinnen...

    Wer sich nun an Eichendorffs "Taugenichts" erinnert fühlt, liegt vollkommen richtig - denn "Fahrtwind" ist sozusagen die modernisierte Version der Novelle aus der Spätromantik. Statt Violine spielt der Protagonist Gitarre, er soll nicht gärtnern, sondern Teil eines Unterhaltungsprogramms für rüstige Rentner werden, statt zu Pferd und mit der Postkutsche ist man mit dem Motorrad unterwegs, und statt über die Waldwege des frühen 19. Jahrhunderts macht sich der Protagonist auf den Straßen der 1970er Jahre auf den Weg.

    Der Schreibstil ist dabei locker und entspannt und entspricht so ganz dem Gemüt des Protagonisten. Die Handlung hält sich, wenn auch in einer aktuelleren Version, bis auf kleinere Abweichungen sehr eng an die Vorlage. Daher enthält das Ganze teilweise sehr skurrile bis unglaubwürdige Elemente, die man an einem "normalen" Roman wohl kritisieren würde. Hier finde ich es aber vollkommen in Ordnung, weil es der Vorlage so nahe kommt. Dementsprechend kann ich auch die Naivität und Trägheit des Protagonisten akzeptieren. Das sowie der vorangegangene Punkt hätte mich an einem anderen Buch vermutlich gestört, und ich kann mir auch vorstellen, dass dies Leser abschreckt, die den "Taugenichts" nicht gelesen haben. Kennt man ihn aber, macht es teilweise sehr viel Spaß, die diversen Parallelen zu entdecken.

    Trotz einiger Schwächen und Längen (die ich so aber tatsächlich an genau denselben Stellen auch im Original verspürt habe), hat mich Modicks Roman gut unterhalten. Wer den "Taugenichts" mag, hat sicher Spaß mit dieser moderneren Variante.

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  1. Auf den Spuren eines (halb)modernen Taugenichts

    Klaus Modick, der in Kürze seinen 70. Geburtstag feiert, hat sich von Joseph von Eichendorff und dessen Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ inspirieren lassen. Genau genommen kam ihm die Idee bereits während seines Studiums in Hamburg: „Ich bin begeistert von dem namenlosen, abenteuerlustigen, schlagfertigen Bruder Leichtfuß, der gegen stumpfsinnige Arbeit und Nützlichkeitsethos opponiert, sich selbst nicht allzu wichtig nimmt und respektlos-ironische Blicke auf das Leben, die Leute und die Liebe wirft.“ (S. 9)

    So entwirft Modick genau in diesem Stil einen neuen Taugenichts, den er als pflichtvergessenen Ich-Erzähler in die eigene Jugend der 1970er Jahre katapuliert, wo sich jener den Wünschen seiner Eltern widersetzt, in die vorbestimmten väterlichen Fußstapfen zu treten. Spontan und ohne Vorbereitung verlässt er das spießig-enge Elternhaus, um in sonnigere Gefilde aufzubrechen. Er will einfach nicht mehr nützlich sein und dem väterlichen Ruf nach Pflichterfüllung entfliehen. Die Reise darf nichts kosten, also wird der Daumen ausgestreckt. Zwei Damen gabeln ihn auf und nehmen ihn zunächst mit in ein Luxushotel nahe Wien, wo er zur Unterhaltung der Gäste beitragen soll. Die Gitarre ist stets seine Eintrittskarte und ebnet ihm den Weg von einem süffisanten Abenteuer ins nächste. Neben einem umfangreichen Repertoire populärer, zeitgenössischer Lieder (Verzeichnis befindet sich am Ende des Romans), komponiert der Musikus auch neue Songs mit eigenen gefühlsbetonten, freiheitsliebenden sowie poetischen Texten (die an v. Eichendorff angelehnt sein dürften).

    Natürlich verliebt sich der in der Blüte seines Lebens stehende Taugenichts schnell und heftig. Modick findet humorvolle Beschreibungen für diesen Zustand: „Unter der altersschwach tröpfelnden Dusche schwoll meine Vorfreude prächtig an, schrumpfte jedoch auf Normalmaß zusammen, als sich die bienenfleißig Bee Gees Summende nicht als die Ersehnte entpuppte, sondern als das Zimmermädchen.“ (S. 50) Der Ich-Erzähler pflegt stets einen distanziert-ironischen Blick auf sich und seine Umwelt.

    So zügig wird der junge Mann aber noch keine Erfüllung in Liebesdingen finden. Es verschlägt ihn stattdessen wieder auf die Straße und in die Freiheit. Die ewige Stadt Rom wird seine nächste Station sein, danach wird er hochzufrieden in das wunderschöne italienische Landhaus, die „Villa Maria Ioana“, verschlagen: „Bei freier Kost und Logis fürs Nichtstun bezahlt zu werden, entsprach ziemlich meiner Idealvorstellung eines erfüllten Lebens.“ (S. 112)

    Der Taugenichts reist als Glücksritter. Er findet immer die richtigen Leute, die ihn nicht nur mitnehmen, sondern auch weiterbringen. Sie alle sind komplett sympathische, etwas schräge Charaktere. Es wird viel getrunken, gehascht und gut gegessen. Die Stimmung der 1970er Jahre mit Love and Peace and Rock ´n Roll wird wunderbar eingefangen, politische Schlagworte werden nur gestreift. „Fahrtwind“ ist ein Sommerbuch, etwas für die leichte Muse, etwas zur Entspannung. Man darf es nicht zu ernst nehmen, die glücklichen Wendungen nicht hinterfragen. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass sich der Autor mit diesem Roman einen Spaß erlaubt hat, indem er mit Joseph von Eichendorff zurück in die eigene Jugend reiste und ein „Was wäre wenn…“ entwarf. Wenn das ein Schriftsteller wie Klaus Modick macht, gelingt es auch. Mich hat der relativ kurze Roman amüsiert. Der locker-leichte, etwas altmodisch anmutende Schreibstil hat mir sehr gefallen. Modick verfügt über Witz und Esprit, man fliegt durch die Seiten. Die eingestreuten Verse und Reime, in denen der Protagonist seine Lebensgefühle wunderbar erfrischend zum Ausdruck bringt, habe ich als unterhaltsame Zugabe empfunden. Erwähnen muss man auch die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die Lust auf Urlaub machen.

    Am Ende schließt sich der Kreis dieser fantastischen Reise. Natürlich findet der Taugenichts seine Angebetete, auch hier lassen v. Eichendorff und die Romantik grüßen. Die Irrungen und Wirrungen auf dem Weg dorthin sind aber auf alle Fälle ein kurzweiliges Lesevergnügen.

    Mir hat dieser luftige Roman Lust gemacht, weitere Werke des Autors kennenzulernen.

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  1. Müllers Sohn ein Taugenicht

    Deutschland in den 1970ern: Aufbruch, Umbruch, Flower Power, RAF sind die Schlagworte dieser Zeit. Da ist ein junger Mann, der in diese Phase seines Lebens nicht viel anzufangen weiß, außer dass er keine Lust hat in die beruflichen Fußstapfen des Vaters zu treten. Der Vater - Nachname Müller, Klempner von Beruf - hat drei Lieblingsvokabeln: Leistung, Nutzen und Pflicht. Doch der Müllersohn nimmt lieber seine Gitarre, um damit in die Welt zu ziehen.

    „Wo willst du denn hin? fragte mein Vater.
    Weg, sagte ich.-Was soll das heißen --- weg?
    Weg von hier.
    Meine Mutter guckte ganz entgeistert. Aber willst du denn vorher nicht noch etwas essen?“

    Weg von dem bürgerlichen Mief. Es gab Blumenkohl, der reimt sich später schön auf Rock‘nRoll

    Also Aufbruch: Fahrtwind von Klaus Modick ist aber nicht irgendein Road Trip oder Entwicklungsroman, sondern eine Imitation des Eichendorffschen „Taugenichts“: wunderschöne Frauen, ein Schloss(hotel) nahe Wiens, ein bisschen Italien, verschlungene Wege, dubiose Weggefährten.
    Ist das witzig? Teilweise schon. Manchmal sind die Erlebnisse allerdings so abstrus, dass man sich - so wie der Protagonist sich selber - fragen musste, wo das denn noch hinginge.

    „Inzwischen verstand ich gar nichts mehr. Das Märchen, in dem ich schon so lange herumstolperte, wurde immer verworrener.“

    Einleitend erzählt der Autor, dass er beim Sortieren seiner Bibliothek auf ein altes Reclam Heftchen des Taugenichts gestoßen war, voll mit Anstreichungen, hingekrixelten Bemerkungen und Tabakkrümeln zwischen den Seiten. Das hat ihn erinnert. Das hat mir gefallen. Entstanden ist daraus die Romantisierung einer Epoche, die nun auch schon gute fünfzig Jahre zurückliegt. Der jugendliche Sänger, der sich mit Liedchen und Reimchen als Troubadour geriert kommt zu der Erkenntnis:

    „Indem ich heute davon erzähle, schäme ich mich fast für die Wörter, die fadenscheinig und banal klingen.“

    Da helfen auch die eingestreuten Eichendorff Originals nicht über das seichte Larifari eines alten Mannes hinweg, der gerne wieder jung sein würde (ich erwähne nur die schwellende Vorfreude unter der altersschwach tröpfelnden Dusche).

    Zum Schluss gibt es eine Playlist, die mochte ich gerne.

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  1. Zu Beginn dieser Rezension

    Zu Beginn dieser Rezension zwei Geständnisse: 1. Obwohl ich Klaus Modick zu meinen Lieblingsautoren zähle, bin ich eher zufällig auf diese Neuerscheinung gestoßen, die ich natürlich sofort gekauft habe. 2. Aus dem gleichen Grund bin ich (positiv) voreingenommen, denn bisher hat mir mit Ausnahme von "Die Schrift vom Speicher" noch alles gefallen, was ich von dem Autoren gelesen habe.

    So ist es auch mit "Fahrtwind". Aus der Distanz des Alters beschreibt der Erzähler eine Situation aus der Jugendzeit, womit neudeutsch ausgedrückt eine Art Roadmovie beginnt. Ein junger Mann aus Norddeutschland lehnt es ab, auf den von seinen Eltern vorbereiteten Lebensweg einzusteigen, stattdessen tut er genau das Gegenteil und steigt aus, indem er mit seiner Gitarre loszieht und in ein unbestimmtes Ziel im Süden trampt. Dabei begegnet er zwei Frauen, die ihn bis nach Wien mitnehmen, die ältere der beiden bietet ihm gar einen Job nach seinem Gusto ab, er soll die Gäste ihres Hotels mit seinen Liedern unterhalten. Da er sich spontan in die jüngere der beiden verliebt hat, bleibt er also zunächst und lebt gut und günstig vor sich hin, bis seine Hoffnung auf ein Zusammenkommen mit der Geliebten jäh durch das Auftauchen eines offensichtlich mit ir verbundenen Mannes zerschlagen wird und er selbst zum Opfer unliebsamer Avancen der Älteren wird. Also flieht er aus Wien, lernt weitere interessante Menschen kennen, bis ihm irgendwo in the middle of nowhere in Österreich zwei Motoradfahrer aufgabeln und mit nach Italien nehmen. Dort gerät er in eine ominöse Geschichte, bei der er nicht weiß, welche Rolle er spielt, doch er lässt sich darauf ein, denn am Ende findet sich alles "und es war alles, alles gut".

    Nicht nur das letzte Zitat verweist auf Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" was auch nicht besonders schwer zu erkennen ist, weist doch der Erzähler selbst im Eingangskapitel auf die Geburt der Idee, diese Geschichte zu schreiben hin, wobei eben dieser Klassiker eine gewichtige Rolle spielt (was bei mir dazu führt, in Bälde die Vorlage mal wieder zu lesen). Insofern stellt "Fahrtwind" eine moderne Adaption der romantischen Novelle dar, die Anspielungen sind vielfältig, mal offen, mal subtil. Dazu gelingt es Modick aber auch, den Zeitgeist der Siebziger gekonnt einzufangen, sei es mit den zitierten Songs, sei es mit der Beschreibung des legendären VW-Bulli der ersten Generation. Eigentlich hat das Buch nur einen gravierenden "Nachteil", es ist viel zu schnell gelesen.

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  1. Eichendorff-Nostalgie

    Was soll diese Eichendorff-Taugenichts-Nostalgie? Als ob wir nicht genug brisante Themen in unserem Jahrhundert hätten!

    Im eloquenten Vorwort bekundet Klaus Modick, wie sehr er in Studentenzeiten von Joseph Eichendorff (1788-1847) und insbesondere von dessen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ bezaubert war. Einfach Nichtstun, keinen Erwartungen genügen. Ein Träumchen. Diesen Hippieroman kriegt Herr Modick auch auf die Reihe!

    Gesagt, gedacht, geschrieben: Der moderne Taugenichts steht dem Alten in Nichts nach. Freilich ist sein Jargon lockerer, moderner. Aber um den jungen Herrn Müller, der nach dem Abi seinen Rucksack und seine Klampfe greift und sich auf den Weg in den Süden macht, rankt der Wein genau so wie beim eichendorffschen Taugenichts, das Feld steht goldgelb, die Brünnlein fließen, die Wälder rauschen, das Wirtshaus lockt und da ist immer der Weg. Und das Weib. Alles genau wie beim Original. Logisch. Songs. Und Gedichte. (igitt). Dabei mag ich Gedichte. Aber nicht solche.

    Der Kommentar:

    Auch wenn die (leider) flauen Abenteuer des Protagonisten weder einen Hund noch mich hinter einem Ofen hervorlocken können, ist die Imitation von Eichendorffs Taugenichts fast in Vollendung gelungen. Das viele Grün über Seiten hinweg genüßlich ranken zu lassen, muss man erst mal können.

    Freilich ertappe ich mich bei dem Wunsch, es möge ENDLICH etwas Unerwartetes geschehen. Ein Raubüberfall, eine Krankheit, eine Naturkatastrophe, Tsunami, Vulkanausbruch, Autounfall, Koma, whatsoever, etwas, was den jungen Taugenichts aus dem Märchen reißt und in die Realität holt. Wahrscheinlich in die Realität der Leistungsgesellschaft. Denn dem Taugenichts fällt alles in den Schoß. Obwohl er auf alles pfeift oder sogar gerade, weil er auf alles pfeift. Diese Einstellung wiederum kann man sich allerhöchstens in zartester Jugend leisten.

    Wie fällt der Faktor ins Gewicht, dass schon der alte Taugenichts an Langeweile kaum zu überbieten war? Dem man seiner spätromantischen Geburt wegen allerdings gnädiger gesonnen war. Damals war der Hippiegedanke auch noch neu.

    Der neue Taugenichts jedoch hat mich in einen naturverbundenen Schlaf gelesen.

    Zitat:

    „Zwischen alten, hohen Bäumen gab es Aussichten auf bewaldete Bergkämme, die sich in blauer Ferne verloren. Direkt unterhalb des Sitzplatzes erstreckte sich ein Garten, der über bröckelnde Terrassen bergab verlief und einen verwilderten Eindruck machte. Buchsbaumbüsche, die früher wohl zu floralen Skulpturen geschnitten worden waren, streckten wie Figuren einer Geisterbahn lange Nasen, struppig hochschießende Haare und verkrüppelte Leiber von sich, so dass man bekifft in der Dämmerung das Gruseln hätte lernen können. In dieser freundlichen Schwermut aus wilden Blüten, Hummelsummen, ungemähten Gras und Lorbeerduft huschten Eidechsen hin und her. Mitten durch den Garten plätscherte ein Bach, schäumte über verwitterte Schalen und Füllhörner geborstener Tritonen talwärts und bildete weiter unten einen kleinen See, der türkis im Morgenlicht lockte.“

    Weil man heute nicht mehr so schreibt. Schwärmerische Naturbeschreibungen habe ich das letzte Mal bei Stifter und bei den uralten Russen gelesen und bei Jean-Paul. Und schon damals schliefen mir die Füße dabei ein. Als Hörbuch hätte ich mir „Fahrtwind“ besser munden lassen. Weil mich da lange und nichtssagende Passagen mit Wohlklang beruhigen. Denn Wohlklang, das muss man auch hier Herrn Modick attestieren, bekommt man.

    Man spürt den Spaß am Schreiben, dem Nachhorchen vergangener Dichter. Aber. Aber. Tempi passati. Und auch der Lobgesang auf den Hippie ist tot, hippieover.

    Fazit: Erstaunlich, wohin nostalgische Erinnerungen einen Autoren treiben können. Die ellenlangen opulenten und schwärmerischen Naturbeschreibungen aus einer anderen literarischen Epoche stammend sowie eine recht seicht vor sich hin dümpelnde Handlung wird jedoch wenig Freunde finden, me thinks.

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2021

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  1. Taugenichts reloaded

    „Ich sah die Villa in ihrer selbstbewussten Schlichtheit, den lässig halb verwilderten Garten, den türkisfarbenen Spiegel des Sees, und kam mir vor wie ein alter Römer, der, einen breiten Strohhut auf dem Kopf, das süße Leben auf seinem Landgut genoss und fünf gerade sein ließ – procul negotiis.“ (Zitat Pos. 1265)

    Inhalt
    Vor etwa fünfzig Jahren hatte der Autor anlässlich einer Vorlesung über Eichendorffs Taugenichts die Idee, wie es wohl wäre, diesen ungebundenen, abenteuerlustigen und manchmal verträumten Freigeist in den turbulenten 1970er Jahren nach Süden ziehen zu lassen. Statt der Geige nimmt sein Protagonist die Gitarre mit und auf den Spuren des Taugenichts schreibt er eigene Texte und Songs. Sein Weg führt ihn in ein nobles Hotel in der Nähe von Wien, dann weiter auf ein Landgut in der Toskana, die Villa Maria Ioana, umgeben von einem auf romantische Art etwas verwilderten Garten, Olivenhainen und einem verschwiegenen Beet mit sattgrün wuchernden Pflanzen. Weiter geht die Reise nach Rom und über den Gardasee zurück nach Wien. Mit den beiden Künstlern Wyatt und Billy, eigentlich Leo und Guido, kommt das perfekte Easy Rider Feeling in sein Leben und auch einige Abenteuer und überraschende Wendungen.

    Thema und Genre
    Dieser Roman, die moderne Version der bekannten romantischen Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, handelt von Freiheit, Musik, italienischer Lebensfreude und von der Liebe. Es geht um die zeitlose Sehnsucht nach der Verwirklichung der Lebensträume und Romantik, im 19. Jahrhundert wie auch im Umbruch der Siebziger Jahre.

    Charaktere
    Der sympathische Hauptprotagonist weiß nicht, was er will, nur eines weiß er genau, er will auf keinen Fall als „& Sohn“ in das väterliche erfolgreiche Sanitärunternehmen Johann Müller eintreten. Er ist offen für Abenteuer, fasst seine Gefühle in Texte und Melodien und genießt das freie Leben als Musikus.

    Handlung und Schreibstil
    Die Hauptfigur, von den Menschen, denen er begegnet, Musikus genannt, schildert die Geschichte seiner Reise als Ich-Erzähler. Er lässt uns poetisch an seinen Gedanken, Gefühlen und Träumen teilhaben und ergänzt seine mit Witz geschilderten Erlebnisse und Abenteuer durch lebhafte Beschreibungen der Menschen, die ihm begegnen. Musik als Ausdruck seiner Lebenseinstellung zieht sich durch den Text, vermischt sich mit den genussvollen Eindrücken des italienischen Dolce Vita in der sonnigen Wärme der Toskana und in der lebhaften Metropole Rom.

    Fazit
    Eine in die Siebzigerjahre versetzte, moderne, wunderbar leicht, poetisch und mit einem humorvollen Augenzwinkern erzählte Version der bekannten Novelle von Joseph von Eichendorff. Perfekt für angenehme Lesestunden, die uns sofort in die Aufbruchstimmung dieser Zeit und in das unvergleichliche Gefühl italienischer Lebensart versetzen. Umgeben von Musik und Songtexten, nickt im Hintergrund die Blaue Blume der Romantik begeistert im Takt.

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  1. 4
    15. Apr 2021 

    Nach Süden

    Deutschland in den 1970ern. Ein junger Mann musiziert lieber als Heizungsbauer im Betrieb seines Vaters zu werden. Und eines Tages macht er sich einfach auf den Weg nach Süden. Das Glück ist ihm durchaus hold, denn schon bald wird er von zwei Frauen, einer Jüngeren und einer Älteren, mitgenommen. Die grobe Richtung stimmt. Das erste Ziel der Reise führt in ein Landhotel mit adeligen Besitzern, darunter seine angenehmen Chauffeurinnen. Gleich darf er auch seine Gitarre zum Einsatz bringen. Ein kleines Konzert, das vielleicht Hintergrunduntermalung sein könnte, vielleicht aber auch zur großen Entdeckung führt. Bald schon geht die Reise weiter.

    Der neue Roman ist eine moderne, nun ja, relativ moderne, denn die Siebziger sind ja auch schon eine Weile her, Interpretation der „Geschichten eines Taugenichts“. Und wie schon Eichendorffs Jüngling sich glücklich treiben ließ, so schafft es auch der junge Musikus mit vagem Ziel und wohlgemut durch die Welt zu reisen. Der Zufall fügt sich häufig zugunsten des jungen Mannes, ein schöner Traum, der vielleicht der wirklichen Welt nicht stand hält. Doch der Weg nach Süden durch die warme Luft und die Begegnungen mit neuen Freunden und guten Gelegenheiten fühlt sich einfach richtig an.

    Man ist vielleicht geneigt, kurz mal nachzulesen, worum es bei Eichendorffs Geschichte ging, um festzustellen, dass der Autor seinem Vorbild mit liebevoller Genauigkeit folgt, die Handlung aber doch sanft in die Gegenwart transferiert. Man mag sich erinnern an die Zeit der jungen Wilden, an die Zeit der RAF, an Grenzkontrollen und die Liebe der Deutschen für Italien. Und so mäandert die Handlung ruhig und leichtfüßig gen Süden. Auch wenn das Büchlein vielleicht nicht ganz an andere Veröffentlichungen des Autors heranreicht, so versetzt dieses kleine neu erfundene Märchen einen doch in Sommerstimmung und gibt einem vielleicht die Idee ein, man könne sich selbst einmal auf Schusters Rappen begeben.

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