Erstaunen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Erstaunen: Roman' von Richard Powers
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Inhaltsangabe zu "Erstaunen: Roman"

Auf der Shortlist für den Booker Prize 2021 und nominiert für den National Book Award - der neue Roman von Richard Powers über die Frage, die alle berührt: Wie kann eine Familie in einer unberechenbaren Welt überleben, ohne zu zerbrechen? Vater und Sohn allein: Der hochbegabte Robbie mit Asperger-Zügen kann den Tod der Mutter nicht verwinden. In der Schule unverstanden, will er die Mission seiner Mutter vollenden: Er malt Plakate, demonstriert auf den Stufen des Kapitols, um die Natur zu retten. Der verzweifelte junge Vater will ihm mit ungestümer Liebe alles geben. Als Astrobiologe sind ihm die Sterne nah, und auf Wanderungen entdecken sie, dass die Wunder vor ihren Füßen liegen und sie einander brauchen. Doch was geschieht, wenn die Welt schneller endet, als unsere Zukunft beginnt?

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag: S. FISCHER
EAN:9783103971095

Rezensionen zu "Erstaunen: Roman"

  1. Auf schmalen Schultern

    Der neunjährige hochbegabte Robin mit Asperger-Syndrom kommt mit der Gesellschaft nicht zurecht. In der Schule eckt er an, zuhause droht ihn die Trauer um die vor zwei Jahren verstorbene Mutter zu ersticken. Sein alleinerziehender Vater Theo bricht mit ihm zu einer gemeinsamen Reise in die Smoky Mountains auf, um ihm die Wunder der Natur zu zeigen und ihn die Welt mit anderen Augen sehen zu lassen, was jedoch nur kurzzeitig Erfolg hat. Um die Behandlung seines Sohnes mit Psychopharmaka zu verhindern, entschließt sich Ich-Erzähler und Astrobiologe Theo, seinen Sohn an einem neuronalen KI-Experiment namens "DecNef" teilnehmen zu lassen - mit schier unglaublichen Folgen für alle Beteiligten...

    "Erstaunen" ist der neue Roman des Pulitzer-Preisträgers Richard Powers. Es ist ein in allen Belangen bemerkenswerter, ja erstaunlicher Roman geworden. Zunächst ist da das ungewöhnliche Vater-Sohn-Verhältnis, das vor allem in der ersten Hälfte des Buches eine fast schon spürbare Wärme ausstrahlt. Die Dialoge zwischen Robin, genannt Robbie, und seinem Vater sind klug und man erkennt in jeder Zeile die gegenseitige bedingungslose Liebe, das Vertrauen, aber auch den Respekt voreinander und eine erstaunliche Ernsthaftigkeit. Powers hebt Robbies Sprachbeiträge kursiv vom Rest des Romans ab und erzeugt dadurch nicht nur eine gewisse Intensität, sondern schafft es durch den kleinen Kniff auch, dass man gar nicht erst das Gefühl hat, zu viele Dialoge zu lesen. Liebenswert und originell sind auch die zahlreichen Reisen, die die beiden auf fremde, von Theo ausgedachte Planeten unternehmen. Denn schnell wird klar: Robbie versucht auf seinen schmalen Schultern, das Leid und die Krisen der ganzen Erde auf sich zu nehmen - eine Last, unter der der kluge kleine Junge förmlich zusammenbrechen wird, wenn man diese Welt nicht zumindest in der Fantasie für ein paar Momente verlassen kann.

    Als Robbies Probleme auch in der Schule immer größer werden, entschließt sich Theo, seinen Sohn zu einer Art Psychotherapie in KI-Form zu schicken. Beim "neuronalen Feedback" werden dem Jungen die Empfindungen anderer Menschen übertragen, die zuvor an diesem Experiment teilnahmen, darunter ausgerechnet Robbies verstorbene Mutter Aly. Ab diesem Moment wandelt sich "Erstaunen" von einem Vater-Sohn-Roman in einen aktuellen Gesellschaftsroman, in dem Powers sich auf einen US-Präsidenten bezieht, der zwar namentlich nie genannt wird, aber sehr nah an Donald Trump angelehnt ist. Und die "berühmteste 14-Jährige der Welt" heißt zwar nicht Greta Thunberg, sondern Inga Alder, ist der schwedischen Klimaaktivistin aber ansonsten in allen Belangen wie aus dem Gesicht geschnitten. Auch Robbie entwickelt sich - wie seine Mutter - zu einem Tierrechtsaktivisten und Klimaschützer.

    In dieser zweiten Hälfte des Romans wirkt "Erstaunen" bisweilen ein wenig zu didaktisch. Die Grundhaltung Robbies und Theos zu den Menschen ist zudem so pessimistisch, dass man sich zumindest sicher sein kann, dass die beiden nie "Im Grunde gut" von Rutger Bregman gelesen haben. Und auch die Emotionalität schwindet ein wenig, denn Robbie wird durch die Behandlung zwar glücklicher, doch eben auch ein Stück weit abgeklärter.

    Umso gelungener ist das Finale des Romans, in dem Richard Powers den Kreis zum abermaligen gemeinsamen Vater-Sohn-Ausflug in die Smoky Mountains schließt. Insbesondere in den Naturbeschreibungen des Nationalparks beweist Powers auch stilistisch sein großes Können. Ohne inhaltlich etwas zu verraten, sollte man sich als Leser:in dieses Finale aber vielleicht nicht gerade direkt vor dem Schlafengehen zu Gemüte führen, wie ich es fälschlicherweise tat. Denn "Erstaunen" lässt einen tief bewegt und aufgerüttelt zurück...

    Mit "Erstaunen" hat Richard Powers einen Roman veröffentlicht, der wegen seiner Emotionalität lange nachwirkt. Mit Theo und dem ungemein liebenswerten Robbie hat er zudem zwei unvergessliche Protagonisten der amerikanischen Gegenwartsliteratur erschaffen, die die Leser:innen direkt ins Herz treffen sollten.

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