Eine Mesalliance

Buchseite und Rezensionen zu 'Eine Mesalliance' von Anita Brookner
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Eine Mesalliance"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
Verlag: Eisele Verlag
EAN:9783961611188

Rezensionen zu "Eine Mesalliance"

  1. Psychogramm einer verlassenen Ehefrau

     

    Blanche Vernon wurde nach zwanzig Ehejahren von ihrem Mann Bertie verlassen, der mit einer deutlich jüngeren Frau noch einmal neu durchgestartet ist. Blanche fühlt sich „gedemütigt, ratlos und unschuldig“, versucht aber, diese Gefühle für sich zu behalten. Sie hat abgesehen von der Haushälterin wenig Kontakte. Regelmäßig kommen nach wie vor Bertie und auch seine Schwester zu Besuchen vorbei. Blanches Perspektive gibt Einblick in ihre Gedanken. Immer hat sie versucht, Bertie alles Recht zu machen - vielleicht liegt darin die Ursache, dass sie zu langweilig für ihn wurde? Ihre Reflexionen lesen sich spannend. Obwohl nun niemandem mehr verantwortlich, hält Blanche an ihrem geordneten Tagesablauf fest. Praktisch gesehen, „empfindet sie die Freiheit, nach seinem eigenen Willen zu leben, als Last.“ (S.23) Sie liebt Besuche in der National Gallery, ein bestimmtes Gemälde spricht sie auf eigentümliche Weise an. Die wiederkehrenden Strukturen geben ihr Kraft.

    Während ihrer ehrenamtlichen Arbeit lernt Blanche die dreijährige Elinor kennen. Das Mädchen ist schweigsam und reizend, seine Mutter allerdings aufreizend und impulsiv. Blanche fühlt sich von dem Kind angezogen und beschließt, mit der kleinen Familie in Kontakt zu treten. Der Vater ist fast nie zu Hause, so dass Mutter Sally dankbar für Blanches Aufmerksamkeit und Unterstützung ist. Die Verhältnisse sind unkonventionell. Blanche bekommt neue Einblicke, wissend lässt sie sich von Sally manipulieren und ausnutzen. Dabei bildet sie einen Scharfblick heraus, der ihr hilft, die moderne Welt mit einem neuen, erfolgreicheren Frauenbild zu verstehen und eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Blanche plant, neu durchzustarten und ihrem Leben noch einmal eine neue Wendung zu geben.

    Der Schreibstil Brookners ist flüssig, stilvoll und leicht altmodisch. Die Autorin verfügt über Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis. Sämtliche Haupt- und Nebenfiguren haben vielfältige Charaktereigenschaften, die sie interessant machen und ihr Verhalten stimmig erscheinen lassen. Vielen Szenen und Dialogen wohnt auch ein spitzer, sozialkritischer Humor inne. Die Perspektive Blanches wird konsequent beibehalten, ins Zentrum rückt dabei immer mehr ihre Sorge um Sally und Elinor, doch auch von Bertie und seinem Leben kann Blanche mangels eigener Abenteuer nicht recht lassen. Blanches Suche nach neuen Perspektiven wirkt nachvollziehbar und authentisch.

    Ich habe den zweifellos gekonnt geschriebenen Roman sehr gerne gelesen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob er zu den starken Werken Brookners zu zählen ist. Im Mittelteil dreht er sich zusammen mit der Protagonistin meines Erachtens ein bisschen im Kreis. Überhaupt ist der Roman etwas zum Entschleunigen, einen konventionellen Spannungsbogen gibt es nicht. Trotzdem liest man das Buch mit Gewinn, zumal das Ende zu überraschen weiß.

    Teilen