Ein Hof und elf Geschwister

Buchseite und Rezensionen zu 'Ein Hof und elf Geschwister' von Ewald Frie
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4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ein Hof und elf Geschwister"

Die stolze bäuerliche Landwirtschaft mit Viehmärkten, Selbstversorgung und harter Knochenarbeit ist im Laufe der Sechzigerjahre in rasantem Tempo und doch ganz leise verschwunden. Ewald Frie erzählt am Beispiel seiner Familie von der großen Zäsur. Mit wenigen Strichen, anhand von vielsagenden Szenen und Beispielen, zeigt er, wie die Welt der Eltern unterging, die Geschwister anderen Lebensentwürfen folgten und der allgemeine gesellschaftliche Wandel das Land erfasste. Zuchtbullen für die monatliche Auktion, Kühe und Schweine auf der Weide, Pferde vor dem Pflug, ein Garten für die Vorratshaltung – der Hof einträglich bewirtschaftet von Eltern, Kindern und Hilfskräften. Das bäuerliche Leben der Fünfzigerjahre scheint dem Mittelalter näher als unserer Zeit. Doch dann ändert sich alles: Einst wohlhabende und angesehene Bauern gelten trotz aller Modernisierung plötzlich als ärmlich und rückständig, ihre Kinder riechen nach Stall und schämen sich. Wege aus der bäuerlichen Welt weist die katholische Kirche mit neuer Jugendarbeit. Der Sozialstaat hilft bei Ausbildung und Hofübergabe. Schon in den Siebzigerjahren ist die Welt auf dem Land eine völlig andere. Staunend blickt man zurück, so still war der Wandel: "Mein Gott, das hab ich noch erlebt, das kommt mir vor wie aus einem anderen Jahrhundert." Ewald Frie hat seine zehn Geschwister, geboren zwischen 1944 und 1969, gefragt, wie sie diese Zeit erlebt haben. Sein glänzend geschriebenes Buch lässt mit treffsicherer Lakonie den großen Umbruch lebendig werden.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:191
Verlag: C.H.Beck
EAN:9783406797170

Rezensionen zu "Ein Hof und elf Geschwister"

  1. Ein Hof und elf Geschwister

    Ich komme selbst von einem Bauernhof, auch aus einer kinderreichen Familie, und finde das Buch über das bäuerliche Leben der Familie Frie sehr gelungen. Der Deutsche Sachbuchpreis ging kürzlich an den Autor.
    Sachlich, mit historischen Kenntnissen, berichtet er vom Leben mit elf Geschwistern. Der Vater ist Rinderzüchter und von schwerer Arbeit gezeichnet. Er wünscht seinen Kindern ein besseres Leben, besonders die Mutter legt Wert auf Bildung, auch für Mädchen, was in der damaligen Zeit nicht immer üblich war.
    Bauernfamilien, einst angesehen, erleben den Niedergang und den Strukturwandel der bäuerlichen Gesellschaft.Sie gelten jetzt als ärmlich, der Kinderreichtum wird belächelt.
    In Gesprächen mit seinen zehn Geschwistern befragt er sie nach ihren Erinnerungen und ihrem Werdegang, über den Wandel von der harten bäuerlichen Arbeit zur technologisierten Landwirtschaft. Die kleinen Betriebe verschwinden, es erfolgt eine Spezialisierung auf einen Bereich mit größeren Flächen. Hilfskräfte sind nicht mehr bezahlbar, dafür verzehnfacht sich die Zahl der Trecker von 1949 - 60 allein in Westfalen.
    Die Landflucht der Kinder, ihre Berufsausbildungen und die Bevorzugung des Stadtlebens schildert er treffend, wie ich es aus eigenem Erleben bestätigen kann.
    Mit Respekt und Dankbarkeit blickt Frie auf das Leben seiner Eltern. Ihre Arbeit ordnet der Autor als ebenbürtig mit anderen beruflichen Tätigkeiten ein. Ein berührendes, schlaues Buch auf weniger als 200 Seiten.

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  1. Von Viechern, dem Katholizismus und dem Landleben.

    Kurzmeinung: Von den 1950ern bis zur Jetztzeit.

    Die Fries gelten was in der Gegend um Nottuln herum, es sind freie Bauern, die erfolgreich wirtschaften. Warum die Bauernschaft und das Dorf, das Nottuln damals in den 1950ern war, zunächst kaum Berührungspunkte miteinander hatten, die Bauernschaft aber die Tonangebenden waren, weil sie wirtschaftlich die Oberhand hatten, und wie sich dann das Machtverhältnis, wenn man es so nennen will, allmählich umkehrte, davon erzählt Ewald Frie in seinem Buch, einer Mischung aus Erlebnisbericht und Sachbuch. Ein reines Sachbuch ist das Werk nicht mehr und ein Roman noch nicht.

    Der Kommentar:
    Das Büchlein liest sich leicht, ich mag es, und es erhielt aufgrund seiner Thematik den Deutschen Sachbuchpreis 2023. Dieser Preis existiert erst seit 2021, er war überfällig. „Ein Hof und elf Geschwister“ von Ewald Frie hat den Preis verdient, auch wenn ich das Buch nicht uneingeschränkt empfehlen kann. Die Thematik ist wichtig und spannend und geht uns alle an, weil sie unsere Vergangenheit spiegelt, im deutschen Literaturraum wird das bäuerliche Leben unterbelichtet behandelt.

    Dennoch: als Sachbuch fehlt mir ein weiterer Blick in das Bauernwesen und als Roman ein tieferer Blick in das Geschwisterleben. Sehr schön herausgestellt ist, wie das Elternhaus seine Kinder loslässt und in die weite Welt hinaus freigibt; dass Eltern ihre Kinder dazu ermutigen, ihre eigenen Wege zu gehen, ist keineswegs selbstverständlich, um so mehr, wenn sie eigentlich zuhause gebraucht würden. Zu gerne hätte man aber mehr erfahren von den Geschwistern, es ist gut und schön, mitzuverfolgen wie ihre Berufswahl stattfand, aber sonst so? Insgesamt ist es doch magere Kost, was Ewald Frie liefert. Vielleicht ist er zu nah dran.

    Fazit: Leicht zu lesender, netter Erfahungsbericht darüber, wie sich eine bäuerliche Großfamilie verändert. Aber ein bisschen magere Kost ist das Büchlein schon. Ich will mehr.

    Kategorie: Sachbuch. Lebenswelten
    Sieger Deutscher Sachbuchpreis, 2023.
    Verlag: C.H. Beck, 2023

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