Eigentum: Roman

Drei Tage hat die 95jähre Mutter des Autors noch zu leben. Das kann er natürlich nicht wissen als die drei Tage beginnen, doch als er mit dem Schreiben des Buches beginnt weiß er das wohl. Und So erinnert er den Leser immer daran wie viele Tage, Stunden es noch sind. Und der Autor erinnert sich an die Erzählungen der Mutter und er lässt sie auch selbst nochmal zu Wort kommen. 1923 geboren und die Inflation kam. Das Geld war nichts mehr wert und alles war hin. Sparen, sparen, sparen heißt es und am Ende hat es die Mutter nicht zu einem Eigentum gebracht. Dabei wohnt sie ganz schön im Altenheim, das früher die Klinik war, in der sie ihre Kinder zur Welt gebracht hat.
Man denkt beim Lesen dieser Annäherung an die Mutter auch immer mal wieder an die eigene Mutter. Die zu einer ähnlichen Zeit geboren auch die Geschichten hatte, die sich ewig wiederholten. Wobei durchaus der Eindruck entsteht, dass die Mutter, um die es hier geht wesentlich erzählfreudiger war. Oder gibt es auch hier Auslassungen, von denen der Autor nichts weiß? Immerhin erinnert sich sein Bruder manchmal ganz anders als er. Die Mutter jedoch erscheint als Persönlichkeit, aus der in der heutigen Zeit mehr hätte werden können. Wie bedauerlich und schade für diese Generation, die von einem unnützen Krieg und dummen Kriegsherren ausgenutzt und missbraucht wurde. Nur mit den Menschen konnte die Mutter nicht so gut.
Mit leichten aber doch eindringlichen Worten schildert der Autor die letzten Tage mit seiner Mutter. Wie sie doch etwas tüdelig geworden ist, nicht mehr so viel Interesse hat, immer wieder einnickt. Gerade das lässt ihm Zeit, sie mit seinen Worten zwar, aber doch mit ihrem eigenen Tonfall die wichtigsten Stationen ihres Lebens Revue passieren zu lassen. Das ist wirklich sehr gelungen. Man fühlt mit der alten Dame, die ja auch mal jung war. Und wie schon gesagt, wird auch der Gedanke an die eigene Mutter wieder geweckt. Dieser Roman ist ein liebevolles Denkmal an eine Mutter, die mit ihren Ecken und Kanten beschrieben wird und obwohl vielleicht nicht von jedem geliebt, doch eine größere Anzahl von Menschen positiv beeinflusst hat.
4,5 Sterne
Die Aufmachung des Buches ist gelungen, ebenfalls das Spiel mit dem Titel, ein Schmunzeln ist garantiert.
Wolf Haas erzählt die Lebensgeschichte seiner Mutter, die im Wesentlichen von Entbehrungen und dem Streben, sich daraus zu befreien, bestand. Ein berührender Lebensweg, geprägt von den Auswirkungen der zwei Weltkriege. Führt man sich dieses Leben bewusst vor, wird sehr deutlich, dass man mit Frau Haas wahrlich nicht tauschen möchte. Sie durchlebt traumatisierende Ereignisse und kämpft ein Leben lang mit den Konsequenzen - ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Ganz schonungslos und sehr bissig zieht der Autor eine Bilanz, sowohl für seine Mutter als auch für sich und ansatzweise für seinen Bruder. Wie ist es, wenn die Lebensbedingungen einen von Anfang bis Ende an der Nase herumführen und man trotz aller Anstrengung und Willenskraft nicht schafft, sich aus eigener Kraft ein besseres Leben aufzubauen? Was macht das mit den eigenen Kindern? Es ist keine rührselige Geschichte geworden, im Gegenteil. Mit dieser Mutter möchte man nicht wirklich aufgewachsen sein, so sehr ihre Geschichte unverschuldet ist und zumindest theoretisch sehr berührt.
Meines Erachtens wird dies auch im Schreibstil deutlich. Es ist ein permanentes Hin und Her zwischen Zuwendung und bissiger Kritik, Verständnis und Unverständnis oder gar Ablehnung. Genau dies hat das Buch für mich jedoch sehr anstrengend gemacht. Ironie und Sarkasmus sind immer wieder von Humor durchzogen, ich konnte immer wieder lachen. Viel öfter ist mir jedoch das Lachen im Hals stecken geblieben. Empathie kam für mich nur theoretisch auf, wenn ich mir die Ereignisse durch den Kopf gehen ließ - mitfühlen konnte ich weder mit der Hauptfigur noch mit dem Erzähler. Am Ende war ich froh, fertig zu sein sowie ziemlich verstört. Ich habe mich gefragt, warum ich das Buch eigentlich gelesen haben soll.
Wolf Haas´ Mutter hat die Wirtschaftskrise, den Krieg und die Nachkriegszeit miterlebt. In ihrem Geburtsjahr, 1923, verliert der Großvater aufgrund der Inflation den angestammten Hof, die Familie verarmt. Das brennt sich ein – ihr Lebenstraum, der nie in Erfüllung gehen wird, ist der Besitz von eigenem Grund. Auch ihre sonstigen Ziele wird sie nicht erreichen, die Geschichte will es anders. #
Haas hat es eilig mit der Niederschrift seiner Erinnerungen – nur noch zwei Tage wird seine Mutter leben, und er will sie noch Einiges fragen. Er tut so, als wolle er sich durch das Schreiben dieses Romans von den Erinnerungen seiner Mutter befreien – Erinnerungen, die auf ihn übergegangen sind, während sie seiner Mutter allmählich abhanden kommen. Das potentiell Fiktive der Erinnerung, die sich in erzählter Wiederholung verfestigt und zum Lebensnarrativ wird, ist eins der Themen dieses Romans. Die Erinnerungen von Haas´ Mutter, so empfindet Haas es, sind dann am authentischsten, wenn sie ihr selbst unklar sind und beim Erzählen korrigiert, ja ertastet werden müssen. Haas wäre nicht Haas, wäre nicht auch dieses Erinnerungsprotokoll einer alten Frau kurz vor ihrem Tod gnadenlos originell. Er ist sarkastisch, ohne despektierlich zu sein. Er ist philosophisch, ohne sentenziös zu sein. Ganz nebenbei ersteht eine Nachkriegsbiographie, die bis in die Gegenwart von den Kriegsereignissen geprägt war.
Haas lässt seine Mutter in wörtlicher Rede erzählen und bildet mit minimalen Mitteln ihre Mundart ab. Er verklärt nicht, er klagt nicht an, er kommentiert, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und lässt das liebevolle Bild eines sperrigen Charakters entstehen. Zeit ihres Lebens fühlt sie sich ausgebeutet: „Nichts als arbeiten, arbeiten, arbeiten.“ Typisch für ihren Erzählstil ist die „rhetorische Triade“. Darin ist sie Meisterin. „Den ganzen Tag nur waschen, putzen, bügeln. Nichts wie kochen, stricken, nähen den ganzen Tag.“ Dazu kommen fast lyrische Wiederholungen, eine sprachliche Kreisform.
Die Mutter konnte viel, hat sich Mathematik, Englisch und Französisch angeeignet – nur mit Menschen umgehen, das konnte sie nicht. „Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf beleidigt. Die Nachbarin hat sie schwer beleidigt. Auch mich hat sie zweimal beleidigt“, sagt die Gastwirtin des Dorfes über Marianne Haas. Ein Gespräch mit der Mutter mündet unweigerlich in eine Klage über „die Leute“. „Die Leute als teuflischer Massensingular, als vielköpfiges Ungeheuer“, sinniert Haas. Der ständige Überlebenskampf hat die Mutter wunderlich gemacht. Ihre Fürsorglichkeit den Söhnen gegenüber war leidenschaftlich und blieb doch im Elementaren stecken – Hauptsache, satt und gesund.
Nicht zuletzt ist „Eigentum“ eine Übung in existenzieller Philosophie. Die Mutter, die es trotz sehnlichem Wunsch und Bemühen in ihrem Leben nie zu Wohneigentum gebracht hat, weil ihrem Anspartempo stets die Quadratmeterpreise davonzogen, bezieht ihre erste eigene Immobilie auf dem Friedhof. Weswegen sie auch auf keinen Fall verbrannt werden wollte. Ich fand Haas´ Einfühlung in die Psyche der Mutter erstaunlich.
Nebenbei bürstet Haas populäre Haltungen gegen den Strich. Seine Apologie der floskelhaften Äußerung („Mein Beileid.“ „Danke.“) und seine Schmähung des „überzüchteten Inhaltismus“ sind das Witzigste, was ich seit langem gelesen habe. Der ganze Roman ist voll mit solchen Perlen. Haas eben.
Fazit: Dieses schmale Buch ist ein wahres Schatzkästchen – historisch, menschlich und sprachlich. Es ist traurig, komisch und tragisch – um noch einmal Marianne Haas´ liebste Sprachfigur anzuwenden. Unbedingt lesen.
Ein Requiem für eine schwierige Frau
Das Cover ist ein Hingucker: aufs Äußerste minimalistisch, und der Einband imitiert abgestoßenes Packpapier. Besser geht es nicht, das Cover für dieses Buch über eine extrem sparsame Frau! Und die beiden Klappentexte passen perfekt zusammen und geben das Lebensmotto der beiden Personen wieder, um die es in diesem kleinen Buch geht: „Nichts wie sparen sparen sparen“ als Lebensmotto der Mutter, und hinten „Nichts wie schreiben schreiben schreiben“ als Lebensmotto des Autors.
Es gibt momentan einige Romane, die sich mit der Demenzerkrankung und dem Sterben eines nahen Angehörigen befassen, und man kann sich dem menschlichen Anspruch dieser Romane nicht entziehen. Denn immer geht es auch darum, dass ein einzigartiger Mensch diese Welt verlässt und man ihm nun gerecht werden muss.
In diesem kleinen Roman von 160 Seiten begleitet Wolf Haas seine an Demenz erkrankte Mutter die letzten Tage ihres Lebens und spürt ihrem Leben nach, vor allem den frühen Jahren. Marianne Haas war eine schwierige Frau. Ihr Lebensziel war Wohnungs-Eigentum, mit dem sie sich nach einer bedrückend ärmlichen Kindheit in die bürgerliche Gesellschaft einreihen wollte. Dieses Lebensprojekt gelingt ihr nicht, aufgrund der Inflation. Nun sieht sie sich ihr Leben lang als Opfer und wird eine verbitterte und boshafte Einzelgängerin.
Ihre Klagen werden litaneiartig vorgetragen und ständig wiederholt, sehr zum Leidwesen ihres Sohnes, der genervt ist von ihren "tristen Erinnerungen". "Nur lauter Armutssachen und Depressionsgeschichten" (S. 87), sagt er, und die seltenen, unwillkommenen Besucher werden "hinausgeseufzt" (S. 92). Das spricht nicht für eine glückliche, sorglose Kindheit.
Erst als Marianne Haas durch den Tod ihres Mannes ein Grab und damit „Eigentum“ hat, fällt ihre Verbitterung teilweise von ihr ab. „1,7 qm in bester Lage“, das ist nun ihr Wohnungseigentum, in das sie in den nächsten Tagen übersiedeln wird.
Und so ist dieses Buch auch eine Art Bewältigungstherapie, wie sie schon in Haas‘ Buch „Junger Mann“ anklingt. Haas, der sich selber als „externe Festplatte“ seiner Mutter sieht, schreibt sich hier von seinen "tristen Erinnerungen" frei und nähert sich seiner Mutter versöhnlich wieder an. Dieser versöhnliche Abschied wird besonders deutlich in der Schlussszene, in der Haas sehr emotional und zugleich elegant den Bogen zur Anfangsszene zurückschlägt.
Haas erzählt seinen Roman in zwei Zeitebenen und in zwei Stimmen, seiner eigenen und der der Mutter, die zunehmend stärker miteinander verwoben werden. Beide Stimmen unterscheiden sich deutlich voneinander, weil der Erzählstrang der Mutter sich dem mündlichen Erzählen annähert durch die Verwendung kurzer, teils unvollständiger Sätze, durch Wiederholungen und durch dialektale Ausdrücke.
Die Sprache des Erzählers dagegen erinnert an die vorigen Romane: sprunghafte Gedanken, originelle Assoziationen, sprachliche Komik. Oft genug bewegt er sich an einer emotionalen Grenze, aber niemals sind seine Bemerkungen unsensibel, entwürdigend oder geschmacklos, weil er niemals die Gesamtsituation aus den Augen verliert.
Dennoch macht er deutlich, wie skurril er das Lebensmotto seiner Mutter findet, aber mit seinem trockenen Humor nimmt der Autor dem ernsten Thema die Schwere und vermeidet zugleich Sentimentalität und Larmoyanz.
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