Egal war gestern

Buchseite und Rezensionen zu 'Egal war gestern' von Jörg Isermeyer
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Egal war gestern"

Format:Broschiert
Seiten:206
EAN:9783779507482

Rezensionen zu "Egal war gestern"

  1. 5
    08. Sep 2024 

    Nie wieder ist jetzt!

    Alle in der Schule kennen Finn und Lennard wegen der witzigen Videos, die sie auf ihrem Social-Media-Kanal posten. Die beiden checken akribisch ihre Clicks und Follower und träumen davon, berühmt zu werden. Alles läuft super, bis sie einen Deal mit Sam machen, einer Schülerin, deren Eltern aus Angola stammen. Der Plan, sich gegenseiteig zu pushen und die Reichweiten zu erhöhen, funktioniert sofort - doch ganz anders, als Finn es erwartet hat: Urplötzlich bricht ein Shitstorm über seinen Account herein. Hasskommentare statt Lach-Emojis. Einzig und allein, weil er Posts von Sam geliked hat. Gleichzeitig registriert Finns Vater, Lehrer an der Schule seines Sohnes, wie rassistische, antidemokratische Äußerungen salonfähig werden. Nicht nur im Klassenchat, auch in der Stadt, in der gerade ein rechtspopulistischer Kandidat für das Bürgeramt kandidiert. Als er die Situation in einem Brandbrief beklagt, steht er plötzlich selbst am Pranger. Und mit ihm Finn... (Verlagsbeschreibung)

    Gerade sind die Wahlen in Sachsen und Thüringen vorüber, und das Ergebnis zeigt auf beängstigende Weise, dass der Rechtsruck ein gewaltiger ist. Längst schon sind rassistische Parolen und rechte Polemik fast wieder salonfähig - und der Widerstand dagegen eindeutig zu gering. Was im Großen eindeutig besorgniserregend ist, bricht Jörg Isermeyer auf ein kleineres Umfeld herunter und stellt dabei den Jugendlichen Finn in den Mittelpunkt des Geschehens.

    Finn ist in der Schule recht beliebt und stellt mit seinem besten Freund Lennard unterhaltsame Videos auf einem Social-Media-Kanal ein. Finn träumt von einer Karriere als Comedian und lässt sich immer wieder neue Sketche einfallen. Die Reichweite seines Kanals ist noch bescheiden, er freut sich über jeden einzelnen Klick. Als eine Mitschülerin ihm vorschlägt, dass sie sich gegenseitig pushen könnten, sagt er begeistert zu. Allerdings verändern sich nun die Kommentare unter seinen Videos. Seit er die Posts der dunkelhäutigen Sam liked, regnet es bei seinen eigenen Beiträgen Hasskommentare.

    Schon länger werden die Mitschüler:innen mit Migrationshintergrund in der Schule mehr oder weniger offen angepöbelt, Hakenkreuze finden ihren Weg auf Schultische, Klassenchats geraten immer mehr in die rechte Schieflage. Finns Vater, der als Lehrer an der einzigen weiterführenden Schule des kleinen Ortes arbeitet, ist nicht länger bereit, dies tatenlos hinzunehmen. Doch je stärker er mahnt, appelliert und sich schließlich in einem Brandbrief an die Öffentlichkeit wendet, desto stärker ist der Gegenwind, der Finns Vater entgegen schlägt. Und nicht nur ihm. Auch Finn sieht sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt.

    Dies beschränkt sich allerdings keineswegs auf das Umfeld der Schule. Im Rahmen der anstehenden Bürgermeisterwahl, bei der der rechtspopulistische Kandidat großen Zulauf erhält, tauchen einige recht dubiose Gestalten auf. Die Begegnungen mit diesen tätowierten, muskelbepackten und mit Baseballschlägern bewaffneten Männern findet Finn jedenfalls sehr beängstigend. Doch egal, welchen Drangsalierungen der Jugendliche oder sein Vater ausgesetzt sind - die Polizei unternimmt nichts dagegen. Finn fühlt sich in die Enge getrieben, alleine, wehrlos. Was kann man da nur tun?!

    Jörg Isermeyer gelingt es, die zunehmend bedrohliche Atmosphäre beim Lesen real werden zu lassen - es war ein zunehmend beklemmendes Leseerlebnis. Zum einen die Situation von Finn, der jäh aus einer normalen, behüteten Kindheit gerissen wird und sich nicht länger raushalten kann. Wegschauen, so wie viele andere auch. Sondern Position beziehen muss, denn Mitläufer will er nicht sein, das wird ihm immer klarer. Doch welchen Preis wird er dafür zahlen? Und zum anderen die Situation von Finns Vater, der Gegenwind auch von einigen Kolleg:innen erhält, der von der Direktorin nicht wirklich unterstützt wird, der in den Fokus einer unfassbaren Hasskampagne gerät - mit vielen denkbaren Horrorszenarien. Was löst die Situation innerhalb der Familie aus?

    Ein eindringliches, beklemmendes und doch so wichtiges Jugendbuch, gerade in der heutigen Zeit! Es zeigt auf, wie viel Mut es erfordert, nicht zu schweigen und alles hinzunehmen, und was es tatsächlich kosten kann, Zivilcourage und Widerstand zu zeigen. Aber eben auch was es letztendlich bedeutet, sich nicht entgegenzustellen. Nie wieder ist jetzt! Und das gilt für uns alle.

    Ein Buch, das zur verpflichtenden Schullektüre werden sollte.

    © Parden