Durch die Nacht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Durch die Nacht: Roman' von Stig Sæterbakken
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Durch die Nacht: Roman"

»Einer der wichtigsten Autoren meiner Generation« Karl Ove Knausgård

Karl Meyer ist Zahnarzt und führt ein durch und durch bürgerliches Leben. Doch als sein erst achtzehnjähriger Sohn Ole-Jakob Suizid begeht, droht es die Familie zu zerreißen. Karls Frau Eva steht unter Schock, die Tochter Stine verstummt. Auch Karl ist in seiner Trauer gefangen. Er denkt zurück an sein Kind, vor allem aber an das, was die Familie schon vor dessen Tod auf eine Belastungsprobe stellte: Karls Liebschaft mit der deutlich jüngeren Mona. Ist es diese Affäre, die Ole-Jakob in den Tod getrieben hat? Die Schuldfrage steht im Raum – und Karl läuft davon.
Er begibt sich auf eine Reise in die Slowakei. Dort hofft er, Erlösung zu finden: in einem Haus, in dem man, so heißt es, mit seinen tiefsten Ängsten konfrontiert wird – und das man entweder geheilt oder gebrochen verlässt.
›Durch die Nacht‹ ist die Anatomie eines Trauerprozesses und ein Buch, das unter die Haut geht. Stig Sæterbakken schont seine Leser nicht. Dieser so dringlich erzählte Roman schildert die Abgründe, die in uns allen lauern, und wie leicht wir die verletzen, die uns nahestehen.

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:289
EAN:

Rezensionen zu "Durch die Nacht: Roman"

  1. „Die Welt verhöhnte uns.“

    Karl und Eva führen eine Bilderbuchehe, mit den zwei gemeinsamen Kindern Ole-Jakob und Stine. Da ist ganz viel Liebe, das spürt man beim Lesen immer wieder, doch dann gerät alles aus dem Ruder: Karl verlässt die Familie für ein junges Mädchen, tauscht Liebe gegen flüchtige Lust. Wenig später ist Ole-Jakob tot, vermutlich Suizid, und hinterlässt die Hinterbliebenen mit quälenden Fragen.

    Wer ist schuld? Karl flieht vor dieser Frage, flieht vor sich selbst.

    Stig Sæterbakken erzählt die Geschichte einer Familie, die nach dem Selbstmord des 18-jährigen Sohnes Stück für Stück zerbricht. „Durch die Nacht“ nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Schattengründe von Schuld, Trauer, Scham und Zorn, und das ist keine leichte Kost – umso verstörender, wenn man weiß, dass sich der Autor 2012 das Leben nahm, ein Jahr nach Erscheinen des Romans.

    Wer selbst schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat – vor allem zu jung, vor allem unerwartet –, kennt dieses Gefühl der fassungslosen Trauer, das hier geradezu die Seiten tränkt. Wie man neben sich steht. Wie man den Eindruck hat, dass die ganze Welt aus dem Takt geraten ist, während man selber versucht, wieder Halt zu finden.

    Die Trauer des Lesers, selbst wenn sie nur noch als leises Echo widerhallt, gibt dieser Geschichte einen tiefen Resonanzboden, und das macht sie in meinen Augen so universell und zeitlos.

    Schon nach wenigen Seiten beschlich mich das Gefühl, dass ich leicht den Tritt verlor, auf trügerischem Gelände ins Rutschen kam. Für einen Augenblick gefangen zwischen dem Impuls, das Buch zur Seite zu legen, und dem, mich fallen zu lassen, las ich dann doch direkt weiter – in der dumpfen Erwartung, dass das Buch den emotionalen Tiefpunkt noch lange nicht erreicht hatte.

    Und damit lag ich richtig.

    Der Autor schont weder seine Charaktere noch den Leser (und beim Schreiben sicher auch sich selber nicht).

    Zitat:
    „Kälte kam und ging. Wärme kam nie. Es gab nur Kälte und die Abwesenheit von Kälte.“

    Dennoch will man wissen, muss man wissen, wie es weitergeht. ‚Sogwirkung‘ ist ein überstrapazierter Begriff, aber er trifft es am ehesten: dieses Gefühl der Unvermeidlichkeit und gleichzeitig der gespannten Erwartung.

    Sæterbakken schreibt Charaktere, die man sicher nicht immer mögen muss, die sich aber geradezu schmerzhaft authentisch lesen. Selbst in ihren Fehlern und Schwächen sind sie einfach durch und durch menschlich – man kann ihnen als Leser daher alles verzeihen, auch wenn sie sich selbst rein gar nicht verzeihen können.

    Zitat:
    „Tausend Mal am Tag vergaß ich, dass Ole-Jakob tot war. Tausend Mal am Tag fiel es mir plötzlich ein. Beides war unerträglich.“

    Besonders Karl, der trauernde Vater, ist sicher kein strahlender Held. Er setzt seine Familie auf Spiel, wirft die Liebe seines Lebens weg, und wofür? Für eine Affäre, die nicht mehr ist als eine erotische Stichflamme, eine oberflächliche, kurzlebige Verliebtheit. Und dann ist es passiert: Ole-Jakob ist tot und Karl muss sich fragen, ob er seinen Sohn in den Selbstmord getrieben hat. Dennoch konnte ich für ihn nichts empfinden außer ehrliches Mitleid und den Wunsch, er möge in irgendeiner Form seinen Frieden finden – angesichts seiner Trauer wird alles andere bedeutungslos.

    Zitat:
    „Während ich so dastand, ging die Sonne unter, und es wurde Nacht. Seitdem ist Nacht.“

    Tatsächlich verliert er jedoch den Halt und damit jeden Bezug zur Realität.

    Denn sein Freund Boris erzählt ihm von einem Haus in der Slowakei, das man als geläuterter Mensch verlässt – sofern man es im Vollbesitz der geistigen Kräfte überlebt, was nicht gewährleistet ist. Urban Legend? Schauergeschichte? Ammenmärchen? Egal. Karl sieht nur noch diese eine Möglichkeit, die quälenden Schuldgefühle hinter sich zu lassen. So oder so.

    Er bricht auf, dieses Haus zu suchen – den Ort, wo „Hoffnung zu Staub wird“. Die Handlung kippt, während Karl sich zunehmend in Selbstauflösung befindet. Was danach wirklich passiert und was seiner wahnhaften Depression entsprungen ist, dessen kann man sich als Leser nie hundertprozentig gewiss sein.

    Die Geschehnisse lesen sich zunehmend unwirklich und alptraumhaft, Kafka und Edgar Allan Poe lassen grüßen.
    Sæterbakken balanciert gekonnt zwischen Realität und Surrealität, mit ausdrucksstarken Worten voller Dringlichkeit und Atmosphäre. Einfache Antworten liefert er nicht – tatsächlich fühlte ich mich vom Ende im ersten Moment geradezu vor den Kopf gestoßen! –, dafür aber eine Vielzahl möglicher Interpretationen. Zentral steht meines Erachtens auf jeden Fall die Frage, was der Selbstmord eines geliebten Menschen im Leben der Hinterbliebenen anrichtet.

    FAZIT

    Ole-Jakob war erst 18, doch Ole-Jakob ist tot. Zurück bleiben seine Eltern und seine Schwester, die sich fragen müssen, warum er außer dem Freitod keine Lösung sah. Vater Karl geht zugrunde an seiner Schuld, als sein bester Freund ihm von einem geheimnisvollen Haus erzählt, das jeden Besucher von seinen tiefsten Ängsten läutert – oder ihn in den Wahnsinn treibt. Verzweifelt bricht Karl auf zu einer Reise, bei der es für ihn um alles oder nichts geht.

    Das Buch hat mich zutiefst erschüttert – nicht nur, weil ich immer im Hinterkopf hatte, dass sich der Autor etwa ein Jahr nach Veröffentlichung das Leben nahm. Es ist schon ungeachtet dessen sicher keine leichte Lektüre für nebenher. Zum einen atmen die Worte geradezu Trauer und Schmerz, und zum anderen nimmt die Geschichte immer surrealere Wendungen – bis hin zu einem Ende, nach dem ich alles hinterfragte, was ich über die Geschichte zu wissen glaubte.

    Ich erwäge, das Buch direkt noch einmal zu lesen, um zu schauen, wo und wie sich dieses Ende angekündigt hat. Noch einmal durch die Nacht.

    #ThePassionWeShare
    #ReadingThroughTheNight
    #DurchDieNachtLesen

    Teilen