Durch deine Augen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Durch deine Augen: Roman' von Peter Hoeg
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Durch deine Augen: Roman"

Gebundenes Buch
Simon hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Peter will ihm helfen und nimmt Kontakt mit der Therapeutin Lisa auf. Die drei waren einst Kindergartenfreunde, doch daran kann Lisa sich nicht mehr erinnern. Als Forscherin hat Lisa eine Methode gefunden, wie man das Bewusstsein eines Menschen als Hologramm sichtbar machen kann. So will sie Patienten helfen, wieder in eine echte Beziehung zu anderen zu treten. In ihrem Bemühen, den völlig in sich verschlossenen Simon zu retten, kommen sich Peter und Lisa näher. Auch die verschüttete Kindheit steigt wieder vor Lisa auf. Nach dem Bestseller "Der Susan Effekt" ein neues Meisterstück von Peter Hoeg über umwerfende menschliche Begegnungen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
EAN:9783446261686

Rezensionen zu "Durch deine Augen: Roman"

  1. Surreal. Genial atmosphärisch. Gruselig.

    Der Protagonist und Icherzähler, Peter, verarbeitet gerade seine Scheidung, seine Ex wird durchgängig nur als „Mutter meiner Kinder“ bezeichnet; er hat ein gemeinsames Sorgerecht mit ihr. Trotzdem sind die Kinder bei der Mutter geblieben, was ihm sehr zusetzt. Da wird er angerufen: Sein bester Freund Simon aus Kindheitstagen hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Warum hat man ausgerechnet Peter informiert und nicht dessen Ehefrau?

    Als Peter im Folgenden versucht, Simon „zu erreichen“, ihm nahe zu kommen, ihn zu verstehen und womöglich von einem zweiten Versuch abzuhalten, trifft er Lisa wieder. Und Conni. Und Klaus. Alles Kindergartenfreunde. Nicht allen begegnet er analog. Lisa ist Wissenschaftlerin geworden und hat eine bahnbrechende, der Allgemeinheit noch nicht zugängliche Erfindung gemacht: Mit bestimmten Apparaten ist es möglich, in einer Art Personalunion in das Bewusstsein/Unterbewusste von Probanten zu gelangen. Das sind meistens Menschen mit einem Trauma, denen Lisa und ihre Kollegen zu helfen versuchen, denn Verstehen bedeutet Helfen. Tausende von „Scannings von menschlichen Bewusstseinsinhalten“ hat Lisa gemacht und blättert sie mit Peter durch. Diese Fallstudien können einem ganz schön an die Nieren gehen!

    Hoeg erzählt auf zwei Ebenen. Auf der einen reist er mit Lisa zurück in seine Kindheit und stellt sich ihr als eine Art Medium zur Verfügung. Denn Lisa hat selber ein Trauma erlitten und ihre Kindheit vergessen. Auf der anderen Ebene lebt er in der Gegenwart, betreut seine Kinder, lernt Lisa neu kennen und wird in ihrer Arbeitswelt heimisch.

    Hoeg spielt mit vielen Themen gleichzeitg, ja, er jongliert geradezu mit ihnen. Gibt es ein kollektives Bewusstsein von erlittener Gewalt, von Schmerz, von Leid und hat dies Auswirkungen auf heute? Lisa spricht von „Dunkeldänemark“. Alles Dunkle, was unter den Teppich gekehrt ist und wird in der Gesellschaft. „Ich sah ein Dänemark, von dessen Existenz ich keine Ahnung hatte.“ Das macht nachdenklich. Dunkeldänemark ist überall. Das meiste sind Beziehungstaten. Begangen wiederum aus einst erlittenem Unrecht. Könnte man diese Kette unterbrechen?

    Ein anderes Thema, und hängt wiederum mittelbar mit der zu bewältigenden Scheidung zusammen, ist die menschliche Einsamkeit per se und die Trauer darüber, dass die durch den Körper gesetzten Grenzen nicht überschritten werden können. Einsamkeit und Grenzgängertum. Davon schreibt der Autor. Ist diese Grenze jemals auflösbar? Das Kevala, eine Droge, wird eingesetzt.

    Ein weiteres Thema ist die Kindheit als besondere Menschheitszeit, in der manche dafür empfängliche Menschen/also Kinder noch zugänglich und offen für alles sind. Wiederum ein Thema ist der Tod. „Die Toten nehmen ihre Träume mit“, sagt Fräulein Jonna.

    In einem surrealen Roadmovie rückwärts in die Vergangenheit lässt Hoeg seine Kinderfreunde hellsichtig werden und erst sozial miteinander verschmelzen, „man spielt besser mit Spielzeug, das man geteilt hat“. Danach verschmelzen sie psychisch auf einer surrealen Ebene, indem sie einander in ihren Träumen besuchen. Die Kinder sind Grenzgänger und Traumwandler. In dem Maße wie sie erwachsen werden, verlieren sie den Faden zueinander.

    Das ganze von Hoeg aufgestellte Szenario wirkt gruselig und traurig zugleich, es ist eine surreale Fantasiewelt mit jeder Menge Sog und Atmosphäre und philosophisch aufgeladenen Sätzen, eine innere Welt, die der Autor erschaffen hat, die durchaus viel Wahrheit enthält.

    „Vielleicht gibt es Gründe, dass der menschliche Kontakt nur sehr maßvoll ist. Vielleicht ist der tiefe Zusammenhang zwischen Menschen auch bedrohlich“, sagt Lisa.

    „Mit deinen Augen“ von Peter Hoeg, zeigt unter anderem, wie schwierig es ist, die inneren tieferen Beweggründe des Handelns anderer Menschen zu begreifen. Da ist bei aller Vertrautheit immer noch eine seelische Dimension, die nicht zugänglich ist. Das mag uns eine Warnung sein, denn wie oft maßen wir uns an, zu bestimmen, was gut für den anderen ist.

    Der Roman ist aber auch eine nicht ganz ernst zu nehmende schriftstellerische Spielerei mit diversen Elementen aus der Fantasy, dem Beziehungsroman und dem Wissenschaftsschocker. Samt autobiografischen Anteilen.

    Fazit: Ein surrealistischer Roman mit gruseliger Atmosphäre, der mit vielen Facetten des Menschseins spielt. Humorvoll, tiefsinnig, philosophisch. Sein angeblich wissenschaftliches Setting darf man allerdings nicht ernst nehmen. Dann hat man, wenn man für Hoegs Gedankenwelt zugänglich ist, Freude an dem Roman und eine ganze Menge zu knabbern.

    Kategorie: Belletristik. Anspruchsvolle Literatur
    Hanserverlag, 2019

    Teilen
  1. 3
    26. Jul 2019 

    Die wirkliche Wirklichkeit...

    Wie wäre es, wenn wir in das Bewusstsein eines anderen schlüpfen könnten? Was sähe ich, wenn ich die Welt durch deine Augen sähe? Um diese Fragen kreist dieser spannende Roman von Peter Høeg, mit dem er auf sehr persönliche Weise an den Bestseller "Der Susan-Effekt" anknüpft.

    Eines gleich vorweg: 'Der Susan-Effekt' kenne ich (noch) nicht, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ich hier die Fortsetzung eines Buches höre, sondern eine ganz eigenständige Erzählung.

    Im Wesentlichen dreht sich die Geschichte um drei Personen: Peter, Lisa und Simon. Die drei kennen sich bereits aus Kindertagen, haben aber im Laufe ihres Lebens den Kontakt zueinander verloren. Nun kreuzen sich ihre Wege wieder, denn Peter wurde angerufen, nachdem Simon versucht hat sich umzubringen. Auf der Suche nach Hilfe für Simon stößt Peter auf Lisa und ihre Forschungen zum menschlichen Bewusstsein. Eine abenteuerliche Reise ins Innere des menschlichen Wesens beginnt...

    In iherem "Institut für neuropsychologische Bildgebung" ist es Lisa gelungen, mit Hilfe von Scans das Bewusstsein von Menschen in einen Hologramm sichtbar zu machen. Und nicht nur das. Es ist durch technische Errungenschaften möglich, an dem Erleben, den Erinnerungen, den Ängsten von Patienten teilzuhaben, es gleichzeitig zu sehen und nachzuempfinden. Ein tieferes Verständnis der Psyche verschafft ganz neue Möglichkeiten, psychische Erkrankungen und seelische Probleme zu therapieren - doch noch ist alles im geheimen Versuchsstadium.

    "Wir suchen nicht die Wahrheit. Wir verhelfen den Menschen zu einer Geschichte, mit der sie leben können."

    So erfolgreich, wie Lisa in ihrem Beruf zu sein scheint, so merkwürdig mutet es an, dass sie sich an die ersten sieben Jahre ihres Lebens - und damit auch an Peter und Simon - nicht erinnern kann. Peter erinnert sich für sie - und den Hörer - an die Kindergartenzeit, wo die drei als 'schlaflose Kinder' in der Zeit, zu der alle anderen Kinder einen Mittagsschlaf hielten, aufregende Entdeckungen machten.

    Sie erkannten, dass es möglich ist, in die Träume anderer zu gelangen, in ihr Bewusstsein, sogar in eine andere Zeit. 'Die wirkliche Wirklichkeit' nannten sie das Erleben parallel zu ihrer Gegenwart, und rückblickend muten die Erinnerungen daran reichlich fantastisch an - machen aber auch deutlich, wo die Wurzeln zu Lisas beruflichem Erfolg liegen.

    Der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart macht für mich den Charme dieses Buches aus. Die Magie der Kindheit schleicht sich in das aktuelle Geschehen, und das Eintauchen in die Psyche anderer Menschen ist ein gleichzeitig faszinierendes wie erschreckendes Gedankenexperiment. Die Grenzen der Individualität lösen sich auf, dafür werden die Begegnungen zunehmend echter und intensiver.

    Allerdings geriet die Erzählung bei aller Faszination für die Idee dahinter phasenweise doch recht langatmig. Etwas ermüdend fand ich vor allem die lange Aneinanderreihung von Therapiesitzungen, die allesamt schwere Themen beinhalteten wie beispielsweise die Massenserschießung von Juden während des Zweiten Weltkriegs, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder den Krebstod einer jungen Mutter.

    Auch das Fantastische und Surreale an der Geschichte war mir stellenweise zu viel. Gerade die Erlebnisse der Kinder sorgten gegen Ende bei mir eher für hochgezogene Augenbrauen denn für Staunen. Gefallen hat mir indes, dass ich durch das Hörerlebnis ins Nachdenken geriet - über die Möglichkeit 'echter' Begegnungen, das geheimnisvolle Phänomen der menschlichen Psyche, die interessante Idee, ins Bewusstsein eines anderen einzutauchen.

    Alles in allem ein interessantes Gedankenexperiment, das für mich ein wenig zu surreal und zu langatmig geraten ist, dazu noch etwas zu abrupt endete.

    Peter Høeg schreibt in jedem Fall keine gewöhnlichen Bücher!

    © Parden

    Teilen