Diesseits der Mauer

Buchseite und Rezensionen zu 'Diesseits der Mauer' von Katja Hoyer
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Inhaltsangabe zu "Diesseits der Mauer"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:592
EAN:9783455015683

Rezensionen zu "Diesseits der Mauer"

  1. Zehn Kapitel DDR-Geschichte. Eine Einführung.

    Kurzmeinung: Es gibt Historiker, die nicht nur denken, sondern auch schreiben können.

    In zehn Kapiteln, die immer damit beginnen, dass eine Einzelperson ins Visier genommen wird „als Peter Claussen in der ostdeutschen Hauptstadt ankam, um seinen Posten … anzutreten (Kapitel 10)“, „Der 24jährige Berliner Erwin Jöris wurde in eine kleine Zelle gestoßen“ (Kapitel 1) – um sich von der individuellen Momentaufnahme alsbald zu lösen und das Ganze in den Blick zu nehmen, erzählt Katja Hoyer den Werdegang der Deutschen Demokratischen Republik vom allerersten Anfang an bis zu ihrem Ende. In Großbritannien ist „Beyond the wall“ ein großer Erfolg. Dies mag unter anderem daran liegen, dass sich Katja Hoyers Tonfall und ihre Schreibweise angenehm von der anderer Historiker unterscheidet.

    Es gibt keine Bandwurmsätze, keinen Nominalstil, keine quälenden Daten. Wer öfters historische Sachbücher liest, kennt das: jeder Pieps, jedes Zettelchen wird mit Datum, Jahr, Monat, Tag, Seitenangabe, manchmal sogar mit Uhrzeit, Ort und Autor versehen, selbst wenn es sich um völlig unerhebliche Aktenzettelchen handelt, so was gehört in Fussnoten. Wer was wann wo unterschrieben hat, mit welcher Tinte, interessiert den Historiker, mich jedoch nicht. Es ist ja nicht so, dass Katja Hoyer ohne Daten arbeiten würde, dies würde auch nicht funktionieren, aber es hält sich alles im Rahmen und geht nicht auf Kosten der Verständlichkeit. Auch mit reinen Fachbegriffen wirft Hoyer nicht um sich. Denn sie schreibt nicht für ihre Fachkollegen, sondern für uns Leser. Und das merkt man. So mancher renommierte Geschichtswissenschaftler kann sich bei ihr einiges abschauen!

    „Diesseits der Mauer“ ist eine Einführung in die Materie „Leben in der DDR“, die im Prinzip alle Aspekte des dortigen Lebens erfasst. Man wirft der Autorin hierzulande gerne eine Verharmlosung der Diktatur vor, weil das Leben in der Diktatur nicht ihr Thema ist, sondern das Leben in der DDR. Das ist etwas anderes. Trotzdem lässt sie weder die umfassende Bespitzelung durch die Stasi aus noch die Problematik der Grenzsoldaten, sie erzählt von der Militarisierung des Staates und der Gängelung der Staatsführung durch die Sowjetunion. Wenn man Hoyer überhaupt etwas vorwerfen könnte/wollte, dann eventuell eine gewisse Vereinfachung. Aber man muss sich eben entscheiden, ob man das große Ganze in den Blick nimmt oder sich in den Verästelungen komplizierter Details verfängt - derartige Publikationen gehören dann in die entsprechenden Fachzeitschriften.

    Am eindrücklichsten für mich sind die Schilderungen der Zwänge, die von Anfang an vorherrschten: die Wirtschaft wurde durch anhaltende Reparationsforderungen der Sowjetunion und die Ausplünderung und Verschleppung fast sämtlicher lohnender Industriekomplexe über Jahre hinaus gelähmt; eine eigenständige und unabhängige Politik zu entwickeln war auch ideologisch unmöglich. Davon abgesehen waren die Überlebenden der von Stalin durchgeführten „großen Säuberung(en)“, also die aus Moskau zurückgekehrten politischen Akteure, Walter Ulbricht und Konsorten abgebrühte, hartgesottene, machtbesessene und skrupellose Menschen geworden.

    Auch die Mangelwirtschaft ist Thema. Die Landumverteilungen. Die Enteignungen. Die Probleme der Bauern. Andererseits gab es keine Arbeitslosigkeit und die DDR-Bürger waren in der Regel samt und sonders gut ausgebildet. Der Blick auf die DDR ist facettenreich.

    Katja Hoyer behauptet und mit dieser Behauptung wird sie nicht falsch liegen, dass die DDR für die Mehrzahl ihrer Bürger Heimat gewesen ist, oft eine unbequeme, oft eine gehasste, aber dennoch eine Heimat. Eine Heimat, auf die man stolz war. Eine Heimat mit sozialistischem Grundgedanken, den man prinzipiell bejahte; wenngleich dieser Sozialismus manchmal lächerliche Züge annahm. Und manchmal brutale.
    Die DDR war eine Heimat, aus der man nicht weg wollte, die man jedoch gerne verändert und verbessert hätte. Niemand wünscht sich die DDR so zurück, wie sie gewesen ist. Auch nicht Katja Hoyer. Dennoch war die DDR ein Staat, in dem sich die meisten Menschen eingerichtet hatten, so gut es eben möglich war. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

    Fazit: „Diesseits der Mauer“ ist ein verständlich geschriebener 500seitiger Abriß über die Geschichte der DDR und das Leben in diesem Staat. Katja Hoyers Sicht ist eine völlig legitime, ihr Anliegen ist es, das ganze Leben in der DDR abzubilden, ihr Fokus liegt nicht auf dem Leben in einer Diktatur. Ihr Buch ist gerade wegen seiner Verständlichkeit hervorragend, sollte jedoch durch andere Sachbücher zum Thema ergänzt werden.

    Kategorie: Sachbuch. Geschichte.
    Verlag: Hoffmann & Kampe, 2023

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