Die Wütenden und die Schuldigen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Wütenden und die Schuldigen: Roman' von John von Düffel
3.25
3.3 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Wütenden und die Schuldigen: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag:
EAN:9783832181635

Rezensionen zu "Die Wütenden und die Schuldigen: Roman"

  1. Die Präsenz der Leerstelle

    Der todkranke Richard (Pastor im Ruhestand) lebt alleine in seinem Häuschen in einem Dorf in der Uckermark. Seine Enkelin Selma macht sich mit Kathi (Palliativmedizinerin und Mutters bester Freundin) auf den Weg zu ihm. Es ist die Zeit des ersten Lockdowns im März 2020. Auf den Straßen sind kaum Autos unterwegs und die Corona-Pandemie durchkreuzt so manche Pläne. Selmas Mutter, die als Anästhesistin bei der Charité arbeitet, muss aufgrund eines Coronafalls in sofortige Quarantäne und es ist fraglich, ob sie ihren Vater Richard noch einmal lebend sehen wird. Eigentlich sollte ihr Sohn Jakob nach einer gescheiterten Beziehung bei ihr Unterschlupf finden. Doch dies erscheint in der Quarantänesituation unvorstellbar zumal das Verhältnis der beiden konfliktbeladen ist. Marias Ex-Mann Holger, der Richards einziger Sohn ist, befindet sich nach einem Suizidversuch in einer psychiatrischen Klinik. Auch diese Situation stellt die Familie angesichts des todkranken Richard vor Herausforderungen. John von Düffel gelingt es im ersten Teil sehr gut die zentralen Protagonist*innen einzuführen. Sein Schreibstil ist klar, präzise und angenehm zu lesen. Immer mal wieder blieb ich im Text hängen, weil ich geäußerten Gedanken noch etwas nachspüren wollte. Beispielsweise wenn Kathi zu Selma sagt, dass es am Ende nur zwei Arten von Sterbenden gibt - die Wütenden und die Schuldigen.

    Wut und Schuld sind zentrale Themen des Romans. Alle Familienmitglieder spüren sie auf unterschiedliche Weise und immer liegt die Ursache in einem Mangel. Die Abwesenheit von Menschen, Gegenständen oder auch Handlungen haben größere Auswirkungen auf das Leben der Protagonist*innen als angenommen. Das, was fehlt, nicht mehr da ist, nie vorhanden war, nicht gesagt, nicht gesehen oder getan wurde, entfaltet eine große Präsenz und hinterlässt Spuren. Während der Coronapandemie mit ihren Beschränkungen und unter lebensbedrohlichen Umständen treten diese Leerstellen noch deutlicher hervor.
    Für Maria entpuppt sich die gemeinsam mit einem Rabbi verbrachte Quarantänezeit jedoch als Chance, mehr Klarheit über die Verstrickungen ihrer Familie und ihre eigene Wut und Schuld zu erlangen.
    Leider folgen auf den starken ersten Teil des Romans zwei spürbar schwächere Teile. Gerade Selmas Erlebnisse und Handlungen waren für mich überhaupt nicht stimmig und nachvollziehbar. Einige Szenen waren mir zu konstruiert und das Ende lässt mich mit Ausnahme von Marias Entwicklung mit zu vielen losen Enden zurück. Das bedauere ich zutiefst, weil es auch immer wieder sehr starke und berührende Szenen gab, bei denen auch die eine oder andere Katze eine Rolle spielte. Auch die künstlerische Verarbeitung der romanrelevanten Themen in Form von „unvollendeten“ Skulpturen durch Jakobs Ex-Freundin hat mir gut gefallen. Für mich konnte der Roman trotz starker Szenen sein Potential nicht ausschöpfen. Mir fehlte die engere Verflechtung einzelner Erzählstränge und ich konnte zu viele Szenen weder emotional noch von der Logik her nachvollziehen.

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  1. Im Namen des Vaters

    Deutschland, im Frühjahr 2020: Zu Beginn der Corona-Pandemie macht sich die junge Selma zusammen mit der Palliativmedizinerin Kathi Kuhn von Berlin auf in die Uckermark, um ihren Großvater Richard auf dessen letztem Lebensabschnitt zu begleiten. Währenddessen muss Selmas Mutter daheim in Quarantäne und Bruder Jonas mit Trennungsschmerz und Drogenproblemen klarkommen. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten - die nicht gerade einfacher dadurch wird, dass Vater Holger nach einem Suizidversuch in der Psychiatrie sitzt...

    Schon diese Ausgangssituation macht die Zerrissenheit der Protagonist:innen in John von Düffels neuem Roman "Die Wütenden und die Schuldigen" deutlich. Geschickt schafft es von Düffel gerade zu Beginn, die Atmosphäre des verunsicherten Landes in die Konflikte der Figuren einzubauen. Gerade in den Erzählsträngen Selmas und Richards gelingen dem Autoren zahlreiche Momente, die nachdenklich machen und Gänsehaut bereiten. Beide Figuren sind dann auch die einzigen, zu denen man als Leser:in eine Empathie aufbauen kann. Pfarrer Richard, dessen Zweifel an Gott nicht nur durch die Umrisse des fehlenden Kreuzes über seinem Bett deutlich werden, überwindet todkrank sogar seinen "Haustier-Zölibat" und freundet sich mit Kater Morpheus an. Das Tier spielt im Verhältnis zwischen Selma und Richard später eine zentrale und berührende Rolle.

    Leider wird die Qualität des Romans in den Kapiteln, die sich mit Maria und Jonas befassen, nicht gehalten. Insbesondere Kunststudent Jonas nervt mit seinen ständig um sich selbst, Drogen und Sex drehenden Gedanken und Handlungen gewaltig. Hier driftet "Die Wütenden und die Schuldigen" zeitweise so sehr ins Belanglose und Banale ab, dass mich eine gewisse Lesemüdigkeit überfiel. Maria nistet sich derweil in ihrer Not und Quarantäne bei einem Rabbi ein, der die Dachwohnung direkt über ihr bewohnt. Dieser Strang überzeugt zwar noch eher durch seine philosophischen und religiösen Überlegungen, kann dies aber in der Erzählstruktur nur mäßig umsetzen. Denn all dies präsentiert von Düffel überwiegend in einem Dialog, der zu einer langen Nacherzählung Marias wird. Schade, denn hier hätte der Roman in meinen Augen mehr Potenzial gehabt, zumal das Ende der Beziehung zwischen Maria und dem Rabbi auch inhaltlich einige Fragezeichen hinterlässt.

    Klug und ungewöhnlich ist hingegen die Darstellung der Figur des Familienvaters Holger. Denn von Düffel lässt diesen nicht ein einziges Mal wirklich auftreten, sondern präsentiert ihn nur in den Darstellungen der anderen Familienmitglieder. Dabei scheint er im Grunde die wichtigste Figur zu sein. Alle Familienmitglieder berufen sich auf ihn oder seine Abwesenheit. Holger verknüpft das gesamte Geschehen.

    Ein cleverer Schachzug, der aber leider nicht darüber hinwegtäuscht, dass sich der rote Faden des vielversprechenden Beginns irgendwann genauso verliert wie teilweise die Figuren. Dennoch ist "Die Wütenden und die Schuldigen" sicherlich ein Buch, das mit seiner Mischung aus Familien- und Gesellschaftsroman und in seiner Aktualität den Nerv der Zeit trifft und viele Leser:innen finden wird.

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  1. Vertrackte Familiengeschichte in pandemischen Zeiten

    Der Roman ist im Frühjahr 2020 angesiedelt zur Zeit des ersten großen Corona-Lockdowns in Deutschland, als die Angst vor dem Virus noch groß und die Kenntnisse darüber sehr gering waren. Mit einem Schlag änderte sich die Welt, wie wir sie kannten, liebgewonnene Selbstverständlichkeiten wie Besuche und Kontakte gerieten auf den Prüfstand, Planungen durcheinander.

    Genau so geht es auch der Familie, die im Mittelpunkt dieses Romans steht. Richard ist schwer an Krebs erkrankt, sein Tod ist absehbar. Gemäß Planung will ihn seine (ehemalige) Schwiegertochter Maria mit Enkelin Selma und der befreundeten Sterbebegleiterin Kathi in seinem Heimatdorf in der Uckermark besuchen. Nun ist Maria Anästhesistin an der Berliner Charité und muss sich aufgrund eines dortigen Corona-Falls sofort in häusliche Quarantäne begeben – aus ist es mit ihren Reiseplänen. So fahren Kathi und Selma alleine aufs Land, um Richard beizustehen.

    Indessen hat Maria einen Wasserschaden in ihrer Wohnung. Sie muss sich zudem um nötigste Einkäufe kümmern und lernt dabei ihren Obermieter kennen, der ihr neue Gedankenräume eröffnet. Marias Sohn Jakob indessen ist bei seiner Freundin rausgeflogen und hat fest mit Mutters leerer Wohnung gerechnet – die ja nun wider Erwarten bewohnt ist.

    Die Verwicklungen der einzelnen Familienmitglieder nehmen im Verlauf des Romans zu. Jede Figur hat ihr Päckchen zu tragen. Die Handlung pendelt zwischen der Uckermark und Berlin hin und her, verbunden durch einige Telefonate und eine schlechte Internet-Verbindung. Das Geschehen ist niemals langweilig. Jeder hat individuelle Probleme, die sich teils aus der aktuellen Lage ergeben, teils aber auch aus längst vergangenen Verlusten und Verletzungen resultieren. Im Mittelpunkt steht der sterbende Richard, der als protestantischer Pfarrer seit langem mit Gott hadert, und die Sorge um ihn. Doch auch das Schicksal seines Sohnes und Marias Ex-Mannes Holger schwebt über allem. Er befindet sich nämlich nach einem Selbstmordversuch in einer psychiatrischen Anstalt. Nach und nach werden die Verstrickungen deutlich, die eine unbestimmte Schwere vermitteln.

    Bei der Bewertung dieses Buches bin ich wirklich hin und her gerissen. Ich habe mich ziemlich hindurch gekämpft. Obwohl eigentlich immer etwas passiert, empfinde ich die Handlung teilweise als aufgesetzt, unrealistisch und konstruiert, so dass in meinen Augen die zweifellos vorhandene Tiefe des Geschehens von rasanten Nebenhandlungen überlagert wird. Viele Themen werden angeschnitten: Abschied, Glauben und Tod, Schuld und Vergebung, Angst vor Einsamkeit, moderne Lebensformen, Pubertät und vieles mehr. Mir waren es ein paar zu viele Baustellen. Manches wird eben nur angerissen und nicht auserzählt, so dass es am Ende an der Oberfläche bleibt. Dasselbe gilt für die Figuren. Jakob zum Beispiel ist der Stereotyp des erfolglosen Dauerstudenten, der von einer Misere in die nächste rutscht. Auch die ostdeutsche Jugend wirkt nicht minder unmotiviert und zudem oft alkoholisiert und aggressiv.

    Der Roman liest sich flüssig, der Stil ist geschmeidig, zeitweise auch unterhaltsam. Die Herausforderungen der verschiedenen Generationen unter der Pandemie werden deutlich. Der Ansatz ist grundsätzlich spannend. Mich konnte die Haupthandlung rund um Richard zwar erreichen, zu vieles passierte aber noch drum herum.

    Für mich war es der erste Roman dieses Autors. Vielleicht hatte ich zu große Erwartungen. Als reiner Unterhaltungsroman mit Tiefgang und aktuellem Bezug mag es funktionieren, ich hatte mir literarisch einfach mehr erhofft.

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  1. Tief berührt

    Das Buch wird als Hardcover geliefert und gefällt mir in Optik & Haptik sehr. Kleine Beigabe, das inkludierte Leseband.

    Zum Inhalt: Die gesamte Geschichte dreht sich um den Beginn der Corona Pandemie und deren Auswirkungen auf eine deutsche Familie. Die Charaktere werden mit großer Sorgfalt vorgestellt.

    Zu Beginn lernen wir Richard einen Pfarrer, welcher sich im letzten Abschnitt seines Lebens befindet, kennen. Um ihn in seiner baldig erwarteten Sterbephase zu begleiten und unnötiges Leid von ihm fernzuhalten, reisen seine Enkelin und eine mit der Familie befreundete Palliaativmedzinierin Dr. Kuhn in die Uckermark. Währenddessen erleben wir Richards Tochter Maria und andere Menschen, deren verordnete Corona-Quarantäne, mit allen damit verbundenen Herausforderungen.

    Fazit: Schon nach wenigen Zeilen, habe ich mich in die Geschichte hineingesogen gefühlt. Die Charaktere, deren Emotionen, Gedanken und Körperlichkeit wurden für mich greifbar. Ich war tief berührt von den Ereignissen & musste sogar weinen. So klar wurden die menschlichen Nöte, Sorgen & Gedanken kommuniziert. John von Düffel hat hier ein Werk geschaffen, das viele Menschen tief berühren wird. Definitiv keine leichte Kost. Eine Leseempfehlung an Alle, die nicht auf eine geschlossene rundum festgezurrte Story bestehen. Der Autor hat genug Raum für eigene Gefühle & Emotionen der Leser gelassen. Er gab den Rahmen für eigene Überlegungen und Gedanken vor, den Rest dürfen wir mit unserem Eigenem füllen. Außergewöhnlich und lesenswert.

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